Osterfeuer (1890)

Alljährlich pflegen um Ostertage in grossen Theilen von Deutschland mächtige Feuer auf den Bergen u. s. w. aufzulodern. Ich hatte zum ersten Male Gelegenheit, sie vom Harze aus zu beobachten, und als ich der Reihe die Feuer nachging, fand ich, dass sie nach Süden plötzlich aufhören und sich weiter nach Westen und Osten hin erstrecken. Ich habe dann viele Jahre verwendet auf das Studium über die Osterfeuer, speziell über Freudenfeuer, die an gewissen Tagen aufflammen; im allgemeinen ist es höchst merkwürdig, dass da, wo die Osterfeuer aufhören, im Süden die Johannisfeuer beginnen. Es ist mir gelungen, durch vieljährige Wanderungen von Dorf zu Dorf, von Ortschaft zu Ortschaft die Linie der Osterfeuer von Zerbst aus bis nach Meissner in Thüringen festzustellen. Diese Linie geht über Bernburg von da nach dem Südrande des Harzes, vom Harz zum Kiffhäuser, dann über das Eichsfeld bis zum Hilfensberg, von da zum Meissner, dort hörten die Feuer auf. Aus Hessen habe ich erfahren, dass man da nichts über Osterfeuer weiss, erst westlich davon, im Siegarlande, brennt man sie wieder. Interessant ist es, festszustellen, wie weit nach Osten und Westen sich diese Linie der Feuer erstreckt, und zwar nicht allein diese Linie festzustellen, sondern auch die mit den Osterfeuern und andern Feuern verbundenen Sitten und Gebräuche. Da springt ein Liebespaar über das Osterfeuer, dort verwendet man die Brandreste gegen Krankheit der Hausthiere, dort als Gewitterschutz; können wir dies alles feststellen, so hat die Mythologie grosse Vortheile davon. Ist ferner wahr, was ich erfahren habe, dass diese Feuer durch Holland bis nach der Bretagne gehen, so ist es möglich, dass wir mit Hilfe der Feuergrenzen Völkergrenzen feststellen, die weit zurückgehen hinter alle historische Erinnerung. Dass dies auch für die Anthropologie von Wichtigkeit ist, versteht sich von selbst. Ich unterbreite Ihnen folgenden Aufruf:

An gewiesen Festtagen werden in Deutschland Freudenfeuer auf den Bergen und Feldern angezündet, z. B. Osterfeuer in der Mark Brandenburg, in Anhalt, auf dem Harz und nördlich desselben, in den Provinzen Hannover und Westfalen; in Schlesien und dem Königreich Sachsen Johannis- und Walpurgisfeuer ebenso am Main; Martinsfeuer aber am Rhein.

In einigen Landschaften unseres Vaterlandes wird an Stelle der Michaelisfeuer ein Holzstoss zur Erinnerung an die Schlacht bei Leipzig oder (neuerdings) bei Sedan angezündet. Auch rollt man brennende Theertonnen oder Feuerräder von den Bergen herab.

Wie es scheint, sind Osterfeuer nicht nur in ganz Norddeutschland, sondern nach mit gewordenen Nachrichten auch in Dänemark, England, Holland, Belgien und Nordfrankreich bis zur Bretagne früher gebrannt worden und werden theilweise noch gebrannt.

Die Grenzen dieser Osterfeuer feststellen, ist für die Wissenschaft von grosser Wichtigkeit, weil sich dieselben wahrscheinlich mit uralten Völkergrenzen decken. Festgestellt sind dieselben nur für einen Theil von Mitteldeutschland, für die Gegend von Zerbst bis zum Meissner in Hessen und stellen einen Linie etwa in nachfolgender Richtung dar:

Zerbst, Bernburg, Mansfeld, Sangerhausen, Kiffhäuser, Hainleite, Eichsfeld, Hilfensberg bei Eschwege, Meissner. Das Land südlich dieser Linie brennt Johannisfeuer, das Land nördlich davon Osterfeuer.

Es gilt, diese Linie nach Osten und Westen zu verlängern. Nun weiss man ja wohl im Allgemeinen, dass die Mark Brandenburg Osterfeuer hat, ebenso Westfalen u. s. w., aber wie weit nach Süden sich dieselben erstrecken, ist im Einzelnen unbekannt.

Um die Grenzlinien sicher zu stellen, ist die Hilfe der gebildeten Laien nöthig, und wir wenden uns daher an dieselben mit der Bitte, auf einer Postkarte an den Vortragenden eine kurze Nachricht zugehen zu lassen, ob in ihrer Gegend Freudenfeuer zu Ostern, Walpurgis (1. Mai), Johannis, Michaelis, Martini, Weihnachten früher gebrannt worden sind oder noch gebrannt werden.

Alle diese Freudenfeuer sind heidnisch-germanischen Ursprungs, und war das Anzünden derselben und das Sammeln des Holzes sowie die Verwendung der Brandrest noch im Anfange dieses Jahrhunderts oft mit sonderbaren Bräuchen (Sprung der Liebenspaare über das Feuer) und abergläubischen Vorstellungen (Gewitteraberglaube) verbunden, deren Kenntnis für die wissenschaftliche Volkskunde von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit ist.

Dr. Rackwitz (Bochum-Westfalen)
(Quelle: Correspondenz-Blatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. München: Akademische Buchdruckerei von F. Straub, 1890, XXI. Jahrgang, Nr. 11 und 12, S.  160)