Die Kanonenbahn - Teil 2: Die Kanonenbahn bis 1945

Da die Züge in Leinefelde Kopf machen mussten, das heißt, die Zugmaschine umspannen, fuhren kaum Durchgangszüge auf dem Streckenabschnitt Leinefelde-Treysa. Strategisch wurde die Strecke ihrem Namen auch nie gerecht, weil Militärtransporte hier nur selten verkehrten und, abgesehen von wenigen Militärzügen in Friedenszeiten und unbedeutenden Militärtransporten im Ersten und Zweiten Weltkrieg, der Verkehr auf dem Teilstück sich auf den regionalen Personen- und Güterverkehr zwischen Leinefelde und Treysa beschränkte.

Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte in den Jahren 1919 und 1920 die Demontage des zweiten Gleises sowie aller Ausfahrts-Signale und der Drehscheibe in Küllstedt unter der Oberaufsicht von französischen Soldaten. Wenig später wurde auf der Strecke der Nebenbahn-Betrieb eingeführt mit 40km/h bei Reisezügen und 30km/h bei Güterzügen.

An der Fahrgeschwindigkeit änderte sich aber hierbei nicht viel. Die Züge fuhren vorher auch nicht schneller und, wie der Fahrplan verschiedener Jahre beweist, verminderte sich die Fahrzeit nach der Umstellung auf Nebenbahn-Betrieb sogar noch.
Das langsame Sterben der Berlin-Coblenzer Eisenbahn begann am Ende des 2. Weltkriegs im Jahre 1945:

• 22.02.1945, mittags: Bombenangriff durch amerikanische Bomber auf den Eschweger Bahnhof. 44 Personen starben, davon 21 Eschweger, die meisten Bahngebäude, Lokschuppen usw., die Häuser der Eisenbahn-Straße, 60% der Gleis-Anlagen sowie ein Güterzug mit 40 Achsen wurden zerstört und weitere 100 Güterwagen schwer beschädigt. Nach 24 Stunden war die Strecke nach Niederhone wieder befahrbar, dank über 600 Helfern, die die gröbsten Trümmer beseitigten. Einige der Opfer wurden am 25.2.1945 auf dem Ehrenfriedhof in Eschwege zur letzten Ruhe gebettet.

• 31.03.1945, nachmittags, 16.55 Uhr: Der Bahnhof von Waldkappel existiert nicht mehr. Ein Munitionszug mit V 1-Zündern wurde durch amerikanische Jagdbomber in die Luft gesprengt. 17 Personen starben, 138 Häuser in Waldkappel versanken in Schutt und Asche. Ein detaillierter Bericht über den Angriff folgt in der Beschreibung der Geschichte des Bahnhofs Waldkappel.

  • 03.04.1945: Ein schicksalsschwerer Tag für die Kanonenbahn. Sprengung des Frieda-Viadukts durch Verbände der Deutschen Wehrmacht. Somit war die Kanonenbahn für alle Zeiten unterbrochen. Es gab nach dem Kriege Überlegungen, das zerstörte Frieda-Viadukt wieder aufzubauen und in Geismar einen Grenzübergang zu errichten. Daraus wurde aber nichts, denn die Strecke erlaubte nur geringe Höchstgeschwindigkeiten, auch die Sanierungs- und Wiederaufbaukosten wären zu hoch gewesen.
  • Bereits am 03.04.1945: Sprengung der Eschweger Werrabrücke um 6.00 Uhr. Vorher fuhr der letzte durchgehende Zug morgens von Eschwege nach Leinefelde.
  • 06. 04.1945: Die Sprengung des Lengenfelder Viadukts war durch Wehrmachtsangehörige bereits vorbereitet, doch durch die Initiative von Bürgermeister Franz Müller und des Hauptmanns einer Gefangenen-Bewachungsmannschaft konnte die Sprengung verhindert werden, denn diese hätte fatale Folgen für den Ort gehabt, da sich unter der Brücke viele bewohnte Gebäude befinden. So ist wenigstens dieses prächtige Bauwerk der Nachwelt im Original-Zustand erhalten geblieben.
  • 06.04.1945, 5.00 Uhr früh: Sinnlose Sprengung des Büttstedter Viadukts. Somit hörte die Kanonenbahn als Gesamtheit auf zu existieren.

Nachtrag: Die Gesamtstrecke zwischen Leinefelde und Treysa wurde bereits am 24. März 1945 ohne Feindeinwirkung unterbrochen, als an diesem Tage ein schwerer Güterzug in Richtung Treysa rollte. Aus ungeklärter Ursache rissen die letzten, schwer beladenen Waggons plötzlich ab und rollten die abschüssige Strecke hinab nach Malsfeld zurück. Hier versuchte man noch, die Weichen umzustellen, aber es war bereits zu spät.

Mit über 100 km/h Geschwindigkeit rollten die Waggons direkt auf die Fulda-Brücke. Hier sprang ein mit Langholz beladener Waggon aus dem Gleis und stellte sich quer. Die Wucht der nachfolgenden Waggons reichte aus, die Brücke zu zertrümmern und Teile davon mit in die Tiefe zu reißen.

Hermann Josef Friske