Es muss nicht immer Amerika sein – Eichsfelder Siedler in Hessen (2012)
Wer vom Eichsfeld kommend, im Werratal der Bundesstraße 27 in Richtung Süden folgt, erblickt kurz vor Hünfeld ein Hinweisschild mit der Aufschrift „Steinbach 3 km“. Dieses Steinbach bei Hünfeld, seit 1972 der Gemeinde Burghaun zugeordnet, war im 19. Jahrhundert beliebter Siedlungsraum für eichsfeldische Familien.
Die Landschaft im sogenannten Hessischen Kegelspiel hat Ähnlichkeiten mit der Buntsandsteinlandschaft des Eichsfeldes. Die Felder sind hier nicht ganz so hügelig, dafür die Böden viel fruchtbarer. Steinbach war im 19. Jahrhundert ein rein landwirtschaftlich geprägtes Dorf. Die dortigen Bewohner waren katholisch. Der Ort gehörte zur Abtei Fulda.
Im Eichsfeld herrschte im 19. Jahrhundert auf Grund der enormen Überbevölkerung absoluter Landhunger. Ackerland war trotz der schlechten Böden recht teuer. So ist es verständlich, wenn vermögende Eichsfelder Bauernsöhne versuchten, an anderen Orten Land zu kaufen. Im Norden Deutschlands war dies ohne Gewissenskonflikte nicht möglich, weil diese Gebiete evangelisch geprägt waren. In den von Fulda beeinf lussten Gebieten der Rhön war das anders. Hier gab es katholische Kirchen und eine an das Zuhause erinnernde Landschaft. Auch auf die gewohnte Wallfahrt zum Hülfensberg brauchten die Eichsfelder Siedler hier nicht zu verzichten. Gleich in der Nähe, bei Rasdorf, befindet sich der Gehilfersberg, ein Wallfahrtsort, der nicht nur vom Namen her, sondern auch durch sein Äußeres an den Hülfensberg im Eichsfeld erinnert. Seit dem 16. Jahrhundert befand sich auf der Spitze des 453 Meter hohen Basaltkegels ein Kreuz, das im Volksmund „St. Gehülff“ genannt wurde. Ab dem 18. Jahrhundert ist der Gehilfersberg einer der bedeutendsten Wallfahrtsorte Osthessens. Den Neusiedlern aus dem Eichsfeld kam zugute, dass im hessischen Steinbach und Umgebung viele Bauernhöfe verschuldet waren. Die hier in großer Zahl lebenden jüdischen Kaufleute gaben den dortigen Bauern gern Kredit.[1] Wenn die Zinsen nicht mehr aufgebracht werden konnten, fiel der Hof in die Hand der Kaufleute. Sie wurden meistbietend verkauft. Für eichsfeldische Verhältnisse waren diese Höfe preiswert, zumal die dazugehörigen Landflächen recht umfangreich waren. Besonders beliebte Kaufobjekte waren auch Mühlen. Sie boten neben der Landwirtschaft noch eine zweite Erwerbsquelle.
Allein in Steinbach bei Hünfeld haben mindestens sieben Eichsfelder Familien gesiedelt. Zwei Familien stammten sogar aus Steinbach im Eichsfeld, sodass sie sich nicht an einen neuen Ortsnamen gewöhnen mussten. Es waren die Familien Heimbrodt und Dräger. Weitere kamen aus Gerbershausen (Meister), Hildebrandshausen (Hosbach), Rustenfelde (Gabel), aus Lutter (Dietrich) und Geismar (Schuchardt). In Steinbach ist sogar eine Josef-Schuchardt-Straße zu finden. Ein Nachfahre der eingewanderten Eichsfelder war hier ein beliebter Bürgermeister, und so wurde eine Straße nach ihm benannt.[2]
Den Eichsfeldern fiel es nicht schwer, sich in ihrer neuen Umgebung einzuleben. Bräuche und Glauben waren ihnen vertraut. Den neuen Besitz bewirtschafteten sie vorbildlich, oft wurde er im Laufe der Zeit vermehrt. Ihre Eichsfelder Mundart ging ihnen schnell verloren, ihre Herkunft aus dem Eichsfeld haben sie jedoch bis heute nicht vergessen. Teilweise bestehen noch Verbindungen zur alten Heimat.
Peter Anhalt
(Quelle: Eichsfelder Heimatzeitschrift, Heft 6 (Juni) 2012, S. 206 – 207)
[1] In Steinbach bei Hünfeld lebten 1842 79 jüdische Einwohner, 1852 waren es 44.
http://www.alemannia-judaica.de/steinbach_fd_synagoge.htm, Zugriff vom 2.11.2011.
[2] Gespräch mit Reinhold Gabel, Steinbach, am 31.10.2011.