Kleine Chronik Lengenfeld unterm Stein

Zum Geleit

Daten und Ereignisse von 1318-1954


Wo die Wälder noch rauschen so heimlich und traut,
wo über den Bergen der Himmel sich blaut,
wo in heimlichen Gründen der Wildbach schäumt,
tief unten im Bergtal die "Frieda" träumt,
wo die Sage noch schreitet auf stillen Höhn
und Wichtelmännchen durchs Walperbühl gehen:
Da liegt meine Heimat im sonnigen Schein,
mein liebliches Dörfchen dort "Unter dem Stein".

August Hahn



Dieses schmucke Dorf, das August Hahn in seinem Gedicht so recht geschildert hat, liegt am Südabhang der Eichsfelder Berge, 19 Kilometer westlich von Mühlhausen in Thüringen. Mit dem Zuge ist es von dem Eisenbahnknotenpunkt Leinefelde in einstündiger Fahrt leicht zu erreichen (Anmerkung der Redaktion: Mit dem Zug war Lengenfeld bis zum 31.12.1992 erreichbar. An diesem Tag wurde der Zugverkehr endgültig eingestellt).
Lengenfeld, das wahrscheinlich langes Feld bedeutet, wird schon im 10. Jahrhundert urkundlich genannt. Schon 1318 besaß Kurmainz drei Eigentümer mit 9 Hufen, die zum Stein gehörten, außerdem 6 Höfe, 23 Acker, 1 Garten, 1 Baumgarten, Acker im Blankental, Rodeland vor der Plesse und den Plesse-Wald.

Seit der ersten Erwerbung der Burg Stein im Jahr 1326 durch Mainz war der jeweilige Erzbischof und Kurfürst der Landesherr unseres Dorfes und gleichzeitig der oberste Gerichtsherr. Diese obere Gerichtsbarkeit wurde im peinlichen oder Halsgericht durch die Vögte des Amtes Bischofstein ausgeübt. Da die Herren von Keudell und von Hanstein seit 1420 von Mainz mit 400 Acker Land, die Meierei, einem Hof unter dem Kirchiber und zwei weitere Höfe belehnt wurden, lag das untere Gericht meistens in den Händen dieser Junker, die über ihre Hörigen und Leibeigenen selbst zu Gericht saßen. Auf diese Mainzer Lehen sind die Orts- und Flurnamen wie Keudelsgasse, Herrengasse und Hanstein zurückzuführen.

Aus all den Urkunden dieser Zeit ist zu ersehen, dass der gesamte Grundbesitz sich in den Händen der Kurfürsten von Mainz, der Klöster, Ritter oder Junker befand. Daher strebten auch in Lengenfeld die hörigen Bauern nach Befreiung. Nach Aufzeichnungen des Pfarrers Hahn nahmen auch mehrere Bauern 1525 am Bauernkrieg teil. Nach dem Reuterschen Salbuch hatte Lengenfeld im Jahre 1610= 112 Häuser und 6 Gemeindehäuser.

Infolge der Religionswirren brach im Jahre 1618 der Dreißigjährige Krieg aus. Die wirtschaftlichen Verluste unseres Dorfes durch diesen Krieg waren ungeheuer. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges zählte Lengenfeld nur noch 24 Herdstätten. Trotz der schweren Zeit gingen unsere Vorfahren sofort an den Wiederaufbau. Bereits im Jahre 1680 hatte Lengenfeld schon wieder 86 Herdstätten mit 478 Einwohnern. Leider wurde dieser Aufbau noch einmal durch die letzte „Eichsfeldische Pestwelle“ im Jahre 1682 gestört, die nochmals viele Menschenopfer forderte.

Um 1700 ging es wirtschaftlich weiter voran. Valentin Degenhardt, der 1670 in Flandern die Wollmanufaktur kennengelernt hatte, ließ sich 1680 in Großbartloff nieder und stellte hier den ersten Webstuhl auf. Nun begann der Siegeslauf der Wollweberei über das ganze Eichsfeld. Aus dem gesamten Lande drängten sich die jungen Leute herzu, um die Wollweberei zu erlernen. So fanden auch in unserem Dorfe die geringen Leute Arbeit und Brot. Fast in jedem Haus stand um 1740 ein Webstuhl.

1711 zählt die Gemeinderechnung bereits 111 Herdstätten auf, wovon 19 Höfe waren, die mehr als eine Hufe (30 Morgen) bewirtschafteten. Die meisten Leute sind zwar Hausbesitzer, jedoch ohne oder mit wenig Rodeland. Dieser Umstand lässt erkennen, dass die meisten Bewohner Lengenfelds schon 1711 Arbeiter waren. Soweit dieselben nicht in der Land- oder Forstwirtschaft beschäftigt wurden, waren es Wollweber, Rasch- und Etaminmacher, Wollkämmer und Spinner. An diesen landarmen, kinderreichen Weberfamilien konnte sich ein Wirtschaftsrückgang, verbunden mit Missernten, durch solch ein Massensterben auswirken, wie es sich in den Hungersjahren 1771 und 1772 ereignete. So finden wir in den Kirchenbüchern, dass in diesen zwei Jahren von 819 Einwohnern 158 an Hunger gestorben sind. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam dann für unsere Gemeinde eine große Umwälzung. Am 06. Juni 1802 nahm laut Vertrag mit Frankreich der König Friedrich Wilhelm III. das Eichsfeld in Besitz. Lengenfeld wurde nun preußisch – Bischofstein staatliche Domäne.

Nach der Schlacht von Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 wurde das gesamte Eichsfeld französisch und am 18.08.1807 dem Königreich Westfalen angegliedert. Unsere gemeinde hatte nun unheimliche Kriegskontributionen an Geld und Naturalien zu leisten. Aber noch größer waren die Drangsale, als nach der Völkerschlacht bei Leipzig am 16., 18. und 19. Oktober 1813 die französischen Heere durch Lengenfeld marschierten. Daher war die Freude groß, als mit der Verbannung Napoleons auf der Insel St. Helena der Krieg zu Ende war.

Im Revolutionsjahr 1848 haben es die werktätigen Bauern Lengenfelds nicht verstanden, sich von der Gutsknechtschaft zu befreien.

In den Jahren 1857 bis 1882 wurden die Dorfstraßen und sämtliche Landstraßen, wie Lutterbrücke – Kloster Zella, Lengenfeld – Hildebrandshausen chausseemäßig ausgebaut.

1863 kaufte die Gemeinde das jetzige Bürgermeisteramt von dem Kaufmann Montag für 1250 Thaler und baute dieses Haus als Schule aus. Die neue Schule mit vier Klassenräumen, einem Lehrerzimmer und einer Lehrerwohnung ist im Jahre 1929/1930 errichtet.

Die Eisenbahnlinie Leinefeld – Eschwege wurde in den Jahren 1875 bis 1880 erbaut und am 15. Mai 1886 war Geismar der nächste Bahnhof. In diesem Jahr wurde die Haltestelle Lengenfeld eingerichtet. Der neue Bahnhof ist im Jahr 1908 erbaut worden.

Die stattliche Kirche ist als dreischiffige gotische Hallenkirche in den Jahren 1882 bis 1884 neu gebaut. Von der alten Kirche ist der Unterbau des Turmes erhalten. 1950 wurde unsere Kirche von unserem Kunstmaler Josef Richwien renoviert.

Im Dorf selbst finden wir alte Bauernhäuser, die Hagemühle (1577 erbaut), das reizvolle Pfarrgebäude (1618 errichtet). Nicht unerwähnt darf unser St.-Elisabeth-Krankenhaus bleiben, das 1905 errichtet und 1928 erweitert wurde. Unter der Fürsorge der ehrwürdigen Schwestern des Franziskanerordens und unter Leitung des Med.-Rats Dr. Holldack und der Frau Dr. med. Holldack und des Dr. H. Bach ist es zu einer wahren, nach allerneuesten Erfahrungen eingerichteten Heilungsstätte geworden.

Im Nordwesten unseres Dorfes erhebt sich der Schlossberg, der mit seinen 401 m bis zum Jahre 1933 eine uralte, stolze Linde trug. Hier stand die „Burg zum Stein“, die vor 1150 vom Landgrafen Ludwig von Thüringen erbaut worden ist. Seit 1426 wird die Burg Bischofstein genannt. Unterhalb der Burg lag die kleine „Stadt zum Stein“, die bis 1420 noch urkundlich bezeugt worden ist. Im Dreißigjährigen Kriege wurden Burg und Stadt zum Stein teilweise zerstört. Aus den übriggebliebenen Steinen ist im Jahr 1747 vom Kurfürsten von Mainz das jetzige Schloss Bischofstein durch den Baumeister Heinemann aus Dingelstädt errichtet worden. Heute (1954) befindet sich in dem Schloss ein Erholungsheim des FDGB.

Wenn auch im ersten Weltkrieg Lengenfeld schon große Opfer an Gefallenen bringen musste (68 gefallene Soldaten), so waren demgegenüber die Verluste mit 96 Gefallenen ausschließlich der Vermissten im zweiten Weltkrieg weit größer.

Am 4. April 1945 zogen die ersten Amerikaner in Lengenfeld ein. Da in unserem Orte keinerlei Kampfhandlungen stattfanden, erlitt Lengenfeld somit keinen weiteren materiellen Schaden. Durch den Vertrag von Jalta wurde mit Beendigung des Krieges Deutschland in vier Besatzungszonen eingeteilt. Infolgedessen bildete die eichsfeldisch-hessische Grenze gleichzeitig die Zonengrenze zwischen USA und den sowjetischen Besatzungstruppen.

Am 5. Juli 1945 übernahm die sowjetische Armee den Schutz unseres Heimatgebietes und gab uns 1954 die volle Souveränität zurück. Es liegt nun an uns, dass wir uns dieses Entgegenkommens würdig erweisen und bestrebt sind, das bisher Errungene zu erhalten.

Wir wollen hoffen, dass wir recht bald die Einheit Deutschlands erringen und unsere Heimat wieder zum wirklichen Herzen Deutschlands gehören wird.

Auszug aus Lambert Rummels Chronik
und den Gemeindeakten von Lehrer Walther Fuchs

(erschienen in der Zeitschrift "Lengenfelder Echo", Sonderausgabe zur Volkswahl 1954. Herausgegeben vom Ortsausschuss der Nationalen Front des demokratischen Deutschland)