Bischofstein (Gedicht, Hermann Iseke)

Lengenfeld unterm Stein

1.

Dort auf dem „Stein“ die Linde,
Die Zeugin grauer Zeit,
Sie träumt im Abendwinde
Von der Vergangenheit;
Sie denkt der Eisenmänner,
Die dröhnend hier gegangen,
Sie denkt der lichten Frauen,
Die hier den Reigen schlangen.

Jetzt bebt ein freudig Rauschen
Die Linde Blatt um Blatt:
Ist’s, dass sie sich besonnen
In rechtem Stolze hat
Auf jene Himmelsblume,
Die Größte ihrer Toten,
Sankt Elsbeth, die als Herrin
Dereinstens hier geboten?

War ja das Schloss zum Steine
Das Eigen jener Frau,
Die Thüringen gewandelt
In eine Segensau; –
Vielleicht, dass hier vor Zeiten
Elisabeth gestanden
Und betend ausgebreitet
Die Hände ob den Landen!

Doch bald nach ihren Tagen
Sitzt an dem Tor des Steins
Das Rad und weht vom Turme
Das Banner von Kurmainz,
Kurmainz, das von dem Geiste
Sankt Elsbeths nie gelassen
Und väterlich geführet
Des Friedetales Sassen! –

Was braust dir, alte Tinde,
Ein Sturm da durch den Ast?
Ist’s, dass du dich besonnen
Des Schwedenkrieges hast,
Als Trug des Glaubenseifers,
Die Hand bereit zum Morden,
Hertrieb entmenschte Scharen,
So rau wie ihre Fjorden?

Da war’s, als von dem Steine
Gefallen Stein um Stein;
Da war’s, als ihn beleckte
Der Flammen roter Schein;
Da war's, als diese Stätte
Geseh’n zum letzten Mal
Die Feste, die da herrschte
Jahrhundert' überm Thale!

2.

Gar anders weiß zu melden
Das Volk, der Sagen froh,
Der Bischofstein gefallen
Mitnichten wäre so;
Nein, einer Kriemhild Rasen
Wohl habe ihn gebrochen
Die den erschlag’nen Gatten
Am Bischofstein gerochen:

Von England fuhr der König
Vor Zeiten über’s Meer,
Mit Erich seinem Diener
Aufs Eichsfeld kam er her;
Zu Flinsberg bei dem Küster
Saß abends er zu Raste,
Der lud zum Kindtaufsschmause
Den fremden Mann zu Gaste.

Doch von den Gästen einer
Der war von arger Art:
Der schlimme Bischofsteiner
Der hatte schnell gewahrt,
Dass Gold und Edelsteine
Der Fremde bei sich trüge,
Und wägte gleich im Sinne,
wie er ihn drob erschlüge.

Er forschte nach der Stunde,
Er fragte nach dem Weg,
wann und wohin der Pilger
Mit dem Begleiter zög’.
Dann bei des Tages Dämmern
Im Tal zu Ascherode
Lag er vermummt auf Lauer
Und schlug ihn da zu Tode.

Den Leichnam, den beraubten,
Ein Brunnen tief empfing,
Der Knecht, behänd’ entwichen,
Der Mörderhand entging;
Der Ritter trug im Jubel
Zum Bischofstein die Beute,
Die reiche, bluterworb’ne. –
O weh! Wie bald’s ihn reute!

Knapp’ Erich war auf Schwingen
Des Windes heimgeeilt
Und hatte mit der Botschaft
Der Gattin Herz zerteilt. –
„Und hast du mir erschlagen
Den lieblichen Genossen,
So will ich eh’ nicht rasten,
Bis auch dein Blut geflossen!“

Und mit den Treuvasallen,
Blutrache in dem Sinn,
Zum Eichsfeld kommt geritten
Die schöne Königin: –
„Wo aber ist, o Erich,
Der Ort, wo er erschlagen?
Den Räuber und seine Höhle,
Mein Knecht, sollst du nun sagen!“

Doch Erich war entronnen
Besinnung all des Orts,
Er wusste nicht die Stätte
Mehr jenes Königsmords,
Nur wüsst’ er, dass die Stelle,
Wo kam sein Herr zu Tode,
In einem Grunde liege
Und endige auf „rode“. –

Wie gingen da in Flammen
Die „rode“-Dörfer auf!
Wie fassten da die Ritter
Des scharfen Schwertes Knauf
Zu spät erfuhr des Mörders
Sie erst den wahren Namen –
Nun, Junker von dem Steine,
Nun sprich dein letztes Amen!

Es lacht der Bischofsteiner
Ob solchen Weibersturms,
Vertrauend seinen Mauern,
Der Festigkeit des Turms!
„Willst du, denkt er, nicht anders,
So schick’ ich dich zum Gatten,
Vielleicht ist noch ein Plätzchen
Bei seinem sel’gen Schatten!

Es sagen mir Spione,
Dein Panzer sei gefeit,
Der silbern deinen Busen
Umschließt, vielholde Maid;
Vielleicht, dass eine Kugel
Von gleich gefeitem Erze
Zu öffnen weiß dein mordlich
Mich liebend Frauenherze!“ –

Und eine Kugel läd’t er
Ins schnellende Geschoss,
Von Silber, nicht viel breiter,
Als eine Erbse groß:
Als sie die Harnischringe
Durchfuhr der Königinne,
Da quoll mit rotem Blute
Ihr Leben aus der Brünne.

Da Hub ein großes Weinen
Bei den Getreuen an;
Den teuren Leib der Fraue
Sie trugen ihn hindann,
Begruben ihn zur Erde
Mit Tränen siedend heißen:
Und ist der Ort noch heute
Die „Frauenruh’“ geheißen.

„Nun hast du, Bischofsteiner,
Des Bluts vergossen zwier,
Das dritte, das ist deines,
Nun, Mörder sieh dich für!“ –
Ein wildes Steingerassel
Zerschmettert Tor und Speiche,
Und was da Leben hatte,
Wird zweigestückte Leiche!

Das ist die alte Sage,
Schier jedem Kind bekannt,
Von blut’ger Treu’ und Minne
Des „Fräubchens von Engelland“:
Kriemhild und Ungarns Agnes,
Die König Albrecht rächte,
Erkennt ihr nicht die Schwester
Mit nacktem Schwert, die echte?

Bernardus Americanus
(Hermann Iseke)

Anmerkungen und Erklärungen zu „Hülfensberg“

1. Da der Bischofstein (kurz „Stein“ genannt) nicht vor 1300 an Mainz gekommen ist und vorher zur Landgrafschaft Thüringen gehörte, so ist es gar keine Unmöglichkeit, dass die heilige Elisabeth (+ 1231) auf dieser ihrer Burg geweilt hat, zumal bei der geringen Entfernung von der Wartburg, ihrem regelmäßigen Sitze.

Im 30-jährigen Kriege wurde das Schloss Stein zerstört und unterhalb desselben später das neue Amtshaus errichtet.

2. Über die Sage vom „Fröuwechen von Engelland“, die auf dem Eichsfelde spukt, siehe Waldmann, „Eichsfeldische Gebräuche und Sagen“ und Duval, S. 368 ff. Sie klingt wie die Rache Kriemhilds in der Nibelungensage für ihren erschlagenen Gatten Siegfried und die der ungarischen Königin Agnes für ihren Vater, König Albrecht I.