Bischofstein heute (1991)

Durch das Schreiben von Wolfgang v. Scharfenberg vom Juni dieses Jahres seid ihr über die Entwicklung, die Schloss Bischofstein inzwischen genommen hat, im Wesentlichen informiert. Wir dürfen hier nochmals zusammenfassen und ergänzen:

Nach dem Erlebnis des vorjährigen Wiedersehens haben sich auch aus Euren Kreisen viele gefunden, die das zukünftige Geschick des Idols unserer Jugend bewegte. Es gab viele Ratschläge und auch manche Aktivitäten mit dem Ziel, das historisch bedeutsame Schloss einer Verwendung zuzuführen, die seine bauliche Substanz erhält, seine ideellen Werte bewahrt und uns auch die Möglichkeit bietet, uns dort gelegentlich zu treffen.

Die Wiederbegründung eines Landschulheims bot sich nicht an, seitdem derartige Institute in vielen Fällen wegen unlösbarer finanzieller Probleme schließen mussten. Interessenten, die eine Kurklinik oder ein modernes Tagungshotel einrichten wollten, nahmen Abstand angesichts der hohen Kosten für den Innenausbau und die notwendig gewordene Drainage um den ganzen Komplex.

Dazu kam, dass die Besitzverhältnisse noch nicht eindeutig geklärt sind. Dr. Gustav Marseille hatte 1908 Schloss Bischofstein mit dem zugehörigen Land- und Waldbesitz erworben. Nach seinem Ableben 1917 wurde der einzige Überlebende der drei Söhne – Walter – Alleinerbe, während seine Frau Hedwig und deren zweiter Mann Dr. Wilhelm Ripke die Nutznießung hatten.

Walter Marseille, geboren 1901, der auch von 1908 – 1918 Bischofsteiner Schüler war, ist während seines Studiums der Philosophie und Psychologie mit anschließender Promotion nur selten in Bischofstein gewesen. Er wanderte in den 1930er Jahren nach den USA aus und wurde dort ein gefragter Psychoanalytiker – zunächst in Detroit, ab 1947 in San Francisco. In diesem Jahr heiratete er die Münchnerin Marianne Zeige. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor, Claudia Ann und Elliot Alexander, beide in San Francisco geboren.

1962 entschloss sich Walter Marseille, nach Deutschland zurückzukehren. Herr Dr. Ripke stellte damals bei den Behörden der DDR den Antrag auf eine Reisegenehmigung nach Ellmau/Obb., dem Wohnsitz von Walter zwecks Klärung von Erbfragen. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt, „da für Bürger der DDR in der BRD keine Garantie für ihre Sicherheit gegeben sei“.

Nach dem Ableben des Ehepaares Dr. Ripke erhielt Walter Marseille 1966 ein Visum zum Besuch der DDR. Er traf sich mit Frau Mund, der langjährigen Mitarbeiterin Ripkes und reiste mit ihr nach Erfurt zur Besprechung mit den Behörden des Bezirks sowie nach Mühlhausen, wo er mit den Kreisdienststellen verhandelte. Letztere genehmigten auch den Besuch des im Sperrbezirk gelegenen Bischofstein. Gemeinsam mit dem Lengenfelder Kaufmann Edmund Fischer, der in Walter Marseilles Auftrag die finanzielle Verwaltung wahrnahm und dem in Lengenfeld beheimateten früheren Schüler Walther Fuchs, besichtigten sie das Schloss. Walter Marseille war zutiefst deprimiert. Irgendwelche Abmachungen sollen nicht getroffen worden sein. Walter ist später nicht wieder in Bischofstein gewesen. Er verstarb 1975 in München, wo er erfolgreich eine Praxis als Psychotherapeut betrieben hatte.

Der Kaufmann Edmund Fischer erhielt im Oktober 1984 vom Büro des Gewerkschafts-Erholungsheims telefonisch den Bescheid, das Schloss sei vom staatlichen Treuhänder an den Bundesvorstand des FDGB (Gewerkschaftsbund) verkauft. Damit sei Fischers Aufgabe zum 31.12.1984 beendet.

Nach dem Ende der DDR erhielt nun Fischer ein Schreiben des Anwaltsbüros Baker & Mc. Kenzie, San Francisco, vertreten durch Rechtsanwalt Klaus H. Burmeister, wonach dieser bevollmächtigt ist, die Ansprüche von Claudia Ann und Elliot Alexander Marseille auf Rückübereignung des Schlosses und aller Grundstücke sowie Entschädigung für entstandene Verluste einzuklagen.

Die Treuhandanstalt in Berlin, die das Vermögen staatlicher und halbstaatlicher Stellen in Privateigentum überführen soll, konnte daher bis zur endgültigen Klärung der Eigentumsverhältnisse dieses Objekt nur pachtweise abgeben.

Durch einen Zufall fand sich als neuer Interessent das „Priorat für Kultur und Caritas gem. e.V.“ – ein Verein, der sich zur Aufgabe macht, Kulturstätten in den neuen Bundesländern vor dem Verfall zu bewahren. Einige Mitglieder, die sämtlich der wiedererstandenen Düsseldorfer Freimaurerloge angehören, besuchten die als erste in den neuen Bundesländern wieder eröffnete Freimaurerloge in Mühlhausen. Von den dortigen Logenbrüdern erfuhren sie von dem Objekt Bischofstein. Sie besichtigten das Schloss und nach mehreren Besuchen und fachkundigen Überprüfungen kam es dann zum Abschluss. Die Treuhandanstalt übergab zum 1. Juni 1991 dem Priorat das Schloss aufgrund eines Pachtvertrages auf 30 Jahre mit Option auf weitere 30 Jahre und zugleich Ankaufsverpflichtung.

Das Schloss soll zu einem Ferienhaus-Hotel, vor allem für kinderreiche und finanzschwache Familien, umgestaltet werden und auch Künstlern verschiedener Richtungen eine Heimstätte bieten. Der Ausbau soll in Etappen vor sich gehen. Schon jetzt werden die Zimmer des Haupttraktes mit Nasszellen ausgerüstet und die Heizung auf umweltfreundliche Energie umgestellt.

Der neue Geschäftsführer, Herr Friedrich-Carl Huisgen, der selbst Internatsschüler (in Godesberg) war, hat Wolfgang v. Scharfenberg anlässlich der Schlüsselübergabe zugesagt, die Wünsche der früheren Bischofsteiner Schüler weitgehend zu berücksichtigen. Im alten Turnsaal soll der Gastraum mit Erinnerungen aus unserer Zeit dekoriert werden. Unsere Treffen werden teilweise im Schloss stattfinden, soweit der Hotelbetrieb nicht gestört wird. Frau Gabriele Kopf, die Leiterin des Wirtschaftsbetriebes, bleibt und sagte uns ihre Unterstützung zu.

Wie stellten sich übrigens die Lengenfelder zu den Entwicklungen, die das Schloss am Berghang über ihrem Dorf genommen hatte? Das seit 1948 bestehende Erholungsheim der Gewerkschaft hatte man hingenommen, zumal sich die Heimleitung bemühte, mit den Menschen im Dorf einen gewissen Kontakt zu unterhalten und auch 35 Personen im Schloss ihren Arbeitsplatz fanden. Durch die 1985 eingerichtete Bezirks-Gewerkschaftsschule war Schloss Bischofstein für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich. Die politische Schulung vollzog sich in beinahe militärischer Disziplin abgeschirmt von der Außenwelt. Wahrzeichen war das im Eingangstor angebrachte Eisengitter. In der letzten Zeit vor der Öffnung der Grenze zogen die Lengenfelder im Anschluss an die Montagsgebete vor das Schloss und riefen im Sprechchor: „Gewerkschaftsschule raus, Ferienheim rein, das fordern wir von Bischofstein!“

Als nun bekannt wurde, dass neuer Besitzer des Schlosses eine Organisation der Freimaurer sei und bald darauf in Bischofstein ein Treffen der Freimaurerloge von Mühlhausen stattfand, machte sich im Dorf große Unruhe breit. Die gläubigen Katholiken des Eichsfeldes fürchteten, dass die bei Gründung der Logen einstmals streng antiklerikalen Tendenzen wieder aufleben und das 1747/1748 vom Mainzer Erzbischof errichtete Schloss Brückenkopf einer neuen Reformation werden könne.

Der Geschäftsführer des Priorates, Friedrich-Carl Huisgen, konnte diese Bedenken weitgehend zerstreuen, nachdem auch der Pfarrer der Lengenfelder Marienkirche, der uns vom vorjährigen ökumenischen Gottesdienst noch gut bekannte Ernst Witzel, in seiner Predigt aufklärte, dass die neuen Besitzer ausschließlich kulturelle und soziale Zwecke in Schloss Bischofstein verfolgten.

Seitdem sich auch die Lokalpresse vermittelnd eingeschaltet hat, scheinen sich die Gemüter wieder beruhigt zu haben.

Im September besuchte Frau Marianne Gerhard aus Berkeley/Kalifornien, die frühere Frau Walter Marseilles, Schloss Bischofstein, von dem sie so viel gehört hatte.

(Quelle: „Bischofsteiner Rundschreiben“, Weihnachten 1991, S. 2-3)