Bischofsteiner Erinnerungen: Abenteuer eines Ochsenkutschers (1988)

Einen guten „Job“ hatte ich ergattert: mein Dienstgrad „1. Ochsenkutscher“. Mein Fahrlehrer war der Gespannführer Heinrich Riese, der mir in seiner bedächtigen Art die Grundbegriffe beibrachte. Die Steuerung war einfach: ziehen an der Lenkleine und der Zuruf „Har rimme!“ bedeutete links, gleichmäßiges Zucken und „Hotte rimme!“ rechts. Gasgeben und Getriebe sollte eine lange Weidengerte besorgen. Allerdings reagierte der großgewachsene, gelbgetupfte Fleckviehochse auf Letzteres sehr gelassen. Seine beiden Hauptziele im Dorf kannte er ganz genau. An der Hauptstraße „Har rimme!“ ging es zum Bäcker Rummel, „Hotte rimme!“ und an der Brücke wieder „Har rimme!“ zum Bahnhof.

An einem glühend heißen Sommernachmittag kurz vor der Ernte erhielt ich von der Kanzlei den Fahrbefehl: „Zum Bahnhof“. Der Ochse, der im leeren Kuhstall träge wiederkaute, war wenig erbaut, als ich ihm Stirnjoch und Brustgurt umlegte und vor den leichten Wagen spannte. Schrittchen vor Schrittchen ging er in der Sonnenglut ins Tal hinab. Auf dem steilen Weg zum Lengenfelder Bahnhof hielt er immer wieder an, umschwärmt von Myriaden von Fliegen. Der immer freundliche Stationsvorsteher Günther und ein Bahnarbeiter halfen mir die Fracht aufladen: drei Sack Haferflocken, zwei Sack Erbsen, zwei Eimer Kunsthonig, eine Käserolle und eine Bücherkiste für Ripke.

Kaum waren wir aus dem Schatten des Güterschuppens heraus, war der Ochse kaum noch aus der Stelle zu bringen.

Beim Bergabfahren lockerte ich die Bremse in der Hoffnung, ihn durch die drückende Last etwas anzuregen, doch ohne Erfolg. Unten in der Kurve vor dem Bach ließ er sich nicht „Har rimme!“ ziehen. Die munter dahin plätschernde Frieda zog ihn unwiderstehlich an. Kein Schreien, keine schrill kreischende Vollbremsung hinderte seinen Weg. Steil ging es die Böschung hinab. Ich konnte mich nur noch an der Wagenrunge festhalten, während meine Fracht vor der Stirnwand des Wagens übereinander polterte. Schließlich hielten wir mitten im Bach. Das gequälte Tier sog endlos in großen Zügen das kühle Nass ein und legte sich sogar zum Schluss in die Fluten.

Auf dem Sitzbrett stehend, versuchte ich den Ochsen hochzubringen – ohne jeden Erfolg. Endlich kam ein Bauer mit einem Kuhgespann vorbei. Aus einem nahen Haus eilten lachend zwei Männer herbei. Gemeinsam brachten sie den Ochsen hoch und halfen den Wagen auf die Straße zu hieven. Sie bargen auch die über Bord gegangene Käserolle, deren Lattenverschlag zerbrochen war.

Das Tier war wie verwandelt. Erfrischt und den kühlen Stall sowie den abendlichen Klee im Sinn, zog es flott den Weg zum Schloss hinauf, ohne einmal anzuhalten.

Wider Erwarten nahm Frau Kaufhold, die Küchengewaltige, die Panne gelassen hin. Die Waren wurden abgeputzt bzw. auf dem großen Herd getrocknet. Die Mitschüler meinten in den nächsten Tagen beim 1. Frühstück: „Der Haferbrei hat doch in der Frieda eine besondere Würze erhalten!“ Zum Glück hatte die Bücherkiste dem Wasser standgehalten. Ripke meinte dazu: „Ein beflügelter Geist muss auch einer Ochsentränke standhalten!“

Enoch Lemcke
(Schüler der Internatsschule Schloss Bischofstein von 1924-1928)

(Quelle: „Bischofsteiner Rundschreiben“, Weihnachten 1988, S. 19)