Bekennerbischof Conrad Martin – ein Sohn des Eichsfeldes (1929)

Heute noch findest Du im Eichsfelderland hie und da auf einem halbversunkenem Meilenstein, auf den Gesimssteinen alter Häuser, an den verwitterten Fronten barocker Schlösser und verfallener Burgen als Wahrzeichen: ein Rad. Das Hoheitszeichen des Erzstifts Mainz. Die Nachfolger des hl. Bonifatius auf dem Stuhle zu Mainz waren ja einst durch Jahrhunderte des Eichsfeldes Oberhirten und Fürsten zugleich.

Als das hl. römische Reich deutscher Nation zusammenbrach – ein tausendjähriges Reich – vor den Stürmen einer neuen Zeit, ward der Wandel der Dinge auch dem Eichsfelde zum Schicksal. Deutschland wurde neu aufgeteilt im Fürstenkongress in Wien. Nunmehr kennzeichnete der schwarze Adler das südliche Eichsfeld als ein preußisches Land. Neue Hirten ihrer Seelen aber fanden die Eichsfelder in den Bischöfen von Paderborn.

Hatten einst Fürstensöhne oder doch Herren aus Adelshäusern zumeist den Krummstab des Bischofs zugleich als Zepter weltlicher Herrschaft geführt, so trugen nunmehr Männer aus dem Volke, weltlicher Pracht und Fürstenherrlichkeit entkleidet, umso mehr erfüllt mit Apostelgeist, die Oberhirtensorge für das Volk, dem sie entwachsen waren.

So schenkte das Eichsfeld einen seiner besten Söhne dem Bistum Paderborn zum Bischof: Conrad Martin.

Mitten im wirren Wandel der Geschichte – während der I. Napoleon seine große Armee auf Russland warf, an dem sein Kaiserehrgeiz zerschellen sollte, erblickte Conrad Martin das Licht einer kriegdurchtosten Welt.

Sein Vaterhaus freilich war, – trotz aller Revolutionen und Kriege, trotz aller Neuerungssucht, trotz aller gottentfremdeten, angeblich aufgeklärten Viel- und Besserwisserei der Zeitgenossen, eines, von denen der Dichter rühmt: „Ein Haus, wo noch der Herrgott gilt und nicht nur, was den Magen stillt, wo felsenfester Glaube die Blicke hebt vom Staube.“

Seine Wiege stand im Schatten jenes uralten Heiligtums, zu dem der Eichsfelder mit der tiefsten Verehrung aufschaut, im Weichbild des Hülfensberges. Dessen Wipfel raunten ihm immer wieder von jenen Legenden, die er dem Volksmund abgelauscht, um den heldenhaften Glaubensboten Bonifatius. In das Gemüt des Knaben prägte sich die Gestalt des eifernden Apostels, der die Donnereiche fällt zum Gottesgericht über Heidenwahn.

Ich höre Conrad Martin selbst erzählen: „Mein elterliches Haus gehörte zu denen, in denen in altväterlicher, ehrwürdiger Sitte ein regelmäßiger, gemeinsamer Gottesdienst stattfand [...] Insbesondere wurde derselbe an den Winterabenden geübt. [...] Es wechselten dann Gebete mit Gesang.

[…] Wir Kinder kannten eine Menge dieser religiösen Lieder, wie ihre schönen Melodien auswendig und sangen sie mit einer Freude und Lust, womit keine andere zu vergleichen war. Ich selbst habe viele dieser schönen Lieder bis in mein Aller treu und vollständig im Gedächtnisse bewahrt und singe sie noch jetzt manchmal zu meiner Erbauung allein für mich, wobei ich mich dann recht lebhaft in die Tage meiner Kindheit zurückversetze.“

„Hinaus mit Reff und Arbeitsdrang …“, singt der Dichter von seinen Eichsfelder Landsleuten. Diesem Zug in die Weite in ehrlichem Streben folgte der Student zu den deutschen Hochschulen nach München, Halle, Würzburg, Münster, Bonn. Manchlerlei Art und Weise, die Dinge der Welt zu sehen, zu leben, zu glauben, lernte er kennen und werten. Sein Blick wurde weit, füllte sich mit Verständnis und Voraussicht. Nicht alles, was er sah und hörte, war seinem Väterglauben günstig. Vieles war ihm zuwider. Doch höre: „Festgewurzelt, wie im Boden die Eichen, die, welche die Waldungen meiner Heimat schmücken, stand ich in meinem katholischen Glauben, und statt dass die Angriffe auf ihn mich in ihm hätten wankend machen können, befestigten sie mich in ihm.“ Nicht umsonst aber lauschte der junge Theologe in München dem sprachgewaltigen Joseph Görres, dem Manne, der zur Stimme des Gewissens für die Katholiken Deutschlands wurde und zu einem machtvollen Erwecker viel zu vieler biedermaierlich Verschlafenen zur rechten Zeit.

Der 24-jährige Jungpriester begann ein eifriges, nimmermüdes Schaffen als Vikar und Rektor der höheren Schule in Wipperfürth.

„Wiederholt bestickte er (damals) ein Kreuz, welches eine halbe Stunde von Wipperfürth entfernt auf einsamem Berge steht. Außerhalb der Stadt legte er dann seine Fußbekleidung ab und ging barfuß über den steinigten Weg zum Kreuze und kehrte, nachdem er seine Andacht verrichtet hatte, barfuß bis in die Nähe der Stadt zurück.“ (So berichtet uns sein Biograph: Domkapitular Stamm.) Der stählerne, um die Sache Gottes eifernde Wille einer starken Seele, die ihr eigenes Leibeshaus restlos beherrscht, suchte und fand im Schulzimmer, auf der Kanzel, im Beichtstuhl, und weiterhin am Schreibtisch in der Abfassung von Flugschriften, die Antwort gaben auf dringende Fragen seiner Zeit, und Büchern, in denen die Glaubenswahrheiten lichtvoll dargestellt wurden, ein reiches Arbeitsfeld. Mit dem Wechsel dieses Arbeitsfeldes aber griff die zielbewusste Arbeitskraft des Religionslehrers in Köln und gar erst die des Lehrers der hl. Wissenschaft auf einem der Lehrstühle der Universität in Bonn weiter und tiefer in die Äcker der Seelen, für deren Sorge er berufen war. Unermüdlich mit jener zähen Ausdauer, mit der seine Väter ihre Eichsfelder Äcker betreuten, „beut auch die Scholle ihren Sold oft karg der Müh‘, dem Fleiße.“ …

In der Vollkraft seines Mannestums ergriff der 44-jährige Gottesgelehrte den Hirtenstab des Bischofs von Paderborn. Das bedeutete zugleich eine Heimkehr aus der Ferne in seine Heimat. Lag doch seine eichsfeldische Heimat im Schoße seines weitgedehnten Bistums Paderborn. War es nicht, als vervielfältigten sich in der nun innigeren Berührung mit seiner Heimat die Fähigkeiten und die Schaffenskraft auch dieses Volksmannes? Dieses sein Versprechen an die Volksscharen, die ihn am Vorabend seiner Bischofsweihe freudig bewegt in der Paderstadt begrüßten: „Ich will Ihnen ein guter, ein redlicher, mit einem Worte ein katholischer Bischof sein, ich will Freud und Leid gern mit Ihnen teilen.“ Conrad Martin löste sein Wort ein. Zeugen seiner Oberhirtensorge: Das Knabenseminar in Paderborn, das er erweiterte, – das Knabenseminar in Heiligenstadt, das er gründete, – das alte Theologenkonvikt in Paderborn, das er schuf und erhielt, nicht ohne Opfer persönlicher, materieller Mittel, – das Priesterseminar, dessen äußerer Ausbau abgeschlossen, das jedoch den Bischof selbst durch Vorträge am inneren Aufbau seines Klerus, an der Erziehung der Kandidaten des Priestertums, Mitwirken sah.

Die Geschichte des Bonifatius-Vereins, den er als Präsident leitete und Zeugen ferner: zahlreiche Kirchenneubauten m der Diaspora, für die der Bischof selbst eine offene Hand hatte. Zeugen: Die Hirtenbriefe an die Gläubigen seiner Diözese, nicht minder die Flugschriften, die er voll apostolischer Gesinnung an die getrennten Brüder in unserem Vaterlande richtete, um auch sie zurückzugewinnen zur einen Herde Christi. Zeugen: das Provinzialkonzil in Köln 1860, dessen Vorbereitung Bischof Conrad Martin aufgetragen war, die Diözesansynode in Paderborn 1867, die Neuorganisation seiner Diözese in Dekanaten und Definiturbezirken, die sich in geistlichen Konferenzen selbst zu belebendiger Wirksamkeit anregen sollten. Zeuge: Das allgemeine Vatikanische Konzil 1870. Diese letzte Versammlung der Gesamtkirche sah den Bischof v. Paderborn eifrigst Mitwirken an ihren so bedeutsamen Entscheidungen und Anregungen, sah in Conrad Martin einen Vorkämpfer für die Feststellung des Glaubens der Kirche an die Unfehlbarkeit des Papstes. Zeuge endlich und doch nicht zuletzt: Die bis aus den heutigen Tag weitergepflegte „ewige Anbetung“ des Herrn im allerheiligsten Sakrament, die unter Conrad Martins Segen im Bistum Paderborn eingerichtet wurde. Der arbeitsfreudige Bischof wusste gar wohl, dass das Gedeihen für jegliche Arbeit erbetet werden muss von dem, der einzig das Gedeihen wirkt: Gott, dem Lebendigmacher. „Wir Bischöfe sind nicht dazu da, um mit der Wahrheit hinter dem Berge zu halten, und ein verstecktes Spiel zu treiben; wir lieben es, offen und geradeheraus zu reden.“ So hatte Conrad Martin einst erklärt. Die Feuerprobe solchen echt apostolischen Freimuts brachte der Kulturkampf zwischen Kirche und Staat um die Freiheit und die Gerechtsame der katholischen Kirche im neuen, unter Preußens Führung, geeinten Deutschland. Bereits im Januar 1873 hatte Bischof Martin gegen die Entwürfe der Kampfgesetze vor dem Staatsministerium Verwahrung eingelegt. „[…] aus dieser dreifachen Rücksicht würde ich, wenn die Gesetzentwürfe zu Gesetzen erhoben werden, unter keinen Umständen und nicht zur Vermeidung der größten zeitlichen Vorteile zur Ausführung solcher Gesetze jemals meine Hand bieten können.“ Die Gesetze traten in Kraft. Der Kampf war entbrannt. Das gläubige Volk stand treu zu seinem freimütigen Bischof.

Noch einmal weilte Conrad Martin in den Hülfenstagen auf dem Hülfensberge in seiner eichsfeldischen Heimat. Aus allen Orten eilten die Pilger herbei und erneuerten vor ihrem geliebten Oberhirten die Gelöbnisse katholischer Treue.

Nicht weniger tröstliche Kundgebungen erlebte der Bekennerbischof in der alten Paderstadt.

Der 4. August 1874 aber wurde zum Tage hoher Erhebung. Der Staat scheute sich nicht, seinen Willen gewaltsam durchzusetzen. Der Bischof wurde ergriffen und unter Gewaltanwendung ins Gefängnis abgeführt. Sein Weg ins Gefängnis ging über Blumen, die sein Volk unter tröstenden Zurufen ihm auf den Leidensweg streute. Was konnte der Bischof noch mehr gewinnen an Vertrauen und Hingebung seines Volkes?

Im Januar 1875 ging die Gefängnishaft zu Ende. Sie fand ihre Fortsetzung in der Festungshaft auf der Festung Wesel. Des Bischofs körperlicher Zustand hielt leider nicht in gleicher Weise stand wie seine große, starke Seele. Der Arzt drang auf Erholung. Die Staatsgewalt zeigte keine Nachsicht. Der Bischof floh nach Holland. Die Staatsregierung erklärte ihn in ohnmächtigem Grimm der preußischen Staatsangehörigkeit für verlustig. Steckbrieflich verfolgt, wie irgendein Verbrecher, zog sich der Bischof von aller Welt zurück. Im Pensionat der Schwestern von der christlichen Liebe in Mont St. Guibert in Belgien waltete nunmehr Bischof Conrad Martin als Hausgeistlicher und Religionslehrer in aller Stille, bekannt nur wenigen Eingeweihten. Am 11. Juli 1879 rief der Herr seinen getreuen Knecht in sein Reich …

In einer Seitenkapelle seines Bischofsdomes fand Conrad Martin seine letzte Ruhstatt. In weißem Marmor gebildet, leuchten wie verklärt jene Züge, welche den willensstarken Bekennerbischof kennzeichnen. Seine Hände umkrampfen betend ein Kreuz mit dem Bilde des Gekreuzigten. Auch ihm war ja „Christus, der Gekreuzigte, Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ (1. Kor. 1,24.)

Blicken wir ein halbes Jahrhundert zurück:

Einengung, Verfolgung, Beugung des Gekreuzigten, der in seiner Kirche fortlebt, unter die Staatsgewalt, das erschien damals wieder einmal – nun auch im Deutschen Reich – der Staatsweisheit letzter Schluss.

„Hat Gott nicht die Weisheit der Welt für Torheit erklärt?“ (1. Kor. 1,24.) Ward nicht längst die Geschichte des neuen Deutschen Reiches zu einem Stück Weltgericht? … Wenn aber heute Kirche und Staat in gegenseitiger Achtung ihrer Berufungen einem neuen Vertrag ihr Zusammenleben im deutschen Volke ordneten, dann ist eben jene Hochachtung der Kirche durch die Staatsgewalt zu verdanken jenen Bekennern, unter denen vollen Klang hat der Name: Conrad Martin, der große Sohn des Eichsfeldes.

Autor: unbekannt
(Quelle: „Bonifatiusbote: Kirchenzeitung für das Bistum Fulda“, Ausgabe vom 29. September 1929)