Der Frauenstein

Unweit der Hagemühle und nahe der noch 1577 bis 1677 nachgewiesenen Dorfstelle Amsrode (Amscherode), stand, am Zufluss der Lutter in die Frieda sowie am Aufgang zur Burg und zum Hülfensberg, in der Wüstungsflur ein frühgotischer Grabstein, der wohl der Bildkunst des 14. Jahrhunderts angehört.

Auf ihm sind Maria und Johannes unter dem Kreuz abgebildet. Die beiderseits aufgeführten Wappenschilde deuten auf das Grabmal einer Frau hin. Deshalb auch „Frauenstein“ genannt. Davor eine mysteriöse Steinkugel mit einem Durchmesser von 60 cm. Für die Dorfbewohner der Umgend war und ist die Stätte auch heute noch ein Rätsel.

Betrachtet man sie jedoch unter dem Aspekt der Patronatsübergabe des Hülfensberges an das Anroder Zisterzienserinnenkloster, lichtet sich der Schleier des Geheimnisvollen. Als der Stein gegen Ende des 14. Jahrhunderts gesetzt wurde, hatte das Kloster 1357 die Kirche in Sundhausen und Büttstedt nebst Zubehör abgetreten, dafür aber im Tausch vom Martinsstift in Heiligenstadt das Patronat über die Pfarrkirche zu Geismar und über das Wallfahrtsgotteshaus auf dem Stouffenberg hinzugewonnen. Schon 1360 gab es eine erste große Wallfahrt dorthin.

Es kam so viel an Spenden ein, dass man an die Kapelle 1360-62 „eine schöne Kirch" anbauen konnte. Laut Inschrift in der Säulenhalle der Erfurter Karthause wurde der Pfarrer auf dem Hülfensberg von seinem Anteil an den Opfergaben so reich, dass aus seinem Nachlass 30000 Gulden zur Stiftung des Karthäuserklosters verwendet werden konnten. Zwischen Anrode und dem Pilgerberg gab es fortan ein reges Hin und Her der Klosterjungfrauen.

Vermutlich ereilte dabei eine von ihnen der Tod. Bedenkt man, dass es damals mehr Frauen- als Männerklöster gab und besonders Burgleute ihre Töchter nicht mit leeren Händen in ein Kloster schickten, folgten sie auch in der Stouffenbergregion diesem Brauch. In diesem Zusammenhang sei die N. Proyse, Tochter des Burgmannes und Ritters Albert Proyse, genannt, die zur Aufnahme als Anroder Novizin 1308 eine Hufe und einen Hof in Lengenfeld eingebracht hatte (Das. p. 314a). Geht man davon aus, dass auch im späten 14. Jahrhundert die eine oder andere Proysetochter Anroder Zisterzienserin wurde, könnte der „Frauenstein“ die Grablege einer Konventualin aus ihrem Geschlecht gewesen sein.

1360 saß, neben anderen Rittern, ein Eckert Proyse „auf deme Steyn". Ihm folgten 1381 gleich mehrere Proyse, nämlich die Gebrüder Proyse. Damals hatten die „geistlichen Frouwen zu Annarode“ von ihnen: Eckehard, Heinrich, Herdein und Appeln „Borghmanne zu dryforthe (Treffurt) un zu deme Steyne/das Dorff zu Bebendorff das undir Sente Gehulffin Berge gelegin ist/vor siebentzig marck lötigen Silbirs ye vor die marg zwey Phunt Hannorfesche Phennige“ gekauft.

Was die Grabkugel am „Frauenstein“ anbetrifft, symbolisierte sie vermutlich ritterschaftliche Stärke eines Geschlechts, das eine Tochter gleichstellte, der hohes Ansehen zuteil geworden war. Nach 1840 kam die Kugel in ein an die alte Schmiede anstoßendes Gehöft. Der Frauenstein, knapp 2m hoch, ist ein Fragment, dessen untere Hälfte noch 1924 „als unter der Diele der alten Lengenfelder Schmiede eingemauert“ galt. 1884 ließ der Ortspfarrer die obere Hälfte in die Lengenfelder Kirchhofsmauer einsetzen. Oberhalb der Mauer hat später auch die Kugel einen würdigen Platz gefunden.

Es war der Stein, der die Altvordern inspiriert hatte, immer neue Unheimlichkeiten über die zu erzählen, die darunterlag und im Volksglauben keine andere als das „Fräubchen“ war. Man wollte von Urahnen gehört haben, dass sie auf einem Einspänner unterhalb von Stein von einem silbernen Pfeil des Burgvogtes getötet wurde. Andere erzählten, dass sie unweit der Hagemühle vom Pferd gerissen niedergemacht wurde. Im benachbarten Hessen wurde sie als Kindsmörderin geschildert. In Geismar erzählte man, dass der Vogt sie ans Pferd band, nachschleifte und am Wege zur Entenmühle in zwei Teile riss. Noch heute heißt die Stelle, wo das geschah, „zur halben Frau“. In Faulungen, dem Nachbardorf von Lengenfeld, ritt sie durch den Zellaer Klosterwald und stürzte auf der Klosterschranne samt Pferd in einen gähnenden Spalt. Raue Sitten anno dazumal – und die nicht nur in der Sage.

Mit der Sache befasst, machte ich mich an einem der diesjährigen wolkenlosen Mittjanuartage auf, um Frauenstein und Kugel, aber auch liebgewordene Stätten meiner südeichsfeldischen Heimat aufzusuchen.

Wolfgang Trappe
Quelle: „Damals im Südeichsfeld“)