Ostern ohne Ostereier (Eine Gute-Nacht-Geschichte)

„Oma bitte, noch eine Gute-Nacht-Geschichte“, riefen die Enkel, „die vom Waldi und den Ostereiern!“
„Aber, ihr müsst zuvor schön still liegen und euch zudecken, dann erzähle ich euch auch noch einmal diese Waldigeschichte.“

Früher, als euer Vater und seine Brüder noch klein waren, da bekamen wir eines Tages einen jungen Hund, einen kleinen, süßen Dackel. Wir nannten ihn Waldi. Alle hatten ihn gern. Er war sehr lebhaft und überall mit von der Partie.

Am Karsamstag holten unsere Jungen ihren großen Karton mit der grünen Holzwolle, und daraus wollten sie ihre Osternester bauen.
Doch, ach Herrje, es goss wie aus Eimern, und es sah draußen aus, als wolle die ganze Welt untergehen. Was nun? Im Freien konnte man bei diesem Wetter keine Nester machen.

Zu dieser Zeit hatten wir an unserem Haus noch ein Stück angebaut, jedoch waren die Zimmer noch nicht ganz fertig. Unten in dem einen Raum lagen für die Fußböden mehrere Stapel mit Holz. Wir warteten nämlich auf die Handwerker, die den Parkett legen sollten. Sie hatten versprochen, gleich nach Ostern zu kommen. Die Kinder knieten nun vor den Holzstapeln nieder und formten wunderschöne runde Osternester. Damit der Osterhase auch wusste, welchem welches Nest gehörte, steckten sie kleine Schildchen mit ihren Namen daran.
Am anderen Morgen stand ich zeitig auf und ging zur Frühmesse. Als ich nach Hause kam und die Haustüre öffnete, sprang mir freudestrahlend Waldi mit grüner Holzwolle im Maul entgegen.

Ich erschrak und rief: „Waldi, du wirst doch wohl nicht ...?“ Dann eilte ich zum Anbau.
Hier kullerten mir die ramponierten und aus der Form geratenen Ostereier entgegen. Überall lagen zertretene bunte Eierschalen herum. Das Innere der Eier lag zertreten am Boden. Schöne in Gold- und Glanzpapier gewickelte Schokoladeneier waren zerkrümelt und zerbissen.
Und wie die Schokoladenhasen erst aussahen! Ohne Ohren und ohne Beine und mit durchlöcherten Bäuchen. Aus Leibeskräften schrie ich nun:
„Der Osterhase war da, und Waldi hat alles ruiniert, alles kaputtgemacht!“

Mit einem Satz sprang sofort der Vater mit den Söhnen aus dem Bett. Da standen sie dann alle in ihren gestreiften Schlafanzügen und machten ganz lange Gesichter. Der Jüngste sagte sehr traurig: „Davon können wir gar nichts mehr essen.“

Waldi jedoch sprang voller Freude an uns hoch, als wolle er uns zeigen, dass er soeben eine Heldentat vollbracht hätte! Immer hatten wir ihn sehr gemocht, wenn er uns mit seinen treuen, braunen Hundeaugen ansah und hatten ihn liebevoll über sein rötlich braunes Fell gestreichelt. Dieses Mal ging er absolut leer aus!

Wir fragten uns, wie konnte denn Waldi überhaupt in den Anbau gelangen? Die Tür war doch zugewesen!
Die Erklärung: Unsere Kinder hatten ihm ein paar Tage vorher beigebracht, wie er Türen öffnen konnte! Und sie hatten so lange mit ihm geübt, bis er es perfekt konnte!

Viele ungezählte Ostern kamen und gingen ins Land. Alles, was es da an schönen Sachen vom Osterhasen gab, ging unter. Aber dieses eine österliche Ereignis lebt in der Familiengeschichte fort.

Anneliese Blacha