Die Menschenhöhle auf dem Geiberich bei Lengenfeld (1908)

[…] Mit den Schrecknissen des Krieges in jener Zeit wird auch folgendes in Zusammenhang gebracht:

Auf dem Hochrücken des Dünberges zwischen den Ortschaften Lengenfeld und Hildebrandshausen, jedoch in der Gemarkung der ersteren befindet sich eine Höhle, welche etwa 25 bis 30 Meter lang und stellenweise 10 bis 15 Meter breit sein mag. Diese Höhle führt die Bezeichnung „Menschengrube“. Von ihr führt unter dem Bergrücken ein schmaler, felsspaltähnlicher Gang in der Richtung des Berges, welcher in Nähe des Dorfes Faulungen sein Ende erreichen soll, welcher aber nur noch auf etwa 10 Meter passierbar ist. Unmittelbar bei dem Eingang zu dieser Höhle steht eine alte knorrige Eiche. Eine trichterförmige Bodenvertiefung führt zu dem halb verschütteten Eingang, der von mir als Knabe und anderen neugierigen und wissbegierigen Kameraden soweit freigelegt wurde, dass man kriechend in die Höhle gelangen konnte. Außer einigen alten Topfscherben und einem Stück Kette wurde jedoch in derselben nichts vorgefunden. Die Ursache unseres Interesses für diese Höhle war die Erzählung älterer Leute, dass während des dreißigjährigen Krieges eine große Anzahl von Personen in dieselbe geflüchtet seien und sich darin verborgen gehalten hätten. Dies sei den Feinden verraten worden, die Feinde hätten daraufhin die Eingänge verschüttet und sämtliche in der Höhle verborgene Flüchtlinge seien verhungert. Diese Erzählung wurde mir wieder in das Gedächtnis gerufen, als mir die vorausgeführten Schicksale unserer Stadt während des 30jährigen Krieges bei Durchsicht der städtischen Akten vor Augen geführt wurden. Gelegentlich meiner Anwesenheit in Lengenfeld im Jahre 1894 oder 1895 nahm ich bei einem Besuch des damaligen Pfarrers Großheim Veranlassung auf diesen Gegenstand zu kommen. Die daraufhin vorgenommene Einsichtnahme des Kirchenbuches aus jener Zeit hatte folgendes Ergebnis: In einem der 1630er Jahre, wenn ich nicht irre 1632 fanden sich eine größere Anzahl von Personen (die Zahl ist mir nicht mehr erinnerlich) in ununterbrochener Reihenfolge aufgeführt, bei welchen als Todesursache „verhungert“ angegeben war.1) Wenn nun auch in jenen schweren Zeiten kein Überfluss an Nahrungsmitteln gewesen sein mag und wohl auch manche Leute an Entkräftigung infolge unzureichender Nahrung gestorben sein mögen, so ist es doch nicht gut anzunehmen, dass so viele Personen unmittelbar nacheinander des Hungertodes gestorben sein mögen, dass ihre Namen mehrere Seiten des Kirchenbuches anfüllen. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass die im Volksmunde fortlebende Erzählung auf Wahrheit beruht und diese Personen nicht im Orte und in ihren Wohnungen, sondern in der mitgeteilten Weise des Hungertodes gestorben sind.

Reinhold Strauß, Stadtsekretär in Wanfried
(Quelle: „Chronik der Stadt Wanfried“, 1908, Seite 77-78)

Nachtrag
1Als ich am 28. Januar 1901 noch einmal bei dem genannten Pfarrer war, um eine Abschrift von den Blättern des Kirchenbuches zu nehmen, fanden sich dieselben merkwürdigerweise nicht mehr vor und waren anscheinend herausgeschnitten. Der Pfarrer vermochte über den Verbleib keine Auskunft zu geben.

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