Frühling wird es nun bald - Über das Straßenkehren im Eichsfeld (1995)

Die linden Lüfte sind erwacht.
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang,
o armes Herze sei nicht bang,
nun wird sich alles, alles wenden.

An dieses schöne Gedicht, welches ich in meiner frühen Schulzeit lernte, musste ich denken, als ich dieser Tage bei meinem täglichen „Diabetesabbau“-Spaziergang, die ersten Frühlingsblüher in vielen Vorgärten erspähen konnte. Es ist schon etwas Wunderbares, wenn jedes Jahr nach langen Winterwochen die Natur neu erwacht und uns Menschen daran erinnern möchte, dass nach jedem Tief wieder ein Hoch und nach jeder dunklen Nacht wieder ein Morgen folgt. Oder auch, wie klingt es so sinnlich in einem uralten Schlager: „Nach Regen, scheint Sonne, nach Weinen wird gelacht …“

So sehe ich bei meinen öfteren Streifzügen sehr viel Schönes in unserem Dorf. Man kann teilnehmen und mitverfolgen, wie viele unserer Mitmenschen fleißig Hand anlegen an ihren Wohnhäusern und dessen Umfeld. Es erfreut mitzuverfolgen, wenn die Baugrube eines Hauses ausgehoben wird, später dann das Bauwerk stetig wächst. Und noch schöner ist es dann, wenn nach einem Jahr die Erbauer wie Vater, Mutter und Kinder als Familie ihr neues Zuhause in Besitz nehmen. Nicht lange später geht es meistens auch los, das Umfeld, den Vor- oder Hausgarten, möglichst bald als sprießendes und blühendes Fleckchen Erde um sich zu haben. Man sieht, hier wird eine Schaukel, eine Wippe, ein Sandkasten, ein Netz zum Ballspiel, oder aber auch eine Sitzbank für die kleinsten Bewohner des Hauses angebracht, damit auch diese sich heimisch und recht wohl und behütet fühlen. Auch wenn es auf kommunaler Ebene in der Gemeinde vorangeht, sollte man sich immer wieder darüber freuen.

So sollte man auch nicht gleich ungeduldig werden, denn so manche Dinge lassen sich nicht übers Knie brechen. So darf ich dann auch mal wieder meine verehrte Großmutter Wilhelmine zitieren, die sagte immer, wenn wir Kinder etwas ungeduldig auf etwas warteten: „Sick dach geduldig Junge, Rom es eu nit in em Taege erbüebt.“ Und da hatte meine Großmutter nun wirklich recht! So fällt es mir verständlicherweise auch viel leichter, über die schönen Dinge – das Positive – des täglichen Lebens und unser Dorf zu berichten. Doch, um auch weniger Schönes zu verbesser, muss auch solches angesprochen werden und nicht, wie man so schön sagt: „Einfach unter den Teppich gekehrt werden.“

Apropos, untern Teppich kehren:

So möchte ich von meinem Freund Ernst Weiland aus Faulungen, der mich vor 14 Tagen in diesem Mitteilungsblatt ansprach, einige seiner Gedanken, die er sich als Gemeinderat machte, aufgreifen.

Wie eingangs in diesem Beitrag schon erwähnt, erfreue ich mich gern an den schönen Dingen unseres täglichen Lebens. Als Senior – ohne ein Amt – sehe ich natürlich bei meinen Spaziergängen kleine Missstände, wie sie von Ernst Weiland in seinem Heimatdörfchen geschildert werden. So gibt es auch einige, ganz wenige Erdenbürger bei uns, die vom Kehren der Straße am Wochenende nicht allzu viel halten. Besonders fällt es dann an der Hauptstraße auf, welche straßenmäßig gerade topfit in Ordnung ist. Besonders dann, wenn die lieben Nachbarn regelmäßig und fleißig ihrer Verpflichtung – laut Ortssatzung wie sie jede Kommune hat – nachkommen. Betrachtet man sich aber dann die nicht in Pflege befindlichen Hausgrundstücke näher, so handelt es sich oft um unbewohnte Häuser, die teilweise rechtlich in der Luft hängen, wo Rückführungsansprüche angemeldet wurden.

Ja, auch Grundstücke, wo sich noch viele lachende (oder auch weinende) Erben um die Besitzverhältnisse streiten bzw. die Köpfe heiß reden. Es sind auch Grundstücke und Häuser, aus welchen vielleicht der letzte Mieter aus irgendwelchen Gründen noch vergrault wurde und nun niemand mehr da ist, der am Wochenende den Besen schwingt.

Eine Kommune hat laut Ortssatzung durchaus das Recht auf ihrer Seite, um besonders Säumigen mit einem Ordnungsbescheid ihr Fehl verhalten kundzutun. Aber hier beginnt die auch mir verständliche Befangenheit vielerorts in den dörflichen Rathäusern.

Hierzu fällt mir ein schönes Märchen aus meiner Kindheit ein: „Wer hängt der Katze die Schelle um?“

Doch zu diesem Thema habe ich auch ein sehr gutes Beispiel aus meiner Straße. Verzeihung! Ich wohne ja gar nicht in einer Straße, sondern nur in einer teils engen und kurvenreichen Gasse. Zur Ehrenrettung meiner Nachbarn und Gassenbewohner:

„In unserer Gasse kennt jeder seine Bürgerpflicht, und mit Besen und Schaufel am Samstag ist jeder Nachbar in Sicht.“

Aus meinen Kinderjahren kann ich mich noch genau entsinnen. Diese Aufgabe des Straßekehrens hatten die Eltern an ihre Kinder übertragen – und die waren damals in stattlicher Anzahl vertreten. Besonders im Sommer, nach dem Samstag-Nachmittag-Kaffee, war dann meistens Leben auf der Straße. Kinder und Jugendliche, mit Schaufel und Besen bewaffnet, verrichteten dort die ihnen übertragene Aufgabe. Wir waren fünf Jungen zu Hause, da kam man nicht zu oft dran und für besondere Fälle waren auch meine zwei Schwestern noch zur Stelle, wenn ich aus wichtigen Gründen nicht konnte (auch wollte). Dabei wurde mit den Nachbarskindern auch öfters ein Schwätzchen gemacht. Sogenannte Teer- oder Asphaltstraßen hatten wir zu dieser Zeit noch nicht, sondern weißgraue Kalkstraßen. So haben wir im Wettstreit mit den Nachbarskindern echte Muster beim Kehren künstlerisch entwickelt. Mein Lieblingsmuster war die „Fischgrätenart“.

Wenn dann am Sonntag die Leute ins Hochamt gingen, gab es kein Haus, vor dem die Straße nicht fein säuberlich gekehrt war. Und hatten am frühen Morgen die Bauern ihre Kühe noch über die Straße zur Weide geführt, so wurde auch diese „Hinterlassenschaft“ der „Rindviecher“ vor der Messe nochmals beseitigt. Wir wohnten unmittelbar vor der Kirche, und unser Straßenabschnitt musste besonders vielen kritischen „Kirchenbesucherblicken“ standhalten. Aber unsere Mutter kannte damals sogar schon das Sprichwort (wo sie das nur her kannte) vom großen Lenin: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“

Heute ist es oft so, dass Mutter „Lieschen“ oder Opa „Gehannes“ am Samstagnachmittag diese ehrenvolle Aufgabe übernimmt (oder muss). Wie saite frieher immer Wasse Dortchen: „Unse Kinner de sunn‘s mo besser ha!“

Es wäre aber sicher auch heute noch ganz gut, wenn Kinder eine kleine Aufgabe im Familienverband übertragen bekämen. Denn im späteren Leben heißt es dann auch einmal: Pflichten und Aufgaben zu erfüllen.

Ein schönes Beispiel, denn mein Nachbar von links, der hat einen Sohn,
als ganz kleiner Junge, da kehrte der schon
ein ganz großes Stück unserer breiten Gass’,
und im Sommer, da machte er die vorher erst nass.

Dann kehrte er treu und brav, an einem Strich,
oft eine Stunde und länger, so lang dauerte dies.
Und tipptopp, liebe Leute, ich kann Euch sagen,
blitzsauber war die Gass’, da gab’s keine Klagen.

Ein fleißiger Bengel, unseres Nachbars Sohn,
kehrt heut’ noch treu und brav, auch wenn beim „Bund“ er schon.
Dies macht mir seit Jahren schon große Freud’,
drum sollen’s auch wissen, die anderen Leut‘.

Wenn es gäb’ einen Orden für Sauberkeit:,
ich würd’ dafür sorten, an Nachbars Sohn ihn verleiht.

Diese letzten Reime sind mir besonders spontan und freudig aus meiner Feder entflossen, weil dieser junge Mann ein gutes und positives Beispiel für unsere Jugend ist, die wir Älteren manchmal nicht verstehen (wollen oder können).

Drum, wär ich heut’ ein junger Mann von achtzehn,
würd’ ich auch nicht anders sein.
Jede Zeit hat seine Trends und Fans,
in der „Senioren-Jugend angekommen“,
seh’ ich dies langsam ein.

Ihr Willi Tasch
(Quelle: Obereichsfeld-Bote, Nr. 10/1995)