Der Spuk im Zellschen Grunde

Vor vielen Jahren zogen an einem Aschermittwoch der alte Hischens Heusepp und Albackersch Niklais mit einem Handschlitten zum Ferkelkauf nach Mühlhausen. Zum Schutzue gegen die Kälte nahmen sie bisweilen einen herzhaften Schluck aus ihren Kännchenflaschen, die in der Oberländer Schenke vorsorglich gefüllt worden waren. An Stellen, wo die Straße sich senkte, kamen sie auf ihrem Schlitten schnell und ohne Kräfteverlust voran. Diesen fröhlichen Sport aus fernen Kindertagen übten sie nun wieder beim Teichhölzchen aus und gedachten verständigerweise ihn weiter auszunutzen auf der stundenlang ständig fallenden Heerstraße von Eigenrieden nach Mühlhausen. Nicht weit von Kloster Zella hörten sie plötzlich ein brausendes Geräusch und aus dem Walde hervor kam ein Ungetüm, gleich einem Pferd ohne Kopf, das in immer, kleineren Kreisen um die Männer herumstampfte. Wie Dampf zischte aus seinem Halse der Atem und schloss die Wanderer in konzentrische Nebelringe ein. Die beiden Landsleute standen vor Schreck wie gebannt auf der winterlichen Landstraße, erweckten Reue und Leid und erwarteten das nahe Ende ihres irdischen Daseins. Ihre Haare sträubten sich zu Berge und hoben beinahe ihre derben Wintermützen mit hoch. In höchster Not fasste einer sich ein Herz, das Ungeheuer anzureden: "Dü kannst uns nischt gewulle. Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des häiligen Gäistes, Amen!", wobei er sich bekreuzigte; und plötzlich verschwand der böse Spuk, und sie standen allein auf stiller Winterstraße. Wie aus schwerem Traume erwacht, starrten sie sich eine Weile wortlos und verwundert an, bis einer die Sprache wiederfand und den sinnvollen Vorschlage machte, die aufgeregten Nerven durch einige herzhafte Schlücke aus ihren Kännchenflaschen zu beruhigen, wogegen der andere nichts einzuwenden hatte. "Trinke Trost des reinen Lebens!" mögen sie wie Goethe gedacht haben, als sie, auf ihrem Schlitten sitzend, die Fläschlein bis zur Nagelprobe leerten, in dem frohen Bewusstsein, dass es ja in Struth, Eigenrieden, Peterhof und Mühlhausen an Gelegenheit zum Wiederfüllen nicht mangele. Nie in ihrem Leben hat ihnen, wie sie immer wieder versicherten, der Branntwein so gut getan, als nach dem unheimlichen Abenteuer bei Kloster Zella. Keine Macht der Erde aber hätte die beiden Biedermänner veranlassen können, fürderhin an einem Aschermittwoch über Land zu gehen.

Anton Fick
Anmerkung: Erzählt von Bodens Wase Kathrin, Michels Mutter, die es von ihrem Onkel Schwarzmann, Hischens Heusepp gehört hat.