Bischofsteiner Bummel -- ganz groß --!

Die sonnabendlichen Dampfnudeln sind aufgefüttert, der Gong ertönt und Rpk. (Ripke) sagt Wäsche abholen an. Heute leert sich der Speisesaal etwas schneller. Man merkt gleich, dass die Jungen sich nicht zur Arbeitsstunde begeben, sondern heute etwas Besonderes vorhaben. Alles was soeben 16 Jahre alt ist, macht sich ungewöhnlich fein! Ja sogar Schlipse tauchen auf. Was ist wohl bei uns überhaupt ein Schlips? Außerdem wir man immer dran gezogen, also, wie gesagt, eine Ausnahme.

In der Primanerwaschgelegenheit geht es nun hoch her. Hier herrscht ein „wüstes Gedrängsel“, ja sogar bis auf den Gang steht man mit dem Handtuch über der Schulter, Seife und Rasierapparat in der Hand, Schlange und wartet, bis man endlich einen Platz am Wasserhahn ergattert.

„Mensch, kannst auch fragen, wenn Du meine Seife nimmst. Nimm mal Deinen Keks ’n bischen „awai“; was brauchst Du beim Zähneputzen in den Spiegel gucken? Kann ich Dein Handtuch haben? Sag mal, hast Du noch ’ne Hose übrig? Leib mir doch mal bitte ein Hemd, Frau Prüger wollte keins rausrücken."

So quatscht alles durcheinander. Alles wird zusammen geborgt bis sich schließlich die „feine“ Bischofsteiner Gesellschaft um 3 Uhr auf dem Hauptbahnhof in Lengenfeld einfindet. Alle verlangen am Schalter natürlich dieselbe Karte. "Eschwege Sonntag - rück". Natürlich sagt man das nicht so laut, denn sonst merken die anderen Leute, dass diese "Herren" gar nicht nach wer weiß nicht wohin fahren! - Weiterfahren, jeder kommt sich wie ein "Schlossherr" vor, verlassen diese Jünglinge nach einer halben Stunde und etwas Fahrt den Bahnhof in Eschwege. Um auch schon wenige Meter weiter ihre Flammen mehr oder weniger herzlich zu begrüßen, denn diese wissen recht gut, wann der Zug einläuft!

Was wo anders die Strandpromenade, der Broadway oder Kurfürstendamm. ist hier in Eschwege der Weg vom Bahnhof zum „Wiener Cafe“. Am meisten hält man sich dort auf. Die schrecklich vornehmen Bischofsteiner sind immer sehr froh, wenn die Mädchen um der schlanken Linie Willen keinen Kuchen essen, denn so kann man nach Vermögen entweder ihren Teil mitfuttern oder man braucht sich nicht soviel von seinen Kameraden zu borgen. Ja, auf Pump ist das meiste von ihnen. Es kommt oft genug vor, dass einer nur fremde Sachen anhat. Peinlich ist es nur, wenn dann einer so „gemein" ist, und sagt: „Rpks. neuer Hut steht Dir aber ganz gut!"

Herr Bogen, einer unserer Lehrkräfte, meint immer, ich hätte ja meine Schlipse von Rpks., wenn ich ihm mal einen besonders schönen Rotsiegel oder einen Knitterfreien zeige und dieser dann seinen in den Schatten stellt.

So wird schrecklich viel erzählt und furchtbar angegeben. Man muss das einmal sehen, den großen Tisch mit den vornehmen Herrschaften in grünen, braunen und gelben Anzügen. Natürlich rauchen die Herren Zigaretten, die sonst keiner kennt und sehr teuer aussehen, aber in Wirklichkeit 2 Pfennig kosten.

Aber bald ist es 5 Minuten vor 6 Uhr und dann geht das „Gerase“ los. Der Mantel wird auf der Straße angezogen, die Mädchen wie ein Koffer hinterher geschleift, und dann das sportliche Können unter Beweis gestellt. Alles tobt zum Bahnhof und lässt seine kleinen Mädchen zurück, welche sich noch an die Eisenbahnschranken stellen, um den davonfahrenden Bischofsteinern nachzuwinken.
Neuerdings ist ja sogar in Zusammenarbeit mit dem Eschweger Schiller-Pensionat eine Tanzstunde eingerichtet. Aber davon das nächste Mal.

Peter Hirschfeld („Pudding“)
Schüler auf Bischofstein von 1935 - 1940