Wie ich einmal unbewusst in großer Gefahr war

Schutzengelgeschichten zu erdichten, deucht mich zum mindesten ein Unrecht, weil dazu ja gar keine Veranlassung vorliegt, zudem es genügend wahre Geschehnisse gibt, die von dem Wirken unserer Schutzgeister zeugen können. So soll auch die nachfolgende kleine Begebenheit Zeugnis geben, dass der Glaube an uns beigegebene Schutzengel kein Unsinn ist.

Eines Vormittags, als meine älteren Geschwister noch alle in der Schule waren, schickte mich Mutter um einen halben Schoppen Öl zum Kramhannes. Dabei gab sie mir noch auf, mich zu sputen, weil sie uns Kindern jedem einen Pfanneneierkuchen backen wollte zu Mittag. Weil ich Pfanneneierkuchen für mein Leben gern essen mochte, so beeilte ich mich denn auch, das Backöl schnell herbeizuschaffen.

Während Mutter das Feuer in der Küche anschürte, machte ich mich, mit Steinkrügel und Geld versehen, auf den Weg. Da kam mir im Einfahrweg nach unserer Hofstatt eine Kuh entgegen. Vor Kühen hatte ich keine Angst, denn wir hatten die Zeit selber eine solche, die Liese, die sich willig von mir regieren ließ. Dass die Kuh, die mir da entgegen kam, nicht auf dem rechten Wege war, war mir bei ihrem Anblick klar. So beschloss ich, sie auf den rechten Weg zu bringen und nahm zu dem Zwecke einen derben Stecken, die ja, wo Dorfjungen herbergen, überall leicht bei der Hand sind.

Also ausgerüstet, trat ich dem direkt auf mich zukommenden Tiere mutig entgegen. Ich glaubte, jegliches Rindvieh sei so willig wie unsere Liese. Aber das daherkommende Rindvieh hatte einen wütenden Blick, senkte den wuchtigen Kopf und kam angriffsbereit auf mich zu. Ich war mir in keiner Weise der großen und unmittelbaren Gefahr bewusst, in der ich mich befand. Eben wollte ich dem Tiere eine gehörige Tracht Stockschläge aufziehen und es dadurch von seiner offenbaren Absicht, unberechtigt unsere Hofstatt zu betreten, abbringen. Kaum fünf Schritte stand ich noch entfernt vor ihm. Da hörte ich plötzlich Mutter jäh aufgellen.

Sie war in die Haustüre getreten und hatte mit wenigen Blicken die Situation erfasst: "Um Gotteswillen Junge, lauf fort, - es ist ein Ochs." Dass ein Ochs eine besonders große Gefahr bedeuten sollte für mich, das war mir allerdings nicht klar. Ochs oder Kuh - das war für mich ein und dasselbe.

Aber ich sah das wütende angriffsbereite Tier und begriff, dass ich nicht unsere gutmütige Liese vor mir hatte. – In demselben Augenblick kamen fünf knüppelbewaffnete Männer um die Mauerecke und riefen mir zu: "Junge, läuf, was d' kannst - s' äs Müllhobs Bulle."

Das geschah nun freilich alles schneller, als ich es hier niederschreiben kann. In einem Ruck wendete ich mich, ließ Krügel und Groschen fallen und rannte ins Haus. Der Bulle aber, der bei Müllhobs ausgebrochen war, wendete sich angriffsbereit den Männern zu. Wiederholt versuchte ihn Müllhobs Knecht gütig zu bereden: "Hans komm."

Immer ging er wieder mit gestreckten Hörnern wütend auf seine Häscher vor. Erst mit großer Mühe gelang es den Männern, das Tier im Laufe des Tages noch dingfest zu machen, ohne dass ein Unheil geschah. -

Oft habe ich schon über die Begebenheit nachgedacht, und immer wieder kommt mir die gläubige Erkenntnis, dass mich mein Schutzengel damals wunderbar geschützt hat.