Gedenkblatt zu Ehren St. Annas

Unweit der Höhengemeinde Struth, in einer stillen Waldecke verborgen, liegt der ehemalige Wallfahrtsort zu Ehren der heiligen Anna, der Annaberg genannt. Auf einer alten Karte der Grenzregulierung Hessen-Mainz von 1583 ist vom Annaberg als einem „Closter Cellischen Vorwergh“ (gutsherrliches, landwirtschaftliches Vorwerk) die Rede.

Hier standen bis 1944/45 ca. 14 uralte, breitästige Linden, unter deren schützenden Blätterdach sich die Annenkapelle erhob. Der Zahn der Zeit schuf hier einen unseligen Wandel. Unvernunft und Kurzsichtigkeit ließen 13 stattliche Linden der Axt zum Opfer fallen, eine nur ist heute noch Zeuge der ehemaligen – neben dem Hülfensberg bestbesuchtesten – Wallfahrt des Eichsfelder Landes. Lauschen wir einmal ihrem Raunen aus längst vergangenen Tagen.

Der fromme Sinn der Ordensschwestern des Benediktinerinnenklosters Zella, unterhalb des Annaberges liegend, ließ im Jahr 1713 die Kapelle zu Ehren St. Annas hier entstehen. Die Seelsorge in Effelder und Struth versah zu jener Zeit Pater Cölestin Klinckhardt aus dem Kloster Zella. Zu seiner Zeit war es, als die 1672 erbaute alte Kapelle (eine solche war bereits vor der 1713 errichteten vorhanden) abgebrochen und die neue Kapelle erbaut wurde. Ein Stück Turm von der alten Kapelle wurde beim Bau der neuen verwendet.

Aus schönen Steinen und im römischen Stil geschaffen, fasste das Innere 600 Seelen. Eine Wendeltreppe führte auf die Empore. Dieselbe befand sich auf einem niedrigen Gewölbe, wo auch die Orgel und ein Paramentenschrank Platz hatten. Das Gewölbe ruhte auf 2 Steinpfeilern, an einem derselben war ein kunstvolles Weihwasserbecken angebracht. Während zur linken Hand das Stück Turm von der alten Kapelle, in welchem die Wendeltreppe zur Empore führte, eingebaut war, befand sich rechts im Mauerwerk eine Nische für das Annenbild, welche durch Doppeltüren geschlossen werden konnte. In kunstvoller Malerei waren auf den Türen die Bildnisse anderer Heiliger.

An den Annentagen brannten hier eine Anzahl geweihter Kerzen. In dieser Nische war der erste Standort des Gnadenbildes. Einige Schritte weiter vor wechselte das niedrige Gewölbe mit einer hoch angebrachten Bretterdecke (die Decke der Kapelle war nicht gewölbt), auf welcher, auf azurblauem, mit Sternen besäten Grund, die 9 Engelchöre in herrlicher Malerei dargestellt waren. In dem ziemlich geräumigen Chor hatten neben Kommunionbank und Kanzel 3 reich vergoldete Altäre ihren Standort. Der Hauptaltar, der Gnadenaltar der heiligen Anna, trug deren Bildnis mit Maria und Jesus auf den Armen. Man nannte das Bildnis mit seinen drei göttlichen Personen auch häufig „St. Anna-Selbdritt“.

In künstlerischer Wollstickerei bewahrte man vor dem Altar in einem Schrein die Darstellung der heiligen Anna mit der Mutter Gottes und dem Jesusknaben. Hier hat mancher fromme Verehrer der heiligen Anna um Fürbitte und Erhörung gefleht und ist getröstet und gestärkt wieder von dannen gezogen.

In das Innere der Kapelle führte auf der Westseite ein breites Tor und auf den beiden Nebenseiten je eine Tür. Zwei große kunstvolle Fenster gaben dem Inneren das notwendige Licht. Der römische Turm barg in seinem Helm das harmonische Geläute. Mit Kupferplatten bedeckt, glänzte der Turm im Sonnenschein und bot, aus der Ferne gesehen, ein entzückendes Bild. Auch der Platz und die äußere Umgebung fügten sich in das idyllische Ganze anziehend ein. Die breitästigen Linden gewährten Schutz gegen Sonnenbrand und Hitze. Bei großem Andrang der Wallfahrer wurden sogar die Beichtstühle unter das dichte Blätterdach gestellt. Die schönste Linde stand westlich der Kapelle. Auf der Nordwest- und Westseite befanden sich einige Ökonomiegebäude (Schäferei und 3 Wohnhäuser für Arbeiter sind heute noch erhalten). Das der Kapelle zunächst liegende Haus – heute noch „Nonnenhäuschen“ genannt – war der Geistlichkeit eingeräumt.

Und nun zur eigentlichen Wallfahrt selbst. Sie sah ihre Blütezeit vor und nach der Aufhebung Kloster Zellas (1802). Vom Kloster abgesehen, war sie eine der Hauptwallfahrten des Eichsfeldes. Gatzemeyer schreibt darüber: „Nächst dem Hülfensberg war der Annaberg der am zahlreichsten besuchteste Wallfahrtsort.

Der Haupttag der Annen Verehrung war der 26. Juli (Fest der heiligen Anna). Da die Ordensschwestern Zellas nach der Regel des hl. Benediktus lebten, wurde ihre Seelsorge regelmäßig durch 2 Benediktiner-Patres aus dem Kloster Gerode versehen. Sie waren zugleich auch Seelsorger von Struth. Bei der Säkularisation Zellas waren es die Patres Zander und Teitzel (letzterer war später Pfarrer in Struth und Dechant des Lengenfelder Landkapitels). Beiden war der Wohnsitz in Kloster Zella und das Lesen der heiligen Messe auf der Empore der Klosterkirche auch weiterhin gestattet worden. Sie hielten auch den Gottesdienst auf dem Annaberg in üblicher Weise fort am ersten Maisonntag, in der Bittwoche, dem letzten Sonntag vor Pfingsten, am Feste der heiligen Anna und den darauffolgenden 9 Dienstagen.

Der Lobgesang der Prozessionen, die vom Klang der Glocken herbeigerufen wurden, vereinigte sich mit dem Rauschen des Waldes und dem Jubilieren der Vöglein zu einem einzigen Hymnus für St. Anna. Nichts schien diesen Gottesfrieden zerstören zu können, bis auch dem Annaberg das Verhängnis nahte.

Durch Verkauf der Westfälischen Regierung wurde Kloster Zella und mit ihm der Annaberg am 31. Mai und 1. Juni 1811 Eigentum der Mühlhäuser Bürger Lutteroth und Röbling. Lange Jahre störten sie die Wallfahrten nicht.

Im Jahre 1837 aber machte Röbling seine Rechte geltend und beanspruchte beim Kommissariat zu Heiligenstadt die Kapelle als sein Eigentum. Da man aber hier sein Eigentumsrecht bezweifelte, gestattete man ihm auch nicht, seine Enkelin Sophie Lutteroth darin trauen zu lassen. Es geschah aber ohnehin am 14. Juli 1840 durch Pastor Müller aus Höngeda. Nunmehr trat Röbling gegen die Abhaltung des Gottesdienstes energisch auf. Auf seine Beschwerde bei der Königlichen Regierung zu Erfurt erklärte ihm diese, laut Erlass vom 14. August 1840, die Wallfahrt nicht zu stören.

Einige Zeit lang blieb es daher beim Alten, bis am 30. April 1841 Röbling erneut Klage bei Gericht einreichte, aber wiederum ohne Erfolg. Nach Rohlings Tod nahm sein Erbe Lutteroth erneut die Klage auf, verlor aber wiederum, weil im Kaufvertrag die Klosterkirche als mitverkauft genannt war, nicht aber die Annenkapelle. Weil aber Lutteroth mittlerweile ein Schriftstück in die Hände gekommen war, in welchem es hieß, dass zwar die Glocken der Klosterkirche, Altäre, Orgel und das Annenbild der Annenkapelle nicht mit verkauft seien, wohl aber die Kapelle, appellierte er an eine höhere Instanz, die ihm am 26. August 1844 sein Eigentumsrecht zuerkannte.

Lutteroth verlangte nunmehr die Entfernung aller ihm nicht gehörenden Gegenstände aus der Kapelle. Als Pfarrer Leineweber aus Struth nach zuvor eingeholtem Bescheid beim Kommissariat darauf eingehen wollte, erklärte ihm Lutteroth, unter gewissen Bedingungen die Abhaltung des Gottesdienstes auf dem Annaberg auch weiterhin zu gestatten. Als man darauf eingehen wollte, verschärfte er seine Forderungen dermaßen, dass sie nicht mehr erfüllt werden konnten. Das war zum großen Schmerz der Eichsfelder das jähe Ende der

Annenwallfahrt. Somit war auch das Schicksal der Annenkapelle besiegelt. Alle geweihten Gegenstände wurden aus ihr entfernt. Schon früher hatte Kaplan Schäfer aus Lengenfeld die zum Annaberg hinführenden Stationen des Stationsweges (jetziger Fußweg zum Annaberg vom Kloster herauf) zum Geschenk erhalten. Bevor nun der Kaufvertrag über den Verkauf des Klostergutes Zella mit dem neuen Besitzer Weiß aus Langensalza abgeschlossen war, kam Lutteroth mit demselben überein, die Kapelle abbrechen zu lassen. Weiß beauftragte damit den Pächter Keuthahn. Während das Gnadenbild der heiligen Anna bereits im Jahr 1854 in die Pfarrkirche zu Struth überführt worden war, ließ Dechant Spieß aus Lengenfeld die übrigen Altäre, Kanzel und die anderen Gegenstände aus der Kapelle entfernen und nach Lengenfeld bringen.

Bevor man die Glocken aus dem Turm herunternahm - eine Glocke erhielt die Gemeinde Dieterode und die andere das Kloster der Barmherzigen Schwestern zu Heiligenstadt - baten die damit beauftragten Arbeiter den Pächter Keuthahn, dieselben noch einmal läuten zu dürfen, was ihnen dieser auch gestattete. Sie läuteten die Glocken in der Weise, wie man einen Verstorbenen hinläutet.

Wie traurig und klagend mag wohl ihr Klang in das Friedatal hinab getönt haben bei diesem ihrem letzten Geläute, hatte doch ihr eherner Mund über ein Jahrhundert fromme Wallfahrer zu heiliger Andacht geladen. Kurz vor dem Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges (1870) ist dann das Denkmal der Andacht ein Opfer der Spitzhacke geworden. Die Tat des Besitzers Lutteroth ließ Gott nicht unbestraft. Er musste das Kloster verkaufen, und sein einstiger Wohlstand schwand dahin.

Das Gnadenbild der heiligen Anna war indes seit 1854 in der Pfarrkirche zu Struth verehrt worden. Als daher die Struther Krieger 1870 zu den Fahnen mussten, stellten sie sich unter den Schutz der heiligen Mutter Anna, und auf ihre Veranlassung wurde kurz darauf die Bruderschaft zu Ehren der heiligen Anna laut bischöflicher Genehmigung errichtet.

Ein besonderer Förderer der Annen-Bruderschaft war der Bekennerbischof Konrad Martin. Schon als Professor in Bonn war er ein glühender Verehrer der heiligen Anna und des Annaberges. Wenn er in seinen Ferien in seinem Geburtsort Geismar weilte, besuchte er auch seinen Studienfreund Pfarrer Leineweber in Struth recht oft. Bei dieser Gelegenheit kam er an den 9 Annen-Dienstagen auch auf den Annaberg, las dortselbst öfters eine heilige Messe und hielt auch ab und zu eine Predigt. Als man das dann nicht mehr gestattete, gab er sich alle Mühe, dass es nun in Struth geschehe.“

So bewirkte er bereits als Bischof von Paderborn im Jahre 1859 in persönlicher Gegenwart beim Apostolischen Stuhl in Rom, dass alle Verehrer der heiligen Anna am Annatag oder an einem der folgenden 7 Tage in der Pfarrkirche zu Struth einen vollkommenen Ablass und an den darauffolgenden 9 Dienstagen einen Ablass von 7 Jahren und 7 Quadragenen gewinnen können. Papst Pius IX. erließ darüber am 9. Mai 1859 sein päpstliches Dekret.

Im Jahre 1879 war eine Ausbesserung des Annabildes notwendig geworden. Der junge Maler Georg Oberthür aus Effelder wurde damit beauftragt. Am 30. November 1879, dem 1. Adventssonntag, wurde das Gnadenbild aus der Wohnung des Malers in feierlicher Prozession und in Begleitung der Herren Pfarrer Bergener aus Effelder und Gerhardy aus Struth sowie vieler Verehrer der heiligen Anna von Effelder und Struth in die Struther Kirche zurückgebracht. Dem begabten Maler, welcher auch das Maria-vom-Trost-Bild des Hauptaltars in der Struther Kirche geschaffen hat, sind seine Arbeiten an dem Gnadenbild so gut gelungen, dass jedermann darüber hocherfreut war. Der Struther Tischler Schade lieferte einen schönen mit 2 Klapptüren versehenen Altar. Der Annenaltar hatte damals seinen Platz unter der Kanzeltreppe erhalten. Heute bildet der Annenaltar das Gegenstück des Haupt- und Marienaltares, die im echten Barockstil das größte Kunstwerk der Kirche zu Struth darstellen.

Viele Jahre lang erklingt seitdem in der Pfarrkirche zu Struth alljährlich in der St.-Anna-Oktav, die sich vom Feste der heiligen Anna am 26. Juli bis 8 Tage danach erstreckt, der Lobpreis der Heiligen in der St. Anna-Bruderschaft. Von den 9 Dienstagen ist heute nur noch der letzte der heiligen Anna geweiht. Viele Privilegien sind seither der Annen-Bruderschaft verliehen worden.

Auch in diesem Jahr ist die Annenoktav wieder beendet. Segensreich waren alle diese Tage für die, welche sich voll Vertrauen der heiligen Anna genaht haben. Diese Zeilen aber, sie sollen dazu dienen, im Herzen eines jeden katholischen Eichsfelders der Annenverehrung einen Gedenkstein zu setzen.

Vinzenz Hoppe
(1936, mit späteren Ergänzungen)