Anton Fick: Das Dorf entlang (1952)
Das Dorf entlang
BEITRÄGE ZUR VOLKSKUNDE EINES
EICHSFELDISCHEN DORFES
von
A. FICK
Berge Kreis Meschede
Im Selbstverlag
Auslieferung durch
Verlag Trautvetter & Fischer Nachf. - Marburg (Lahn) und Witzenhausen
Druck : Josefs - Druckerei Bigge Ruhr
I N H A L T S V E R Z E I C H N I S
Vorwort 5
D o r f l e b e n z u G r o ß v a t e r s Z e i t e n 6
Die Dorfstraße 6
Häuser, Hausräume, Hausrat 6
Die „Howeräit“ (Hofraite, Hofreute) 8
Der „Hob“ (Garten) 9
Das Tagewerk 10
Die Feldflur 11
Die Grundlagen des Wirtschaftslebens 12
Frauenarbeiten 13
Namen 13
Grüßen 15
Die Schenke 15
Das Backs 17
Abends 17
Hört, ihr Herren und laßt euch sagen! 18
Fahrendes Volk; seltene Berufe 19
Namenstag 21
Die Kurrende 21
Sonntags 21
Trachten 22
Die Ernährung 23
Trinken 25
Das Nispeln 25
Fastnacht 26
Osterbräuche 26
Im Mai 27
Johannistag 28
´s Krütbingel (Das Krautbündel) 28
Saat und Ernte. Das Brot 29
Kleine Kirmes, Maria Geburt 29
Große Kirmes 30
Der Anger 30
Spinnstuben 31
Wanerwark 31
Das Volkslied 33
Schlachten 34
Nikolaus, Christtage (Weihnachten) 35
Neujahr 36
Hochzeit 37
Geburt 38
Tod und Begräbnis 38
Allerlei Aberglaube 40
Hexen 41
Heilkunde 41
Das Kinderjahr 43
Von Schelmen, Käuzen und anderen Leuten 48
D i e E r s c h e i n u n g 54
D i e P r e d i g t z u G r o ß e n g o t t e r n 56
W o l l e n k ä m m e r s Auszug und H e i m k e h r 58
Literatur 60
Anmerkungen 61
VORWORT
„Am guten Alten in Treuen halten,
Am kräft´gen Neuen sich stärken und freuen !“
E. Geibel in „Herbstblätter.“
Die Schilderungen treffen auf die ländlichen Zustände und die bäuerlichen Lebensweisen zu, wie sie etwa in der Zeit von 1870 bis 1914 in dem eichsfeldischen Dorfe Lengenfeld u. St. herrschten. Wurde weiter zurückgegriffen, so sind in der Regel die Jahreszahlen angegeben.
Für das Leben von damals paßt eine Stelle aus einem Buche über Klaus Groth. Der Verfasser G. Diercks sagt hier: „Heilig hielt man die Bräuche der Vorfahren, die Vätersitte, die jeden strenger banden als das heutige Gesetz. Man kannte weder Fabrik noch Eisenbahn, noch Telephon, noch elektrisches Licht; man trug selbstgemachte Kleider und aß selbstgebaute Früchte; man lebte in der Natur und betrachtete Wälder und Felder .... als die Hochschule wahrer Lebensweisheit. Kurz, alles hatte das Gepräge des Volkstümlichen. Das Volkstümliche war der eigentliche Inhalt aller Normen und Formen.“
Die ständig zunehmende Mechanisierung der Landwirtschaft, die modernen Verkehrs-und Propagandemittel, die langen Unterbrechungen der normalen Lebensweise durch die beiden Weltkriege und die nachfolgenden Notjahre, der Zustrom der Evakuierten und Neubürger, der zwingende Einfluß der Mode auf die gesamte Lebenshaltung, neue Ideale wie Sport und Kino - alle diese Einflüsse kennzeichnen eine neue Zeit des dynamischen Fortschritts und der umstürzenden Neuerungen, in der das alte jahreszeitlich bedingte Brauchtum in Vergessenheit geriet oder bis zur Unkenntlichkeit geändert wurde (man vergleiche z. B. eine heutige Kirmes mit derjenigen vor 50 Jahren).
Das Manuskript entstand in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und wurde fortlaufend ergänzt. Gelegentlich gefundene Lesefrüchte mit Hinweisen über ähnliche Bräuche in anderen Gegenden und Ländern zeigen die Gemeinsamkeit uralten Kulturgutes, wie sie sich auch bei Volksliedern, Kinderspielen, Redensarten, volkstümlichen Rätseln ... zeigt.
Die Erinnerung an das Vergangene zu pflegen und verständnisvolle Liebe für das noch Vorhandene zu wecken, sei der Zweck dieser Schrift.
Berge, Krs. Meschede, im Herbst 1952
Der Verfasser.
Dorfleben zu Großvaters Zeiten
D i e D o r f s t r a ß e . In langer Zeile stehen die Häuser mit ungestrichenem, zuweilen auch braunrotem Fachwerk aus Eichenholz, meist mit der Giebelseite zur Straße hingekehrt. Hin und wieder, wo es die Biegung der Straße zur Wahrung der rechtwinkligen Bauweise erfordert, steht die Giebelseite im spitzen Winkel zur Straße. Durch diese Übereckstellung erscheinen die Häuser wie kulissenartig hintereinander geschoben und geben der Straße ein malerisches Aussehen. Das so zwischen Straße und Giebelwand entstandene Dreieck füllt entweder ein Gärtchen aus, oder man bewahrt dort Brennholz, Baustoffe oder Ackergeräte auf.
Die Dorfstraße, „Lange Straße“ geheißen, im Volksmunde aber östlich vom „Plon“ Oberland, von der „Stenner Brücken“ bis Hansmertens „Am Wasser“ / und von da bis zum westlichen Dorfende bis „Bildhans Brücken“ / „Unterland“ genannt, ist nicht sehr breit. Ursprünglich wurde sie stellenweise vom Wasser überflossen und bildete an einer Stelle im Oberlande einen sumpfigen Hohlweg. Nach der Verbreiterung des Bachbettes auf Kosten der anliegenden Gärten erhielt sie ihre heutige Form. Gänseschwärme tummelten sich in dem seichten Wasser des Friedabaches, der eine Strecke neben der Straße herfließt. An einer Stelle ersetzten dicke Steine in Schrittweite aneinander gereiht, einen hölzernen Steg zur Verbindung der Ufer.
D i e H ä u s e r , d i e R ä u m e d e s H a u s e s , d e r H a u s r a t . Hin und wieder erhob sich aus der Reihe der einstöckigen (ingerschlachten) Häuser ein zweistöckiges Bauernhaus mit überkragtem Gebälk und hohem Hoftor heraus. Strohbedachung wurde schon Ende des 18. Jahrhunderts behördlich verboten.
Die Haustür bestand aus einer oberen und einer unteren Hälfte.1 Im Sommer stand die obere Hälfte meist offen, um den dunklen Hausflur (Hüseern) zu erhellen, der mit groben Fliesen oder Backsteinen belegt war, bei armen Leuten auch aus gewachsenem Boden bestand. Durch den „Hüseern“ 2 ( von ah. ero = Erde) gelangte man in die schwarzgeräucherte Küche mit gemauertem Herd und eingebautem Siedekessel. Als schwachgeneigte schiefe Ebene hob sich aus dem Hintergrunde die Falltür zum Kellereingang hervor. In den Stuben armer Leute gab es noch um 1890 keine gedielten Fußböden. Mitten in der Wohnstube mit ihrem
Fußboden von festgestampfter Erde zeigte ein kreisrunder Holzdeckel, von einem Eisenring eingefaßt, den Eingang zum Keller an.3
In der Küche stand eine hölzerne Bank mit Holzeimern und großen irdenen Kasserollen, diese mit Wassser gefüllt und durch hölzerne Deckel vor Schmutz und Fliegen geschützt. Auf Wandgestellen ruhten Messingkessel, tönerne und hölzerne Näpfe und Schüsseln, sowie Kannen und Teller aus Zinn. Die Feuerstelle hatte keinen Rost, sondern einen eisernen Dreifuß (Träwwest) als Träger für Kochgeschirre. In der Herdecke lehnte der Pister, ein Blasrohr zum Anpusten des Feuers. An der Innenseite des Brotschrankes (Kühlschrank) standen die Nachbarinnen in der Kreide, wieviel Nößel 4 Milch zu zahlen sie noch schuldig waren (1 Nößel = knapp ¾ l). Hier war auch zu lesen, wann sich der Viehbestand vermehrt hatte, wann eine Kuh trächtig geworden war, eine Gans sich gesetzt hatte u.ä. Die Stubentür hatte in Augenhöhe ein kleines Fensterchen, durch das sich das Geschehen auf dem „Hüseern“ kontrollieren ließ. In der geräumigen Wohnstube laufen eichene Tragbalken unter der Decke entlang. Auf dem gesimsartigen Kammbrett (Kann-) standen . Zinngeschirr, Öllichter ... Dort lagen Bürsten und Gesangbücher. Die Schiebefenster wurden nach und nach durch Flügelfenster ersetzt. Gardinen waren noch nicht im Gebrauch. Günstigstenfalls gab es Rollvorhänge. Den Raum vor einer Eckbank nahm der wuchtige quadratische Tisch mit dicken gedrechselten Beinen und Füßen, die durch Tretbänkchen verbunden waren, ein. Auf seiner blankgescheuerten Platte sah man im Sommer einen sinnreich eingerichteten Fliegenfänger in Form einer Glasglocke mit drei Füßen stehen., die sich über einem ringförmigen Wasserbehälter wölbte. Eine Prise Zucker unter der Glocke lockte die Fliegen an, die dann aufgescheucht, an der glatten Glaswölbung keinen Halt fanden und in der Wasserrinne landeten. Der große Ofen mit Jahreszahl aus dem 18. Jahrhundert, dessen untere Hälfte aus Eisenplatten, dessen obere aus Kacheln bestand, wurde von der Küche her geheizt. Auf einem Absatz zwischen Wand und Ofen, in Schulterhöhe ließen sich Schwefelhölzchen, Fidibusse, die Fliegenklatsche .... unterbringen. Eine „Säddel“ (Sitztruhe) und Stühle mit gespeizten Beinen und geschweiften Brettlehnen mit ausgeschnittenen Herzen vervollständigten die Einrichtung.
Der Raum zwischen Spiegel und Wand barg die letzten Ausgaben des Wochenblattes, während Rechnungen, Briefe Schreibpapier in der Beilade des Tisches aufbewahrt wurden.
Durch eine spanische Wand oder durch einen Vorhang war die S c h l a f s t u b e abgezweigt. Wie Kachelöfen, bemalte Truhen,
Bauerntische und - stühle, so waren auch die Himmelbetten mit ihren buntgeblümten Vorhängen allmählich von genormten Gegenständen, von Einheitshausrat verdrängt worden. 5
In der Bodenkammer oder in der Schlafkammer stand eine Lade, in der die Hausfrau ihre Wäscheaussteuer mitgebracht hatte. Außer guter Wäsche barg sie Schnurbätzeln, Hüte, wichtige Papier, Schmuck und größere Geldbestände, sofern solche vorübergehend im Hause waren.
Das rot- und blaukarrierte Bettzeug wurde nach und nach durch weißes ersetzt.
Ein Seyer (Wanduhr) mit Unruhe und Zuggewichten kündete die Zeit.
D i e „H o w e r ä i t“ ( d e r H o f ). Wohnhaus, Scheune, Ställe und Schuppen sind im Rechteck zur sogenannten „fränkischen Hofanlage“ geordnet. Das Wohnhaus liegt am Wege (an der Gasse) ihm gegenüber am andern Ende der Hofraite, die Scheune, zu beiden Seiten Ställe und Schuppen mit Futterböden und Heuböden darüber. Ist zwischen den Gebäuden eine freie Stelle geblieben, so ist sie durch eine massive Mauer oder eine Harwand (Fachwerkmauer von etwa 2,50 m Höhe) mit Regendach geschlossen 5 .
„In den Formen der Gehöftsanlage ist der mitteldeutsche, sogenannte fränkische Typ durchaus vorherrschend. Er tritt sowohl als Dreitseit = wie als Hakenhof auf. Fast in jedem Dorfe lassen sich diese beiden nebeneinander beobachten, wenn auch der Hakenhof in den meisten Ortschaften der häufigere ist. Die Dreiseithöfe liegen im Kern der Siedelungen und vermitteln den Eindruck besonderen Wohlstandes ... Bei genaueren Beobachtungen zeigen sich auch Mischungen und Übergänge zwischen den beiden Formen. Sie lassen deutlich die Abhängigkeit der Gehöftanlagen von Erbsitten und Besitzverhältnissen erkennen. Das Altenteil des Dreiseithofes wird zum selbständigen Wohnhaus für eine zweite Bauernfamilie ausgebaut und der Wirtschaftsteil aufgegliedert; oder es wird ein zweites Wohnhaus in Traufstellung rechtwinklig an das alte Haus angebaut. Derartige Verhältnisse sind Folgen der Realteilung, bei der nicht nur Äcker, Wald und Wiese, sondern auch Vieh und Geräte, Ställe und Scheunen genauestens unter den Erben verteilt werden. Wir dürfen demnach den Hakenhof als Halbhof bezeichnen.“ („Eschwege und seine Landschaft“ von Tolle-Krieger).
Im Schutze der vorspringenden Dachränder haben sich Schwalben angesiedelt, die nach alter Volksmeinung als Glücksbringer gelten 6 . Dachrinnen, soweit überhaupt vorhanden, waren in der Zeit vor 1900 aus Holz und fanden sich höchstens an einem niedrigen
Schuppendach. Steinpflaster auf dem Hof war unbekannt. Auch hier trat nach 1900 ein Wandel ein. Große Tore mit hochgewölbtem Steinbogen über der Einfahrt und dem Mainzer Wappen in Stein gehauen, wie sie zu den Häusern mainzischer Beamten gehörten, sind in unserm Dorfe nicht mehr vorhanden, Neben der Einfahrt ist die Pfortentür, die in vielen Fällen nur von innen durch einen hölzernen Riegel verschließbar war. Bei entsprechender Bodenneigung zog sich von der Miste bis zum Weggraben, unter dem Tore hin, ein dünnes Jauchgerinnsal. Von der Haustür bis hin zu den Stall- und Schuppentüren lagen Gehsteine zur Benutzung bei matschigem Wetter und aufgeweichtem Boden. Die Fächer der Wände an den Gebäulichkeiten waren mit Flechtwerk aus sogenannten Fachgerten und Lehm ausgefüllt.
D e r G a r t e n (Hob). An die äußere Scheunenseite schließen sich ein Klännhob (kleiner) oder Gemüsegarten und ein Grashob oder Obstgarten an. Weißkraut, Kohlrabi und Buschbohnen wurden auch im Felde angebaut. Was über der Erde Früchte bringt, wurde bei zunehmendem, was in der Erde fruchtet, bei abnehmendem Monde bestellt, ganz so, wie es schon Johannes Coler in seiner 1598 erschienenen Oeconomia vorschreibt.
Liebstöckel, Pfefferminze und Melisse, Stockrosen, Fliegende Herzen (Herz-Marien-Glöckchen), Totenblumen (Ringelblumen), Gesichterchen (Stiefmütterchen), Reseda und Aweräis (Eberraute-Artemisia abrotanum) durften in keinem zünftigen Bauerngarten fehlen. Im Grashob befand sich in einer 5 bis 6 m langen Fachwerkhütte der Backofen, in dem auch das Obst gedörrt wurde 7 .
An Obstgarten waren bekannt: Essikberen, Markriten- (Margareten), Pombardinen-, Pruibus- und Platschberen; Fülinger Gaalberen und Suiwelstele, Parmutten- und Zippelberen; Aarpel- (Erdbeeren), Färsch -, Scheen -, Rappel -, Taller -, Porscht -, Rawogeläppel und Nieäcker (Eiseräpfel), außerdem Zwetschen. Mancher große Obstgarten weist einen „walschen“ Nußbäum, einen Kriechenbaum oder gar einen Quittenbaum auf.
Lebende Zäune aus Hainbuchen, Maßholder, Holunder, wildem Schneeball, Weißdorn, Haselnuß, Pfaffenhütchen oder Zäune aus hölzernen Staketen grenzten die Gärten von einander ab. Die Türen waren durch sinnreich wirkende Holzriegel verschlossen, wie sie heute noch in Finnland gebräuchlich sind.
Zwischen Obstgärten und Feldern laufen rings um das Dorf noch alte Pfade mit der Bezeichnung „Hinger daan Heewen“ (Hinter den Höfen = Gärten), die in früheren Jahrhunderten durchreisendem Volk als Umgehungswege dienten, wenn die Pest ausgebrochen war.
T a g e w e r k. Wenn nach dem Metteläuten die Rauchwölkchen sich über den Schornsteinen kräuselten, entwickelte sich, je nach der Jahreszeit verschieden, ein reges Leben im Dorfe. Im Winter bei hochverschneiten Straßen bahnte man Gehwege. Es wurde gedroschen, geschlachtet und geräuchert, Holz gehauen und gefahren und nach Lichtmesse Mist aufs Feld gefahren.
Wenn das Gras zu wachsen anfing, zogen der Kuh - und der Gänsehirt durch die Straßen, ihre Pfleglinge durch eine besondere Weise aus dem geöffneten Hoftore lockend, während die Schafe nachts auf dem Felde im Hordenschlage blieben. Am längsten, bis Ende der neunziger Jahre, hielt sich der Gänsehirt. Auf seinen Lockruf hin: „Gäns rüüs! Gäns rüüs!“ kam es aus den Hoftoren gelaufen und geflattert, sich dem großen Haufen anzuschließen. Ein beliebter Weideplatz war der Siechrasen. Mit einer langen stangenähnlichen Rute, an deren einem Ende ein Tuch befestigt war, lenkte der Hirt seine Herde.
Den Pferden mancher Bauern wars so schwach im Magen, daß sie morgens durch gemeinsame Anstrengungen der Nachbarn auf die Beine gebracht werden mußten. Die kleinen Ackermänner (Landwirte) verwendeten durchweg Kühe als Zugvieh (Dinsekiwe). Hölzerne Pflüge, hölzerne Walzen und ebensolche Eggen mit Eisenzinken bildeten neben Dunghorten - (Mist -) und Leiter - (Ernte -) wagen den unentbehrlichen Gerätestand eines Ackermannes oder Bauern.
Die Erntearbeit war mühseliger als heute, da das Getreide mit der Sense geschnitten wurde. Bis um 1860 wurde das Getreide mit der Sichel geschnitten, in der Folgezeit mit der Sense. Um die Jahrhundertwende kamen allmählich landwirtschaftliche Maschinen in Gebrauch. Abends läuteten die Dengelhämmer von den Gehöften. Das erste Fuder Korn brachte nach altem Herkommen das Licht mit, d. h. die Tage waren mittlerweile schon so kurz geworden, daß abends die Lampe angesteckt werden mußte.
Gesäet wurde mit der Hand aus dem Säetuch. Und wenn Ende Oktober um große Kirmeß herum die Scharen der „wilden Gänse“, d. h. der Kraniche, nach Süden reisen, war die Feldarbeit im großen und ganzen beendet, und nun hob das Dreschen an. Tag für Tag, bis weit in den Winter hinein, schallte der rhythmische Schlag der Dreschflegel im Drei - und Viervierteltakt durch das Dorf. Der Drusch lief durch die Klapper oder Wannenmühle, um hier von Spreu und Unkrautsamen gereinigt zu werden, das leere Stroh wurde wieder ins „Getenne“ gebanst.
Getreidemaße waren Wispel, Malter, Scheffel, Metze und Mäßchen. 1 Wispel = 2 Malter; 1 Malter = 2 Scheffel; 1 Scheffel = 4 Metzen; eine Metze = 4 Köppchen oder Mäßchen. Sie kamen nach 1871 allmählich außer Gebrauch.
Herbstliche Verrichtungen, die eine besondere Anziehungskraft auf die Jugend ausübten und zum Teil deren Hilfe benötigten, waren die Obsternte, das Dörren des Jahresbedarfes an Zwetschen und Birnen, das Hobeln und Einstampfen des Weißkrautes zu Sauerkohl und das Muskochen aus Zwetschen im großen kupfernen Siedekessel. Beim Kartoffelausmachen schmeckte den jugendlichen Helfern der Zwetschenkuchen und der „Isenkuchen“ noch mal so gut als zu Hause. Natürlich gab es auch ein Feuer aus dem dürren Kraut, in dessen glühender Asche Kartoffeln geröstet wurden.
Die Feldflur
An den Ibern (Feldrainen) waren die Gewannstreifen durch Hecken aus Weiß- und Schwarzdorn, Holunder, Heckenkirschen, Hartriegel, wildem Schneeball und Hagedörnern (Heckenrosen) unterbrochen, um das Abschwemmen des Mutterbodens zu verhindern. Noch wae die deutsche Landschaft auf dem Wege zur Kultursteppe nicht so weit fortgeschritten wie heute. An den steinigen Berghalden aus Muschelkalk gab es noch ausgedehnte Flächen Steppenheide (Ödland) mit Steinritschen, Hecken der genannten Arten, wilden Apfel-, Birn- und Kirschbäumen, Erd- und Brombeeren, Königskerzen und Mauerpfeffer, Ainzig (Enzian) u.a. Noch waren den natürlichen Helfern des Landmannes im Kampfe gegen das Ungeziefer die Lebensbedingungen nicht derart erschwert wie heute. Noch fand der Specht seine Baumhöhle (ein Schwarzspecht nistet nicht in künstlichen Höhlen) und die Goldammer ihre Hecke als Brutstätte8 .
Die Reihe der Geschlechter gab im Laufe der Jahrhunderte der Feldflur das Gepräge. Auf die steinigen Hänge den Mist in Tragekörben zu schleppen und sie mit Gras gefüllt wieder hinab zu tragen, die magern Ernteerträge bis zur Abfahrtstelle zu bringen, kostete manchen Schweißtropfen. Immerhin wurde die Frucht reif, während vor der Anwendung des Kunstdüngers das in unsern Nachbardörfern auf der Höhe nicht immer der Fall war. Nicht selten tauschten die Ackermänner aus Effelder und Struth bei ihren Lengenfeldern Verwandten Futtergetreide gegen Saatgut ein.
Besonders unentwegte alte Männer konnte man - mit Ausnahme von frost-, schnee- und regenreichen Tagen - jahrein, jahraus mit Kiepe und Hacke zum Acker ziehen sehen, unterwegs jeden Kuhfladen und jeden Pferdeapfel mitnehmend, der auf der Straße lag. Diese Hüter der Feldmark stellten eine lebendige Verkörperung von Mensch und Boden dar 9 .
Ackerbau und Tagelohn, Handwerk, Saisonarbeit in der Fremde und Hausierhandel bildeten die
G r u n d l a g e n d e s W i r t s c h a f t s l e b e n s. Die Zahl der Bauern war nicht groß. Doch besaßen die meisten Einwohner noch einige Acker Landes, so daß der Jahresbedarf an Brot, Speck und Wurst durch eigene Erzeugung gedeckt werden konnte. „Die vielen Hausierer, kleinen Handwerker und Wanderarbeiter haben durch den Besitz von einigen Morgen Land erheblichen Vorteil. Die vielen Arbeitspausen können nützlich verwendet, die Arbeitskraft von Frau und Kind kann besser ausgenutzt werden. Man ist in der Lage, sich einige Schweine, eine Ziege, ja Kühe zu halten, sich seine Kartoffeln und sein Brotgetreide selbst zu bauen.“ (Aus: „Die wirtschaftliche Entwicklung des Kreises Worbis“ von Dr. Engelmann).
Ein Stück eigener Boden, und sei es noch so klein, ist immer die Grundlage für Heimatliebe und Staatstreue gewesen. Wer fest im heimatlichen Boden verwurzelt steht, ist aller politischen Konjunktur abhold und keiner von denen, die heute „Hosiannah“ und morgen „Kreuzige ihn“ rufen.
Während in manchen Häusern die Webstühle der Raschmacher klapperten, ließen, sobald dringende Arbeiten nicht im Wege standen, Frauen und Mädchen am Spinnrade den Faden durch die fleißigen Hände gleiten. Ende der 70er Jahre kam der eichsfeldische Flachsbau gänzlich zum Erliegen, und mit ihm die Leinenbereitung.
Wandergewerbe, Hausierhandel, Saisonarbeit gaben vielen Eichsfeldern Brot und Verdienst in der Fremde. Maurer und Wollenkämmer, Ziegelei- und Fabrikarbeiter, Rübenhackerinnen und Spargelstecherinnen zogen in die „Welt“ (Fremde), um nach beendigter Saison in die Heimat zurück zu kehren. 10
Zu Beginn der Saison sah man ganze Familien, das Nötigste auf der Hand- und Schubkarre mit sich führend, den Tage und Wochen dauernden Fußweg ins Hannöversche, Braunschweigische, Magdeburgische, Westfälische und Oldenburgische zurücklegen. Abwechselnd durfte, beim Reisebedarf und Handwerksgerät, eines der Kinder auf der Karre oder dem Handwagen Platz nehmen. Manchmal war die Besetzung auch anders. So erzählte eine Frau aus ihrer
Mädchenzeit: „Mee hin mut frifer unsen Aalen (Vater) vun Längefald bis nach Ritzebittel dinse.“ Wo unterwegs Wollenflöckchen an Dornenhecken schimmerten, mußten die Kinder sie ablesen und sorgsam in einem Beutel sammeln. - Wer sich kein Schlafzimmer im Gasthause leisten konnte oder wollte, übernachtete während der schönen Jahreszeit im Freien. Bei schlechtem Wetter schlief man auf einer „Streuwe“ (Stroh) in der Wirtsstube. Oft bestanden die Mahlzeiten aus trockenem Brot und Quell- oder Brunnenwasser. Handelsmänner und Wollenkämmer in besseren Verhältnissen reisten mit Pferd und Wagen 11 .
Die eichsfeldischen Hausierer mit Reffchen und Knotenstock war ein gern gesehener Gast bei seiner Stammkundschaft. „Der Hausierer handelt mit Textilwaren, Bürsten, Besen, Körben, Fellen, Därmen, Lumpen, Kolonialwaren, Kanarienvögeln usw. In den Jahren 1883 bis 1896 zählen wir 4000 Hausierer (auf dem gesamten Eichsfelde). Es war die Blütezeit, bis 1896 eine starke Einschränkung durch die neue Gewerbeordnung erfolgte.“ (Thüringer Gauzeitung, Heiligenstadt 10. Juli 1943).
F r a u e n a r b e i t e n : In der Zeit, in der es weder Waschmaschinen, noch Milchschleudern (Zentrifugen) und Butterfässer, noch Wasserleitungen gab, war das Tagewerk der Frau bedeutend schwerer und zeitraubender als heute.
In Milchraiben (Räbstern) und Näpfen ließ man die Milch dick werden. Der abgeschöpte saure Schmant wurde in einem großen irdenen Topfe mittels einer Holzkeule solange bearbeitet, bis es Butter gab.
Zum Einweichen der Wäsche diente aufgefangenes Regenwasser, das vorher durch einen Sack mit Holzasche gefiltert wurde und „Läumn“ (Lauge) hieß. Trinkwasser (Born) mußte oft von weit her mit einem Tragejoch in Holzeimern von Pumpen und Brunnen geholt werden, deren es einige an öffentlichen Stellen gab. Tagsüber besorgten größere Kinder das Wasserholen. Abends ließen es sich manche Frauen und Mädchen nicht nehmen, nach getaner Arbeit noch ein Schwätzchen am Brunnen zu ermöglichen.
N a m e n . Die Bauernhöfe haben - Mühlen und Gutshöfe ausgenommen - keine besonderen Namen. Manche Häuser werden nach früheren Besitzern genannt, z: B. Schwarzkhans Hüs, Schuhpetersch, Nickels, Heppensems, Hadrichs, Klänadens, Wäidans, Awärtspetersch, (Aale Wärts Petersch) Hüs.
Viele Familien haben neben ihrem offiziellen Namen, oder besser gesagt, an dessen Stelle im Volksmunde noch einen Sondernamen, der sich gewöhnlich auf Vornamen, Beruf oder Wohnstätte
von einem Vorfahren bezieht, Jeder spricht mit Selbstverständlichkeit von Aale Schulzens, aale Backersch, Amtschriebersch, Schenk, Post, Schustersch, Schmeeds, Schniedersch, Teppersch, Millkaspersch, Gänsehärtens, Kiwehärtens, Wainerhans, Kochbarwens, Riekens, Stoffels, Kattersch, Bartels, Mälschersch, Fischhans, Größhans, Kläinans, Hanhnans Phielepps, Lünhans, Aschnans, Plonhans, Torhans; - Hansalms, Strüßevelins, Hansmärtens, Michelsmärtens, Fraanstresens, Stangenwännersch, Heppensems, Awärtspetersch, Schuhpetersch, Argos, Brötwermchens, Bischainers, Hischens, Diewelsnasens, Wittstäins, Spitzens. ......
Diese Art der Familienbenennung hat sich aus der Zeit erhalten, als es noch keine amtlichen Familiennamen gab. Manche der genannten Namen sind nachweislich Jahrhunderte alt. Andere kommen mit dem Heranwachsen neuer Geschlechter außer Gebrauch, neue entstehen.
Mancher muß es sich gefallen lassen, einen O-namen (Spitznamen) angehängt zu bekommen, deren es eine ganze Stufenleiter gibt, vom harmlosen Neckwort bis zum gehässigen Schimpfnamen. Freilich erfolgt die Anwendung unter Ausschuß des Hörbereichs der Leidtragenden und deren Sippe. Die Entstehung der O-namen geht auf Haß oder Spottsucht zurück. Ein körperliches Gebrechen, eine charakterliche Schwäche, eine Eigenheit in Haltung, Benehmen, Lebensweise, eine unbedachte Äußerung, eine Begebenheit .... bieten den Anlaß. Manche sind nur wenigen Familien bekannt, andere dem ganzen Dorfe. Beispiele sollen hier nicht genannt werden, um der Unsitte keinen Vorschub zu leisten und um niemand zu kränken.
Wie wohl überall in deutschen Landen, gibt es für die Einwohner jedes Dorfes einen scherzhaften Sammelnamen. So werden die Lengenfelder in den Nachbardörfern als „Botterknoten“ bezeichnet.
Bedauerlicherweise sind die Kurz- und Koseformen der Vornamen, wie sie in früheren Zeiten üblich waren, außer Gebrauch gekommen; Jost, Jobst, Lips, Henkel, Ricks, Nickel, hört man nicht mehr. Was noch an urwüchsigen Bildungen da ist, gilt als unfein und grob. Klais, Jaak, Jööb, Gust, Thums, Christen, Katter, Barbe nennt man höchstens noch Abwesende; sonst heißt es Niklais, Jakob, Jesepp, oder gar Joseph, Gustav, Thomas, Christin, Kathrin oder Katterchen, Barchen.
Manche ungewöhnlichen, nicht mehr gebräuchlichen Vornamen werden als Schimpfwörter gebraucht, da niemand mehr ihren eigentlichen Sinn kannte, z. B. Hawänner (Hans Werner), Hampalster (Hans Balthasar).
G r ü ß e n . Die kurzen, sachlichen Einheitsgrüße zu den verschiedenen Tageszeiten, wie sie in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr von der Stadt den Weg aufs Land gefunden haben, waren kaum üblich. Die Dorfbewohner kannten sich alle untereinander und hielten es für schicklich, bei Begegnungen eine freundliche, den Umständen angepaßte Redewendung zu gebrauchen. Bei Leuten an der Arbeit hieß es: „Gett´s an gut ß“ oder: „Macht Üch nit sö mide !“ - „Haad an´n Braantwien getrunken ?“ - „Macht baale Fierobd!“ Andere Grußformen nahmen auf das Wetter Bezug: „Scheen (schlaacht) Watter hitte!“ Wieder andere enthielten eine Erkundigung nach dem Befinden: „Äs an’s Laben nach frisch?“ - „Was macht dann d’r Mann (de Fräuwe)?“ Traf der Besucher die Familie gerade beim Mittagessen, so führte er sich mit den Worten ein: „Schmeckt ‘s dann?“ worauf die Antwort erfolgte: „Wudann meet asse?“ Wer ging, verabschiedete sich mit einem: „Machts gut!“ und bekam zur Antwort: „Kummt baale wärr!“ Dem Kirchgänger klang ein: „Wudann bate geh?“ entgegen.
G a s t f r e u n d s c h a f t gegen Einheimische und Fremde zu üben, war eine Selbstverständlichkeit. Bekannte aus dem Dorfe, die nur „spälle“ kamen, wurden in der Regel nicht bewirtet, wer aber geladen war oder zu Besuch weilte, mußte mitessen. Ehrensache war es, sich bei solchen Gelegenheiten nicht lumpen zu lassen und aufzutragen, was Küche und Wurstekammer boten. So sparsam sonst gewirtschaftet wurde, bei Besuch durfte es schon was kosten.
Mit ständigen freundlichen Ermunterungen zum Essen und Trinken halfen die Gastgeber die Hemmungen der Besucher überwinden. „Zu, nahmt üch awwer was!“ - „Lot üch awer nit sö veele needige!“ - „Tut, awann (als wenn) de derhäiben werd!“ - „Dee hud je nanischt gassen.“ Gar mancher Fremdling, auch wenn er nicht gerade im Hochsommer kam, ist unter den prallen Daunenbettdecken eichsfeldischer Gästezimmer zum Schwitzen gekommen.
D i e S c h e n k e. Trotzdem das Dorf damals etwa 1/3 Einwohner weniger hatte als heute, trotzdem die Lebenshaltung seiner Bewohner nicht so hoch war als in der Gegenwart, zählte es doch einige Gasthäuser und Schenken mehr. Dieses Bedürfnis brachte schon der starke Durchgangsverkehr auf der Landstraße mit sich. Nicht wenig zur Belebung des Gasthausgewerbes trug die Zunft der Fuhrleute bei.
„So ein Frachtwagen von damals hatte ein eigen Gesicht. Meist war er mit einer Plane überspannt. Darunter kläffte ein wachsamer Spitz jeden Fremden an. An der Seite hing eine Laterne für die Nachtfahrten und eine Wagenwinde zum Heben des Wagens, wenn er eingesunken war. Die starken, gewaltigen Rosse hatten Kumte an
den Hälsen; dieselben waren verziert durch metallne Hörner, rote Schals, einen großen Kamm und andere Anhängsel. Langsam bewegten sich die Wagen mit ihrer Last dahin. Würdevoll schritten die Fuhrleute mit der Peitsche in der Hand und der kurzen Pfeife im Munde in ihren blauen „Spannkkitteln“ und dicken Halstüchern nebenher oder setzten sich in die „Schoßkelle“, dem Ruheplatz hinter der Deichsel. Oft saßen sie auch auf einem Brett (über den Vorderrädern quer), das später polizeilich verboten wurde. Leicht nickte der Fuhrmann nämlich ein und stürzte herab und kam unter die Räder.“ („Der Kreis Worbis“; von Friedrich Polack.)
Eine runde Holzsäule in der Mitte als Deckenstütze, Bänke an den Wänden entlang und Tische mit blankgescheuerten Platten gaben der Gaststube ein behagliches Aussehen. Bilder von zwei Bauern, die sich um eine Kuh streiten, deren einer an den Hörnern, der andere am Schwanze zieht, während als lachender Dritter der Rechtsanwalt die Kuh melkt, oder von den Tieren des Waldes, die dem toten Förster das letzte Geleit geben oder dem Rehbock, der in gewaltigem Satze über die Köpfe der gerade beim Mahle lagernden Jäger setzt, zierten eine zünftige Wirtsstube, in der auch unter Glas und Rahmen die Mahnung prangte: „Die Rose blüht, der Dorn der sticht, wer gleich bezahlt, vergißt es nicht.“
Es gab eine Zunft von fleißigen Wirtshausbesuchern, deren jeder in mehr als einer Schenke Stammgast war. Man muß sie gesehen haben, diese Originale und Individualisten, diese Biedermänner und Lebenskünstler, wenn sie, was tagsüber mehrfach geschah, etwas scheu, mit flinken Schritten aus der Schenke kamen und der lange Hals der Kännchensflasche aus der Hosentasche herausschauend, verräterisch blitzte.
Praktische Leute, die unsere Großväter nun einmal waren, kauften sie der Ersparnis halber den Branntwein, den sie an Ort und Stelle zu trinken gedachten, gleich in halben oder ganzen „Kännchen“. Die große „Wienschallen“ zum Trinken, vom Wirte entliehen, machte die Runde, indeß der Einzelgänger gleich aus dem Fläschen mit dem Halse, dem „Stengelpeter“ trank.
Nicht, daß die Alten unsolider gewesen wären als das heutige Geschlecht. Etwas muß der Mensch haben als Ausgleich gegen das Einerlei, die Sorgen und Mühen des Alltags. Da war ein kurzer Besuch in der Schenke das Einfachste und Nächstliegende. Und wenn es damals mehr Gewohnheits - und Quartalssäufer gab als heute, so muß man bedenken, daß schon die Kinder in der „Hotzen“ (Wiege) ein Stück Brot in Branntwein getaucht als Beruhigungsmittel bekamen und daß bei Mahlzeiten im Felde auch den an -
wesenden Kindern die Weinschelle (Branntweintrinkglas) zum Bescheid tun (Trinken) gereicht wurde. Man sah den Schnaps - als Nähr - und Kräftigungsmittel an.
D a s B a c k s. „Wann kän Fläisch im Tippen äs un kän Kuchen uff ’m Tische, do äs kä richtiger Suintaak.“ Diese Erkenntnis einer Hausfrau kann als typisch gelten und wurde, so gut es ging, befolgt. Sonn - und festtags, an Namenstagen, auf Hochzeiten, gab es Kuchen: breite und runde, trockene und Obstkuchen, Bratpfannskuchen, Zwiebel -. Kläläuch -, Matten -, Ribbelchens -,Eier -, Rosinenkuchen, Bretzeln (Kringel), Schminken und Schüsselkuchen. An Obstkuchen wurden damals wie heute gebacken: Kirsch -, Johannesbeer -, Stachelbeer -, Heidelbeer -, Apfel - und Zwetschenkuchen. Wohl kaum in einer Gegend Deutschlands ist auf Grund alter Erfahrung die ländliche, bodenständige Kuchenbäckerei derart vervollkommnet und ausgebaut worden, wie auf dem Eichsfelde. An gewissen volkstümlichen Namenstagen und an den Tagen vor hohen festen war Hochbetrieb. Alle Tafeln und Gestelle und selbst der Fußboden der schwarzgeräucherten hallenartigen Backstube waren alsdann mit den leckeren Erzeugnissen der heimischen Kuchenbäckerei erfüllt. Eine Backeschicht folgte auf die andere, den ganzen Tag und die halbe Nacht hindurch.
An ruhigen Tagen konnte es vorkommen, daß von den allzeit beutelüsternen Hühnern eins den Weg auf die Kuchentafel gefunden hatte und die Rosinen aus den runden Kuchen pickte, die des Einschießens harrten.
Ein Bäcker hatte es in jener Zeit nicht leicht. Bereits am frühen Morgen, wenn andere Leute noch schliefen, mußte er schon durch die Gassen eilen und bei den Leuten an die Fenster klopfen, die das Backen bestellt hatten, indem er rief: „‘n Täk mache!“ (Den Teig machen!). Ein paar Stunden später zog er mit dem Hunde - oder Pferdegespann durchs Dorf, um die Backtröge und - mulden mit den Broten abzuholen. Siehe den Kinderreim „Backe, backe Kuchen“.
A b e n d s. Eltern, Lehrer und Pfarrer achteten mit Fleiß darauf, daß abends nach dem Betglockenläuten 12 kein Kind mehr auf der Straße war. Beim Schall der Glocke flitzten Jungen und Mädchen auf dem schnellsten Wege nach Hause. Unter dem Rufe „Amann“ versuchte noch eins dem andern einen letzten, leichten Schlag zu geben. Zu Beginn der Dämmerung vor Sonn - und Feiertagen kehrte jeder vor seiner Tür die Straße sauber. In der Erntezeit „brachte
das erste Fuder Korn das Licht mit“, d.h. die Tage wurden nunmehr wieder so kurz, daß man nach dem langen Tagewerk abends nicht mehr ohne Licht essen konnte. Trotzdem neben dem Öllicht, das bei abendlichen Gängen in Küche, Keller und Kammern verwandt wurde, in der Wohnstube die Petroleumlampe gebraucht wurde, blieb der Sprachgebrauch der alten Bezeichnung aus der Zeit des Kienspans her treu. man zündete das Licht nicht an, sondern steckte es an.
An den langen Abenden im Spätherbst und Winter saß die ganze Familie um ein paar Siebe herum und schliß Gänsefedern oder „neifelte“ Erbsen oder Bohnen aus.
„H ö r t i h r H e r r e n u n d l a ß t e u c h s a g e n.“ Straßenlampen gab es noch nicht. Nach dem mühe - und arbeitsreichen Tagewerk ging man zeitig schlafen. Der Nachtwächter und zwei Männer, welch letztere aus den Häusern und Wohnungen der Reihe nach, für je eine Nacht zur Wache „geheißen“ wurden, machten die Runde: um Diebstähle zu verhindern und gegebenenfalls Feueralarm (Fürjoo) zu schlagen. Bis zu Beginn der neunziger Jahre vorigen Jahrhunderts wurde noch das Lied „Hört ihr Herren und laßt euch sagen“ gesungen.
Bei Wittsteins, vor der „Farbe“ und vor Jägers Hause tutete der Nachtwächter die Stunden aus und sang anschließend je eine Strophe des weitbekannten Liedes, dessen meistgesungenen Verse lauteten:
Hört ihr Herren und laßt euch sagen:
„Unsre Glock hat zehn geschlagen!“
10 Gebote schärft Gott uns ein,
Gib, daß wir gehorsam sein!
Menschenwachen kann nichts nützen,
Gott muß wachen, Gott muß schützen.
Gott mit deiner Güt und Macht,
Schenk und allen eine gute Nacht!
Um 11 Uhr: 11 Apostel blieben treu,
gebe Gott, daß kein Abfall sei!
Kehrreim: Menschenwachen kann nichts nützen. . . .
Um Mitternacht: 12 Uhr ist die rechte Zeit,
Mensch, gedenk der Ewigkeit!
Um 1 Uhr: Ein Gott ist nur in der Welt,
dem sei alles heimgestellt!
Menschenwachen kann nichts nützen. . . .
Das Lied war in vielen Gegenden Deutschlands bekannt und ist schon im 16. Jahrhundert erwiesen.
F a h r e n d e s V o l k u n d s e l t e n e B e r u f e. Dazumal trieb sich noch allerlei fahrendes Volk in den Landgegenden umher: Zigeuner oder Tater, eine wahre Landplage, Gaukler (Tippchenspeeler), Schirm - und Kesselflicker, Bärenführer, Stromer, dazu Handwerksburschen aller Schattierungen, vom ehrbaren wandernden Gesellen bis zum arbeitsscheuen Tippelbruder, Speckjäger und Klinkenputzer. Da war z. B. der „rote Stromer“ mit branntrotem Haar und gutmütigen blauen Augen, der mit Kind und Kegel, nach einem gewissen Zeitraum, mit großer Regelmäßigkeit auf der Bildfläche erschien und in Schenk Stall „Herber“ (Herberge) nahm. Seine Frau trug den jüngsten, noch nicht tippelfähigen Sprößling im Eichsfelder Tragekorbe. Da war der Stromer David aus Falken, ein harmloser Geselle im schütteren schwarzen Vollbart, hinter dem die Kinder herriefen: „David, Katüffelvid!“ Das Heyeröder Männchen sammelte die Bettelbrocken in einem Tragekorb und war nebenbei ständig auf der Brautschau. der alte Kramer tauchte alle acht Tage in der Gemeindeschenke auf. Er hatte die Gewohnheit, sein gefülltes Halbekännchensglas aus der Brusttasche zu ziehen, es zu schütteln und mit der ausgestreckten Rechten gegen das Licht zu halten mit dem Trinkspruch: „Der alte Gott lebt noch!“ ehe er sich den Inhalt genießerisch in die Kehle goß.
Zu den fahrenden Leuten, die sich von Zeit zu Zeit regelmäßig einstellten. gehörte auch der lahme Klemens aus Kirchworbis. Als fortschrittlicher Mann hatte er, seine Drehorgel auf einen Pferdewagen montiert. Sein Repertoir enthielt Gesangseinlagen, die er aus seiner Jugend als zeitgemäße Schlager im Kopfe haben mochte, die aber um 1900 der jüngeren Generation unbekannt waren. In einem dieser alten Schlager, der wohl sein Entstehen der Schlacht bei Königgrätz verdankte, hieß es: „Tralala, tralala, der Benedek macht kehrt. Tralala, tralala, der Benedek reißt aus.“
In einem Gassenhauer kam die Stelle vor: „Wenn meine Frau mich ärgern tut, dann weiß ich was ich tu. Ich steck sie in den Hafersack und bind ihn oben zu.
Wenn meine Frau mich bitten tut: Ach lieber Mann mach auf!
Dann nehme ich den Besenstiel und haue tüchtig drauf.“
Daneben kamen auch „moderne“ Schlager zu ihrem Recht wie: O Susanna. Zu den Schuljungen pflegte er zu sagen: Wann ich mol wärkumme, bränge ich dee ä änne nuiwe Hosen meet.“ - Das nächste Mal an sein Versprechen erinnert, erwiderte er: „Dee Hosen? Dee han ich alle in der Fülung geloßen. Dee munje a nuiwe Hosen ha.“
Bänkelsänger brachten romantische und schaurige Ritter-, Räuber-, Verbrechergeschichten zu Gehör. Auf einer Bildrolle, die nach Art der Schulwandkarte aufgehängt wurde, waren die Hauptszenen dargestellt. Textheftchen mit den Moridogeschichten wie „Der schwarze Joseph“ oder „Der Mord im Kuhstall“ konnten für einen Groschen das Stück, erworben werden. Nachfolgend einige Kostproben: „Hier, meine Herren, ist zu sehen, wie eine Mordtat ist geschehn im Jahre 1810.“ - „Gebt Acht, ihr Junggesellen und ihr Jungfräulein zart, auf daß ihr nicht zur Hölle aus lauter Liebe fahrt!“ - „Sie hat ihr Kind, sie hat ihr Kind mit einer Gabel umgebrungen.“
Italiener und Balkanesen, schwarze struppige Kerle, führten Tanzbären, Affen und Kamele durch die Dörfer, während schlampige Weiber unter Tamburinlärm die Geldstücke einsammelten.
Vertreter jetzt ausgestorbener oder selten gewordener Berufe gaben sich von Zeit zu Zeit ein Stelldichein. Da kamen der Scherenschleifer, der Rußverkäufer, der seinen raren Artikel (zum Färben des Lederfettes) in langen schmalen Holzkästchen absetzte, die Kräuterfrau mit Kamillen, der Gewürzmann mit Knoblauch und Majoran aus dem Hessischen und aus der Vogtei. Im Frühjahr brachten die Kräuter- und Gewürzhändler Gemüsepflanzen mit, im Frühsommer „spansche“, „Lijcht- und Mulkenkesper“. Aus dem „Hessen“ kam auch der „Tümnkarl“, der Taubenkerl mit seinem Etagenkäfig voll Tauben, den er auf dem Tragekorbe befestigt hatte. Hin und wieder ließen sich die Mausefallenkerle sehen, riesige, verwegen ausschauende Gestalten, die aus Krain und Bosnien stammten.
Als noch keine Züge der raumüberbrückenden Eisenbahn fuhren blühte das Fuhrmannsgewerbe. In langen Stiefeln und sommertags im blauen Kittel, die Pfeife im Munde, den Spitz als Wächter neben sich, so sah man sie mit ihren rosigen Gesichtern, wie sie ihre planbedeckten „Rollwagen“ lenkten. Nach beendigter Tagereise winkte die Gemeindeschenke zu gastlicher Rast (Siehe auch das Kapitel „Die Schenke!“), Stromer und Landstreicher mußten mit dem Strohlager im Stalle vorlieb nehmen, die Tater aber außerhalb des Dorfes bleiben.
Lengenfeld liegt als langgestrecktes Zeilendorf an einer alten Geleitstraße, die aus dem Hessischen ins Mühlhäusische führt. Diese Lage brachte es mit sich, daß alljährlich im Sommer oder im Herbst mehrmals Horden von Zigeunern, im Volksmunde „Tater“ genannt, erschienen. Manchmal rückten sie in Trecks von 10 bis 15 grünen
Wohnwagen an. Rast- und Lagerplatz war für gewöhnlich der Siechrasen an der Hildebrandshäuser Landstraße. Kaum angelangt, ergoß sich eine Flut schmutziger, frescher, diebischer Weiber und Kinder ins Dorf, um zu betteln und zu stehlen, während die Kerle sich im Felde umsahen, was es dort an Getreide, Früchten und Pferdefutter mitzunehmen gab. Zuweilen mußte der Gendarm erscheinen, um die Bande, die ihre Aufenthaltsfrist überschritten hatte, wieder in Marsch zu bringen.
N a m e n s t a g . Frijer worren blöß Namenstage gefiert. Das Geburtstagsfieren es änne Errungenschaft dar letzten Johre. Gude Bekaante un Verwandte üs d´r nachsten Frijndschaft gungen zur Kaffeeziet met äm Blummenstrüch bin das Namenstagskijnd un gratlirten. Dobie saiden se än kläinen Versch uff:
Gratlire dich ä zum Namenstaak,
Daß d´n Taak nach mee erlaabst,
Än Kannchen gaabst,
Met dim Namenspatron im Hämmel schwaabst!
Or (oder) ä: Als ich dise Naacht laak un schlif,
Kam än holder Engel un rif,
Ich sullte uffstie (aufstehn)
Un in Kalanner si (sehn).
Sö han ich dann vernummen,
Daß din Namenstaak es kummen.
Dabei wurde das Geschenk überreicht: eine Tasse, eine Zuckerdose, eine Tafel Schokolade und - wenn es die Jahreszeit gestattete - ein Strauß Blumen. Dann gab es Kaffee und den gerade jahreszeitlich bedingten breiten Kuchen.
D i e K u r r e n d e. Die „Kurrendebrüder“ (Gemeindearme) sammelten sich mit Körben und Schnappsäcken versehen, jeden Sonnabend und zogen fechtend von Haus zu Haus. Dabei beteten sie auf platt und sangen fromme Lieder. Nach erfolgter Runde wurde im Gemeindebacks der Erlös in christlicher Eintracht geteilt 13 .
S o n n t a g s . Am Tage vorher wurde gescheuert, gebacken und gekehrt. Nach dem Hochamte fand auf ein besonderes Zeichen mit der kleinen Glocke hin, dem „Männerleuten“ auf dem Anger eine öffentliche Bekanntgabe amtlicher Mitteilungen statt, die sich im Laufe der Woche als notwendig erwiesen hatte. Es waren Verordnungen der Behörden, die heutigentags der Gemeindediener ausklingelt. Der Schulze Grundmann schloß die Versammlung allemal mit den Worten: „Das wärs!“ 14 .
In der Zeit des Wachsens, im Mai und Juni, ging der Bauer an einem schönen Sonntagnachmittage hin und wieder zu seinen Feldern, Bei sommerlicher Schwüle hielten die Männer - ein paar Schütten Stroh als Lager benutzend - auf dem kühlen Schinneeren, der Dreschtenne, ein Mittagsschläfchen. Bei schönem Wetter im Frühjahr „schossen“ nachmittags die Männer mit Knickern oder aus Lehm gebrannten „Laichern“ an passenden Stellen vor den Häusern. Nach genau feststehenden Regeln: Bix eerte, bix värr dich ... wurde zu zweien , zu dreien oder „vier Gesellen“ geschossen. Anfang der 1880er Jahre kam das Knickern der Männer ab. Die Tradition wurde durch Schuljungen weiter gepflegt. Häufig machten die Gevattern mit ihren Frauen Besuche beieinander. Bei Wurstbrot mit Branntwein, bei Kaffee und Kuchen besprach man landwirtschaftliche Fragen und Familienangelegenheiten, erzählte man sich Jägerlatein, Jugendstreiche, Kriegserlebnisse und Spukgeschichten 15 .
Gern folgten die Besucher der Aufforderung des Gastgebers das Vieh zu besichtigen.
Von ihren Burschen gefolgt, gingen nachmittags die jungen Mädchen auf der Landstraße spazieren, die alten Volkslieder singend 16 .
T r a c h t e n . Die Männer trugen beim sonn- und festtäglichen Gottesdienst den Schoßrock aus blauem später aus schwarzem Tuch. Bei Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen trat dazu als Kopfbedeckung anstelle des aus der Mode gekommenen Dreimasters ein hoher Zylinder, der sich nach 1848 eingeführt hatte.
Bei der Arbeit trugen die Mannsleute einen Kittel aus blauem Zwilch. Im Winter bei strenger Kälte diente eine schwarze Pelzkappe, das „Meeßchen“, nach dem Getreidemaß benannt, als Kopfbedeckung.
Die Kleidung der Frauen bestand aus mehreren übereinander getragenen Röcken, deren oberster etwa 20 bis 21 cm über dem Saume als Verzierung ein rotes Seidenband trug und deshalb Schnurbandrock hieß. Die kurze, miederartige Jacke war von dunkler Farbe. Ein buntseidenes geblümtes Halstuch und eine Art Tändelschürze aus einem listerartigen Stoff, ebenfalls in schönen bunten Blumenmustern, wurden Sonntag nachmittags bei Besuchen und Spaziergängen getragen. Die Zeiten, da noch das Sprichwort Geltung hatte: „Grin un rat (rot) es Burenstaat“ waren längst vorbei.
Zum sonntäglichen Gottesdienste trugen die Frauen kleine, nach oben spitz auslaufende Häubchen mit breiten Bändern aus
schwerer Damastseide, die im Rücken bis halb zu den Hüften herabhingen, Je nach der Bedeutung des Tages oder je nach der Jahreszeit wechselten bunte mit schwarzen Schnurbätzeln, wie diese Hauben hießen. Die wollenen Winterbatzeln schützten Kopf und Hals gegen die Kälte und ließen nur das Gesicht frei.
Besonders schön und stattlich anzusehen war der faltenreiche Frauenmantel mit Überhang und Halskrause, der ausgebreitet, eine vollkommen geschlossene kreisrunde Fläche, ein Rad, ergab und beim Tragen sich zwei- bis dreimal um seine Trägerin wickeln ließ. Der schön gemusterte Stoff war aus Kattun, das Futter aus Rasch oder Beiderwand. Wohlhabende Frauen besaßen 6 - 8 solcher Mäntel. Je nach der Bedeutung des Tages wurde schwarz oder farbig getragen 17 . In verschiedenen Gegenden Thüringens, z. B. bei Mühlhausen und im oberen Werratale (Wasungen) wurden ähnliche Mäntel getragen.
Als Wallbrauns Wase Kathrin, eine stattliche derbe Frau, einmal mit zum „Heiligen Rock“ nach Trier gewallfahrtet war, sah sie sich auf dem Marktplatze auf einmal von einer Volksmenge eingeschlossen, die ihren Eichsfelder Mantel anstaunte, der mitsamt seiner imposanten Trägerin solchen Eindruck erweckt hatte. Niemand lachte, und ein Schutzmann mußte erst eingreifen, um den Verkehr wieder in normale Bahnen zu leiten, wie Wase Kathrin nicht ohne Stolz erzählte.
Die Frauen als Hüterinnen der Tradition hatten dem Ansturm der alles gleichmachenden modischen Stadtkleidung länger zu widerstehen vermocht als die Männer, die in ihrer Soldaten- und Wanderarbeitszeit sich eher an die Stadtmode gewöhnt hatten.
D i e E r n ä h r u n g . Bis um die Zeit von 1850 war morgens zum ersten Frühstück noch kein Kaffee üblich. Statt dessen wurde eine Mehlsuppe genossen. Um 9 Uhr gab es Frühstück mit Kochkäse oder Quark, zuweilen auch Wurst, mittags steife Gemüsesuppe. Das Vesperbrot wurde mit Käse oder Fett (Schmalz) verzehrt. Zum Abendbrot folgten Bratkartoffeln mir saurer Mich oder aufgesottene Kartoffeln mit Tunkwerk.
Obschon das Obereichsfeld und mit ihm das Friedatal keine von der Natur begünstigte Gegend ist, so lassen doch die Methoden der heutigen Landwirtschaft dem Boden ganz andere Erträge abringen als vor 70, 80 Jahren. Mit der Entwicklung rationeller Methoden im Landbau hob sich naturgemäß auch die Lebensweise der Leute, so daß eitel (trocken) Brot mit Kümmelsalz- und Kartoffelplätze mit Kornkaffee vom Küchenzettel der heutigen Generation gestrichen sind. Damals gab es noch wirklich arme Leute.
In mageren Jahren streckte man das Brot mit Wickenmehl oder buk Gerstenbrot Ein treffendes Wort über das Brot in früherer Zeit stammt vom alten Lehrer Vogt in Geismar (aus der Obermühle in Lengenfeld gebürtig, bald nach 1900 gestorben), der sagte: „In Effelder gab es früher nur 2 Leute, die schiere Frucht aßen: der Pfarrer; er aß schieres Korn, und ein Armer namens Matz (Mathias); er aß schiere Wicken.“ Alle anderen aßen Korn und Wicken durcheinander. Das wird allerdings vor mehr als 100 Jahren gewesen sein. Auf Brot aus reinem Wickenmehl traf der Vergleich zu Bröt wie Aabodden (Erdboden).
Sonst waren die Erzeugnisse der bäuerlichen Kochkunst einfach und schmackhaft. Viele Gerichte aus früheren Zeiten sind noch heute gang und gäbe. Auch damals kochten die Hausfrauen Kartoffel-, Brot-, Schnippelbohnen-, Riwwel-, Kohlrabie- und Hülsenfruchtsuppen, Hotsel oder „Beeren“ (Birnen) und Tiebchen, Zwetschen-, Apfel- und Kirschsuppe und wie sie alle heißen, mit Speck geschmelzt. Ab und zu gab es Reisbrei, Milchsuppe, Kartoffelklöße. Wurde Kachelkuchenteich in Wasser gekocht, so entstanden „Heemntiebchen“ (Hefe....); mit süßer Mustunke übergossen, bildeten sie den Höhepunkt aller kindlichen Tafelfreuden. Einem grünen Salat oder einem Gurkensalat auf eichsfelder Art mit saurem Schmant kommt keine andere Zubereitungsart gleich, wie auch der eichsfeldische Kartoffelsalat mit Schmant und ausgelassenem Speck, warm zubereitet, und gegessen, seinesgleichen sucht. Schmant- und Senftunkwerk, beides mit Speck und Zwiebeln, gehören heute noch als wesentliche Bestandteile zur eichsfeldischen Küche. Während auch der „Schürren“ (Kartoffelreibekuchen in Pfannengröße) sich siegreich behauptet hat, spricht man kaum noch von Schminken, Sißekuchen, Fetthänsen und Kartoffelplätzen, welch letztere mit Mus gegesssen wurden 18 . Bratkartoffeln mit saurer Milch, Heringe mit aufgesottenen Kartoffeln (Pellkartoffeln) haben Dauerwert. Anstelle des Morgenskaffees hatte es früher (bis etwa 1850) Mehlsuppe gegeben 19 . Später trank man zum Frühstück Korn-, Gersten- und Zichorienabsud. Nach 1900 setzte sich allmählich der Bohnenkaffee, gemischt mit „Titschen“ (Zichorie) durch.
Als Zubrot sind zu nennen: Rübensaft, kurzweg Saft genannt, saurer Schmant, Schweinefett (Schmalz), Butter, Kochkäse (zum Schmieren) und in der Ernte oder beim Holzmachen auch Wurst.
Die Lebenshaltung war bescheidener, die Ansprüche waren geringer als heute. Fleisch kam, abgesehen, von Schlachtzeiten, höchstens sonntags auf den Tisch. Nach dem Schlachtern gab es für
einige Zeit eingesalzene Knochen zu kochen, im Frühjahr Lämmchenbraten, im Herbst und im Winter Hühner und Gänse. In den Zwischenzeiten setzte sich das sonntägliche Mittagsmahl aus Reissuppe oder Suppe mit selbstgemachten Nudeln und Rindfleisch zusammen. In Ermangelung desselben wurde sie mit Butter geschmelzt oder durch Reisbrei ersetzt.
Kachel-, Eisen- und Steinkuchen wurden gern mit aufs Feld zum Vesperbrot geschickt. Letztere waren aus Gerstenmehl gebacken. Der Name „Steinkuchen“ mag auf vorgeschichtliche Zeit zurückgehen, als man die dünnen Teichfladen auf erhitzten Steinen buk, wie es heutzutage noch bei primitiven Volksstämmen Brauch ist.
Die sozialen Unterschiede zwischen Bauern, Handelsleuten und Handwerkern einerseits und den Häusern, Tagelöhnern und Saisonarbeitern, den Armen damals, waren bedeutend und traten auch äußerlich auffällig in Erscheinung, und zwar in Wohnung, Kleidung und Ernährung. Aufgesottene Kartoffeln oder Kartoffelplätze mit Mus, Brot in „Somneel“ (Rapsöl) getunkt, mit Kümmelsalz bestreut oder mit Senf bestrichen, kamen bei den unteren Bevölkerungsschichten regelmäßig mit auf den Tisch. In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts kriegten die Kinder armer Leute das ganze Jahr kein Wurstbrot mit zur Schule. Nicht einmal „Fetten Donnerstag“ wurde eine Ausnahme gemacht. An diesem Tage gab es Musbrot. Bezeichnend für die sozialen Verhältnisse jener Zeit ist die Redensart: „Manche wischen mee Fatt vum Müle ob wie annr Liete ninn krien.“
T r i n k e n . Beim Bauern wurde nicht nur Brot im eigenen Ofen gebacken, sondern auch ein leichtes süßes Bier, Trinken genannt, selber gebraut. In manchen Dörfern hieß es Kofent. Ausgewachsener getrockneter Weizen wurde gemahlen. Aus dem Mehl buk man Süßkuchen. Die Kleie wurde gekocht und mit dem Sud in eine „Stane“ (Gärbottich) geschüttet. Nach der durch Hefe bewirkten Gärung lief die Flüssigkeit, durch einen Strohwisch vor dem Spundloch gefiltert, ab und war sodann trinkfertig. Zu jeder Mahlzeit stand ein Krug voll Trinken auf dem Tische. Ob die Tradition dieses Getränkes auf den Met der Germanen zurückgeht?
Redensart: Das ganze Hemn (Hefe) un Trinken 20 .
L i c h t m e s s e und Martini waren Kündigungstage für Knechte und Mägde. Wem gekündigt wurde, der erhielt vom Bauern einen Taler Kündigungsgeld.
D a s N i s p e l n. Am Abend des 21. Februar wurde „genispelt“. In der Dunkelheit klopfte man bei Bekannten ans Fenster und streute dem Öffnenden eine Handvoll Streu ins Gesicht.
F a s t n a c h t. Am „fetten Donnerstag“ gab es als Mittagessen sauren Kohl. Abends wurde „geteppert“. Unter vielem Lärm feuerte man „Tippen“ , „Räbster“, Flaschen, Blechgeschirre in den „Hüseeren“ einer bekannten oder einer benachbarten Familie, um dann schleunigst, wie beim Nispeln, unerkannt zu entkommen. Hin und wieder zogen auch Verkleidete umher. - Beim Ball am 2. Fastnachtstage war es üblich, daß die Burschen eine Zeitlang auf dem Anger tanzten, während die Männer im Saale weitermachten. Scheute das junge Volk vor dem schlechten Wetter - das war der Wunsch der Männer - so zogen diese für kurze Zeit der Form halber auf den Anger, wofür die Burschen einen angemessenen Betrag zu entrichten hatten, der dann vertrunken wurde.
Alle Burschen, die im Laufe des verflossenen Jahres geheiratet hatten, wurden beim Fastnachtsball in die Gemeinschaft der Männer aufgenommen oder „gemannert“, wofür ebenfalls Getränke gestiftet werden mußten.
O s t e r b r ä u c h e . Zur Palmweihe am Sonntage vor Ostern verwandte man Weidenruten mit blühenden Kätzchen. Bei schweren Gewittern wurden Stückchen davon ins Herdfeuer geworfen. Geweihte „Palmen“, in Kreuzesform ans Scheunentor genagelt, gaben der Bitte um Gottes Segen über Haus und Hof symbolischen Ausdruck. Auch am Maria Lichtmess und in der Sterbestunde holte man die geweihten „Palmen“ herbei.
Am Gründonnerstage gab es Grünkohl (Wirsing) zum Mittagessen. An diesem Tage ließen Pfarrer und Lehrer die Ostereier einsammeln. Es handelte sich dabei um einen alten Zins, der bis zum Beginn des 2. Weltkrieges erhoben wurde.
Am Karsamstag morgen vor Beginn des Gottesdienstes wurde auf dem Kirchplatze ein Osterfeuer angesteckt und von morschen Grabkreuzen und altem Kirchengerümpel gespeist 21 . Die Kinder nahmen von der Kohle mit nach Hause und machten damit Kreuze an die Stalltüren. Man hoffte, das Gehöft samt Menschen und Vieh in diesem Jahre gegen alles Unheil gefeit zu sehen, namentlich gegen Blitzgefahr. Bei schweren Gewittern legte man ein Stückchen der Kohle ins Herdfeuer.
An weit sichtbaren Stellen der Feldflur brannten am Abend vor Ostern ebenfalls Feuer, zu denen die Schuljungen wochenlang vorher Holz gesammelt hatten. Die Anwesenden sangen religiöse Lieder, zu denen auch: „Großer Gott wir loben dich“ gehörte 22 .
Am 1. Ostertage erhielten die Kinder von Eltern und Taufpaten Ostereier geschenkt, die mit Zwiebelschalen, schwarzem Kaffee
oder grüner Saat gefärbt waren. Die Schulanfänger erhielten von ihren Taufpaten eine Schultafel und einen Anzug, bzw. ein Kleid geschenkt.
Am 2. Ostertage fand in früheren Zeiten alljährlich im Rahmen einer feierlichen Prozession der Flurritt statt. Anschließend wurde den reitenden Teilnehmern auf Kosten der Kirchenkasse ein Trunk gespendet. So heißt es z. B. in der Kirchenrechnung von 1595: „Den Flurreuttern uff den Ostermontag zum Drinken geschenkt. 18 Schneebgr.“
Zur Geschichte des Flurreitens ist zu bemerken: 1666 führte die Äbtissin Klara Zwingmann auf Teistungenburg den alten Brauch wieder ein, der während der Nöte des 30jährigen Krieges unterblieben war. - Die Kirchenordnung von 1669, die das Reiten in den Prozessionen verbot, läßt immerhin auf eine alte, fest eingewurzelte Gewohnheit schließen. 1713 versuchte Bickenriede, und 1717 Dingelstädt und Silberhausen den alten Brauch wieder einzuführen. In der Eingabe der Bickenrieder heißt es: „... daß jedes Jahr uff dem hl. Ostermontag eine Prozession zu Pferd und ungestrafbar erlaubt gewesen. Sie hätten jedesmal mit Betten und Singen ihre Andacht verrichtet und so wohl effektuiert, daß unsere lieben Früchten jedesmal conserviert worden sind.“ Da sie aber seit 20 Jahren verboten, hätten „allerlei Mißwachs als auch schwere Ungewitter“ ihrem Felde großen Schaden zugefügt.
Die Mainzer Kanzlei war schon so volksfremd geworden und in der Aufklärung erstarrt, daß sie das Gesuch überhaupt nicht verstand und die Rückfrage stellte, was es denn mit dieser Pferdeprozession für eine Bewandtnis habe. Die Heiligenstädter Statthalterei empfahl darauf entschiedene Ablehnung; sie ging sogar noch weiter und empfahl die Unterdrückung der Osterfeuer im ganzen Land „wegen der dabey vorgehenden Leichtfertigkeit“*.
Am 3. Ostertage zogen Burschen und Mädchen auf den Diemberg in die Gänsedallen, um sich bei einem Fäßchen Bier mit Tanzen und Singen zu vergnügen. Vielleicht ist dieser Brauch der Ausklang einer alten Frühlingsfeier 23 .
I m M a i . In der Walburgisnacht ritten der Sage nach die Hexen auf Besen durch die Luft, um auf dem Blocksberge (Brocken) ein Fest zu feiern, zu dem der Teufel erschien. Damit in dieser Nacht Menschen, sowie lebende und tote Habe vor Schaden und
* Q u e l l e n . Die Lengenfelder Kirchenrechnungen von 1595. „Flurritte auf dem Eichsfelde“ von Alwin Ortmann. - Unser Eichsfeld 1925, Seite 234/35.
Schabernack bewahrt blieben, drehte man die auf dem Acker verbliebene Egge um, so daß die Zinken nach oben wiesen und malte drei Kreuze an alle Türen in Haus und Hof. - Einer der markantesten Berge, von denen das Friedatal eingerahmt wird, ist das Walperbiel (Wawerbiel). Der Name, als Walburgisbühel gedeutet, könnte daran erinnern, daß auf der großen, regelmäßig geformten Gipfelebene in alten Zeiten ein Frühlingsfest gefeiert wurde, wie heute noch in den Landen am Main die sogenannte „Walberla“ 24 . Zum Maisprung taten sich Bekannte zusammen, um an einem Sonntagmorgen vor Tagesgrauen, spätestens um vier Uhr eine Waldwanderung zu machen und nach Möglichkeit von Bergeshöhe aus den Sonnenaufgang zu erleben.
J o h a n n e s t a g ( Sonnenwende). Besonders in den Höhendörfern (Effelder), aber auch vereinzelt in Lengenfeld u. St. werden Kränze aus Mauerpfeffer, mit bunten Schleifen verziert, an die Hausfront gehängt, um Schutz gegen Krankheit und Unglück zu verleihen.
‘s K r ü t b i n g e l . Uff Mrij Hämmelfahrt broochten de Liete än Bingel vun allerläi Krütwark meet in de Kerchen zum Sainen (Segnen)*. Säit aalen Zieten nimmt de Kärchen an disem Taje de Krütwäie veer. Das Haüptstick war de Känickskerzen, im dee sich Ihren (Ähren) vun den verschiedenen Getreidearten, Zweeln vun Veuelbeeren, Brennessel, Schoofrippchen (Schafgarbe), Gehanneskrüt, Fafferminz (Pfefferminze), Baldrian, Thymian, Wärmten (Wermut), Odermennjen (Odermennig), Aberräis, Distel, hauwer Gül, wille Meeren und Keemel drimmerim gruppirten 25 . Manche taten ä nach än paar Hobblummen (Gartenblumen) derbie. Wann ä in daan äinzelnen Derfern kläine Verschiedenhäiten in daar Sesammenstellung herrschten, sö warren dach dee mäisten vun daan genaanten Flaanzen allerwarts meet derbie genummen. Ees sinn naamlich hälkräftige Krüter, dee gut sinn värr Mäinschen un Vih in gesuinen un kranken Tajen. Wö Wormfarn, wisse Gehannesblummen, Labkrüt, Bifuß und Tausend - Gillenkrüt waßen, geheerten se ä meet dezu, amnfalls willer Salwäi, Teiwelsobbiß un Fatthenne.
Wann ä Stick Vih krank wärd, tit me am was vum Krütbingel meet ins Frassen. Bin äm schweren Gewitter verbrennt me waas dervune Manche Liete loßen sich ä Teekrüt meet saine un brijens ob (abbrühen), wann se krank sinn.
De Krütwie es üraalt. Schunt uff daam Konzil in Liftinä (Hennegau) das im Johre 743 gewaan äs, war de Rede „von dem Strohbündel“, welches das gutgläubige Volk „Sankt Marienbündel“
nennt. in daas Ströh wickelten se (die Leute) zudamo (damals) Hinnerklee or Quendel (Thymian) or Labkrüt in, machten än Lappchen drimmerim un läiten’s ins Bett or trugen ‘s bi sich. Nach hitsetaje werd das Labkrüt „Marien Bettstroh“ or „Jungfern Bettstroh“ genannt.
Änne Fräuwe von sachsunachzig Johren üs Hilwerschüsen ( ¼ Stuine vun Längefalt) naante mee als Krütbingelflaanzen: Hauwer Gül, Dustig (Dosten), Poläi (Thymian), Awerräis, Wermten, Schoofrippchen, Hartläub (Johanneskraut), Liebeskrüt, Brennessel und Ihren (Ähren).
S a a t u n d E r n t e , B r o t. Die ersten Würfe aus dem Säetuche wurden in Kreuzesform getan. Vom ersten Mähen nahm man drei schöne Ähren mit nach Hause und befestigte sie am Kruzifix, einem Heiligenbild oder am Spiegel. Ähnlich verfuhr man mit Zwillingsähren 26 . War das Getreidefeld bis auf die letzte Ecke gemäht, rief man anwesenden Kindern zu: „Paßt auf, da sitzt der Hase drin!“. Auf dem letzten Fuder großer Bauern thronte ein Erntekranz, der am Scheunentore befestigt wurde. Ein gutes Mahl mit Bier und Branntewein lohnte die fleißigen Schnitter und Binderinnen. Wenn die Hausfrau Brot buk, machte sie auf den Teich drei Kreuze. Ehe sie ein Brot aufschnitt, ritzte sie die untere Seite mit drei Kreuzen.
K l e i n e K i r m e s (Maria Geburt). „Am Morgen gett’s in de Kerchen, de Wieber in de Frimasse, daß se’s Mädäusbröt (Mittagsbrot = Mittagessen) gemache kunn. Wann der Imgang verbie es, gett’s fieren lös. Alle Gevatter, Verwandten un Frinne sin schuint do. Bis zum Assen vertriebt me sich sö de Ziet met Räuchen, ungerhelt sich vun Pfaehren, Ossen un Schwienen, schwatzt vun Martpriesen, Kleesomn un wiest sich ä de Howeräet.
Mittlerweile sin die Maarkgleserchen gar, un nu werd getofelt. Wann nu hi un do änner bemerkt: „Na Vatter Hänrich, daas war awwer nit nedig“, kriet ha bestimmt se heren: „Äi, loß dach, dofeer es unse Kermße.“ Me bliebt nu sö än Sticker trei Stuine sitzen, spricht vum Hüshaalt, vun schlaachten Zieten, schilt äwwer de Stieren un schwatzt ä vun Kinnern. Dee awwer, dee sin schuint langst verduftet. Im tre-i gett’s lös un kost en Gaild! ‘s es amn Kermße!“
(„Unse Kermße“ von W. A. F. - „Eichsfeldia“ Nr. 219 vom 13.9.1926.)
K i r m e s. Zwei Burschen mit guten Leumund wurden zu Platzmeistern ernannt, und zwar einer vom Pfarrer, der andere vom Schulzen. Sie wurden der Ehre gewürdigt, bei den Umgängen zu Fronleichnam und Maria Geburt den Baldachin (Thronhimmel) mit zu tragen.
Am Sonnabendabend zogen die Burschen mit Musik durchs Dorf zum Anger. Nachdem auf dem Angerstein die Neulinge unter den Kirmesburschen zur allgemeinen Erheiterung mit viel Seifenschaum und einem hölzernen Rasiermesser symbolisch rasiert waren, begann der Tanz. Am ersten Kirmestage, nach dem feierlichen Hochamte wurden die üblichen Ständchen gebracht, Nachmittags erfolgte mit klingendem Spiel der Aufmarsch zum Anger. Bis zum Abend wurde unter den Linden getanzt, und anschließend im Saale. Die Platzmeister sorgten für Ordnung beim Tanzen. Das Mädchen, das beim Tanzen auf dem Anger einen Korb gab, konnte vom Platze gespielt werden. Tanzte eines ohne Ehre, so wurde in früheren Zeiten mit einem Strohfeuer der Anger ausgebrannt. - Montags, also am 2. Kirmestage, brachten die Mädchen nachmittags Kuchen mit auf den Anger, wo er mit den Burschen gemeinsam verzehrt wurde. - Am Dienstag nachmittag machte der Kirmeshammel, geschmückt mit einem Kranz um den Hals, auf dem Wege von der Schäferei zum Anger erst den Umzug durchs Dorf mit, ehe er geschlachtet wurde. - Vorher, am Dienstagmorgen, waren die Burschen mit den Musikanten durchs Dorf gezogen, um ihren Mädchen aufzuspielen zu lassen. Die also Geehrten und deren Mütter ließen sich nicht lumpen und spendeten, je nach Vermögen reichlich Wurst, Kuchen und auch Geld. - Ein alter Kirmesspruch lautet: „Wanns Kermße äs, wenns Kermße äs, do schlacht min Vater en Bock, do taanzt min Mutter, do taanzt min Mutter in eerem röten Rock“ 28 .
D e r A n g e r. „blüht sie noch auf deinem Anger, Aldinghaus, die alte Linde,
die dem Knaben Sang und Sage zugerauscht im Abendwinde.“
Fr. W. Weber.
Um den Anger als Mittelpunkt bildete sich die erste Siedlung. Hier am Steintisch im gehegten Kreise unter einer Linde sprach der Vogt im Namen des Landesherrn Recht. Hier gab sonntags nach dem Gottesdienst der Schultheiß den Männern der Gemeinde die Anordnungen der Obrigkeit bekannt. Hier erzählte an lauen Sommerabenden der Ahn von guten und bösen Zeiten, von Pest, Hungers - und Kriegsnöten. Und wenn am Kirchweihtage Fiedelmann und Flötenbläser der Jugend zum Tanz aufspielten, erscholl
der Jubel durchs ganze Dorf. Kirche, Schule, Schenke und Backs befanden sich in der Nähe. den Abstand von der Angerfläche zum Kirchbergwege bildete eine Mauer aus Feldsteinen, die etwa 3 m maß; das Plateau des Angers war oval, die Durchmesser der beiden Linden betrugen ¾ und 1, ½ m 29 .
Durch Beschluß des Gemeinderates vom 5. Januar 1901 wurde dem Anger das Todesurteil gesprochen. An seine Stelle sollte ein Tanzsaal gebaut werden. Dem Beschluß folgte alsbald die Tat. Vielleicht wurde im Mittelalter, als Geleitschutz, Zollstock und Marktrecht mit der Burg Stein verknüpft waren, auch Markt auf dem Anger abgehalten, da die Stadt zum Stein oben am Berge für die reisenden Kaufleute sehr unbequem lag und der Weg hinter dem Anger, der heutige Kirchbergsweg noch im 30 jährigen Kriege den Namen „Krämergasse“ führte 30 .
D i e S p i n n s t u b e n. Nach der Kartoffelernte und der Herbstbestellung begann die Zeit der Spinnstuben, die in den Häusern unter sich bekannter und befreundeter Frauen und Mädchen reihum gehalten wurden. jede Spinnerin brachte ihr Rad von zu Hause mit. Nach einiger Zeit fleißigen Spinnens, während der auch die Mäuchen nicht stille standen und namentlich Heiraten und Spukgeschichten den Hauptgesprächsstoff bildeten, stellten sich die Männer und Burschen ein. Wenn es eben möglich war - und es wurde meistens möglich gemacht, weil das eben nach altem Brauch so sein mußte - hatten sie schon einen kleinen Schabernack verübt, indem sie in unbewachten Augenblicken einen Teller mit Kuchen, einen Napf mit Kräppeln oder die Zuckerdose aus der Küche stibitzt hatten. Wahrscheinlich hatten ihnen auch die jungen Helferinnen der Hausfrau etwas vorgearbeitet, so daß nur noch ein Griff durch das Küchenfenster nötig war, um dem alten Herkommen Genüge zu tun. Nun ging die übrige Zeit unter allerlei Kurzweil, wie Rätselraten, Pfänderspielen, Spiegeltanz und Singen nur allzu schnell dahin. „Wir sitzen so fröhlich beisammen . . ., Napoleon du Schustergeselle . . ., Bei Waterlo stand eine Eiche, die Lieder vom kleinen Mann und der großen Frau, vom diebschen Ziegenbock“ . . . hallten durch die Nacht, bis die vorgerückte Stunde dem fröhlichen Treiben ein Ende setzte 31 .
W a n e r w a r k. „Zu den Quellen ländlichen Volkstums und örtlicher Historie führten die Wanergeschichten, die ein sagenfrohes, gemütstiefes Geschlecht in traulichen Herdstunden weitergab, in unsern Tagen aber als unersetzliches Volksgut mit ins Grab nimmt.“
(A. Höppner)
Bei der „schwarzen Bricken“ unweit des Klosters Zella kann es dem mitternächtlichen Wanderer geschehen, daß er gebannt wird, d. h. daß er eine Zeitlang keinen Fuß mehr vor den andern setzen kann. daß es dortselbst nicht geheuer ist, mußte ein Lehrling der Keudelsgässer Ziegelhütte erfahren, als er an einem Sonnabend in der Dämmerung in sein Heimatdorf Struth wollte. Nach einiger Zeit kam er wieder zurück mit dem Bemerken: „Bie der Bricken im Zallschen Gruine stet än Farr (Pfarrer), da let mich nit verbie.“
Der Zehnackersmann in seiner Kümmelsalzjacke schreitet über die Felder, oder er sitzt zu Pferde und reitet querfeldein. Anstelle des Kopfes trägt er ein Wagenrad, manchmal aber hält er seinen Kopf unter dem Arm. So sah ihn mein Onkel einmal am „Kläwawerbiel“. Eine andere Fassung ist die vom Siebenackersmann, der zu Lebzeiten Furchen von den Nachbarsäckern abpflügt und nun zur Strafe in der Nähe der „Siebenäcker“ (unweit der „Diewelsnasen“) umgehen muß, indem er als Reiter ohne Kopf die Felder überquert. Ein Ehepaar, das einmal in der Dämmerung den Bahnpfad entlang kam, konnte sich in das Bahnwärterhäuschen flüchten und die Tür verriegeln, als es plötzlich den Reiter ohne Kopf auf sich zutraben sah. Wenige Augenblicke später war der Unhold zur Stelle und peitschte immer wieder mit seiner Reitgerte gegen die Tür des Wärterhäuschens, in dem sich der Mann und die Frau fast zu Tode ängstigsten. Erst beim Morgengrauen, als man vom Hülfensberge das Metteläuten hörte, verschwand der Spuk. - In der Diedorfer Flur spukt in ähnlicher Gestalt der Achtzehnackersmann. Unweit der Wüstung Wolkramshausen bei Dingelstedt wird um Mitternacht ein Reiter ohne Kopf gesehen. Im Dinkelröder Felde bei Hesserode, Grafschaft Honstein, soll nachts zwischen zwölfe und eins ebenfalls ein Reiter ohne Kopf umhertraben. Es scheint, daß er eine beliebte Sagengestalt in der Gegend ist. Höppner läßt den Zehnackersmann im Nußgrunde bei Faulungen umgehen.
Um die mitternächtliche Stunde kommt zuweilen der Enzenreiter, eine schwarze Gestalt, auf einem Rappen den Entenberg herab, um bei der Lutterbrücke zu reiten. Entweder gleitet er gespensterhaft ohne Laut, wie ein Schemen vorüber, oder er kommt mit Getöse wie die wilde Jagd dahergebraust. (Höppner).
D’r aale Millerklais hatte eine Fuhre Holz in der „Habezucht“ geholt. Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, und man befand sich noch in der Gegend „hingerm Gericht“. Als die Männer ein Licht wie eine Leuchte auf sich zukommen sahen, meinte Millerklais: „Kimmt dann eeren min Trüdchen un wall mich oblange?“ Es war aber ein Irrwisch, der um den Wagen herumhüpfte, für
Augenblicke verschwand, um wieder seinen Schabernack zu treiben, so daß Millerklais unwillig rief: „Es ann daas Taamelding nach do?“ Plötzlich war - für den Bruchteil einer Sekunde - alles in eine Feuerkugel eingehüllt, und der Spuk war verschwunden.
Zwei Burschen wollten Weiden aus dem Klosterholze unweit der „schwarzen Bricken“ holen. Einer war unten geblieben und suchte am Wasser, während der andere von oben mit einem Bündel auf dem Rücken daher kam, das ihm immer schwerer wurde, so daß er in Schweiß gebadet war. da sah sein Genosse, den alten Förster Gaßmann, der schon lange tot war, auf der Last hocken und nahm reißaus.
In einer uralten Buche im Holze am Wege nach Effelder wohnte der Schlampanjesmann, ein Hockekobold, der sich nachts von Vorübergehenden „Huckepäischen“ tragen ließ und sie durch seine übermächtige Schwere in die Knie zwang. Unmittelbar neben der Schlampanjensbuche in einer großen Dornhecke hauste die „Spinnmützen“, die in der Dämmerstunde summend den Faden spann. - Auf der „Stenner Bricken“ sperrt in der Geisterstunde der Wasseresel dem späten Zecher den Weg und zwingt ihn, den Heimweg durchs Wasser zu nehmen, indem er ins Riesenhafte wächst 32 . Hin und wieder wurde eine weiße Frau gesehen, die wandern mußte weil sie unter der Erde keine Ruhe fand.
Tief im Holze auf dem Kälberberge liegt die „Wanertallen“. Wer sich in ihre Einsamkeit verliert, dem kann es geschehen, daß er die Richtung und den ganzen Tag im Kreise herumirrt. Eine Frau, die beim Holzsammeln einmal in die „Wanertallen“ geraten war, hatte, als sie glücklich wieder zu Hause angekommen war, Knochen statt Leseholz im Korbe.
Am 2. Januar, dem Waldmännchenstag, spannte - noch um 1900 - kein Bauer an, aus Furcht, an Achsen, Deichsel und Rad, an Leib und Leben von Menschen und Tier, Schaden zu erleiden. Einem Mann, der an diesem Tage Mist auflud, brach der Stiel an zwei gabeln entzwei. Als er dennoch seinen Willen durchsetzten wollte und hinausfuhr, brach auch die Wagendeichsel durch.
D a s Vo l k s l i e d. Nach dem Grundsatz: Alles zu seiner Zeit! hatte jede Gelegenheit ihre passenden Lieder. Wenn an den Sonntagnachmittagen der schönen Jahreszeit die Mädchen auf den Landstraßen lustwandelten und die Burschen in einigem Abstand folgten, wurden sentimentale Lieder bevorzugt, z. B. das Lied von dem unglücklichen Liebhaber, der vor den Augen seines treulosen Liebchens ins tiefe Wasser springt, das Lied von den drei Soldaten, die zu Straßburg auf der Schanz erschossen werden, von dem Jüngling,
der an der Grenze von den Jägern gefangen wurde, von dem Schäfer, der sich durch die Ranken zur Schäferin schlich, von dem Liebespaar im Mondenscheine, von dem Wanderer, der müde aus der Fremde zurückkehrt, ein Lied von Mutter und Tochter, in dem es heißt: „Ach Mutter, herzliebste Mutter, mir tut ja mein Kopf so weh; - wir wollen eine kleine kurze Weile spaziere auf grüner Waldheide, dann wird es bald wieder gut“ usw. Je nach der Stimmung folgten lustige und heitere Lieder: das Lied vom stürmischen Liebhaber „Ich ging mal bei der Nacht“; von den Junggesellen, die man in Kanonen ladet und über den Rhein schießt, die Tirolerlieder u.a. Ebenso hatten Spinnstuben, Strickabende und Hochzeiten ihre ernsten und heiteren Lieder. Zog die Hochzeitsgesellschaft aus der Schenke ins Brauthaus zurück, erklang das Lied: „Jetzt marschieren wir nach Haus. Kamen die Rekruten von der Ziehung, sangen sie: „O du Deutschland, ich muß marschieren....“
Alte und Junge verfügten über einen bedeutenden Schatz von gediegenen Volksliedern, während die heutige Jugend sich was darauf zugute tut, möglichst viel Texte von Allerweltsschlagern zu beherrschen und nicht einmal mehr Lieder wie: „Sah ein Knab ein Röslein stehn, Es war einmal eine Müllerin, Schatz ach Schatz, reise nicht so weit von hier“, mehr kennt. Man wirft Gold auf den Mist und behängt sich mit Lametta.
S c h l a c h t e n . Als in einem eichsfeldischen Dorfe einmal der Schulmeister nach den höchsten Festtagen des Jahres gefragt hat, ist ein Junge aufgestanden und hat gesagt: „Ostern, Pfingsten und Weihnachten und der Tag, an dem wir schlachten.“ Dieses Wort läßt die Bedeutung des Schlachtens in damaliger Zeit ahnen. Bei den weit geringeren Ernteerträgen im Vergleich zu heute und dem daraus herrührenden Mangel an Futtermitteln war von einer eigentlichen Mast der Schweine keine Rede, so daß Schlachtschweine von 150 Pfund Lebendgewicht eine Höchstleistung darstellten und die Speckseiten entsprechend dünn waren. Mit dem Ertrag eines Schlachtfestes als überragendem und gehaltreichstem Anteil am Zubrot für den Jahresbedarf einer großen Familie, konnten daher keine großen Sprünge gemacht werden. Um 1870 wurden im ganzen Dorfe jährlich nur etwa 80 Schweine geschlachtet. Die Lebenshaltung war weit bescheidener als in unserer Zeit. Als Heppensems einmal ein Schwein von 2 Zentnern geschlachtet hatten, bildete dieser beispiellose Fall das Tagesgespräch.
Namen und Herstellungsart der heimischen Wurstarten haben sich bis auf den heutigen Tag behauptet: Feldgieker, oder Kälberblasen, Mitteldarmen und Fetthäute, Schweins- und Zitteldärme, Gar-
würste und Hirnwürste und wie sie sonst noch heißen mögen, haben schon manches Herz entzückt und manchen Gaumen gelabt. In den Schaufenstern der feinen Delikatessengeschäfte unserer Großstädte ist unter den Spitzenerzeugnissen der deutschen Fleischwarenerzeugung der eichsfelder Feldgieker zu sehen.
Gleich nach dem Schlachten wird - zum Unterschied von anderen Gegenden - das Schwein warm verwurstet. Majoran und Branntwein, in dem Knoblauch ausgelaugt wurde, dem Gehackten als Würze beigemischt, erzeugen den delikaten Geschmack, der an der eichsfelder Wurst so sehr geschätzt wird. Den Nabel des geschlachteten Schweines hängt man an die Außenwand des Stalles 33 .
Eine lange, mühselige Arbeit war das Zerkleinern des Fleisches zum Met für die Würste, das nicht durch den Fleischwolf gedreht, sondern von mehreren Personen mit kreuzweise konstruierten Stoßhackemessern auf einem großen Hackklotz von etwa 85 cm Durchmesser besorgt wurde. Für diese Arbeit und zum Wurstbinden wurden die nächsten Verwandten zu Hilfe geholt. Zum Frühstück gab es Kesselfleisch, Kochkäse, Branntwein und den letzten alten , vorjährigen Feldgieker zum Maßnehmen für die neuen, wie es scherzhafter Weise hieß. Gegen Abend stellten sich arme Leute oder deren Kinder ein, um Wurstsuppe zu holen. Das war die fette Brühe (Fiestbrij), in der die Garwürste gekocht worden waren. Je nach der Beziehungen zu der heischenden Familie fiel der Fettgehalt der „Werschtebrij“ mehr oder weniger zufriedenstellend aus. Kleineren Jungen, die Anspruch darauf hatten, maß der Metzger eine kleine Wurst an, indem er ein paar Finger in die Mulde mit Blut tauchte und ihnen damit über die Backen fuhr. Er selber bekam nach getaner Arbeit ein kleines Deputat in Form einer Wurst.
Abends fand ein der Bedeutung des Tages angemessenes Mahl statt, an dem die Geschwister mit ihren Ehehälften, die meist schon beim Schlachten geholfen hatten, teilnahmen. Fette Wurstesuppe, gebratene Gehacktesklöße, fettriefender Schlachtekohl mit Fleisch in Hülle und Fülle bildeten die Gänge. Dazu kamen noch Kaffee, Kuchen und Branntwein, die überhaupt bei keiner Feier fehlen durften 34 .
A d v e n t , N i k o l a u s , C h r i s t t a g e . Zu Beginn der Adventszeit ging der Pfarrer im Ornat mit einem Meßdiener, der den Weihwasserkessel trug, durchs Dorf und „sprengelte“ beim Segnen der Wohnungen Weihwasser durch die Häuser. Dafür bekam er das Sprengelbrot oder Pfarrkorn. Wie allerorts in deutschen Landen besuchte am Abend des 5. Dezember St. Nikolaus in der
üblichen Verkleidung die Kinder, um ihnen Äpfel, Nüsse, Plätzchen, Weckemänner und manchmal auch eine Rute mit dabei zu bringen.
Am Christsonnabend vor dem Schlafengehen stellten die Kinder ihren Teller unter den Christbaum, um langersehnte schöne Spielsachen vom Christkind beschert zu bekommen. Vielfach bewirkte jedoch der nüchterne Sinn der Eltern, daß an Stelle der teuren, leichtzerbrechlichen Spielsachen aud der Stadt derbe, nützliche Sachen für den täglichen Gebrauch wie Schuhe, Handschuhe, Mützen, Tafeln, Griffelkästen und -büchsen u.ä. auf den Tellern lagen, verschönt und umrahmt von Äpfeln, Nüssen, Zuckersteinen, Weckemännern, Bretzelchen, Weckehasen.
Gingen die Leute aus der Christmette nach Hause, so strahlten im ganzen Dorfe hinter den Fenstern die Tannenbäumchen im Glanze der Lichter und Silberkugeln. In früherer Zeit war der Baum anstelle von gekauftem Schmuck mit Äpfeln, Plätzchen und vergoldeten Nüssen behangen.
Zwischen Christtage und Neujahr durfte nach altem Herkommen nichts Hartes (Hülsenfrüchte) gekocht werden, sonst bekam man Geschwüre.
N e u j a h r . Am Silvestertage zogen die Kinder in kleinen Gruppen von Haus zu Haus, um nach dem Singen der ersten Strophe des Kirchenliedes „Gelobt sei Jesus Christus“ (in der alten Fassung) eine kleine Gabe, für gewöhnlich einen Schiefergriffel, zu erhalten. Ließ die Gabe über Gebühr auf sich warten, erklang es: „Ich bin ein kleiner König, gebt mir nicht zu wenig; laßt mich nicht so lange stehn, denn ich muß noch weiter gehn.“ Bei den Verwandten, den Vettern (Onkeln) und Wasen (Tanten) gab es etwas Besseres: einen Apfel, eine Kräppel, ein Stück Kuchen, einen Groschen 35 .
Aus einigen Nachbardörfern stellten sich regelmäßig ein paar erwachsene Bettelleute als Neujahrssänger ein, um nach dem Absingen eines Kirchenliedes wie „O ihr Himmel schauet an ...“ oder „Sankt Barbara, du edle Braut....“ ihren Tribut in Form eines Stückes Speck, Wurst, Kuchen, Äpfel u.ä. zu empfangen.
In der Nacht ballerte es an allen Ecken und Enden, wenn die Burschen das neue Jahr einschossen. Durch Verordnung vom 4.1.1773 verbot die Regierung zu Heiligenstadt des Neujahrsschießen bei Androhung der Strafe der Schanzarbeit.
Auch die preußische Regierung erließ strenge Verbote. Im Jahre 1825 war eine Dorfwache von 40 - 60 Mann eifrig darauf bedacht, unbotmäßige Schützen ausfindig zu machen, um sie der Bestrafung zuzuführen (Tagebuch v. Joseph Hahn). Kein polzeiliches Verbot
jedoch vermochte diesen Brauch auszurotten, der erst seit der Besatzungszeit (1945) ruht.
In der Mitternachtsstunde der Neujahrsnacht goß das junge Volk Blei und schüttete einen alten Eßlöffel voll in ein Gefäß mit kaltem Wasser. Aus dem bizarren Formen suchte man --nicht ohne die nötige Phantasie - durch verwegene Deutungen, zukünftiges Geschehen im kommenden Jahre für sich herauszulesen, wobei natürlich der Wunsch der Vater des Gedankens war 36 .
H o c h z e i t . Sie fand gewöhnlich montags und dienstags statt, nur in Ausnahmefällen aber, Ende der Woche. Das Poltern am Vorabend erfolgte in ähnlicher Weise wie das „Teppern“ am „fetten Donnerstag“. Eine zünftige Hochzeit mußte drei Tage dauern und wurde nach dem Grundsatze aufgezogen: „Mee han’s , mee kunn’s!“ Die Hochzeiter und deren Eltern ließen sich nicht lumpen. Was Küche und Keller hergaben, wurde aufgetafelt, um die Gäste in jeder Weise zufrieden zu stellen. An Getränken durfte für die weiblichen Hochzeitgäste der „süße Branntwein“ (Likör) nicht fehlen. Die eichsfeldische Gastfreundschaft feierte Triumpfe. Abends gingen schabernacktreibende Burschen darauf aus, Kuchen von dem Überfluß zu mausen, um ihn gemeinsam zu verzehren. Pfarrer, Küster und Trauzeugen erhielten vom Brautpaare je ein Taschentuch oder ein Seidentuch als Geschenk.
Auf dem Wege von der Kirche zum Brauthause wurde Salut geschossen. Anschließend holte das neuvermählte Paar die Eltern des Hochzeiters die, wie es die Sitte vorschrieb, nach dem Brautamt wieder nach Hause gegangen waren,ab. Nachmittags begaben sich Burschen und Mädchen aus dem Kreise der Gäste zu ihren Verwandten und Bekannten, um ihnen mit Branntwein und Likör zuzutrinken, wozu auch Stückchen Kuchen gereicht wurden. Über die vorgesehene Reihe hinaus wurde auch wohl dieser oder jener Bekannte bedacht, der den fröhlichen Paaren unterwegs gerade in die Arme lief.
Am 2. Tage bewegte sich der Hochzeitszug unter Harmonikaspiel und Gesang durchs Dorf, um mehrere Wirtschaften zu besuchen. Dabei kamen die alten Volkslieder zu Ehren: Jetzund nehm ich meine Büchse, Köln am Rhein du schönes Städtchen, Als ich wohl an die Grenze kam, Schatz, ach Schatz, reise nicht so weit von hier, und wie sie alle heißen 37 .
Zurück ins Brauthaus ging es unter den Klängen des Liedes: „Jetzt marschieren wir nach Haus ...“ Bei dem Umzuge vergaß man nicht, ausgiebig zu schuchen.
Am Abend des 2. Tages suchten die Frauen der Braut mit List und sanfter Gewalt den Kranz zu entwinden, während diese von den Mädchen beschützt und verteidigt wurde. Aber wie das nun einmal im Lauf der Dinge lag und die Sitte es erheischte, blieben die Frauen Sieger. Für den erbeuteten Kranz setzten sie der jungen Frau unter dem Singen des Liedes: „Maria zu lieben....“ einen alten Hut auf. Der Bräutigam hingegen hatte die Pflicht, den Brautkranz zu ersteigern, worauf er eine Zipfelmütze auf das edle Haupt gedrückt kriegte.
Am 3. Tage wurde die Feier in das Elternhaus des Bräutigams verlegt, wo sich die Unentwegten zum Verzehren der Reste nochmals zum fröhlichen Ausklang zusammenfanden. Zuguterletzt legte der Hausvater 4 Brote auf die Ecken der Tafel und teilte sie unter die Anwesenden aus. Solange ein Stück von dem Brote aufbewahrt wurde sollte es vor Krankheit und frühem Tod bewahren 38 . Im 17. Jahrhundert wurde das sogenannte „Perlenband“ von der Braut zu ihrem Hochzeitstage gegen eine Geldspende von der Kirche entliehen.
Kirch.-Rech. 1662/64: 3 gr, 6 Pfg.(hat) Beate Riese der Kirchen geben, daß die das berlenbant auf ihrer Hochzeit geborget.
Kirch.-Rech. 1665: 1 gr. eine Braut zu Hildebrandshausen vom Perlenbande verehrt.
G e b u r t . Die junge Mutter erhielt in ihrer Wöchnerinnenzeit (6Wochen) den Besuch ihrer Nachbarinnen, Verwandten und guten Bekannten, die als Gabe gewöhnlich eine nahrhafte Suppe, meist Taube mit selbstgemachten Nudeln mitbrachten.
T o d u n d B e g r ä b n i s . Von abergläubischen Vorzeichen und Anzeichen, die sich auf den Tod beziehen, seien folgende erwähnt: Zwischen Weihnachten und Neujahr darf man nicht waschen, sonst wäscht man sein Totenhemd.
Von den Bewohnern eines Hauses, vor dem nachts das „Wißchen“(Käuzchen ) schreit, muß noch in demselben Jahre einer sterben. Wenn im Krankenzimmer von allein eine Scheibe springt, muß der Kranke sterben. Wenn man von weißer Wäsche träumt, gibts Trauer. Von 13. Gästen, muß bald einer sterben. Wenn die Rüben weiße Blätter haben, gibts Trauer. Wenn man von trübem Wasser träumt, gibts Trauer. Wenn bei der hl. Wandlung die Turmuhr voll schlägt, mußt bald jemand aus der Gemeinde sterben. Lassen sich im Traume schwarze Kreuze im Bettuch sehen, so stirbt bald jemand aus der Familie. Das Heulen des Hofhundes zeigt beim Schwerkranken den nahenden Tod an. Wenn die Uhr stille steht, ein
Bild von der Wand fällt oder es dreimal an die Tür klopft, ohne daß jemand draußen steht, dann wird der Tod eines nahen Verwandten oder eines guten Bekannten in der Welt (Fremde) angezeigt.39
Als „d’r aale Wäiterhans“ in H. starb - so wurde erzählt - da „schwickte (schwicken heißt rasch fliegen, etwa wie die Schwalben) än schwarzer Veuel (Vogel) derch de Stromn (Stube).“ Hier handelt es sich wohl um den Totenvogel.
Im Zimmer, in dem der Tote lag, wurden die Fenster aufgemacht.
Einem Verstorbenen wurde -- und wird auch heute noch -- in drei Schauern (drei Zeiten mit dazwischen liegenden kurzen Pausen) hingeläutet. Den Hinterbliebenen drückte man sein Beileid aus mit den Worten: „‘s tit mee Läid, daß De betribt siht,“ , worauf die Leittragenden antworteten: „‘s Gottes Wille gewaan.“
Das Totenlager wird auch heute noch „Streuwe“ genannt, weil die Leiche bis zum Einsargen auf Stroh lag 40 .
Beim Sterbeamt während der Opferung geht ein Familienmitglied um den Altar und legt eine Geldspende auf einen bereitstehenden Teller.
Bei Begräbnissen trugen die Frauen zu dem schwarzen Kleide ein weißes Tuch. Dieses sogenannte Trauerlaken war ziemlich groß, wurde dreieckig gefaltet und, bei unbedecktem Kopfe, wie ein Schal um die Schultern getragen. Dieser Brauch kam Anfang der 70er Jahre ab, während er sich im Nachbardorfe Effelder etwa 10 Jahre länger hielt 41 .
Das Auswerfen der Gruft und das sogenannte „Hintragen“ des Sarges mit der Leiche vom Sterbehause zum Kirchhof (Friedhof) war Ehrenpflicht der Nachbarn. Einen Leichenwagen gab es nicht, so daß das Tragen bei eichenen Särgen, schweren Leichen und weiten Wegen hohe körperliche Anforderungen an die Träger stellte; deshalb war Ablösung vorgesehen. Träger, sowie Pfarrer und Lehrer bekamen von den Hinterbliebenen einen Rosmarienzweig und - bei Kindern ein weißes, - bei Erwachsenen ein schwarzes Taschentuch geschenkt. - Auf dem Wege zum Friedhof singt der Zug das alte Lied: „Herr Jesus Christ, wahr Mensch und Gott . . .“
Hinter den Angehöringen folgt im Trauergeleite das „Wärmtenkriz“ (Wermutkreuz), ein leichtes, etwa 1 m hohes Holzkreuz, dessen 4 Arme mit Wermutbüscheln umwickelt und mit je einer schwarzen Schleife versehen sind. In der Mitte, wo sich die Arme schneiden, ist ein Heiligenbild befestigt. es liegt nahe, darin ein Sinnbild des bitteren Todes zu sehen.
Die ungestrichenen Särge armer Leute wurden mit einem schwarzsamtenen Tuch mit gelbem Kreuz bedeckt. Diese Tuch wurde um 1890 herum mit der Totenbahre zusammen, in Schul Scheune aufbewahrt.
A l l e r l e i A b e r g l a u b e. Wer von Eiern träumt, der findet bald Geld, desgl. wem es in der hohlen Hand juckt. Wenn der Kukuck ruft und man gerade Geld in der Tasche hat, so hat man das ganze Jahr hindurch Geld. Wo der Regenbogen die Erde zu berühren scheint, da liegt ein Sack voll Geld begraben. Ein gefundenes Hufeisen, totgeschossene Raben (Krähen), Weihen, Eulen, am Scheunentor angenagelt, bedeuten Glück 42 . Helle Nächte im Traum bedeuten Glück. Schwalben, die unter dem Dache nisten, bringen Glück. Scherben, ein vierblättriges Kleeblatt, bedeuten Glück. Wer über Feld (Land) geht und einer alten Frau begegnet, bekommt Unglück. - Der alte Schenk Karl machte kehrt, wenn er Vieh kaufen wollte und ihm auf der Landstraße eine alte Frau begegnete. Wem eine Katze über den Weg läuft, wer von zerbrochenen Eiern träumt, bekommt Unglück. Wer von Eiern träumt, bekommt Streit (auch im Solling). Wenn eine noch nicht ganz leer getrunkene Tasse wieder aufgefüllt wird, gibt es noch am selben Tage Streit. Wenn man den Schlucken (Schlick) hat, denkt jemand an uns. Wenn man Ohrensausen hat, spricht jemand über uns. Wenns in der Nase juckt, in der Hand krabbelt (gribbelt), dann wird man was gewahr. Wenn ein alter Besen verbrennt, gibts Besuch. Wenn die Katze sich putzt, gibts noch am selben Tage Besuch. Wenn ein Strohhalm auf der Treppe oder am Hauseeren liegt, kommt Besuch. Spinne am Morgen bringt Kummer und Sorgen; Spinne am Nachmittag bringt Freude auf den dritten Tag. Wenn man Mus ißt, dann gibts schiefe Absätze. Wenn die Tür fest zugeschlagen wird, dann leiden die armen Seelen. Liegt das Messer mit der Schneide nach oben, so tut das den armen Seelen weh. Irrwische sind arme Seelen, die keine Ruhe finden können. Wenn der Wind im Schornstein heult, klagt eine arme Seele. - Das gleiche Beispiel findet sich bei Düninger: Volkswelt und geschichtliche Welt.
Wenn man einen ausgeblühten Pappelstock (Löwenzahn -- Taraxacum officinale) anpustet und die übrig gebliebenen Samen - Fallschirmchen zählt, weiß man, wieviele Jahre man noch zu leben hat.
Ein ungewöhnlich kleines Ei gilt als Unglücksei und darf nicht gegessen werden.
Einer Glucke darf man niemals 13 Eier unterlegen, im übrigen aber eine ungerade Zahl (nach anderer Fassung gerade 13 Eier).
H e x e n. Nach dem Glauben vieler Leute gab es frauen, die dem Vieh die Milch weg oder eine Krankheit anhexen konnten. Auch Menschen konnten bezaubert werden. Da lebte im Nachbardorf eine alte Frau mit rabenschwarzem Haar und gelber Gesichtsfarbe, genannt das schwarze Katterliese, von der allerlei wunderliche Begebenheiten erzählt werden. Kam einmal eine Frau in den Kramladen in dem Katterliese auch gerade weilte. Als die Frau nach Hause kam, spürte sie Läuse auf dem Kopfe. Sie fing drei davon, wickelte sie in ein Papier und legte es auf die Straße. Katterliese kam die Straße herunter, sah das Papier liegen und kehrte um. Derselbe Vorgang wiederholte sich. Als Katterliese zum drittenmale kam, blieb es stehen und sagte: „Do sall dach glich d’r Te-iwel ninschloo (hineinschlagen)!“
Und im gleichen Augenblick waren das Papier auf der Straße und die Läuse auf dem Kopfe der Frau verschwunden. Katterliese hatte einer Wöchnerin Zwieback gebracht. Diese hieß die Gabe ins Feuer werfen. es wird berichtet, daß Katterliese in diesem Augenblick wie wild in ihrer Stube umhergetanzt sei.
H e i l k u n d e. Geburten - und Sterblichkeitsziffer waren beide beträchtlich höher als heute. Wer nicht dem Nervenfieber, der Halsbräunte, der Schwindsucht erlag, war taktfest, als natürliche Auslese eckergesund und in seinem Leben nicht den vielen Krankheiten unterworfen wie das heutige Geschlecht. Da auch die ärztliche Wissenschaft noch nicht den heutigen Stand erreicht hatte und von der ärmeren Bevölkerung die Unkosten gescheut wurden, war man im Ernstfalle weitgehend auf Selbsthilfe angewiesen. Diese war jedoch nicht immer einwandfrei. Von Bazillen und Bakterien wußte man noch nichts, sonst hätte man keine Spinnweben auf Schnittwunden gelegt, um eine Blutung zu stillen und die Heilung zu beschleunigen 43 . Schafläuse ohne Wissen des Kranken in sein Essen gemischt, sollte die Gelbsucht heilen. Blutete das rechte Nasenbein, dann umwickelte man den rechten kleinen Finger und umgekehrt. Warzen sollten verschwinden, indem der Betroffenen eine schwarze Schnecke auf eine Dornhecke steckte und dabei die Worte sagen mußte: „Söwie de Schnacken vertrockt, sunn ä minne Worzen vertrockne.“
Verschiedene alte Leute verstanden sich auf das Besprechen von Krankheiten und Wunden bei Menschen und Vieh. Die Kenntnis und Anwendung der Formeln mußte, um wirksam zu
bleiben, allemal auf ungleiches Geschlecht, also von einer Frau auf einen Mann und umgekehrt vererbt werden.
In der Verwendung von Heil - und Teekräutern, die ohne aus Büchern geschöpft zu sein, sich bis auf unsere Tage erhalten hat, herrschten gute Kenntnisse 44 . Man wandte z. b. an: Kamillen bei inneren und äußeren Beschwerden verschiedener Art, Pfefferminze bei Magenverstimmungen und Erkältungen, Holunder als schweißtreibendes Mittel, Scharfgarbe bei Erkältung und Gallenbeschwerden. Sanickel wie bei Kamille, Salbey gegen Halsbeschwerden, Wacholderbeeren gegen unreines Blut und Magenverstimmung, Wermut bei Magenbeschwerden, den Absud von Weidenschalen gekocht mit Zucker bei Lungenstichen, Zwiebelsaft mit Kandiszucker und Wasser syrupartig gekocht, gegen Verschleimung, usw. - Es heißt: Met d’r Zippel es ‘s wie met d’r Säifen; bäide machen räine, dee äine hüssen un de anner innewens (inwendig).“ - „Än Zippelchen kann nischt geschade“, sagt ein alter Spruch, und ein anderer: „Odermennjen es aller Krüter Kennjen (König).“
Leinsamen heißgemacht und in einem Beutelchen an die schmerzenden Stellen gebunden, milderte Zahnweh und Mandelentzündungen.
Kohlblätter, aus dem Inneren eines Haites (Kohlkopfes) legte man den Kindern gegen Grind auf den Kopf. Die Auflage mußte alle paar Stunden erneuert werden. Eine Einreibung mit Tannenspitzen - oder Ameisenbranntwein diente als gutes Linderungsmittel gegen Gliederreißen (Rheumatismus), während mit der im Frühjahr gegrabenen Wurzel des Laserkrautes der schmackhafte „Ainzig - (Enzian - ) branntwein)“ hergestellt wurde. Selbst dem giftigen Mutterkorn wurde eine heilkräftige Wirkung zugeschrieben. Deshalb ließ man es an der Frucht.
Das Kinderjahr
„Kinderzeit ! O Kinderglück ! Froher Kindheit Tage . . .
Wie ein heimlich Märchenstück
Ich euch in mir trage.“
J. Vogt
D a s K i n d e r j a h r. Der Jahreslauf im Kinderleben verlief in einem schönen, gleichmäßigen Rhythmus. Im schneereichen Winter wurde mit Rutschen und Schlitten gefahren, wurde geballert und geschürrt (geschlindert). Um hl. Dreikönige erschallte aus Kindermund der Vers: „Hälje dre-i Kännjen, än Bittel vull Fennjen (Pfennige), än Bittel vull Speene, machts gut Wase Lene!“
Im Vorfrühling, wenn der Saft in Bäumen und Sträuchern stieg, schnitten die Jungen aus Weidenruten kleine Pfeifen und sangen beim Losklopfen der Schale vom Holz den Bastlösereim: „Hüppchen, Hüppchen rode, ich schloh dich uff d’n Knode, ich schloh dich uff din Hingerbäin, ich schloh dich uff din Värrbäin, daß de fliegst in aalen Graben, frassen dich de Micken un Raben“ 45 .
Auf ähnliche weise wurden aus Ellern - (Erlen - ) holz die großen, hornartigen „Prammerte“ hergestellt.
Wenn der letzte Schnee geschmolzen war und der Märzwind die Wege getrocknet hatte, setzte das „Schießen“ mit Knickern, „Schessen“ genannt, ein. Mancher jugendlicher Meister im Knickerspiel gewann in wenigen Tagen 100 und mehr Schesse (Knicker). Die dabei angewandten Regeln sind bereits erwähnt. Den gerade zielenden Partner suchten die Gegenspieler irre zu machen, damit er sein Ziel verfehle, indem sie ihm immer wieder zuriefen: „Botterhaxen, rihr dich, Botterhaxen rihr dich!“ Auf dem Gemälde „Kinderspiele“ von Breughel aus dem 16. Jahrhundert ist bereits das Spielen mit Knickern dargestellt.
In der Zeit, da der Saft in die Bäume steigt, bohrte man Birken etwas über dem Erdboden an und ließ mittels eines Röhrchens aus Gänsekielen den Saft in Flaschen träufeln.
„Gügge mol do (Gucke mal da)! dü hes je ä Loch in d’r Hosen“ oder: „Do es je ä Flack in dim Kläide!“ oder: „Dreij dich mol im! war es an das?“ und so ähnlich redete man sich am 1. April an.
„Brilsnasen, Brilsnasen!“ tönte es dem Hereingefallenen entgegen.
In der Karwoche, an den drei letzten Tagen, wenn die Kirchenglocken schwiegen, zogen die Schuljungen mit Klappern und Knarren auf bestimmten Wegen durchs Dorf und brachten den Leuten in Erinnerung, daß es Zeit sei, in die Betstunde zu gehen. Vom Pfarrhause aus ging der Weg durch die Pfarrgasse, ein Stück ins Unterland bis „Jagersch Hüs“, zurück durchs ganze Oberland, am Riesentümpel vorbei, durch die Keudelsgasse, und Herrengasse in die Kirche. Das Klappern erfolgte nach einen eintönigen, gleichbleibenden Rhythmus und wurde immer wieder von dem im Chor gesungenen Ruf unterbrochen: „Wir klappern jetzt zum ersten Mal (am Gründonnerstagabend“,...zum 2. Mal !“am Karfreitagmorgen usw. 46 .
Die Mädchen tanzten in der schönen Jahreszeit Ringelreihen und trieben Ballspiele und Seilspringen. Wen es durch den Auszählreim traf, der mußte haschen oder fangen. Einer der Auszählreime, deren es hoch- und plattdeutsche gab, lautet: „Än Appelchen, än Pappelchen, an Beerchen (Birnchen), än Puff“47 .
Sache der Mädchen war es, die kleineren Geschwister zu verwahren. Der gewöhnliche Aufenthaltsort für das Sückelke-ind (den Säugling) war die „Hotzen“, die alte eichsfelder Wiege mit Schaukelkufen. Noch in den 70er Jahren liefen die Jungen ärmerer Leute bis zu zehn Jahren in Kleidkittel herum 48 . Die kleineren Kinder warf nicht der Storch durch den Schornstein ins Haus, sondern die Kindfrau (Hebamme) holte sie aus dem „schwarzen Tiche“ (Teiche) im Blankentale 49 .
Zur Beruhigung und Unterhaltung der Kleinen gab es Verse in Mundart, von denen einer lautet: Jesepp, Jesepp. Schlenkerbäin, kimmt de ganze Naacht nit häumn, het gesungen, het gesprungen met daan aalen Schusterjungen . ... Man trug die Kleinen „Huckepäischen“, indem man sie sich, die Beine nach vorne, rittlings in den Nacken setzte.
Wenn das Kind sich in den Finger geschnitten oder sonst eine geringfügige Verletzung erlitten hatte, und weinend zur Mutter gelaufen kam, hieß es: „Mach Spitzen (Spucke) druff, do werds wär häle“, oder „Häile, häile Katzchen, mach Spitzen uffs wuine Platzchen !“50
Wer einen Zahn verloren hatte, steckte ihn ins Mauseloch, um bald wieder einen neuen zu erhalten. Wer gern größer sein wollte, stellte sich in den Mairegen, um schneller zu wachsen. Unartigen Kindern diente der Buzemann, ein Hausgeist, als Schreckgespenst. „Es geht ein Buzemann auf unserm Boden herum ....“
Mit Ungeduld durchlebte die Jungend die letzten Wochen vor Hülfenstag, wenn die Wallfahrten auf den Hülfensberg unternommen wurden, wo es die schönen süßen Sachen zu kaufen gab: Zuckersteine und Bolchen verschiedener Art, Schachteln, Nunnferze, Pfefferkuchenscheiben und -herzen mit Verzierungen und Inschriften aus Zuckerguß. Eine besondere Freude war es auch, wenn man mit den Eltern durch die Renallen (Waldname) nach Wanfried gehen durfte. Wenn der Vater allein in der Stadt gewesen war, unterließ er es nie, den Kindern eine Tüte voll Wecken mitzubringen, die „ittel“ verzehrt, köstlich mundeten, ebenso wie das „Hasenbröt“, das er als nicht verzehrtes Vespserbrot zuweilen aus dem Felde wieder mit nach Hause brachte. Zur Zeit des Schützenfestes taten sich unter den älteren Schuljungen kleine Gruppen zusammen, bastelten einen Schützenvogel und schossen ihn mit der Armbrust ab.
In den Sommermonaten wurde barfuß gegangen, „Jagersch“ gelaufen, mit alten Faßreifen gekullert 51 , Küllköppe (Grobben) im seichten Wasser der Frieda gefangen, kleine Spielkähne aus Pappelrinde und aus Papier gebastelt, gebadet, im Wanfrieder Holz in die Heidelbeeren gegangen. Herbei mußte man auf den Hut sein, um nicht vom Förster erwischt zu werden, da wir ja keine Erlaubnisscheine hatten. Ein Reim, den man in dieser Zeit hören konnte, hieß: Heidelbeeren kauft ! Wer will mir das Ding verwehren, wenn ich rufe : Heidelbeeren, Heidelbeeren kauft !“ Derselbe Vers ist auch im Elsaß bekannt (Elsässer Heimatkalender 1927).
Vielseitig war der spielerische Zeitvertreib. Dazu gehörte Stelzengehen, das namentlich im Friedawasser neben der Dorfstraße besondere Übung verlangte. Kartoffeläpfel wurden mittels einer angespitzten biegsamen Weidenrute als Schleudergeschosse benutzt. Haselnüsse ergaben mit Hilfe von Nagel, Bindfaden und einer Kartoffel als Ballast die beliebten Schnurrdinger. Man ließ Seifenblasen platzen und Kreisel (Gaukelmänner) tanzen.
Wo im Bache eine passende Stelle war, entstand durch Stauen ein Badetümpel, sehr zum Ärger des Besitzers der Wiese, der dem Treiben bald ein Ende bereitete.
Beim Fangen von Schmetterlingen rief man: „Botterveuel sitz dich! Schmaant lack dich!“ -- Krähen wurden fortgescheucht mit dem Rufe: „Rabe, Rabe Jakob, d’r Schitze kimmt, d’r Schitze kimmt!“
Begegneten sich Jungen, so konnte es sein, daß sie sich mit Neckreden hänselten: Was hest dann gemacht? - Han Peter
geschlacht. Oder: Lange, lange Letter, bist ‘m Te-wel sin Gevetter. Auf jeden der gebräuchlichsten Vornamen gab es einen Neckvers, z.B.: Peter - Schwerenöter!52
Beim „Speckwiegen“ stellten sich zwei Jungen mit dem Rücken aneinander, hakten sich mit den Armen ein und hoben sich abwechselnd in die Höhe. Kleine Jungen ließ man Kassel und Hamburg sehen, indem man siemit den flachen Händen unter die Kinnbacken faßte und einen Augenblick vom Boden aufhob.
Wer sich unbemerkt vom Fuhrmann, hinten an einen fahrenden Wagen hängte, mußte sich den Neck- und gleichzeitigen Warnruf der Augenzeugen gefallen lassen: „Hängt war hingen trane, ‘s hängt war hingen trane!“
Wer einen Schlafkopf (Wucherung am wilden Rosenstrauche) unter sein Kopfkissen legte, schlief schnell ein. Wer an Hundsveilchen roch, sollte eine dicke Nase bekommen.
Im Herbst, nach der Obsternte, lockten hängengebliebene Äpfel und Birnen, die nach altem ungeschriebenem Recht und Herkommen nach Michelstag (29.9.) herrenlos sein sollten, zu ausgedehnten Streifzügen in die Feldmark und in solche Obstgärten, die einigermaßen ungefährdet zu erreichen und zu verlassen waren. Lageräpfel reiften im Strohsack schneller nach. Besondere Anziehungskraft übten die Walnußbäume aus, deren es nicht allzuviele gab.
In die zweite Hälfte des Oktober fallen mit 8 Tagen Zwischenzeit die Lengenfelder und die Hildebrandshäuser große Kirmeß.Während das ganze Jahr hindurch die regen Beziehungen zwischen den beiden Nachbarsdörfern friedlich ohne Störungen verliefen, fanden an den ersten und zweiten Kirmeßtagen im Grenzgebiet der beiden Feldmarken erbitterte Kämpfe zwischen den älteren Schuljungen statt, bei denen in der Hauptsache Stöcke und Steine als Kampfmittel dienten. In den kritischen 8 Tagen war es für einen 12 - 14 jährigen Jungen nicht ratsam, sich im gegnerischen Dorfe blicken zu lassen. Er hätte eine gehörige Tracht Prügel bekommen. So war es seit vielen Jahren gehalten worden, bis in den Jahren nach 1900 ein neuer energischer Lehrer (Völker) die Steitlust der Lengenfelder Jungen von diesem traditionellen Ziele abzulenken vermochte.
Zu verschiedenen Zeiten bot der Wald seine Gaben: im Frühjahre Maiblumen, Herzkohl (Ährige Rapunzel oder Teufelkralle) und Waldmeister, im Sommer Erdbeeren, Himbeeren, Heidelbeeren, im Herbst Haselnüsse und Pilze.
Die ausdauernden und schneereichen Winter früherer Zeiten brachten das Rutschenfahren und Schneebällern mit sich. Schlitten und Schlittschuhe kamen durch den Einfluß der Stadt allmählich in Gebrauch. Ein Markstein im Kinderleben war die 1. hl. Kommunion, die damals nach vollendetem sechsten Schuljahr gespendet wurde. Die Zwölfjährigen rechneten sich nunmehr zu den „Großen“ (großen Kindern). Zum Zeichen dessen trugen die Jungen von nun an sonntags einen Hut und eine lange Hose. In diesem Alter mußte in der elterlichen Wirtschaft schon feste mit zugepackt werden.
Natürlich bestand das Leben der Dorfkinder nicht aus lauter Spiel und Kurzweil. Im Gegenteil wurden sie schon früh zur Arbeit angehalten und mußten je nach der Jahreszeit, Säcke voll Winden, Pappelstöcke und Disteln für das Vieh grasen, die Saatfelder nach Schnailen (Saatschnecken) absuchen, Steine lesen, Kühe hüten, beim Ackern die Pferde leiten, Essen ins Feld bringen, Heu wenden, das Stoppelfeld abharken, Ähren und Holz lesen, Kartoffeln abschütteln und lesen, Strohseile legen, Garben aufstellen, mit ins Laub fahren, Säcke voll Eschenlaub für die Ziegen holen, bei der Obsternte helfen, Stroh hacken, die Futterschneidemaschine drehen, Wasser von der Pumpe holen, Butter rühren, zum Krämer laufen, sonnabends die Schuhe wichsen usf. Kinder armer Leute gingen auch schon in Tagelohn. Ein 13 jähriger Junge, der 14 Körbe Mist aus der Keudelsgasse auf ein unwegsames Stück Land am Batzelbarge (Bezilos Berg) brachte und hierzu einen ganzen Tag benötigte, bekam dafür Anfang der 80er Jahre 50 Pfennige. Keudelsgässer Jungen wurden sommertags von ihren Eltern frümorgens vor der Messe in den Waldgras als Ziegenfutter zu holen.
Dafür gab es auch im Sommer die großen Ferien, die ehedem von Johannestag bis Michaeli dauerten und im Laufe der Zeit auf die Hälfte gekürzt wurden. So vergingen in althergebrachter Weise in gesetzmäßigem Wechsel die Tage der Dorfbewohner in Freud und Leid, in Arbeit und Ruhe und Feiern, wie der Jahreslauf sie schenkte, Geschlechter wuchsen heran, zähe, arbeitsfreudig und lebensfroh, Männer und Frauen, die mit dem Leben fertig wurden.
Besondere Anziehungskraft auf die Jugend übte der Schnellläufer aus, der von Zeit zu Zeit eine Gastrolle im Dorfe gab. Im Trikoanzuge und mit kleinen Schellen an den Handgelenken, trabte er unverdrossen die Straßen und Gassen auf und ab, beim Rücklauf in jeder Gasse allemal in den Häusern seinen Obulus heischend.
In den nächsten Wochen danach stand bei den Kinderspielen das Schnellaufen immer an erster Stelle.
Vieles von damals hat sich geändert, ist dem Zeitgeist zum Opfer gefallen, wird von der heutigen Generation nicht mehr geschätzt. Schönes altes Brauchtum ist in Vergessenheit geraten oder wird als rückständig und überholt abgelehnt. Lassen wir den uns verbliebenen Resten verständnisvolle Pflege angedeihen. Hören wir, was der niederdeutsche Dichter Klaus Groth über früher und heute sagt: „Die ganze Welt damals anders und dachte anders. Dümmer waren wir alle, als man jetzt ist. Daß wir aber in eigentlicher Lebensweisheit weiter gekommen sind, das glaube ich nicht. Schöner war das Leben damals jedenfalls; wenn ich es zurückrufen könnte mit all seiner Dummheit, ich würde es zurückrufen.“
Von Schelmen, Käuzen und anderen Leuten
In unsere heutigen schnellebigen, aufgeklärten und vermaterialisierten Zeit ist kein Raum mehr für Dorforginale, wie sie in den Jahren um 1900 lustig gediehen.
Da waren „I n n a h m e r s c h J u n g e n“ um die sich in ihrer geradezu legendaren Volkstümlichkeit ein ganzer Kranz südeichsfelder Schnurren rankt. Die beiden Brüder Leopold und Gehannes leerten mit ihrer Mutter, „d’r aalen Innahmerschen“, gern und oft das Kännchen. Leopold kampierte eine Zeitlang im alten Spritzenhause am Anger, wo er sein Nachtlager auf der Totenbahre aufgeschlagen hatte. Die morgenlichen Steinwürfe der Schuljungen an die Tür quittierte er klugerweise mit philosophischer Ruhe. Mit derselben überlegenen Gelassenheit des erfahrenen Menschenkenners machte er im Schatten der alten Angerlinde Toilette, um dann in der nahegelegenen Gemeindeschenke zu verschwinden oder sich zu Schenk Julchen oder in den „Heiligen Geist“ (Volkstümliche Benennung einer Schenke im Unterlande) zu begeben, oder zu Aaleschulzens Schmeed. Irgendwo, des konnte er sicher sein, traf er Gesinnungsfreunde, die gleich ihm das Bibelwort zur Richtschnur ihres Daseins gemacht hatten: „Sorget nicht für den morgigen Tag . . .!“ Sonst logierte er in der alten Oberförsterei in der Goldgasse, durch Schicksalsgemeinschaft verbunden, mit dem „schäimn (schaiben, schiefen) Philepp“ zusammen. Im Jahre 1901 legte er, im gleichen Jahre wie sein Bruder Johannes“, den Löffel aus der Hand“ (starb).
D o k t o r h a n s , geb. Töpfer, hatte ein lahmes Bein und ging an Krücken. wenn er einen moralischen Kater hatte, und das war nach einem kräftigen Suff meist der Fall, hielt er es für angebracht, auf sein gutes Herkommen hinzuweisen. Dann ließ er sich also vernehmen: „Ich bän dach kän Wackworf. Min Mutter stammt üs Klänadens Hüs, und min Vater war än Bruder vum aalen Schullehr Lorenz.“ (Stiefvater?)
Dann verfiel er ins Hochdeutsche und klagte in einem Anflug von Selbsterkenntnis: „Wenn das d’r Lehrer Lorenz wüßte!“
Zu den Freunden der vollen „Wieschalln“ (Branntweinglas“ gehörte auch P r i n z h a n s c h e n , der häufig mit geschulterter Jagdflinte ausging. Als er einmal vollgetrunken aus der Schenke herausgetorkelt kam, ging er auf Ficks Anrees zu, der gerade an seinem Erntewagen herumhantierte, und wollte ihm sein Gewehr in die Hand drücken, indem er lallte: „Anrees, schieß mich töt. Ich bän nit wart, daß mich de Sunne bescheint. Kumm har, ich stelle mich an de Angermürn! Tucks dach!“
Auch d i e „K n u r r e n“ , Kännjens Heusepp, ging nie ohne sein Gewaffen aus. Stets sah man ihn mit dem Knift (Reißmesser, um Hecken abzumachen) im Gürtel, mit dem er den Bauern die Dörner an den Feldrainen kurz hielt. Einmal wollte Heusepp auf die Kämmerei fahren. Von Aaleschulzens Schmeed hatte seine Mutter das Reisegeld geborgt und ihrem Sohne ausgehändigt, der auch wirklich sich vom Dampfroß gen Sonnenuntergang tragen ließ, aber für eine Groschenfahrkarte nur bis Geismar, um nach einstündigem Marsch an der Frieda herauf wieder in seinem geliebten Heimatort zu landen, und zwar im Hause seiner teuren Freunde, der trinkfesten Innahmersch Jungen, wo die Schnapsflasche nicht leer wurde und die fidele Stimmung meist auf Hochflut stand, zumal diesmal auch noch die Zehrung für die ausgefallene Reise ins Hannöversche auf dem Altar der Freundschaft geopfert wurde. Ähnlich der Mutter vom „Peter in der Fremde“ mag die „ale Liesbeth“ wohl 100mal gedacht haben: „Wo mag wohl jetzt mein Heusepp sein?“ - Der aber saß nur wenige Steinwürfe von ihr weg in fideler Gesellschaft „un liß Godd än guden Mann si.“ So sehr sich die alte Frau gefreut hatte. ihren Sohn für länger in Arbeit und Verdienst zu wissen, so sehr erschrak sie, als sie nach Stunden durch die Fama (Aus der Leute Mund) den wahren Sachverhalt erfuhr. Dorthin eilen, den Groll tiefgekränkter Mutterliebe über ihren Sohn und dessen Zechkumpane ausgießen, die Schnapsflasche zum Fenster hinauswerfen, war das Werk der nächsten Viertelstunde. Geknickt, mit trübseliger
Mine, hängenden Schultern und einem moralischen Kater trottete Heusepp hinter seiner Mutter her, um zu Hause die verdiente Strafpredigt mit dem reumütigen Vorsatz auf Besserung zu quittieren.
Bei Fischhans in d’r Gassen wohnte d’r M a h l e r , der die wenig löbliche Angewohnheit hatte, seine rente zu versaufen. Einmal war er „tüne bis oben hin“, (besoffen) den Kirchiewer hinuntergekullert und in der Nähe von „Zäljens Hüs“ (Ziliax Haus; ein früherer Besitzer hatte Ziliax Richwien geheißen), wo gerade Korbmachersch Jungen bei einer Zecherei zu Gange waren, wie leblos liegen geblieben. Im Nu war die feucht-fröhliche Gesellschaft hilfsbereit zur Stelle. „Labste dann nach, Anrees?“ hörte Michel besorgt fragen. - Und er lebte noch, um sich schnell in die neue Lage zu finden und wacker mit zu machen. - Einmal während einer Sauferei waren die heißblütigen Korbmachersch Jungen miteinander in Streit geraten, den sie auf der „Howeräit“ tätlich austrugen, lange und hart. Gepreßt entfuhr es Hansalms Lippen: „W . ., w . ., wann me - mich awwer - erst de Lippen zettern, do kenn ich - mich - nit mee.“ Keuchend hatten sich die beiden Kampfhähne ineinander verbissen, und zwar in des Wortes wahrster Bedeutung. Einer hatte sich nämlich in des andern Nase festgebissen.
Mit seiner Schwester L i e s b e t h , die den gemeinsamen Haushalt führte, fristete
K i e w h e r t e n s C h r i s c h t o f f e l im Oberlande recht und schlecht sein bescheidenes Dasein. an jedem Werkeltage des Jahres, den das Wetter zuließ, ging er, den Tragekorb auf dem Rücken mit geschulterter Hacke auf seinen steinigen Rodelandacker im Tichhelzchen. was unterwegs. Was unterwegs an Pferdeäppeln anfiel, flog in geschicktem Bogen über die Schulter in den Korb hinein. Lisbeth übersah kein Haus, wo gehochzeitet wurde oder wo Schlachtefest war. Schlachtekohl und Werschtesoppen den Winter hindurch, sowie Hochstenkuchen, Kirmeß - und Namenstagskuchen brachten eine erfreuliche Abwechslung in das bescheidene Einerlei von Kartoffelplätzen mit Mus, Kümmelsalzbrot und Brot mit Samenöl (Rapsöl). Man munkelt, daß der Geruch von saurem Kohl zeitlebens nicht von Liesbeths Mantel gewichen sei.
Als es einmal am Margaretentage bettlägerig war und deshalb an einem folgenden Samstage sich für die entgangenen Genüsse schadlos halten wollte, mußte es diesen Versuch wegen allseitigen Ablehnung bald aufgeben, weil die Hausfrauen in dieser Regelwidrigkeit eine unerwünschte Neuerung erblickten. Entrüstet über den Mißerfolg äußerte Liesbeth: „Do äs me nu an Markritens -
taak an 22 Stellen nit gewaan, un käins wäiß em dank deveer.“ Einmal in einer Anwandlung von Lebensmüdigkeit, wollte es sich von Mittelmüllersch Michel totschießen lassen. Dieser traf scheinbar alle Anstalten zur Exekution und sagte: „Sö, jetz bat nach ä Vaterunser, und wann ich dann bis tre-i zeele, dann schiß ich.“ - „Wortach mol“, mäinte Liesbeth, „ich wall Chrischtoffel liwwer namo froje, was dar derzu mäint“, sprachs und strebte eilenden Schritts der Pfortentür zu.
W a l l b r a u n s K a t h r i n war eine stattliche Frau, bei der sich Güte, Fleiß und Familiensinn mit kraftvoller Eigenart paarten. Als in ihren Mädchenjahren der Gutsverwalter von weitem etwas an ihrer Arbeit auszusetzen hatte (beim Spargelstechen), rief sie ihm aus der Reihe der Mädchen zu: „Kumm jö nit hihar, sist stach ich dich mit d’r Mistegawwel derch!“
Jesepp, ihr Mann, war Streckenläufer bei der Eisenbahn. Als er eines Tages auf dem Wege zum Dienst eben den Kirchiewer erklettert hatte, kam Kathrin aus dem Hause gelaufen und winkte mit dem Tuthorn. Joseph verspürte jedoch keine Neigung, wegen dem vergessenen Dienstgerät noch einmal den steilen Iwer hinabzugehen, und Kathrin meinte resigniert: Jee, do bloß ach met’m orsche!“ (sch wie in Logis).
Eine ebenso kraftvolle Persönlichkeit und im Äußeren ebenso stattlich wie Kathrin war ihre Kusine, F i c k s B a r w e , das neben seinen Hausfrauenpflichten und der Arbeit in der kleinen Landwirtschaft noch Zeit fand, die Lämmchen im Oberlande und in „d’r gassen“ zu schlachten. Als es einmal mit ein paar L a m m f e l l e n auf dem arme durch die Mühlgasse kam, rief ihm der Forstgehilfe und Waldläufer Millkaspersch Anton, der im Fenster lag, zu: „Wann dü mo begraben werst, un dee Lämmer, dee dü alle geschlacht hest, genn alle meet, do krieste awwer änn scheenes Begräbnis.“ Barwe, nicht auf den Mund gefallen, entgegnete, „Un dü, wann dee Dunnerwatter alle mät dee genn, dee dee de Liete im Holze gewi-inscht hun, do heste ä än scheenes Begräbnis.“
D i e a l t e B o d e n m r i j kommt zum Schulzen Steinwachs, um ihre wöchentliche Unterstützung von einer Mark abzuholen. Als ihr der Schulze klar zu machen sucht, daß es gut wäre, schon jetzt etwas für die künftigen Beerdigungskosten einzubehalten, stößt er bei Bdenmrij auf schroffe Ablehnung. „Nä, nä! Ich wall min Mark ha. Wann ich mo töt bän, do sall sich je wöhl war finge, dar mich inne Arde brengt.“ - Als sie später ihre letzten Lebensjahre im Altersheim des Krankenhauses verbringt und man ihr nunmehr
die wöchentliche Mark für den genannten Zweck einbehält, meint sie: „Ich han dach sö än scheenes schweres Bett, daas hunse (haben sie) je dach, wann ich mo nit mee do bän; daas kunnse (können sie) dach doveer gerache.“
Als Schuljunge stellte ich mir als Ebenbild von Chamissos alter Waschfrau immer W a s e
M r i l i e s e i n d’r G a s s e n vor, in ihrem großflächigen derben Gesicht, das von einem Kranz weißen Haares umrahmt war, leuchteten unter Brillengläsern ein Paar gütige Augen, die aber auch bedrohlich funkeln konnten. Von früh bis spät saß sie am Gestelle (Webstuhl), zwischendurch ihr Kleinvieh versorgend und ihre Hausarbeit tuend, während Stoffel, ihr Mann auf die Kämmerei ging (als Wollenkämmer). Als er einst, nach beendeter Saison, aus der Welt zurückkam, stellte später Wase Mriliese den Empfang folgendermaßen dar: „Wie ha nit uffheerte, se preekeln (mäkeln), do stäik mee d’r Kamm, do bän ich uffgestäjjen un han de Spannruten (Gerät beim Weben) genummen un han am än paar äwwergezoun (übergezogen).“
M e n g e n s R e g i n e hatte sich ins Bett gelegt, um zu schwitzen. Thums machte die nötigen Handreichungen, kochte Tee, machte Wickel und dergl. Als er bemerkte, daß Regine einen Fuß aus dem Bette steckte, sprach er: „Was, dü witt schwitze und stickts’n Fuß üs’m Bett ! Raus! Raus!“
Kermeßensunnobd get’s a u w e r K a t t e r ( das alberne, geistesgestörte Kathrin) durch die Mühlgasse, um sich ein paar Stücke Kirmeskuchen zu ergattern. Millkaspersch Anton, der wie gewöhnlich im Fenster liegt, spricht: „Siste Kathrin! Frijer, do kinnste dee ä än Kermßenproten gemache.“ - Katter: „Un dü, wee dü nach Ferschter warst, do kinnste immer Hasenproten gegasse, un wann de hitte än ha witt, do kannste dee in de Fann gesch....“
S c h m e e d a d e n hatte stundenlang vergeblich auf dem Anstand gewartet, ohne daß sich der erwartete Bock eingestellt hatte. Gerade wollte er den Heimweg antreten, als ein Vogel vor ihm auf einen Zweig flog und mit hellem Stimmchen zu zwitschern anhub: „Aden, paß uff! Aden pasuff“ Jetzt kimmte, jetzt kimmte!“ - Und richtig, zwischen raschelnder Zweigen trat der Bock in die Lichtung und verhalf Aden zum ersehnten Waidmannsglück.
In der Schule hatte S t o f f e l s F r i e d r i c h sein Gedächtnis nicht groß mit Wissen beschwert und seinen etwas zu klein geratenen Verstand nicht sonderlich angestrengt, so daß er mit Ach und Krach aus der 2. Abteilung der Mittelklasse (4. Schuljahr) entlassen wurde. Das hinderte jedoch die hohe Musterungskommission
nicht, ihn 1870 mit nach Frankreich zu schicken. Als der neue Ersatz, zu dem Friedrich gehörte, mit klingendem Spiel vom Bahnhof abgeholt wurde, meinte der neue Krieger nachher zu einem Landsmann: „Ujoi, hi äses awwer scheene. Äsann (ist denn) daas immer sö im Krick?“
Wie Frieddrich mo in Krößvaters Helzchen (im herrschaftlichen Walde) Heekholz machte, kamb krade d’r Ferschter drzu un erwischt’n. Nach än Tager aachte kloppte morjens der Gemäinediner (Klingelanrees) bi Friddrich anne (an die) Stomnteer (Stubentür). Friddrich laak nach im Bette. Do sait Anrees: „Friddrich, stigguff (steh auf). Dü sast meet nach Dingelstädt!“ - Friddrich: „Was saajann (soll ich denn) do mache?“ - Anrrees: „Dü sast waas ha (haben).“ Wös waas imsist gab, do war Friddrich debie (dabei). Trim (darum ) stäik ha (stand er) uff un fuhr meet. Un ee ha (ehe er) merkte, was lös war, saßa schunt im Kittchen.
D’r We-inter es lang un’s Brennholz es tier (teuer). Un wies d’r Schinger (Schinder) wull, hott’n (hatte ihn) d’r Ferschter än paar Wochen denoch schunt wer bim Heken geschnappt. Diß mol war’s ‘m (dem) aalen Klingelanrees nit ganz wöhl se Mute, wie ha (er) Friddrich wer nach Dingelstädt brenge sull. ‘s wull am nischt Nuiwes (Neues) i (n) falle, do versucht a ‘s wer wie’s letzte mol: „Friddrich stigguff ....!“ Awwer Friddrich war nit sö dumm, wie ha (er) üssak (aussah). Ha langte än Knippel (Knüttel) hingerm Bette veer. Min Anrees, wie ha daas sak, heste nit gesinn, saste nach si (sollst du noch sehn) zur Teer nüs un bin Schulzen. Sö mutte (mußte) vär diß mol d’r Schatarm (Gendarm) von Gäismer kumme un Friddrich nach Dingelstädt brenge.
Die Erscheinung
Es war in den Jahren, als die Bahnstrecke Leinefelde - Niederhohne gebaut wurde, in der sogeannten „Isenbahnziet“. Handel und Wandel nahmen einen schönen Aufschwung. Arbeit und guter Verdienst zogen in die Dörfer an dem neuartigen Verkehrswege ein.
Schmeedaden, seines Zeichens Grobschmied in einem südeichsfeldischen Dorfe, schon in jungen Jahren ob seines sprühenden Mutterwitzes und seiner Redegewandtheit über die Grenzen seines Heimatdorfes hinaus bekannt, kam eines Nachts von einer Geschäftsreise spät ins elterliche Haus zurück. Zufriedengestimmt nach einem erfolgreichen Tagewerk und im Vollbesitz einer anständigen Bettschwere,. stieg Aden die Treppe hinauf, um seine Lagerstatt auf dem obersten Boden aufzusuchen, das Öllicht steckte er nicht erst an, da ja der Mond durch das kleine Giebelfenster schien.
Aden hatte seine durch den Weg nach Eigenrieden und zurück müde gewordenen Glieder ausgestreckt. Es war bereits gegen Mitternacht. In wenigen Minuten würde wohliger Schlaf ihn umfangen. Doch da ! - Was war das? In dem Haufen Hobelspäne nach dem Fenster zu, wo die Schreinerwerkstatt war, raschelte es unheimlich laut. Da - erhob sich’s gespenstisch im bleichen Gegenlicht des Mondes und blieb in hockender Stellung sitzen, stumm und regungslos. Lähmendes Entsetzen befiel Aden, wie Albdrücken kroch es ihm über die Brust, das Blut wollte ihm in den Adern erstarren, seine Augen hingen, wie gebannt an der Erscheinung, als er in der hockenden Gestalt seinen leibhaftigen Bruder Thumms erkannte, der vor vierzehn Tagen den Löffel aus der Hand gelegt hatte (gestorben war), und dessen Brust sich nun, die unheimliche Stille unterbrechend, ein Stöhnen entrang, das dem Bruder Aden durch Mark und Bein ging und ihn die Worte ausstoßen ließ: „Je wö kimmst Dü ann har?“ - „Ach, ich kumme vun do drämn.“ - „Wi sitts an do üs?“ - „‘s nischt lös.“ Aden überlegte schon, wie er die rettende Bodentreppe gewinnen könnte und wollte, sich langsam zurückziehend, fragen: „Werim hunn se dich ann werr anne geschickt?“ als ihm vor lähmendem Entsetzen das Wort in der Kehle stecken blieb. Die Gestalt erhob sich langsam und schickte sich an, auf einen Krückstock gestützt, ganz so wie es Bruder Thomas bei Lebzeiten getan, auf Adens Bettstatt loszuhutschen. Wie er die Bodentreppe hinunter gekommen war, wußte Aden später nicht
mehr zu berichten. Da aber sein Kopf eine Beule so dick wie ein Hühnerei davon trug, mußte er wohl damit gegen den Türbalken gestoßen sein.
Unten angelangt, mußte er einige Augenblicke verhalten, zitternd und bebend. Und da er merkte, daß er nicht verfolgt wurde, kehrte ihm allmählich die Besinnung zurück. Von dem gesunden Instinkt geleitet, daß große Gesellschaften für gewöhnlich von Geistern gemieden werden, schlich er auf den Heuboden, wo fremde Eisenbahnarbeiter schliefen, und lagerte dort für den Rest der Nacht.
Als er am andern Morgen beim Klüschen ackerte, tauchte auf einmal im Hohlwege am Ausgang des Dorfes wieder der lahme Hutsch, sein Bruder Thums, mit dem Krückstock auf. „Fihrt sich dann da Spitzbube sö gut uff, daß ha schunt bie halliechtem Tage Ürläub kriet“, dachte Adam bei sich, bezeigte aber jetzt, da an vielen Stellen Leute auf dem Felde waren, außer einem unbehaglichen Gefühl, keine Angst.
Nun, da der Lahme näher kam, wurden Adens sonst so listige verschlagene Augen auf einmal wieder groß, aber diesmal nicht vor Schrecken, sondern eher aus einem Gemisch von Erstaunen und Enttäuschung. War doch die vemeintliche Spukgestalt niemand anders als der lahme Leporsch aus Schierschwende der, als Wagner beim Bahnbau beschäftigt, an jenem Abend ein Kännchen zu viel getrunken und daher seine Schritte, anstatt nach Hause, auf Schmeeds obersten Boden gelenkt hatte.
De Prärchte in Kröß - Gutter
Schmeedaden kunne nit blöß Güle beschlo, Räifen im de Rädder gelege, ‘n Lieten hohle Zeene üsgedinse un kranke Kiwe wärr gesuind gemache - ha hotte ä än klugen Kopp un än gudes Mülwark dotrane. Korz un gud: ha war än Mann, dar inne Walt paßte.
Äines scheenen Tages, do sait a vär sinne Fräuwe: „Lisbeth, sait ha, ich muß nach Gutter.“ - „Was wittan do mache?“ - „Kermeß fiere, bim Pastor.“ - „Blieb derhäim, dü auwer Timpel! Mäinst dann eeren, da kennt dich nach? sölange wie a nu schunt vun Tepper wack äs!“ - „Nu steck nit do, awanne än Tippen geteppert hast, geh hänn un lang minne Tuchhosen, ‘n Zylinner un Schößrock!“ - „Dü bist un bliebst ä Schwummtippen.“ - Domeet hotte Liesbeth ‘s letzte Wort und langte am sin Zick. Aden machte sich stolz un gung bis nach Mällüsen se Fuße. Vun do aan kinn ha met ‘r Bahn gefahre. Sö kaams, daß ha Kermßensunnobd zur Vasperziet do war, wö a hännwull.
Ha worr gut uffgenummen, un wee daas nun sö kam: nach’m Naachbröde erzahlten se sich bie Wien un Zigarren eere Erlabnisse vun frijer. Im Nu gung de Ziet hänn, un d’r Pastor, dar üs d’r Eschweer Gainte (Gegend) war, fung aan, platt se schwatzen, sö wie am d’r Wien sö än Bischen in Kopp gestäijen war: „Adam, loß uns Fierobd mache, ich wäiß nanit sö raacht, was ich morjen daan Lieten inner Prärchte verzeele sall. Ich muß mee dee Sachen värm Ischlofen eert namo äm Bischen derch ‘n Kopp gee loße.“ - „Ach sö jung kumm me nit wärr sesammen. Geh hän in Kaller un lank nach änne Flaschen raan!“ - „Adam, sö gaarn wie ich dee daas gunne, tuck mee daan Gefallen un läck dich hän. Moin frij äs de Naacht alle, un moien wärd alles noochgelangt. Ich muß mee werklich nach äwwerleje, was ich prärje sall.“ - „Was Du blöß immer met dinner Prärchte hest! Loß mich prärje. Ich mache daas üs’m Haandgelenk. Sast mo si, was ich dinn Spitzbumm de Hälle häiß mache!“ - „Ach Dü Adam, Dü witt mich ä nach zum Hanschen ha. Dobie äs mee gar nit zum Lachen.“ - „I weehardann! Daas äs min vuller Arenst (Ernst).“ - „Werf’s nit sö wiet wack, aaler Junge. Dü wäißt je in d’r Biwel gut Beschäid un kannst ä de Worte gesetze wie än Uffgate (Advokat, Rechtsanwalt),awwer ich han Angst, daß Dü dich vertißt un im Iffer des Gefachts’s Kriz machst. Warst Dü ann äwwerhäupt schun mol in äm lütterschen Gottesdiinst?“ - „Schun mee wie ämmol. Hab nur känne Angst
un mach nit sö än Gesicht wie än Triewetreester. Ee ha sich vertitt, do muses schunt kumme wie säpzig. Mee hun Kermße! Haar nach anne Batalljen (Bouteille, Flasche)! Bange machen gilt nit! Also ‘s bliebt derbie, ich haale de Prärchte. Un wanne moien nit sefreeden met mee bist, do wall ich Krischan Fiefendeckel häiße.“
Mit gemischten Gefihlen ergab sich d’r Pastor in sin Schicksal. Wie a dee Naacht geschlofen het, daas äs nit bekannt geworren. Korz un gut, wies nun sö wiet war, stäik (stieg) Aden im langen Talar de Treppen zum Prärjestuhle naan. Wann am ä da Imhang baale bis uf de Fiße räichte, awwer daas stung am nit schlaacht bin sim dicken Büch. Ha fihrte de Gemäinde derch Hämmel un Hälle un hill an eere Schlaachtigkäiten veer, wies d’r Pfarr in Obertinzebach manchmol met sin Holzspitzbumn machte. Daan Wiewern kaams Wasser inne Äumn (Augen), un de Manner vergaßen ‘s Ischlofen). Ha redte sich sö in Hitze, daß ha eftersch sin rötes Schnüpptuch üs d’r Kiepen lange un sich’n Schwäiß obtrijel mutte (mußte).
Wie de Kerchen üs war, do kinme (konnte man ) Reden äwwer daan „fremten Herrn“ geheere awie: „Da het awwer vum Torme geblosen (gehörig die Meinung gesagt), ... da kinne mol gesprache (ch wie in ach), ... Junge, Junge, da heddan awwer de Leviten gelasen, ... daan mutt me immer hi ha, ... da kanns awwer besser wie unser....“
‘s Namätaaks nahm d’r Pastor sin Gast meet inne Schenke. Wie se do zur Stomnteer ninkamn, stungen alle Liete vun eeren Stilen uff, wäil se doderch daam fremten Herrn (Pfarrer, Pastor) eere Achtung bewiese wullen.
In daan eerten zwanzig Johren hull Aden ‘s Mül äwwer disn denkwerdijen Taak. Nit ämmol sim Liesbeth hette devune erzeelt. Awwer speeter henn, do hettaas (hat er das) noochgelangt, un wammol bie passender Gelainhäit (Gelegenheit) war värn sait: Vetter Adam, erzeelt dach mo waas vun frijer, do kamb ä regelmaßig de Prärchte von Kröß-Guttern meet trane (dran) 52 .
Wollenkämmers Auszug und Heimkehr
Infolge seines kärglichen Bodens war das Obereichsfeld von jeher außerstande, seine zahlreiche Bewohnerschaft allein zu ernähren. da mußten viele Eichsfelder ihr Brot in der Welt (Fremde) verdienen als Hausierer, Fabrikarbeiter, Ziegelbäcker und Wollenkämmer.
Ehe das Eichsfeld Eisenbahnen hatte, gings nach Art des fahrenden Volkes, der Handwerksburschen und Schirmflicker, auf Schusters Rappen in dier Fremde. Gar mancher Biedermann, der im Winter zuviel in der Gemeindeschenke oder bei Schenk Julchen oder in der „Oberländer Schenke“ gewesen war und dort seine guten Groschen in volle „Kännchen“ umgesetzt hatte, mußte sich vor der Abreise erst einige Taler Vorschuß leihen. Einer dieser redlichen Nothelfer im Dorfe L. nahm für den Taler drei gute Groschen Zins, zahlbar nach der Heimkehr. Da bei ihm fast jeder Hilfeheischende Gehör fand, stand er im Rufe der Geldmacherei.
Mit Zehrung für des Leibes Wohlbefinden versehen - den ungastlichen Gefilden der Heimat den Rücken kehrend - erfolgte alsdann der Aufbruch in jene Lande, allwo Milch und Honig fleußt, ins Sächsische, Braunschweigische, Hannoversche bis hinauf gen Bremerhafen und Budjadingen. Manche Wegebenennungen erinnern an jene Fahrten. Im Dorfe L. gab es zu jener Zeit eine Berliner Gasse, und im Hakel, einem Walde bei Halberstadt, gibt es heute noch einen „Eichsfelder Stieg“.
Was dem Nomaden seine Ochsenkarre, dem Eskimo sein Renntierschlitten, dem Zigeuner sein grüner Wohnwagen - das war manchem unserer fahrenden Eichsfelder sein Handwagen. Die hoffnungsvollen Sprößlinge, soweit sie sich ihrer Gehwerkzeuge für weitere Strecken noch nicht bedienen konnten, pflagen auf dem mit Bündeln und Kämmlingssäcken bepackten Gefährt der süßen Ruhe, während Vater, Mutter und ältere Geschwister die wenig beneidenswerte Tätigkeit des Zugtieres ersetzen mußten. Zuweilen begab es sich wohl auch, daß das Familienoberhaupt, eingedenk seiner Mannesehre, seinen Lieben allein das saure Geschäft des Ziehens überließ. Ungeachtet der Schweißtropfen, die jene vergossen, zog er - „munter fördern seine Schritte“ - des Weges fürbaß. Kam ein Fremder daher, so schwang er wohl mit nachlässiger Eleganz sein spanisches Röhrchen und rief seinen Befohlenen geflissentlich auf hochdeutsch ein aufmunterndes Wort zu. Doch zählten - Gott
sei Dank - solche Väter zu den Ausnahmen. Auf sie paßte das Wort, das einmal jemand gesagt hat: „Der Eichsfelder hat wohl Glauben, doch die Liebe fehlt ihm.“
War man nach glücklicher Überwindung aller Fährnisse, die jenes mühselige Reisen mit sich brachte, im Hannöverschen angelangt, so wurden die größeren Kinder, hier eins, da eins, bei wohlhabenden Bauern ins gedinge gegeben um, wie weiland der Knabe Menrad, als Hirte das Vieh des Bauern in treue Hut zu nehmen.
Zweifachen Vorteil genoß unser Wollenkämmer durch solche weitblickende Politik. Einmal hatte er sich unnützer Kostgänger entledigt und sie in gute Atzung gegeben, wo „ittel Bröt un Keemelsaalz“ unbekannte Größen waren, zum andern erwarb der Vater durch die Arbeitsleistung der Kinder Anrecht auf eine kleine Entschädigung, die zwar nicht in klingender Münze bestand, sondern in zartem Schinken und feistem Schweinespeck. Diese edlen Erzeugnisse deutscher Viehzucht, diese nach Ansicht vieler Eichsfelder, dem Schnaps gleichwertigen Nahrungsmittel in möglichst hoher Auflage als Arbeitslohn zu erlangen, war Wollenkämmers Ideal. Daß seine Kinder ihre Dienstzeit benutzt hatten, sich von dem Überfluß ihres Brotherrn Pausbacken anzuessen, schwellte die Brust des Vaters voll Freude und Stolz.
Manch glücklicher Wollenkämmer war sogar in die Lage versetzt, auf der Heimreise das harte Problem Kraft mal Weg durch ein Rößlein lösen zu lassen. Irgend einer altgedienten Mähre wurde so der Gang zum Schinder gestundet. Und so verschönte sie ihren Lebensabend, indem sie als Zugtier und Weggefährte der heimkehrenden Familien durch das niedersächsische Land trottete, deren Oberhaupt jetzt stolzer sein spanisches Röhrchen schwang und nunmehr buchstäblich von sich sagen konnte: „Ich fahr dahin mein Straßen“. Doch diesmal ging es nicht ins fremde Land, sondern der lieben Heimat zu .“Hüh und hott“, klang es nun und „juh, Max!“ nicht ohne eine Beimischung von Schadenfreude, kam ein Handwerksbursche mit zerfransten Hosen und durchgelaufenen „Trittchen“ des Weges daher. Machte auf steiler Straße des Rößleins Alter seine Rechte geltend, und wollte es da nicht so recht voran gehen, so griffen die kräftigen Fäuste der Interessenten helfend in die Speichen, dem Gefährt zu schnellerer Bewegung verhelfend.
War man dann im heimatlichen Dorfe angelangt, dann zog der „Familienzuwachs“ wohl manch erstauntes Augenpaar auf sich, und verwunderte Reden wie: „Ha hett je änn Gül! Wee mäit dann wee do traane kummen si?“ wurden hörbar. Einen stolzen Wollenkämmer in L. geschah es einst, als er hoch zu Roß die Dorfstraße
entlang ritt, daß die Rosinate über einen Kieselstein von beträchtlicher Größe stolperte, der heimtückischer Weise gerade in der Reitbahn lagerte, und darob zu Fall kam, seinen Reiter zum Glück nicht unter sich begrabend. Hilfsbereite Nachbarn mit Retteln und Hebebäumen taten ihr möglichtstes um dem altersschwachen Gaul wieder auf die Beine zu helfen, wobei sie weidlich von ihrem derben Mutterwitz Gebrauch machten.
Na, und auf die Dauer kann auch ein Pferd nicht von Luft leben. Trotz aller hochgemuten Zukunftsträume von einem Häuschen und einem Stückchen Land mußte Freund Wollenkämmer alsbald seinen vierbeinigen Hausgenossen wieder veräußern.
Literatur
1. Karl Wüstefeld: „Eichsfelder Volksleben“. - Verlag Mecke, Duderstadt, 1919
2. Karl Wüstefeld: „Aus der eichsfeldischen Heimat“. - Verlag Mecke, Duderstadt, 1925
3. Chr. Völker: „Nahrhafte Jungenderinnerungen:“ - Eichsfelder Heimatbote Nr. 16/17, 1942
4. Tolle - Krüger: „Eschwege und seine Landschaft“.
5. Engelmann: „Die wirtschaftliche Entwicklung des Kreises Worbis.“
6. Friedrich Polack: „Der Kreis Worbis.“
7. H. Herbst: „100 eichsfeldische Volkslieder.“ Cordier, Heiligenstadt, 1910.
8. Tagebuch des Bauern und Ziegeleibesitzers Joseph Hahn (handschriftlich)
9. H. Scharnsberg: „Wie die heidnischen Gebräuche unserer Vorfahren durch entsprechende christliche
verdrängt wurden.“ - Mein Eichsfeld, Heimatbuch 1930, Seite 38.
10. Martin Wähler: „Thüringische Volkskunde.!“ Jena, Eugen Diederichs.
11. Deutsche Volkskunde. Vierteljahrshefte. München.
12. Dr. Hugo Weigel: „Geheimnisse um Kinderspiele.“ - Abhandlung.
13. Johann Colers: „Oeconomia - „ 1598, Wittenberge.
14. K. C. Peters: „Flämisches Volkstum.“ Jena, Eugen Diederichs, 1943.
S o n s t i g e Q u e l l e n
Die Lengenfelder Kirchenrechnung von 1595. „Flurritte auf dem Eichsfelde“ von Alwin Ortmann. - Unser Eichsfeld, 1925 Seite 234/35.
Alter Gemeinde- und Kirchenrechnungen.
Überlieferungen aus dem Munde älterer Leute.
Eigene Erinnerungen und Beobachtungen.
Anmerkungen
1 Die letzte g e t e i l t e H a u s t ü r im Dorfe wurde vor wenigen Jahren (nach dem 2. Weltkriege) aus der Mittelmühle entfernt.
Geteilte Haustüren, aus einer oberen und einer unteren Hälfte bestehend finden sich heute noch in den skandinavischen Ländern.
2 In alten Zeiten in allen deutschen Landen; im Siegerlande und in Oberbayern E e r n genannt.
„Heute gibt es auch in dem kleinsten Hütten des Eichsfeldes kaum noch einen Wohnraum ohne Holzfußboden. Vor 60 Jahren (um 1890) waren Lehmstampfböden noch keine Seltenheit. Gewöhnlich war ein solcher Raum gleichzeitig Wohn- und Werkstätte. Da stand en einer Ecke der Tisch mit der blankgescheuerten Platte. Dahinter an den Wänden waren meistens Holzbänke aufgestellt. Vor dem Tisch hatten die Erwachsenen ihre einfachen Holzstühle aufgestellt. In der Ecke gegenüber hatte das Himmelbett mit rotkarrierten Vorhängen seinen Platz.
Eine verhältnismäßig große Fläche von der Innenwand brauchte der von der Küche aus beheizte Kachelofen, in dem während des Winters auf dem Dreifuß gekocht wurde. Über dem Ofenloch hing, von der Küche her zu benutzen, die „Blase“ ein gußeinseres Gefäß, in dem Tränkwasser vorgewärmt wurde.“ (Thür. Gauztg., 18/4. 1944).
3 In dem Hausbuch (der „Oeconomia“) des Johann Coler aus dem Jahre 1598 heißt es: „Hier in der Marck (Altmark) hat man itzo eine feine Art mit den K e l l e r n, das man die also bawet, das man den Stuben in den Keller geht und sonsten nirgens hineinkommen kan, mit den Küchen köndt mans meines erachtens auch wol also machen.“
4 „.... die Milch n ö ß e l w e i s e verkaufen“ (E. Marlitt „Im Schillingshofe.“)
5 „Man trifft ihn leider nur noch selten an, den gediegenen U r v ä t e r h a u s r a t , der in den letzten Jahrzehnten fast ganz durch die moderne Massenware verdrängt wurde, die mit bäuerlicher Wohnkultur nichts mehr gemein hat: die alte Truhe (Lade- mit den gemalten Bauernblumen, einst den Schatz der Hausfrau an selbsterzeugtem Linnen bergend, das Spinnrad, an dem Großmutters nie rastende Hände den Faden gleiten ließen, den Kachelofen mit der Jahreszahl, den Eichentisch mit Fußbänken ringsum und blankgescheuerter Ahorn- oder Lindenholzplatte und das Himmelbett.
Sie hatten Freud und Leid von Geschlechtern gesehen. Es war, als ob der gute Geist der Ahnen aus ihnen sprach.“ (Westf. Landeszeitung, Nr. 174, 1/7. 1939).
Vieles von der Beschreibung des mitteldeutschen B a u e r n h a u s e s paßt auf das eichsfeldische Haus früherer Zeit: „Die innere Gliederung des Wohnhauses beginnt mit der Haustür an der Traufseite, mit dem Flur, der gerade aus zur Küche und seitlich zu der Wohnstube führt. Die Stube liegt an der äußeren Hausecke und hat Fenster nach dem Hof und auf die Straße. Die Wände sind getüncht ..., der Fußboden gedielt. Die Decken .... (Balkendecken) verputzt. In der Fensterecke, die auch der Herrgottswinkel ist, steht der große Tisch mit gescheuerter Platte, umgeben von den Wandbänken. Gegenüber in der Ecke steht der Ofen, ein oft mit keramischem Schmuck versehener großer Kachelofen, von der Ofenbank umgeben, von der Küche aus heizbar, teilweise noch in die anliegende Schlafkammer reichend. Oft bleibt ein warmer Raum, „die Hölle“, vom Ofen bis zur Kammerwand frei. Auf der andern Seite des Flurs liegen Wohn- und Werkkammern. Die Treppe führt in das Obergeschoß, wo die Giebelstube häufig zur guten Stube ausgebildet ist.“ („Deutsche Volkskunst“ von Konrad Hahm).
6 Die heutige Bauweise mit ihren glatten oder gar hohl gewölbten schmalen Verputzstreifen zwischen Dachrinne und Hausmauer gibt keinem S c h w a l b e n n e s t mehr Halt und führt nach und nach zum Aussterben dieser unermüdlichen Insektenvertilger. Eine ähnliche Wirkung für unsere Standvögel hat das behördliche Verbot der offenen Luken an Scheunen, Heu- und Futterböden (im früheren Reg.-Bezirk Erfurt).
7 B a c k ö f e n , für Lengenfeld nachgewiesen: Gem.-Rech. 1757: Ein Backofen in der Pfarrei genannt.
1799; Gem.-Rech-: Dem Untersteher werden 4 ggr (Gute Groschen) ausgezahlt „von den hier im Orte befindlichen Backöfen abzuzählen“.
1843: Ziegeleibesitzer Joseph Hahn auf dem Schafhofe hat einen neuen Dörr-(Back)-ofen an Nickels herunter gebaut.
Um 1900 fanden sich noch Back- und Dörröfen in den Obstgärten oder auf dem Hofraiten von Amschriewersch, der Meierei, Heppensems, Ficks Mribarwe, Riekens, Hansalms und dem Bischofstein.
8 „An dieser Stelle sollen auch dem S c h w a r z d o r n oder der Schlehe, Prunus spinosa, einige Worte gewidmet werden, nicht als ob es sich bei diesem Strauche um etwas besonders Bemerkenswertes handelte. Dazu ist dieser Strauch im Gebiete noch zu zahlreich vor -
handen und überaus weit verbreitet. Aber gerade durch sein zahlreiches Auftreten an Waldrändern, in Gebüschen und vor allem in den zahlreichen dichten und lang hinziehenden Hecken an den Abhängen der eichsfeldischen Höhen verleiht er diesen einen besonderen landschaftlichen Reiz. Besonders zur Blütezeit im Frühjahr erscheinen diese Hecken wie mit Blütenschnee übersät und bieten alsdann, untermischt mit vielerlei anderen Sträuchern - und stellenweise durchrankt und übersponnen von der Waldrebe, die auch Teufelszwirn genannt wird und eine der wenigen Lianen unserer deutschen Wälder darstellt, ein eigenartiges Vegetationsbild dar; dazu kommt ihr Wert als natürliche Niststätten für etwa 40 Arten Vögelm die in dem dornbewehrten dichten Ast- und Laubwerk dieses Strauches und des mit ihm nahe verwandten, gleichfalls bei uns häufigen Weißdornes, Crataegus oxiacantha und monogyra, Schutz und Zuflucht finden. Dabei ist ganz abgesehen von dem praktischen Nutzen, den die an den Hängen entlang ziehende Hecken durch Befestigung des Bodens leisten. Auch nimmt man an, daß durch dieselben die Kraft der über das Land streichenden Winde wesentlich gebrochen wird...“ (Dr. Franz Neureuter: „Beobachtungen aus der heimatlichen Pflanzenwelt.“ - Unser Eichsfeld, Heiligenstadt 1/1913).
Durch die moderne Bodenforschung ist inzwischen erwiesen, daß lebende Zäune (Heckenzäune) dem Boden die ihm entsteigende Kohlensäure erhalten, die dem Wachstum der Pflanzen notwendig ist (Der Verfasser).
9 Einige dieser k e r n i g e n T y p e n seien mit den Flurnamen ihres Feldes (Ackers) namentlich angeführt:
Kiwhärtens Chrischtoffel . . . . . Dichhelzen
Kaufholds Thums . . . . . . Buchborn
Schustersch Jakob . . . . . . Buchborn
Christens Anrees und d’r aale Backer . . . Am Rimbiel
Ricks (Eberhard Henriks) . . . . . Ungerm Klatterräin
Strüßewelins Auwies und d’r ale Lotze . . . Ungerm Diembark
Hahns Klais . . . . . . . Am Häiljenbarje
Der ale Hillmann . . . . . . Uff d’r Häiden
Ottens Niklais . . . . . . Uff d’r Häiden
Bodens Hammichel und Amschreiwersch Ernst . . An d’r Diewelsnasen
Stangens Hennerch und d’r ale Bodenkasper . . Am Aintenbarje
10 „Von den A r b e i t e r b a u e r n des Saargebietes heißt es, daß sie tief mit der Scholle verwachsen sind und leidenschaftlich an der Erde hängen, die ihnen zur Bebauung anvertraut ist, daß bei Schuluntersuchungen sich gezeigt hat, daß dort der beste Gesundheitszustand herrscht, wo neben die Fabrikarbeit die Feldarbeit tritt, daß
Arbeiterfamilien mit landwirtschaftlicher Betätigung kinderreicher und bodenständiger sind, als solche in städtischen Mietshäusern.“
(Rhein.-Estf. Ztg. Nr. 207 vom 24./4.1942.)
11 „Nachdem sie einen gemütlichen Winter in der Heimat verlebt haben, ziehen nach den Osterfeiertagen viele Männer und Burschen unseres Dorfes als S a i s o n a r b e i t e r nach allen Richtungen der Windrose in die Fremde. Das Ziel vieler sind die Ziegeleien im Westen unseres Vaterlandes. Der Verdienst ist dort gut, und bei der bekannten Sparsamkeit der Eichsfelder ist es nicht zu verwundern, wenn die meisten Lengenfelder „Ziegelisten“ im September „en scheenen Taler Gald“ mit nach Hause bringen. Nach sauren Wochen werden dann daheim mit echt eichsfeldischer Gemütlichkeit die „kläine Kermße“ und das Radfahrerfest gefeiert.
Doch die „Ziegelisten“ sind die reinen Zugvögel. Nach einiger Zeit, wenn die Zuckerrübenernte begonnen hat, hat das Schicksal unsere wanderlustigen Lengenfelder abermals in alle deutschen Gaue zerstreut. In den Zuckerfabriken sind sie wieder zu finden. Auf den Zuckerböden und bei den Zuckerkesseln kann man dann bei Tag und Nacht auch die trauten Klänge unserer lieben Mundart vernehmen.
„Ich wall mee en Schwinnchen verdine!“ Das ist das Leitmotiv manchen braven Lengenfelders, wenn er mit dem „Fabrikskasten“ auf dem Rücken, von seinen Lieben Abschied nimmt. Seine nach Weihnachten so gefüllte Wurstkammer beweist, daß es „en gefahrlicher Rakel“ war, den er hat verdienen können. Der sparsame Landsmann muß wohl „en guden Posten“ in der Fabrik bekleidet haben; vielleicht war er gar Zuckerkocher oder „sö enne Oort Uffsichter“.
Wen es freilich nach einigen Tagen, nachdem der Vorrat des „Fabrikskaastens“ an „Längefaller Worscht un Nöördhüser“ erschöpft ist, unwiderstehlich nach der lieben Heimat zieht, für den war die von dem „verdinten Schwinnchen“ gefüllte Wurstekammer nur ein schöner Traum. Letzterer Fall gehört jedoch zu den Ausnahmen. In letzter Zeit verwendeten kluge „Ziegelisten“ ihren Verdienst auch dazu, hierselbst sich „en Hüschen“ zu bauen. (Eichsfeldia, Heiligenstadt, Nr. 87 vom 16./4. 1911.)
12 „Im Dammerschiene näigt sich nun d’r Taak,
Am Amböß hallt nit mee des Hammers Schlaak,
Un äwwers träumverlorne wiete Fald
Batglockenklang vum höchen Torme hallt.“
(Aus B a t g l o c k e n“ von Adam Richwien.)
13 (K u r r a n t e). „Die Bezeichnung „Kurrende“ kommt vom Lateinischen „currendo canere“, gleich „umherlaufend singen“ und war im Mittelalter für die Singechöre der Stadtschulen gebräuchlich, die auf den Straßen um milde Gaben sammelten. Im 19. Jahrhundert verschwand die Einrichtung.“ (Rhein.-Westf. Ztg.; Essen, 20/2. 1944.)
14 Ein ähnlicher Brauch hat sich in manchen münsterländischen Gemeinden bis in die heutige Zeit erhalten, wie nachstehende Mitteilung zeigt: „. . . Es ist ein sogenannter „Verkündstein“, den bis vor einigen Jahren an jedem Sonntag nach dem Hauptgottesdienst der Gemeindepolizist erstieg, um die amtlichen Bekanntmachungen zu verlesen. Solche V e r k ü n d s t e i n e gibt es noch in Brochterbeck, Ladbergen, Lengerich und Lienen, Krs. Tecklenburg; in Saerbeck Krs. Münster und in Seppenrade, Krs. Lüdinghausen, wahrscheinlich auch in Gemen, Krs. Borken. In Brochterbeck, Ladbergen, Saerbeck und Seppenrade sind sie noch heute beim sonntäglichen „Afroupen“ in Gebrauch.“ (Westf. Heimatkalender 1944.)
15 Eines der Lengenfelder Spukwesen ist von einem Landsmann in launiger Weise besungen worden. -
D e r W a s s e r e s e l.
Vom Turme schlägt es Mitternacht,
Das ist die Geisterstunde -
Der Wasseresel ist erwacht und macht die Brückenrunde -.
Verdächtig da mit schwankem Schritt ein Männlein aus der
Schenke tritt,
Es hat das runde Männchen im Leib gar manches Kännchen.
Es kommt ihm alles in die Quer; zu schmal ist ihm die Gasse. -
Was kriecht dort von der Brücke her für eine dunkle Masse!
Jetzt steht er nur 2 Schritt davor, da wächst es riesengroß empor
Und zischt ihn an: „Entweiche, sonst bist du eine Leiche!“
„Der Wasseresel! - Steh mir bei! O Gott, ich bin verloren! -
Der Feuerschlund voll Schwefelbrei - und diese lange Ohren!
Schon hats am Kragen ihn gepackt, daß ihm der Wirbelknochen
knackt.
Es rauscht die hochgeschwollne Flut, der Kleine ist verschwunden.
Ernüchtert, wenn auch ohne Hut / hat er bald Land gefunden.
Vor Vetter Edmund seinem Haus, da steigt er aus dem Bad heraus.
Was wird, so kann man fragen, wohl seine Alte sagen?
Was wird, so kann man fragen, wohl seine Alte sagen?
Ich denk, darüber schweigt man halt. - Den Rat möcht ich noch
geben
Den Zechern allen, jung und alt, die gern am Stammtisch kleben.
Wer nachts zu vorgerückter Frist, verspüret, daß er „selig“ ist,
Der lasse sich nicht blicken da bei der „Stenner Brücken.“
(Mitteldeutsche Volkszeitung „Eichsfeldia“; 1/10. 1920.)
16 „Am S o n n t a g n a c h m i t t a g e , wenn die Mädchen des Dorfes ihre melancholischen Lieder singend, Arm in Arm in langer Reihe auf der Landstraße wandeln, gefolgt von den jungen Burschen.“ (Kölnische Volkszeitung Nr. 114/1891 ; Bericht aus dem Kreise Biedenkopf - Hessen.)
In der ehemaligen deutschen Sprachinsel im Schildgebirge in Ungarn, gingen sonntagsnachmittags Burschen und Mädels durchs Dorfs und sangen, die Mädchen eingehenkt in einer Reihe, hintennach die Burschen. (Nach Else Zenker-Starzacher: „Eine deutsche Märchenerzählerin in Ungarn.“ 1941.)
17 (Eichsfelder Mantel). - „‘s äs Arnteziet, de Jhren dorrn,
De Sichel rüscht im riffen Korn,
de Gorbenstiggen stenn, als wann
Se än kattünern Maantel hann
Met F r a n s e l n un Besatz.“
(Aus: „Konstiggenlied“ von Adam Richwien, Lengenfeld u.St.)
18 (S ü ß k u c h e n). - „Als Leckerbissen galt noch um 1900 der Süßkuchen. Die Herstellung ging folgendermaßen vor sich. Ein Scheffel Weizen (4 Metzen = etwa 80 Pfund) wurde in Wasser eingeweicht. Sobald die Körner anfingen zu keimen, kamen sie heraus und wurden auf dem „Schlohtuch“ (großes Drillichtuch von etwa 3 mal 4 m, auf dem der Wintersamen (Raps) ausgeschlagen wurde) an der Sonne zum Trocknen ausgebreitet. Das Mehl von solchem gekeimten Weizen hieß Süßmehl. Zum Backen machte man es mit Wasser an und ließ den mit Wasser bedeckten Teig im Backofen in einer Bratpfanne backen. Wenn der Süßkuchen gar war, hatte er eine kaffeebraune Farbe und eine Struktur wie Schmierseife. In nicht wenigen Haushaltungen brauchte man ihn als Brotaufstrich.“ (Dr. Chr. Völker: „Nahrhafte Jugenderinnerungen“. Eichsfelder Heimatbote Nr. 16/1942.)
19 Der Verfasser fand diesen Brauch noch 1915 bei einem Bauern in Voerde bei Wesel vor.
(M e h l s u p p e).
20 . (Trinken - Kofent). - Im Rudolstädter Kermesenlied von Anton Sommer heißt es: „. . . un loischt ‘n Dorscht met Kuvent.“ (s. Nachtr.)
Heinrich Sohnrey erwähnt in einem seiner Bücher, daß „Koffentbier“ in dem Sollingdorfe Fredersloh und in seinem Heimatdorfe Jühnde bei Göttingen gebraut wurde.
21 (Osterfeuer auf dem Kirchhofe). - Der gleiche Brauch wurde im
Warburger Lande und ebenfalls im Elsaß geübt (Elsaß -Lothringer Heimat Nr. 3/1926).
22 (Osterfeuer im Felde). - In ihrem Kampfe gegen das alte Brauchtum machte die Mainzer Bürokratie der Aufklärungszeit auch vor dem Osterfeuer nicht Halt. Verbote desselben wurden durch die Heiligenstädter Regierung erlassen am 21./1. 1735, 14./3.1746, 12./4.1779. Nach dieser letzten Verordnung war „das Osterfeuermachen bei ohnerbittlicher vierwöchentlicher Zuchthausstrafe verboten.“
23 (Gänsetallen).
„Ein blühend Leben umkreist die Eichen;
Dort tanzt die Jugend Ringelreihen,
Am Rain, im Hain, im Marienglanz,
Ein jeder hascht nach Tanz und Kranz.
Die Blätter rauschen so leis und tief,
Als ob ein Märchen in ihnen schlief.“
Aus: „Drei Eichen“ von August Hahn, Lengenfeld u. St.
24 (W a l p e r b i e l). - „In Schmalkalden treten die „Walpermännchen“ auf; sie verfolgen die Hexen, die von kleinen Mädchen, die alle Papiermützen auf dem Kopf und manchmal auch einen Stecken in der Hand tragen, dargestellt werden ....“
Im Mittelalter hielten die Erfurter ihren „Walperzug“ nach der Wagdweide im Steiger. Vorn zogen, wie der Erfurter Chronist Falckenstein schildert, die vier Walperherren, mit weißen Stäben in der Hand; ihnen folgten die Viertelsknechte, Bierrufer, Spielleute in phantastisch bunten Gewändern, alle mit Maiengrün, mit Sträußen und sogar ganzen Maienbäumen geschmückt, während die Jugend sang: „Willst du mit nach Walper gehn? Willst du mit, so komm ...“ Zwei Knaben, die goldene Ketten und Geschmeide trugen und den geschlagenen Winterriesen und den siegreichen Frühling verkörperten, führte man hoch zu Roß im Zuge mit. Im Walde bewirteten die Walperherren die Teilnehmer drei Tage lang mit Bier und Kuchen. Die aus dem Walde mitgenommenen Maien setzten die Bürger vor und in ihre Häuser. Im Jahre 1666 wurde dem Walperzuge durch ein kurfürstlich mainzisches Verbot ein Ende gemacht; er lebte aber nach dem Befreiungskriegen im „Grünen Mintag“ der Handwerker, mit dem sich das altgermanische Frühlingsfest verband, wieder auf. Noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts rief in Dietersdorf bei Rudolstadt der Schulze die Nachbarn durch Blasen auf einem Glashorn zum „Walpern“, d. h. zum Wegebessern am 1. Mai. So verblaßte und verflüchtigte sich mit der Zeit die Erinnerung an das einstige Frühlingsfest.“ (Martin Wähler: Thüringische Volkskunde).
25 (Krautbündel). - In Litauen werden vor Johannestag die Stallfenster und Türen mit Ebereschenzweigen und Brennnesseln besteckt, um das Vieh vor Hexen zu schützen. (J. Balys „Baum und Mensch im litauischen Volksglauben“:) - Der Vogelbeerbaum war ein heiliger Baum der Germanen. In Island wird die Eberesche mit Lichtern und Tand besteckt. (Nach E. Dieckerhoff; Mittag, Düsseldorf, vom 13./4.1935).
26 (Zwillingsähren), - Bei den deutschen Bauern in Slowenin galt dieser Brauch als Schutz gegen Feuer und Blitzschlag. In Schleswig dienen Zwillingsähren nach dem Glauben der Bauern dazu, das Haus vor Blitzschlag zu bewahren.
27 (Brotaufschneiden). - In dem „Allgemeinen Lesebuch für den Bürger und Landmann“ von Dr. H. G. Paulus aus dem Jahre 1811 wird dieser schöne alte Brauch als Aberglaube bezeichnet.
28 (Kirmeßreim). - Eine schlesische Fassung: „Wenns Kirmeß wird sein, wenns Kirmeß wird sein, da schlachtet der Vater den Bock, da tanzt die Mutter, da tanzt die Mutter, da wackelt der Mutter der Rock.“ (Schlesischer Psalter“ v. Friedrich Bischoff). - Im hessischen Sprachgebiet: „Wenn Pingsten is, wenn Pingsten is, dann slacht min Varren nen Bock, dann danzt min Murrer, dann danz min Murrer, dann flücht de roe Rock.“ - Im Sauerlande: „Wann Miärten is, wann Miärten is, dann schlachtet min Vadder en Bock, dann danzet de Mudder, dann danzet de Mudder, wüall mit dem rauen Rock.“
29 (Anger). - Literatur: Dr. Johannes Müller „Der Dorfanger des Eichsfelders“. Cordier, Heiligenstadt 1951. Adam Richwien „Lengenfelder Dorfheimat“. Cordier; Heiligenstadt.
(Angerlinde). - „Alte Baumriesen inmitten der Ortschaften gehören notwendigerweise zum Bilde der Heimat. Sie sind von Jung und Alt gekannt und unzertrennlich verbunden mit der Vorstellung, die sich die Bewohner einer Landschaft von ihrer Heimat machen, auch wenn sie fern von derselben leben. Die alte mächtige Linde, die mitten auf dem Dorfplatz steht, unter der schon viele Geschlechter der Menschen einhergingen, und in deren Schatten heute noch die Kinder des Dorfes spielen, ist ein ehrwürdiges Wahrzeichen vergangener Zeiten, der Mittelpunkt und Ausgangspunkt vieler Erinnerungen, ein wesentlicher Bestandteil dessen, was man Heimatbild nennt.“ (Franz Neureuter „Durch Alter und Wuchs bemerkenswerte Bäume und Sträucher“: Unser Eichsfeld, 2/1913).
Wertvolle Aussprüche über alte Bäume finden sich auch in Goethes „Werther“, in Bismarcks Gedanken und Erinnerungen, 3. Teil. Wallenstein, der große Kurfürst waren Baumschützer.
30 (Krämergasse). - Lengenfelder Kirchenrechnung 1926.
31 (S p i n n s t u b e ). - Durch Verordnung der eichsfeldischen Regierung vom 21. Juni 1752 wurden die Spinnstuben verboten und mit Geldstrafe oder mit 10tägiger Turmstrafe bei Wasser und Brot bestraft, im Wiederholungsfalle mit 4wöchentlicher Zuchthausstrafe. 1754 und 1766 erfolgten erneute Verbote. 1767 verlangte der Kurfürst auf Grund des Berichtes eines Revisionsbeamten vom Jahre vorher, daß notfalls die Pfarrer mit Hilfe der Polizei gegen die Spinnstuben vorgehen sollten. In diesem Revisionsbericht wurde auch das nächtliche Wachen der Mädchen in den Bleichhütten bemängelt. Sogar 1840 noch brachte der Landrat des Kreises Worbis die noch geltende Verordnung von 1752 in Erinnerung.
Alle diese Maßnahmen jedoch haben nicht vermocht, die Spinnstuben zu beseitigen. Allen Maßnahmen zum Trotz erhielten die sich, solange Flachs mit Spinnrädern gesponnen wurde.
32 (Siehe Anm. 15 - Wasseresel).
33 (Schlachten). - J. O. Plaßmann schreibt: „... Ein Nachklang des Brauches findet sich noch in Franken, wie Georg Raumer aus Nürnberg berichtet: Wenn bei uns ein Schwein geschlachtet wird, so schneidet der Metzger beim Zerlegen des Tieres den Nabel heraus, der nach altem Glauben der Sitz des Lebens sein soll. Dabei ist er durchaus nicht auf sorgfältiges Herauslösen bedacht, sondern läßt ziemlich viel Speck mitgehen. Während nun andere Abfälle auf die Dungstätte geworfen oder an Hund und Katze gegeben werden, hängt man den Nabel auf einen Baum „für die Vögel“, wie man sagt. Irgend welche Benennungen sind bei diesem Brauche nicht mehr erhalten; er beschränkt sich aber nicht etwa auf einige entlegene Dörfer, sondern wird allenthalben auch in den Städten ausgeübt, soweit es sich nicht um gewerbliche Schlachtungen handelt.“
34 (Schlachtekohl).
„Brootworscht, Kleese, Fläisch un Soppen
Un daar fatte Schlachtköhl;
Dozu gits än guden Troppen,
Wäil daar Köhl es fatt wie Eel.
Krappel, Schmaant- und Appelkuchen,
Daß de Brij üms Mül rim läift.
Häi! wi do de Wiewer juchen!
Besser schmeckts, als wammes käift.“
Aus dem Reimgedicht: „Schlachtekohl“ von einem unbekannten Verfassser.
35 (Neujahrsingen). - In den Harzstädtchen Benneckenstein ziehen die Kinder als Silvestersänger von Haus zu Haus, um mit kleinen Gaben beschenkt zu werden. (Neue Berliner Illustrierte vom 5. Dezember 1951).
36 (Alter Neujahrsbrauch in Effelder). - Ein schöner Brauch hatte sich zu Beginn des 2. Weltkrieges in Effelder erhalten. Um Mitternacht sammelten sich die Teilnehmer, aus jedem Hause einer, beim Schulzenamt. Unter Anführung des Nachtwächters zogen sie durchs Dorf, wobei an bestimmten Stellen gesungen wurde:
„Ich wünsch euch allen insgemein, groß und klein, jung und alt, arm und reich, Witwen und Waisen,
Pfarrherr und Schullehrer, Kirchner und Vorsteher in der Gemeinde - wünsche auch allen glückseliges neues Jahr, Gesundheit, Frieden und Einigkeit und die ewige Seligkeit.
Also wollen wir das neue Jahr antreten im Namen der hochheiligen Dreifaltigkeit, Gott Vater, Gott Sohn und Gott heiliger Geist.“
Nach dem Vers eines Kirchenliedes folgten drei Salven. Darauf bewegte sich der Zug zur Kirche, wo zum Abschluß der Engel des Herrn gebetet wurde.
37 (Volkslieder). - Siehe: Herbst, „Hundert eichsfeldische Volkslieder“. Codier, Heiligenstadt 1910.
38 (Hochzeitsbrauch). - Einen ähnlichen Brauch, bei dem der Hochzeitsvater zum gleichen Zweck Brot unter die Gäste austeilt, erwähnt der fränkische Schriftsteller Schnack in seinem Roman: „Sebastian im Wald“. Auch in der Altenburger Gegend (Thür. )wurde 3 Tage Hochzeit gefeiert.
39 T o d a n m e l d e n . - „Alle Seebevölkerung weiß, daß die Fahrensleute in der Stunde, wo sie auf See ertrinken, mächtig sind, an Land, in ihrem Hause, zu rufen oder zu schreien, zu klopfen oder zu schreien, auf dem Nebelhorn zu blasen, die Bilder an der Wand zu Boden zu werfen, die Uhr anzuhalten oder in Lebensgestalt zu erscheinen.“ (Gorch Fock „ Seefahrt ist not!“)
40 (Streuwe). - Auch in der Mühlhäuser Gegend bekannt. Ebenso wurde der Brauch in manchen Gegenden Flanderns geübt.
41 (Weiße Trauerfarbe). - Die weiße Trauerfarbe ist keineswegs von den Wenden übernommen worden, wie die frühere Heimatkunde lehrte.
Weiß gehörte zur Trauerkleidung der Frauen und Mädchen im Geestlande des Reg.-Bezirks Stade. „Auf dem Totenwagen, einem
Leiterwagen, den ein Nachbar fahren mußte, ruht der Sarg auf Strohwiepen; auf dem Sarg sitzen in weiße Trauerlaken eingehüllt oder doch mit umgesteckten weißen Trauertüchern bekleidet, die nächsten weiblichen Angehörigen des Toten.“
„Weiß war eben die altgermanische Trauerfarbe; hier hat das Volksbewußtsein diese bis in unsere Zeiten hinüber gerettet, und erst neuerdings ist als Modefarbe die schwarze Totenfarbe eingezogen.“ - (Hans Müller-Brauel in „Heimatkunde des Reg.-Bezirks Stade.“ - Vor 1914 erschienen)
„Als bessere Trauertracht jedoch gelten bei Frauen und Mädchen im Kreise Biedenkopf (Hessen) weiße „Stülpche“ (Mützen). - (Kölnische Volkszeitung Nr. 154/1899).
„Im nördlichen Westflandern und in vereinzelten Dörfern Ostflanderns werden die Leichen aus entfernt liegenden Orten auf einem Bauernwagen mit weißer Plane (weißer Wagen) zur Kirche gebracht. Auf dem Wagen nehmen zwei, drei oder vier der nächsten Blutsverwandten Platz, meist nur Frauen,“ (K. C. Peters „Vlämisches Volkstum“).
Auch in Friesland, im Spreewald und in einigen Gegenden Nordfrankreichs wurden in neuerer Zeit noch Reste weißer Trauerkleidung festgestellt.
Selma Lagerlöf bei der Schilderung einer Beerdigung in dem Roman „Gösta Berling“: „Die Frauen trugen die weißen Schürzen mit den breiten Säumen.“ - Der Roman spielt um 1820.
42 (Eule am Scheunentor). Ein alter Bauernspruch aus der Lüneburger Heide lautet: „Solange die Eule am Tore wacht, hat Blitz und Donner keine Macht.“ Eine ähnliche Bedeutung wohnte wohl auch dem eichsfeldischen Brauch inne.
43 (Spinnweben auf Wunden). Dieser Brauch wird auch in den Romanen „Bauernadel“ (Schwarzwald) von Hermann Eris Busse und „Das heilige Band“ (Deutsche Sprachinsel in Galizien) von Planner-Petelin, erwähnt.
44 (Kräutersammeln). Eine alte Sammlerin war unter dem Namen „Teelieschen“ bekannt.
45 (Pfeifenreime). Im Idarwald „...Werfen i’ten de Grawe, fressen et die Rave.“ - In Mörsdorf im Hunsrück „...falle se en de Grawen, fresse se de Rawen.“ - Ein hochdeutscher Reim: „Sipp, sapp, sepe, ich mach mir eine Flöte, von Thymian, von Majoran. Und willst du nicht vom Baste gehn, schmeiß ich dich in den Graben bei Kröten, Schlangen und Raben.“
46 ((Klappern in der Karwoche). Schon Amalricus von Metz, gest.
857, berichtet, daß am Karfreitage die Gläubigen durch hölzerne Töne zur Kirche gerufen würden. (Elsaßland - Lothringer Heimat, Straßburg, 3/1926). - Bei den Deutschen in der ehemaligen deutschen Sprachinsel Kremnitz (Slowakei) vertrat eine große hölzerne „Schnatter“ die im Glockenstuhle angebracht wurde, die Stelle der Klappern. (Mündlicher Bericht).
47 (Alte Auszählreime). Weitere Beispiele: Kling, klang, Gloria,
Wer sitzt in diesem Doria?
Eine kleine Königin,
Die man nicht zu sehen kriegt.
Wir treten auf die Kette, daß die Kette klingt,
Wir haben einen Vogel, der so schöne singt,
Singt so schön wie ein Star, hat gelebet sieben Jahr,
Sieben Jahr sind bald herum. Pfui schäme dich, pfui schäme dich,
Daß alles lachen muß.
Sieh dich vor! Sieh dich vor! Die goldne, goldne Brücke,
Sieh ist entzwei, sie ist entzwei, wir wolln sie wieder flicken.
Dieses Lied mit dem dazu gehörigen Spiel ist schon im 15. Jahrhundert bekannt (Dr. Hugo Beigel: Geheimnisse um Kinderspiele).
Inckchen, Pinckchen, Zuckerkinkchen,
Willst du mit nach Hahneminkchen.
Hahneminkchen ist so weit,
Vierundzwanzig Stunden breit.
48 (Jungen in Mädchenröckchen). „Manchen Morgen gegen 9 Uhr stand ich im Mädchenröckchen, das zu jener Zeit noch die Buben bis zu ihrem vierten Jahr zu tragen pflegten, ...“ (Karl Alexander von Müller: „Aus Gärten der Vergangenheit.“ - Gustav Kilper Verlag Stuttgart).
49 (Kinderteich). In den Wißnerdörfern (Kurhessen) kommen die kleinen Kinder aus dem Frau-Hollenteiche (Zeitschrift für Volkskunde) - Bei Schauerte „Brauchtum des Sauerlandes“ heißt es: „Meine Mutter sagte mir, aus dem Teiche kommen wir.“
In dem Roman „Der standhafte Geometer“ von Rombach, kommen die Kleinsten aus der Donauquelle.
50 (Heilsegen als Kinderreim). Ein sauerländischer Reim: „Heile heile Siägen, siewen Dage Riägen, siewen Dage Snai, et daut mi nit mehr wai.
51 (Kinderspiele in früheren Zeiten). Wie Kinderreime, haben auch Kinderspiele ein ehrwürdiges Alter. Schon in Pompejij spielten die kleinen Römer mit Knickern, und der Kreisel findet sich in den Särgen und Urnen der Germanen. Abbildungen in den ägyptischen
Pyramiden zeigen uns Kinder, die mit Kreiseln spielen, und sogar bei den Ausgrabungen in Troja fand man sie. Die griechischen Mädchen spielten Blindekuh wie die Brueghelschen Mädchen. Das Reifenschlagen diente schon vor Jahrhunderten deutschen Kindern zur Kurzweil. Reifenschlagende und kreiselschlagende Kinder stellte auch Pieter Brueghel (16. Jahrhundert in Vlandern) auf seinem Kinderspielbild dar.
Auf den Kupferstichen von Conrad Meyer aus dem 17. Jahrhundert (München, Kupferstichkabinet) sind dargestellt: der Wind- oder Drehmühlenstab, das Reifenschlagen, Seilspringen, Drachensteigen, Stelzenlaufen und das Blindekuhspiel. - Mettenleiter und Chodowiecki (18. Jahrhundert) stellen dar: Das Schießen mit Blasrohr, Soldatenspielen, Kochen und Pferdespielen.
52 (Wagenhängen). Auch im Kreise Fulda war diese Neckerei (das Nachrufen) üblich.
53 Lengenfeld u. St., 14. März. I n d e r v e r f l o s s e n e n W o c h e konnte Herr A d a m S i m o n
hierselbst auf eine 50jährige Tätigkeit als Schmiedemeister zurückblicken. Weit über die Grenzen unseres Ortes hinaus auf dem gesamten Südeichsfelde und in den angrenzenden Gebieten von Hessen und Thüringen ist Herr Simon bekannt, beliebt und geachtet. Ein wackerer Jünger Hephästo’s, ein Meister seines Faches im vorzüglichen Sinne des Wortes, ein gerader, offener und biederer Charakter, ein zu jeder Zeit gefälliger und dienstbereiter Menschenfreund, immer voll heiterer Laune, voll Humor und Mutterwitz, die ihm und vielen anderen über manche ernste Stunde hinweggeholfen haben, kann Herr Simon am Abend seines Lebens auf ein an Arbeit und Mühe aber auch an Erfolgen reiches Leben zurückblicken. - Zwar hat es ihm auch an Enttäuschungen nicht gefehlt, aber seinen Mut konnte nichts beugen. In treuer Berufserfüllung, liebevoller Sorge für die Seinen und zuvorkommender Gefälligkeit gegen die Mitmenschen suchte er seinem Leben den rechten Inhalt zu verleihen. Zu alledem kommt noch, daß „Schmedäd’n“ wie Herr Simon im Volksmunde genannt wird, ein Meister der Zahnziehkunst und in der Tierheilkunde wohlbewandert ist. Ganz gratis oder gegen „en Kannchen“ hat er durch erstere Kunst manchem Gliede der leidenden Menschheit wieder zu fröhlicher Lebensfreude verholfen; durch seine reichen Erfahrungen auf dem Gebiete der Tierheilkunde aber manchen vor bedeutendem wirtschaftlichen Schaden bewahrt. Mit der körperlichen Rüstigkeit und Elastizität des Herrn Simon harmoniert seine geistige Regsamkeit und Frische. Bewunderungswürdig ist sein fabelhaftes Gedächtnis. Dazu kommt
seine plastische, phantasie- und humorvolle Darstellungsgabe beim Erzählen. Vermöge dieser Eigenschaften kann er eine Gesellschaft stundenlang unterhalten, und man wird nicht müde dem gemütlichen Erzähler gespannt zuzuhören. Interessant sind namentlich seine Erlebnisse während der „Isenbahnzeit“ in Lengenfeld und während einer Kirmeß in Großengottern. Besonders hervorzuheben ist die Belesenheit Herrn Simon’s in der Bibel. Manche schwierige Kapitel beherrscht er wörtlich auswendig. Herr Simon ist so recht eine volkstümliche Persönlichkeit, ein Stück verkörperter Ortsgeschichte der letzten 65 Jahre. Dem alten Meister, der noch jetzt den Schmiedehammer schwingt, gelte der Wunsch: Noch viele Jahre!
(Nr. 61 Der Eichsfeldia vom 15. März 1911.)
Nachtrag
zu Anmerkung 20 (Trinken - Kofent), Seite 66.
Das Getränk wird schon im Salbuch für Amt und Gericht Altenstein (bei Allendorf a. d. Werra) vom Jahre 1643 erwähnt.
Bemerkung
Falls die Selbstkosten durch Vorbestellungen gesichert werden, sollen weitere Hefte erscheinen. Als Manuskript liegen vor:
Eichsfelder Redensarten und volkstümliche Tier- und Pflanzennamen.
Bischofstein bei Lengenfeld u. St.
Das eichsfeldische Dorf Lengenfeld unterm Stein.
Wörterbuch der südeichsfeldischen Mundart.
Beiträge zur Geschichte der eichsfeldischen Sippe Fick.