Als die Lichter verloschen ... (Allerseelenstimmungsbild)

Spätherbsttag ist's und Spätnachmittag. Tief und scheu liegt das Dorf in der Talmulde. Schon breiten sich Dämmer- und Nebelschwaden über die schweigsam und verträumt liegenden Fachwerkhäusergruppen. Schwer setzt sich der feuchte Nebel in blattkarge Bäume und haftet an den Zweigen wie Tränen. Am altersgrauen Kirchturme hebt die Uhr knarrend zum Stundenschlage an. Wie zitternde Klage hallt's über die Totenhügelkreuze des schweigsamen Friedhofes - wie flehentliches Miserere ... Auf den Gräbern liegen frische Kränze aus Tannengrün, aus denen weiße und farbige Papierrosen in die niedersteigende Dämmerung leuchten. Der niedergehende Nebeltau befeuchtet Gräber und Schmuck. -Allerseelentag ist's, Gedenktag der Toten ...

Glockenschlag fällt ein zum Angelus. Unten im Weichbilde der Kirche lehnt der altmodische Fachwerkbau der Dorfpfarrei an sanft ansteigendem Hügel. Darin betet in seinem Zimmer der greise Pfarrer das "De profundis". Die letzten Glockenschläge sind verhallt. Der Küster steigt die knarrende Turmstiege hinab. Nun kreischt der Schlüssel in der Turmtüre. Mit klirrendem Schlüsselbund geht der Alte den Kirchsteig herab. Einsam und verschlossen liegt nun das Gotteshaus. Durch die Butzenscheiben glüht sanft-matt das rote Tabernakellicht... Hier und da fällt Lichtschein durch die Fenster, indes draußen die Schatten der einbrechenden Nacht dichter werden und gespenstisch um die Hausgiebel huschen. Mit unhörbarem Flügelschlag streicht ein Käuzchen aus der Schallöffnung des Turms hinüber in die dunkle hohe Tanne am Eingang des Friedhofes. "Kiwitt – Kiwitt", ertönt sein Ruf und lässt furchtsame Gemüter aufschrecken ... Da wird es lebendig zwischen den Gräbern. Gestalten tauschen auf und schreiten tastend durch die Hügelreihen. Durch die Tannen und Zypressen harft der Wind. Lichter flackern auf, eines um das andere – über das weite Totenfeld hin. Und im Brausen des nahen Waldes liegt eine Melodie und trägt sich herüber – "Dies irae" ... Dunkle Wolken rasen im Sturmlauf am nächtlichen, sternenlosen Himmel. –Grollendes Brausen in den Baumkronen, in denen sich das Käuzchen am Friedhofslichterglanz weidet ... "Kiwitt - Kiwitt" ... Da bricht unten das starre Schweigen. Ums große Friedhofskreuz scharen sie sich und Wechselgebet mischt sich in den Sang der Natur von Tod und Gericht. -

"Herr erbarme Dich Ihrer - Herr erbarme Dich Ihrer ..." Zu Füßen des Heilandsbildes aber brennt die Ampel und wirft durch rotes Glas blutig schimmernde Relfexe in die Wundmale des Gekreuzigten… Auf den Gräbern zucken die schwachlebigen Flämmchen und der Wind verlöscht eines um das andere. Allmählich zerstieben die Wolken und der Mond blickt gütig durch die zerrissenen Fetzen. Sternenlichter glühen auf und blicken – heller als die erloschenen Friedhofslichter. Trug Engelshand die erloschenen Sühnenflammen dort hinauf? Noch einmal dringt vom Kreuzbild herüber der Beter inbrünstig Flehen: "Herr gib Ihnen die ewige Ruhe!" Längst sind die letzten Beter durchs Friedhofstor geschritten – die Lichter sind erloschen. Die Sturmakkorde verloren sich und gingen allmählich über in feines Pianissimo. Droben am Firmament glühen zahllose Sterne. Das Reich der Toten liegt still und friedlich und der Wind harft in den Zypressen. "Requiem sempiternam" – das Lied von der "ewigen Ruhe" ...