Adam Richwien Eine Kurzbiografie

Lengenfeld unterm Stein. Am Nachmittag des 25. September (1928) ist Adam Richwien, der gemütvolle Heimatdichter, einem Herzschlage erlegen. Er war schon lange leidend; trotzdem hatte niemand an sein nahes Ende gedacht.

Nun hat der Tod auch dem Manne die Feder aus der Hand genommen, der zu unseren eifrigsten Mitarbeitern zahlte und der so manches gemütvolle Essay zum Preise seiner eichsfeldischen Heimat, so manches ansprechende und vielleicht auch literarisch wertvolle Gedicht in den Spalten der „Hülfensberg-Glocken“ veröffentlicht hat.

Dort, wo die Kanonenbahn mit einem kühnen Viadukt das Tal der Frieda überschreitet, war Adam Richwiens Heimat. Dort hatte er seine Kinderzeit verlebt; dort führte er in einem blitzsauberen Häuschen in der Bahnhofstraße mit den Seinen ein vorbildliches Familienleben: dort hörte sein Herz zu schlagen auf, als er soeben noch mit den Seinen das Mittagsmahl eingenommen und den Segen gesprochen hatte, und dort liegt er nun auf weiße Kissen gebettet und bekränzt mit den letzten Blumen seines freundlichen Gärtchens.

In seinen „Erinnerungen eines Dorfjungen“, aus denen wir verschiedene Abschnitte noch in der vorletzten Nummer veröffentlichten, hat er die Geschichte seines Lebens erzählt:

„Am 25. April 1889 wurde ich zu Lengenfeld als zwölftes und letztes Kind meiner Eltern geboren. Mein Vater gehörte der Zunft der Raschmacher an, auch war er noch ein strebsamer Hausierer. Daneben betrieb er noch das Wollkämmen. Meine Mutter stammte aus kleinbäuerlichen Verhältnissen. Wie mein Vater mit der ganzen Seele Geschäftsmann war, so hing ihr Herz an der Scholle. Nachdom mein Geburtshaus, das wegen seiner örtlichen Lage von den Bewohnern des Dorfes und der Umgebung „Spitze“ genannt wurde, erbaut war (in den sogenannten Eisenbahnjahren, d. h. zur Zeit des Baues der Kanonenbahn um 1870–75 herum), kaufte mein Vater auf Drängen der Mutter einige zusammenhängende Stückchen Land, der ‚Heiligenberg’. Es war das nun ein echtes, rechtes ‚Armeleuteland’, aber mit Sorgfalt, Liebe und Gottvertrauen rang Mutter Jahr für Jahr um den Ertrag. Oft genug mag das Stückchen Land dazu beigetragen haben, dass wir alle satt wurden. Uns Kindern war der Heiligenberg eine liebe Stätte. Wir haben dopt oben Heimatliebe in uns aufgenommen. Wenn wir hinabschauten ins Tal, hinüber zum Walde und zum Bischofstein, unsere Augen an den überall auftauchenden schönen Naturbildern haften blieben, da mag uns das Herz aufgegangen sein, ob unserer schönen Heimat. Mir ging es so, und heute, wenn meine in der Fremde wohnenden Geschwister in ihrer Hei¬mat weilen, unterlassen sie nicht, den lieben Heiligenberg zu besuchen. Er liegt auch so, dass wir von unserem Hause aus nach ihm Ausschau halten können. Und wir tun das oft. Aber auch die übrige Umgebung war dazu angetan, Liebe zur Heimat zu wecken und nähren. Der breite, schattige Kirchrasen war der Tummelplatz unserer frohen Kinderspiele. Alles war dazu wie geschaffen, meine Phantasie anzuregen. Meine Mutter tat ein Übriges und erzählte mir gern von ihrer Jugendzeit Freud und Leid, von Großvater und Großmutter, überhaupt von Land und Leuten der Heimat. Ich glaube, sie hat ihre Heimat auch recht lieb gehabt. Aus diesem Bronnen vermag ich noch zu schöpfen.

Es kamen die Jahre, da ich schulpflichtig wurde (1895–1903). Ich besuchte die Volksschule meines Heimatdorfes. Als mittelbegabter Schüler wurde ich hingenommen. In den letzten Jahren meiner Schulzeit eroberte ich mir jedoch den ersten Platz. Mit 12 Jahren wurde ich der damaligen Sitte gemäß zur ersten heiligen Kommunion geführt.

Es kam die Zeit meiner Schulentlassung. Am liebsten wäre ich Maler geworden. Ich hatte in meinen Schuljahren eine besondere Vorliebe für Zeichnen nach der Natur. Aber mein Wunsch blieb unerfüllt. Das erste Jahr nach meiner Schulentlassung führte mich zur Beckmannschen Ziegelei nach Dietzenrode bei Wahlhausen. Ich sollte Ziegelbrenner werden. Infolge einer vorangegangenen rheumatischen Erkrankung wurde ich herzleidend, und so war es mit der Ziegelkarriere vorbei. Ich kam in die Zigarrenindustrie. Ich habe in verschiedenen Fabriken gearbeitet. Die Behandlung war gut; Schläge blieben mir in den Lehrjahren erspart, andere waren darin weniger glücklich. Auch die Fabrik hat ihre Poesie. Die Feierstunden gehörten mir. Mit 16 Jahren machte ich Gedichte, ich habe sie jedoch später vernichtet. Mit 17 Jahren wurde ich Lokalkorrespondent. In dieser Zeit versandte ich auch einige Novellen – sie find in den Papierkorb gewandert.

Um 1910 herum machte ich mich in der Tabakbranche selbständig. Das Betriebskapital brachten mir die sonntäglichen Taschengelder und der Erlös aus dem Verkauf der ‚Rauchzigarren’. Das war nun sine Fabrik, in der ich Arbeiter, Werkmeister, kaufmännisches Personal und Chef in einer Per¬son war. Aber es ging nach Überwindung der ersten Schwierigkeiten langsam voran. Zu Beginn des Krieges hatte ich ein kleines, aber nicht zu verachtendes gut gehendes Fabrikations- und Versandgeschäft. Infolge meines Herzfehlers wurde ich zunächst nicht einberufen. Es geschah erst 1917, doch wurde ich nach 10 Wochen wieder entlassen. 1915 starb meine Mutter, 11 Monate später mein Vater. Das elterliche Haus hatte ich vor seinem Ableben käuflich von ihm erworben. Meine Frau ist eine frühere Arbeitgenossin von mir – sie arbeitete in der Fabrik mit mir ‚an einem Tische’. Die Kriegsjahre mit ihrem Elend kann ich füglich übergehen. Nachdem diese Zeit ungeheure Umwälzungen, auch in der Zigarrenindustrie, gebracht hatte, so das Banderolensteuergesetz, entschloss ich mich aus wohlüberlegten Gründen im Jahre 1920 zur Aufgabe des Gewerbes. Ich sattelte um und wurde nach Art meines Vaters Hausierer.

Im Sommer 1923 erkrankte ich schwer an Gelenkrheumatismus. Mein Herzfehler, der mit vorher wenig oder gar nichts ausgemacht hatte, wurde so verschlimmert, dass ich ganz arbeitsunfähig wurde. Viel habe ich dann gelitten, körperlich und seelisch. Im Sommer 1925 verschlimmerte sich mein Zustand so, dass ich am Feste Peter und Paul mit Sterbesakramenten versehen wurde. Es war nahe am Ende. Da trat unerwartet eine Besserung ein.

Im Jahre 1925 erwachte die alte Neigung in mir, zu dichten. Ich machte das, um mir die trüben Gedanken zu verscheuchen. Schließlich sandte ich einige von den Gedichten ein. Ich wartete lange, vergaß es. Schließlich sah ich das erste Gedicht gedruckt vor mir. Ich wurde bettlägerig, und es kam, wie eben geschildert. Als es besser ging, sandte ich einige Prosasachen ein, aber es ging wieder nicht, wie ich gedacht. Aber heute, wenn ich die ‚angenommenen’ Sachen überschaue, kann ich immer in etwa von Erfolg sprechen. Das schwere Herzleiden ist geblieben. Vielleicht birgt die Zukunft noch viele Leiden für mich. Aber die überstandene Leidenszeit hatte auch Sonntage. Und wozu die Sorge um die Zukunft! Gott, der das Leid gibt, gibt auch die Kraft, es zu tragen. Vielleicht lässt er mich auch noch ein Weniges für meine liebe Heimat tun! Es liegt mir fern, zu erscheinen, was ich nicht bin. Gleichwohl freut es mich, dass ich hier und da einige Anerkennung für mein Wollen, der Heimat zu dienen, gefunden habe.“

Noch manche Arbeit Richwiens liegt in unserer Mappe, und es soll uns eine Ehrenpflicht sein, sie an die Leser weiterzugeben. Wenn auch der Autor tot ist, so sollen seine Lieder weiterklingen.

Er ruhe im Frieden des Herrn!

Quelle: „Hülfensberg-Glocken“
(Jahrgang und Ausgabe unbekannt)