Sage und Geschichte von Bischofstein

Auf halber Höhe des Berges, mit seinen dunkelroten Dächern sich malerisch in das Grün der Wälder einschmiegend, liegt das Schloss, das uns allen eine zweite Heimat geworden ist. Es ist eine Heimat ganz besonderer Art. Wir erinnern uns wohl alle des Augenblicks, als wir zum ersten Mal über die ausgetretenen Steine in den dämmrigen Hausflur traten und dann mit heimlicher Ehrfurcht die dunkle Treppe hinaufstiegen. Vielleicht denken wir auch an das alte Kurmainzer Wappen, das sich über der Tür befindet. Wir ahnen, dass das Schloss aus großen Zeiten der Geschichte erzählen könnte. Sagen und Geschichte machen uns Menschen die Heimat noch um vieles lieber und schöner. Darum will ich erzählen, was ich über das Schloss weiß.

Oben auf dem Stein, wo wir noch heute die Reste von Gräben, Mauern und Türmen erkennen, stand einst eine gewaltige Burg, die weit und breit als uneinnehmbar galt. Aus dem heutigen Kuhpalais lag die „Stadt am Stein“. Wir erkennen heute noch die Umwallung, einen Brunnen und den Grundriss der St.-Georgs-Kapelle. Auch der Marktplatz und das Tor lassen sich noch erkennen. Zum ersten Mal taucht der Name der Burg in alten Akten schon vor dem Jahr 1000 auf. Sie hat ihre Herren oft gewechselt, gehörte aber meistens dem Erzbistum Mainz, da sie an dies verpfändet wurde.

In die große Geschichte wurde sie verwickelt, als die Normannen mit ihren Schiffen die Weser und Werra heraufkamen. Sie belagerten auch den Stein und konnten ihn schließlich erobern. An dieses Ereignis erinnert eine Sage, die mit geringen Abweichungen in weitem Umkreis im Eichsfeld erzählt wird:

Zu einer Zeit, wo der Stein kurmainzisch war, hauste auf der Feste „Stein“ ein Vogt, der weit und breit als Wegelagerer gefürchtet war. Eines Tages war er zu dem Küster des Dorfes Flinsberg geritten, wo ein Kind getauft werden sollte. Zu später Stunde klopfte dort ein fremder Ritter an und bat für sich und seinen Diener um Herberge. Der Vogt hatte bald entdeckt, dass der Fremde, von dem die Sage berichtet, dass es Richard Löwenherz gewesen sei, reiche Schätze mit sich führte. Darum überfiel er ihn in der Frühe des nächsten Tages in einem Hohlweg und schleppte ihn als Gefangenen auf den Stein.

Der treue Diener aber konnte entfliehen und kam nach England zu seiner Herrin. Als diese von dem Überfall hörte, sammelte sie viele Ritter um sich und zog nach Deutschland. Aber der Diener hatte den Namen des Dorfes, bei dem der überfall erfolgte, vergessen, und so ließ die Engländerin alle ähnlich benannten Dörfer verwüsten. Endlich erfuhr sie durch Kundschafter den Aufenthalt ihres Gemahls. Und so zog das normannische Heer vor die Mauern der Burg „Stein“. Sie verlangte von dem Vogt die Herausgabe, aber der lachte nur, und am folgenden Morgen hielt man auf einem Speer das abgeschlagene Haupt des fremden Ritters über die Mauer.

So begann denn die Belagerung. Aber die Burg konnte nicht genommen werden, obwohl die junge Frau Tag für Tag, mit einem silbernen Panzer bekleidet, ihre Ritter und Mannen vor die Mauern zum Sturm führte. Viele der Getreuen sanken getroffen zu Boden. Aber sie selber schien einen geweihten Panzer zu tragen, denn keine Waffe konnte ihr schaden. Da kam eines Nachts ein Fremder auf die Burg, es mag wohl der Teufel gewesen sein, und goss um Mitternacht eine silberne Kugel. Als die englische Frau wieder vor den Mauern erschien, schoss der Vogt mit dieser Kugel auf sie. Zu Tode getroffen sank sie zu Boden. Die Engländer begruben sie an der Hagemühle und setzten einen Denkstein. Dann bliesen sie zum Sturm, um ihre Herrin furchtbar zu rächen. Drei Tage und Nächte währte der Kampf, dann war die Burg erobert und der Vogt und seine Mannen tot. Die englische Frau heißt seither das „Fräubchen von Engelland“.

An der Hagemühle stand der „Frauenstein“ noch bis vor einigen Jahrzehnten. Heute bildet der obere Teil mit dem gekreuzigten Christus einen Teil der Lengenfelder Kirchenmauer und ist dort gut zu erkennen. Der untere Teil soll in einem Gewölbe der Lengenfelder Schmiede eingemauert sein. Eine der großen Steinkugeln, die früher neben dem Frauenstein gelegen haben, befindet sich heute auf einem Hoftor neben der Lengenfelder Post.

Nach dieser Zeit siedelten sich viele Nordmänner an der Werra an. Die Burgen Normannstein, Hanstein und andere sowie Teistungenburg und Treffurt wurden von Normannen gegründet.

Der Stein wurde später wieder aufgebaut und hatte eine wechselvolle Geschichte. Im Dreißigjährigen Krieg wurde er von Tillyschen Truppen erobert und dem Erdboden gleichgemacht. Die Zeiten waren nun andere geworden. So verzichtete Kurmainz darauf, die Burg noch einmal zu erbauen. Einige Jahrzehnte später erbaute es aus den Steinen der alten Burg die neue Vogtei Bischofstein, unser heutiges Schloss.

In einigen Jahren wird es darum seinen zweihundertsten Geburtstag feiern können. Die Stadt Stein hat noch länger bestanden. Und in der St.-Georgs-Kapelle ist, wenn ich nicht irre, im vorigen Jahrhundert noch getauft worden. Erst ganz allmählich zogen die Leute ins Tal und gründeten das Dorf Lengenfeld. Interessant ist noch, dass man, als die Eisenbahn gebaut wurde, unterhalb des Steins zahlreiche alte Waffen und menschliche Knochen fand, Beweise dafür, dass um den Stein furchtbare Kämpfe getobt haben müssen. —

So winden Sage und Geschichte einen bunten Kranz um Schloss und Stein. Wir wollen uns dran erinnern, wenn wir auf dem Kuhpalais und dem Stein den Resten grauer Vorzeit begegnen.         

Hans Friedel, Schüler auf Bischofstein
(Quelle: Bischofsteiner Chronik, unbekannte Ausgabe)