Die Pest in Lengenfeld unterm Stein

Die Pest war in früheren Jahrhunderten in Deutschland kein seltener Gast. Ihre schreckliche Wirkung kann man noch daran ermessen, dass sie in der Allerheiligenlitanei unter den Übeln angeführt wird, von denen uns der Herr erlösen möge: Von Pest, Hunger und Krieg, erlöse uns o Herr!“

Anno 1470 zu Maria Geburt brach in ganz Hessenland und dem angrenzenden Eichsfeld eine schwere Seuche, die Pest, aus, welche bis zum Jahre 1472 wütete, also dass auch alle Leib und Treue darüber erkaltet, die Eheleute einander verlassen, die Eltern von den Kindern, die Kinder von den Eltern gewichen, dass auch viele Menschen, so noch hätten wohl genesen können, aus Abgang der Wartung elendig umkommen mussten.

Die Seuche soll der Sage nach angekündigt worden sein, dass um Pfingsten des Jahres 1470 sämtliche Elstern aus dem Lande geflohen seien und aus der Luft gerufen hätten: „Sammelt Pewernell, sammelt Pewernell (Pimpinelle) und erst um Maria Geburt mit dem Rufe zurückgekehrt seien: „Trinket Pewernell, trinket Pewernell!, welcher Tee sich denn auch als ein vorzügliches und führnembes Mittel bei der schrecklichen Krankheit geeignet habe. Soweit die Wanfrieder Darstellung.

Aus dieser Zeit mögen wohl auch die auf dem Eichsfelde im Volksmund noch jetzt als Pestprozessionen bezeichneten Umgänge stammen. So wird z. B. in Lengenfeld unterm Stein am Feste Maria Geburt eine Prozession gehalten, die nur bis zu einem bestimmten Hause geht, das im Volksmunde als dasjenige bezeichnet wird, an welchem die Seuche gewendet habe. Die Prozession macht hier kehrt, nachdem der Priester „A peste fame et bello“ gesungen hat und die Gemeinde „Libera nos, Domine“ erwidert hat und kehrt in die Kirche zurück.

Die Lengenfelder Sage berichtet:

Während einer Pestzeit herrschte in Lengenfeld ein großes Sterben. Kaum ein Haus blieb verschont vom schwarzen Tod. Bis an die Schafhofgasse war die Seuche bereits dorfaufwärts gedrungen. Da erklang eine Stimme aus der Luft: Trinkt Pewernell, dann sterbt ihr nicht so schnell!“

Man versuchte die Pimpinelle, und die Heilkraft der Pflanze bewährte sich. Die Pest schritt nicht weiter und zum Andenken errichtete man vor dem ersten Hause des verschonten Dorfteils, am Eingange des sogenannten „Siedenen Bittels“ einen Stein, den man „Witstein“ nannte, weit die Pest so weit, plattdeutsch „sö wiet“ gekommen war. Die Bewohner jenes Hauses heißen noch heute „Witsteins“ und am Feste Maria Geburt (Kirchenpatronats-Fest) wendet die Prozession bei diesem Hause.

Weitere Pestjahre auf dem Eichsfelde waren 1555, 1581, 1597, wo nach einer großen Teuerung die Pest folgte, 1611, 1626. Noch einmal hielt der unselige Gast seinen Einzug im Jahre 1682, wo namentlich das Amt Bischofstein hart betroffen wurde, in welchem 1743 Menschen an der Pest starben. In Lengenfeld sollen damals die Opfer aus dem „Siechrasen“ begraben worden sein. Als man einige Jahre vor dem 2. Weltkriege dort ein Wegkreuz errichtete und das Fundament dazu legen wollte, stieß man in 1,50 Tiefe auf menschliche Gebeine.

In Pestzeiten durften Durchreisende die Dorfstraße nicht betreten, sondern mussten die Umgehungswege, genannt „Hinger ‘n Heeben“ (hinter den Höfen – Gärten) benutzen.

Anton Fick
(Quelle: „Chronik der Gemeinde Lengenfeld unterm Stein und des Bischofsteins“. Unveröffentlichte Maschinenschrift, datiert auf den 23.08.1951)

(Benutze Literatur: „Pestzeiten“ von Reinhold Strauß (?), in: „Hülfensberg-Glocken“, Ausgabe vom 23.1.1927)