Alte und jüngere Wüstungen des Eichsfeldes

Die Karte von 1583 – ein wichtiges Beweismittel

Fast jeder Ort des Eichsfeldes hat in seiner Umgebung „Wüstungen“. Es sind dies ehemalige Siedlungen alte Dorfstätten, Burgen, Vorwerke, Mühlen, aber auch Klöster, Kirchen und Kapellen. Sie sind von Ihren Bewohnern wegen unhaltbarer Zustande und Nöte seinerzeit verlassen und nicht wieder aufgebaut worden.

Fragt man, wodurch und wann diese Siedlungen „wüst“ geworden sind, so erhält man gewöhnlich die Antwort: „Die sind alle im Dreißigjährigen Krieg zerstört worden.“ Das Wüstwerden durch diesen Krieg ist aber nur in wenigen Fällen nachweisbar und beschränkt sich meist auf Burgen und deren Vorwerke. Wohl sind im Dreißigjährigen Kriege viele unserer Dörfer „verwüstet“, manche davon sogar bis auf ganz wenige Herdstätten, sie sind aber wieder aufgebaut worden. Wir haben in der Grenzregulierungskarte von 1583 eine sichere Geschichtsquelle.

Auf dieser Karte sind im Grenzstreifen des Südeichsfeldes sämtliche Ortschaften vom Zeichner aus dem „Augenschein“ festgehalten, wie sie heute noch bestehen. Nur ein Dorf vermissen wir auf der Zeichnung, nämlich Pfaffschwende. Hier hat der Zeichner im Gegensatz zu allen sonstigen, durch Gebäude dargestellten Dörfern nur das Wort Pfaffschwende auf eine unbebaute und wüste Stelle geschrieben. Diese Darstellung beweist, dass Pfaffschwende 1583 noch nicht wieder aufgebaut war, aber unter seinem schon früher bekannten Namen wieder aufgebaut werden sollte, was später auch geschehen ist. Im Dreißigjährigen Kriege wurde es teilweise schon wieder zerstört (vergl. Wolf-Löffler, Pfaffschwende, S. 165).

Die von Wintzingerode, Wolf, Höppner und anderen urkundlich nachgewiesenen alten Siedlungen im Grenzstreifen der Ämter Bischofstein und Greifenstein, wie Grünrode, Wintersdorf, Clywenrode, Amschrode, Stadt Stein, Gotzrode, Keßlingsrode, Unter Lengenfeld, Vochenrot, Kuwels- später Kubsdorf, der Keudelsche Burgstall auf der Keudelskuppe, Burg Plesse, Rehagen, Rohrbach, Roßrode, Schnellersrode und Ober Friedehagen waren 1583 dem Zeichner schon nicht mehr vor Augen.

Sie waren schon viel früher während der Fehden, Streitigkeiten und Raubkriege untergegangen. Auch durch das Versiegen ihrer Wasserquellen (Hungerbörner der Muschelkalkformation) wurden die Bewohner mancher Siedlungen zum Verlassen ihrer Wohnungen gezwungen. Nur auf einige von den oben genannten „alten“ Siedlungen bzw. Wüstungen hat der Zeichner durch Angabe von Flurnamen oder in „Bilderschrift“ auf der Karte hingewiesen. So zeigt er uns den Bau des damals neuen Vorwerks des Gutes Keudelstein auf der wüsten Stätte Kubsdorf durch einen dargestellten Zimmerplatz mit arbeitenden Zimmerleuten und schrieb darüber: „Kupsdorf Koidels nuive Vorwergs bawet“.

Nach Aloys Höppners Keudelschen Original „Lehnsbriefen“ begann man schon 1580 das neue Vorwerk Keudelstein auf die wüste Stelle von Kupsdorf wieder aufzubauen.

Durch die zeitrichtige Angabe von Pfaffschwende, desgleichen durch die Übereinstimmung der Keudels-Urkunde mit der bildlichen Baudarstellung zur gleichen Zeit und auch noch einiger später folgender Hinweise zeigt die Karte immer wieder ihr unanfechtbares Alter. Auch weist sie auf historisch-politische und kommerzielle Ereignisse vom Ende des 16. Jahrhunderts hin.

Zwischen Katharinenberg und Scharfloh ist die alte Wüstung Grünrode auf der Karte noch als Flurname angegeben (auf dem heutigen Messtischblatt noch als alte Dorfstelle Grünrode dicht bei der alten Dorfstelle Keßlingsrode). Nahe der hessischen Grenze, direkt über Volkerode, ist neben zwei weißen leeren Flächen „Gohburgs“ geschrieben (Stelle der alten Gohburg).

Soweit die Hinweise der Karte auf die vielen der oben genannten „alten Wüstungen“. Es folgen die „jüngeren Wüstungen“, die 1583 noch als Siedlungen bestanden haben und vom Zeichner auch so dargestellt wurden, heute aber verschwunden sind als Siedlungsstätten. Wir können nur diese als Wüstungen des Dreißigjährigen Krieges oder dessen Folgen ansprechen.

Zwischen Töpfer und Greifenstein lag unweit des tief in den Greifensteiner Wald einschneidenden Flurteils Rottgenhain ein Vorwerk, das der Zeichner mit „Wettich das Vorwergs“ überschrieben hat. Heute ist die Stelle wüst.

Burg Bischofstein, auf der Karte noch unversehrt, aber schon ohne Südwestturm, ist heute völlig wüst. Unterhalb der Burg, am Berge, hat der Kartenzeichner ein schon halbwüstes langes Gebäude ohne Dach dargestellt. Wenn nicht „Vorwergs“ dabei geschrieben wäre, so könnte man es für die damals noch zerstörte Georgskapelle halten. Weiter unten am Berge, in der Nähe des Teiches, lag ein großes Vorwerk, wahrscheinlich da, wo heute noch der übermauerte Brunnen steht und das umliegende Gebäude als „Wüstung" anzusprechen ist. Burg und beide Vorwerke sind heute ganz wüst.

Auch das Kloster Zella hatte ein damals noch neues Vorwerk. Auf dem Struther Felde, in der Nähe des „ahlen Möllhüsser Waeges“, der in seinem oberen Teil bei Eigenrieden „als Dünstraß“ auf der Karte bezeichnet ist, lag dieses Vorwerk. Der Zeichner hat über dasselbe „Zellisch nüwe Vorwergs“ geschrieben (heute wüst). Die letztgenannten Vorwerke bestehen schon sehr lange nicht mehr. Sie finden in der Volksüberlieferung keinerlei Erwähnung mehr.

Lambert Rummel
(Quelle: Eichsfelder Heimatborn, Ausgabe vom 11.02.1956)