Der Spuk bei den Tannen

Das müsste schon eine narrische Dorfheimat sein, woselbsten es nicht hier und da, an den grad' dazu geeigneten Stellen, zu wiederum geeigneter Zeit zur Abwechslung mal spuken tät. Das nennen die Leute in meiner Heimat: "Wahnerwark" - in den umliegenden Ortschaften heißt die Sache schon anders. Die Kirchhäuser sagen: "Wainerwark", in Duterode hingegen wieder: "Glaubet daach mant nit an Wanderwark."

Ich beherrsche, wie aus vorstehenden Bemerkungen hervorgeht, an die sieben verschiedene Sprachen. Ich habe schon darüber nachgedacht, ob es nicht das Beste wäre, die südeichsfeldischen Sprachen in einer Art Esperanto - ja - das ist ein Fremdwort und heißt so viel wie Esparsette - und das ist eine Kleeart, die alle Rind- und Ziegenviecher gern fressen - also in eine Art Esparsette zu vereinigen.

Das große "Wanderwerk" setzt in meiner Heimat regelmäßig im Frühjahr und Herbst ein. Das hat aber beidesmal nichts Gruseliges an sich. Die Wandermänner sind unsere Heimatleute, die zur Ziegelei oder Zuckerfabrik fahren, um sich ihr Brot zu verdienen. Ich will aber von dem kleinen Wanderwerk, oder sagen wir Spuk, berichten, so sich in meiner Kindheit ereignet, in abendlicher Stunde.

Eine geraume Zeit hatte sich im Dorfe nichts Aufregendes ereignet. Selbst Fastnacht, das doch, wie die Alten immer sagten, mit Blut gezeichnet ist (Andeutung auf die üblichen Raufereien und Händel beim Fastnachtstanz), war recht harmlos verlaufen. Zwar waren in der Zeit auch etliche Anhänger des "Spiritismus" unter den Dorfbewohnern. Die bildeten einen geselligen Zirkel, hielten ihre Sitzungen in der Bräuschenke bei nächtlicher Stunde, zitierten die Geister der Fuselalkohols und sangen das Bruderschaftslied: "Jum heidie, schrum heida - Schnaps ist gut für die Cholera."

Aber als der Pfarrherr dann eine gründliche Fastenpredigt über die sündigen Häupter dieser Lastersippe getan hatte, waren sie allesamt in sich gegangen, wegen dem nahe bevorstehenden "großen Beichtstuhl". Also waren die Geister des Alkohols gebannt durch des Pfarrherrn Machtwort. Die Fastenzeit war da und den Dorfleuten fiel es die Zeit nicht grad' allzu schwer, zu fasten und zu abstinenzen, weil in der Zeit das Sprüchlein Geltung hatte: "Uff Lichtemassen - sin alle Ecken leer gefrassen." Das bezog sich hauptsächlich auf Schlachtwerk, – weniger auf Kartoffeln. Aber die waren erlaubt.

Wer die Zeit in abenddämmerlicher Stunde etwas auszurichten ging, der hatte sicher eine Unterlassungssünde auf dem Gewissen. Ausrichten konnte er ohnedem da nichts. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als am Hausflur die Kappe oder den Filz zu ziehen und den Rosenkranz mitzubeten. Den beten die Leute da in jedem Haus zu dämmeriger Stunde. Das wird ja wohl auch heute noch sein. Wo es in Vergessenheit geraten ist, mag man sich wieder daran erinnern.

Wir hatten eben den abendlichen Fastenrosenkranz beendet. Der Mond leuchtete durch die Fenster und streichelte mit seinen matten Lichtstrahlen die Blumenstöcke. Ein Licht hatten wir noch nicht angemacht. Wir überließen es dem guten Mond, noch ein Weilchen uns Licht zu sein. "Das Steinöl ist um zwei Pfennig aufgeschlagen das Litermaß", sagte die Mutter. "Was wir zu storgen haben, sehen wir auch ohnedem", warf die Großmutter ein. Ich kauerte mit untergesteckten Beinen nach Schneiderart auf der Lade und äugte hinauf nach den dunklen hohen Tannen beim Bergstück.

In Zwischenpausen hörte ich erschütternden, gruselerweckenden Eulenschrei dahertönen. Da stampfte schwerer Tritt über die Hofstatt, klirrte über den Hausflur, stolperte über den Stubentürsold und im Mondlicht stand eine massige Gestalt vor uns im Stübchen. "Muss eh mal hereinschauen - 's ist wegen dem Schwatz um den Spuk." Fast wäre ich vor Schreck in Ohnmacht gefallen. Der Besucher war Vetter Hanjakob - und wegen dem Spuk kam er. Also war's doch war.

"Wegen dem Spuk?", verwunderte sich Mutter. "Gar, dass d' auch an Wahnerwark glaubst, Hanjakob." "Wahnerwark hen - Wahnerwark har - 's ganze Dorf äs vull. Jeden Nobd ankts do öben in den Tann. - Wann's änne orme Seele äs, do muss me ar halfe, daas äs Christenpflicht. -

Prophetenhaft und feierlich kam's von Hanjakobs Lippen. "Ja, was denn da", fragte Mutter. "Tuck dich ahn, Kathrin, un geh mol met nuff, meh wunn daar Sache mol uff'n Gruind geh. Unser Seele Seligkäit wärd's nit kosten. "Mutter, Mutter!", schrie ich erschreckt auf. "Ruhig, dü Krehlwanst, dü geheerst ins Bett", begehrte Vetter Hanjakob auf. Schließlich aber setzte ich es durch, dass ich mitkam.

Trotz der hellen Mondnacht nahm Mutter noch eine Laterne mit. Vetter Hanjakob trug als Waffe einen schweren, knotigen Eichenstock. Wie wir vor das Hoftor traten, sahen wir größere und kleinere Gruppen Menschen beieinander stehen. "Heerst dann - jetzt wädder." "Uh - Uh"... kam's klagend in kurzen Pausen vom Walde herüber.

"Alloh, war Kurasche het", eiferte Hanjakob die Lauschenden an. Eine Anzahl der Herumstehenden beschafften sich diese "Kurasche" und gingen mit. Unterwegs wurden gruselige Geschichten erzählt, sodass ich mich angsterfüllt an Mutters Rockzipfel klammerte. Da war die Schreinermarthe, die war mal in ihren Mädchenjahren nächtens mit dem Gutsfuhrwerk nach Kloster Amselrode gefahren. Der war da ein Irrwisch direkt auf die Brust gesprungen und hatte ihre Augen geblendet. Bei der Schotterbrücke war einem Knecht, der heimwärts wollte, ein glühheißer Wagen ohne Pferde über die große Zehe gefahren, die dann verdorrt sei.

Einer warf noch die Frage auf, ob es denn überhaupt ratsam sei, die arme Seele anzureden nach ihrem Begehr, weil derselbige, der es täte, sterben müsste. "Starbe mun meh alle", warf der Besenjorg philosophierend ein. "Im Handumdrehen", bestätigte Hanjakob. Endlich waren wir oben. An die hundert Schritt vom Walde gebot der Hanjakob Halt und Schweigen. "Uh - Uh." Mir sträubten sich die Haare. Ob Hanjakobs Haare dasselbe taten, konnte ich nicht sehen, denn er hatte die Steppkappe darauf.

"Uh - Uh", - Schauerliche Stille. -
Hanjakob schien nun auch die Lust vergangen zu sein, den Geist zu beschwören. Ratlos standen sie alle herum... "Uh hu - Uh huh - uh - uh." Es musste etwas geschehen. Das mochte der Hanjakob wohl fühlen.

Feierlich nahm er die Steppmütze vom Kopf, als wäre sie ein Pfarrbarett und mit weihevoller, ein wenig vibrierender Stimme sagte er: "Liete - loots üch gesait sieh - daas äs nischt richtiges. - Lot uns än Vaterunser bete fer de ohrme Seele im Helzchen." Das taten wir denn auch alle - und weil es viele Beter waren, wurden es viele Vaterunser. Ich tat das meinige auch dazu. Mag es auch der vermeintlichen armen Seele im Hölzchen nicht zugute gekommen sein, unser damaliges gemeinschaftliches Gebet, irgendeiner armen Seele wird es dennoch gut getan haben. Das ist meine Meinung von der Sache.

Für die Dauer unserer Andacht war es mäuschenstill im Hölzchen. Dann aber prasselten Steinblöcke durch das Gebüsch und rollten in Eile den Abhang hinab. Sodann kam ein toller Gesang herüber, aber nicht geisterhaft, sondern dorfburschenhaft: "Das Wandern ist des Müllers Lust." Hanjakob - und wir alle fühlten, dass unsere "Mission" beendet war und befriedigt zogen wir heim.

Am anderen Tage entdeckte der Talbauer auf seinem etliche "Findlinge" (lose Steine). Weil er gerade einen neue Kuhstallwand einsetzte, vermauerte er sie mit da hinein. Die Klage hat dann aufgehört im Hölzchen. Was es gewesen, vermag ich nicht anzugeben. Ich denke mir, ein krankes oder wundes Wild.