Es läutet ... Besinnliches für den hl. Abend

Tannenduft liegt fein und zart in den Straßen. Ganz nah ist das Fest und hält die Menschen in seinem geheimnisvollen Bann. Erwartungsvoll harren die Kinder. Zu langsam kreisen die Zeiger der Uhr. Zu lang ist ihnen der kurze Wintertag. Endlich bringt Vater den Tannenbaum. Mutter trägt den bunt schillernden Baumschmuck herbei, der wohl verschlossen in der Kommode lag. Unter Jubel, mit leuchtenden Augen, wird der Christbaum angeputzt. Schmuck und glänzend steht er bald an seinem Ehrenplatz und sein Gezweig streut den Duft und Hauch des Festes über den Raum. Der kurze Wintertag geht zur Neige. Dann rüstet sich Christkindlein zur Erdenfahrt. Der heilige Abend ist da.

Betglocke läutet über die Dächer. Dann aber schwingen die Glocken im Zwei- oder Dreiklang, läuten den heiligen Abend ein und künden von Menschen Einhalt im Hasten und Treiben der letzten Vorbereitungen, laden zur besinnlichen Einkehr in letzter Stunde, an der Schwelle des großen Geheimnisses ihrer Erlösung. So klingen die Glocken meines eichsfeldischen Heimatkirchleins.

Weit in den Landen aber, so weiß ich, klingen dann auch die Glocken von den Türmen der Kathedralen und Dome. Sie läuten in Metropolen, in Handels- und Industriestädten, in Klöstern und Eremitagen – bis in die entferntesten Erdenwinkel, wo christgläubige Menschen wohnen. Und erreichten ihre abgelegenen Heime und Wohnstätten keine erzenen Glockentöne. In ihren Herzen müsste es läuten: Heiliger Abend ist...

In gläubigen Herzen müssen sie läuten. Und läuten müssen sie selbst in den Herzen derer, die das köstlichste Gnadengut ihres Glaubens von sich geworfen haben. Und das deucht mich das größte Wunder des Weihnachtsfestes. Was wäre denn auch geeigneter, als der Zauber des heiligen Christabends, unsere Gedanken zurückgleiten zu lassen in unsere unschuldsfrohe Jugendzeit und uns hineinzuversetzen in den Bannkreis des Elternhauses und der Heimat!
"Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit klingt ein Lied mir immerdar" . . . Wer hat die Erinnerungen des Volksdichters Rosegger gelesen, deren Titel ist: "Als Mutter noch lebte"? Was liegt nicht für uns alle in diesen wenigen Worten! Könnten wir nicht alle unsere Jugenderinnerungen so überschreiben?

Auch an die Gemälde des Münchener Malers Matthäus Schiestl muss ich denken. Schaut euch die Bilder an, die die Geburt des Heilands darstellen. Die Hintergründe sind motiviert aus seiner bayrischen Heimat. Die Gestalten sind Typen seiner biederen Landsleute. Christfest, Heimat und Elternhaus sind eng verbundene Begriffe, weil im Elternhaus, in der Heimat, die Wurzeln schlugen unseres christfestlichen Glaubens. Wenn uns Mutter da die Geschichte der Geburt des Christkindleins erzählte, so erging es uns wohl, wie dem großen Maler Schiestl. Vor unseren Augen erstand ein Bild, ein armseliger Stall irgendwo in den Fluren der Heimat, in den Bergen, auf den Triften derselben die Hirten.

Weihnachten feiern heißt nicht, Weihnachten erleben. Weihnachten zu feiern erfordert Aufwände und Kosten. Weihnachten erleben aber erfordert, unser Herz empfänglich einzustellen. Nicht hartherzig sein in letzter Stunde, wo der Herr anklopft am Türlein des Herzens. –Sein Platz für ihn in der Herberge. –Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf! Sollen wir den Bethlehemiten grollen? Es war der Wille seines Vaters und sein eigener, dass er vor den Toren irrte als Ungeborener. Aber wie, wenn du, wenn wir ihm nicht öffneten in letzter Stunde? Machen wir auf, und wären wir noch so arm. Dann werden wir auch in Armut reiche Weihnachten haben. Lasst uns an die erste Christnacht denken. Welch’ reichen Schatz bot da die Heimatflur der Bethlehemiten. Aber Bethlehem schlief. Nur wenige erlebten diese erste Weihnacht – und das waren arme Leute. Wie einer von ihnen lag da ihr Erlöser. Seine arme Krippe wurde ihnen nicht zum Anstoß.
Ihm selbst war sein ärmliches Kindeslager nicht zum Anstoß – kein Anstoß waren ihm armes Heim und arme Eltern.

-Alle, die sich zur ersten Christnachtsfeier im Stalle gefunden, einte eine Gesinnung. Herzen suchten und fanden sich in Liebe. Wie waren die Unterschiede, im Lichte des Glaubens gesehen, so groß. Ein Gott – zwei Heilige – und arme Hirten! Und doch einte für sie alle die Gesinnung der Liebe. Auch darin liegt für uns eine beherzigenswerte Lehre. Weihnachten läuten sie ein in Dorf und Stadt.

Manchen Eichsfelders Gedanken mögen nun wieder in der Kindheit – in der Heimat weilen. Der duftende Tannenbaum – wo wuchs er auf? Ein Stück Heimatwald ist vielleicht in ihm zu dir gekommen. Vielleicht, dass dir der Postbote ein Weihnachtspaket von zu Hause aushändigte. Sachen – die du in der Stadt besser oder billiger bekommen hättest. Bescheidene Sachen. Aber wie musst du sie streicheln! Mutterhand ist darüber geglitten. "Mutter" flüsterst du – und eine Träne will sich in dein Augen stehlen. Du tust dir Gewalt an. Weib und Kinder brauchen es nicht zu sehen. O tu es nicht. – Lasst sie mit dir fühlen – später einmal – denken sie daran. Oder aber, du bist einer, dem kein Weihnachtspaket mehr wird von daheim.

Nur in Erinnerungen kannst du dich ergehen: "Als Mutter noch lebte" . . . . Aber auch dann kannst du es flüstern am heiligen Abend: "Mutter!" Dann bangt mir nicht. Du wirst nicht zur Weihnachten "feiern" so schlechthin, nein du wirst Weihnachten erleben – heimatliebe – jugendfrohe Weihnachten. Die Glocken läuten von Dom und Kathedrale, läuten in Dorf und Stadt, überall wo Menschen wohnen. Hören wir in ihrem Schall überall nur die Glocken der Heimat. Höre es auch du, der du den Glauben deiner Kindheit fortgeworfen, höre das Glöcklein deines Herzens, das so eindringlich läutet – in letzter Stunde.

Es läutet – läutet – dieses Glöcklein deiner Heimat und ruft dich heim. Heimatlos sein – es ist ja so hart – für dich – und für das Christkindlein. Geben wir diesem Kindlein aber eine Heimat in uns, so werden auch wir nicht heimatlos sein. Christkind wird uns eine Heimat geben. Wir aber, die wir unsere Weihnachten in der Eichsfelder Heimat feiern und erlebten, legen unseren außerhalb ihren Grenzen weilenden Landsleuten den einen aufrichtigen Wunsch auf den Gabentisch: "Gnadenreiche Weihnachten".