Novembertag

Schnell sind sie nun enteilt, die Tage froher, rauschender Feste. Rauer und unfreundlicher werden die Tage, frostig-feucht die Nächte. Blatt um Blatt ist zur Erde gesunken. Kahl steht die Angerlinde. Längst entführte der Herbstwind die letzten Blätter.

Und nun, wie erwachend aus wohlig-träumendem Schlummer, fragt mancher: So spät schon im Jahr? Der Gedanke hängt sich an ihn, und er fühlt es, auch er ist schon spät ins Jahr gekommen. – Der alternde Greis und der jugendfrohe Jüngling empfinden es: Schnell eilet die Zeit. Denn schon ist Allerseelen. Dort an der Friedhofsporte endet der Begriff Zeit; dahinter geht der Odem der Ewigkeit. Und schreiten wir hin zwischen den Grabeshügeln, wie muss uns bei ihrem Anblick der Gedanke eigen werden: Wie schnell entrinnt die Zeit. Wie lange schon, dass der und jener diese stille Stätte eintauschte gegen das tosende Weltgetriebe, und wie bald vielleicht, dann komme auch ich…

Wenn du dann wehmutsvoll die stille Friedhofsstätte verlässt und wieder hineintrittst in die Straßen und Gassen, stille und eigen bleibt’s gleichwohl um dich her. Diese wehmütige Novembertagstimmung bleibt dir wohl den ganzen Monat hindurch, und wenn er endlich zur Neige geht, dann ist’s schon Advent.

Vielleicht, dass du dann im Abenddämmer am Kamin wieder einmal deinen trüben Gedanken nachhängst. Vielleicht, dass dann ein lebensbejahendes, ungetrübtes Kinderauge emporschaut zu dir, dass zwei kleine Arme deinen sorgengebeugten Nacken umschlingen und eine kindliche Frage an dich geht: Wie lange noch, bis das Christkind kommt? Dann geht vielleicht ein heller, leuchtender Hoffnungsstrahl durch deine müde, dürstende Seele. – Du siehst in der Ferne mit deinem geistigen Auge die Lichtlein glühen am grünen Baum und du gibst die Antwort: Bald, bald. Dann fühlst du: Mag trüb auch sein ein solcher Novembertag; ohne Hoffnung scheidet er nicht.