Der Weinbau auf dem Eichsfelde (1904)

Das Eichsfeld ist nicht so stiefmütterlich von der Natur behandelt, wie die meisten oberflächlichen Beobachter und flüchtigen Besucher dieses Landstriches behaupten. Die Ergiebigkeit seines Bodens konnte selbst in einer Zeit, die wenig Mittel zur Förderung der Fruchtbarkeit kannte, mit jedem anderen Gebiete rivalisieren; das beweist die Tatsache, dass im Mittelalter bis in die neuere Zeit auf dem gesamten Eichsfelde in nicht unbeträchtlichem Umfange Weinbau getrieben wurde. Wann man die eichseldischen Hügel zuerst mit Reben bepflanzt hat und wem die Einführung des Weinbaues zu danken ist, wissen wir nicht.

Die ersten Versuche mit dem Weinbau auf dem Eichsfelde werden jedenfalls, wie auch Wolf in seiner politischen Geschichte des Eichsfelds behauptet, von den Geistlichen, die zur Befestigung und Hebung des Christentums aus dem Eichsfelde tätig waren, eingestellt worden sein. Sie werden die Reben aus den noch heute als Weingegenden florierenden Rheinlandschaften auf das Eichsfeld verpflanzt haben. Später fand der Weinbau in den Insassen der eichsfeldischen Klöster, z. B. Anrode, Teistungenburg usw., eifrige Förderer.

Dass schon im 11. Jahrhundert das Eichsfeld Rebenhügel besessen hat, dürfen wir umso bestimmter annehmen, da um diese Zeit schon sämtliche Nachbargelände reich an ertragfähigen Weingärten waren.

Ich kann an dieser Stelle nicht nachweisen, welche Ausbreitung damals gerade der Weinbau in der ganzen Provinz hatte. Nur einige zuverlässige Nachrichten aus der nächsten Umgebung, die der Vermutung, dass schon damals der Weinbau Eingang auf dem Eichsfelde gefunden hatte, unbeschränkten Raum gewähren!

Leuckfeld berichtet, dass im Jahre 936 Otto III. seiner Schwester in Eschwege, kaum 3 Stunden von den Grenzen des Eichsfeldes entfernt, ein Gut mit Weinbergen geschenkt habe. Derselbe Historiograph erzählt, dass Heinrich von Nordheim 1093 dem Kloster Bursfeld einen in der Grafschaft Lohra gelegenen Weinberg gestiftet habe. – Im Anfange desselben Jahrhunderts überließ der Bischof Bernhard von Hildesheim dem Michaeliskloster einen Weinberg zu Diemarden (Kreis Göttingen). Dass der noch im Anfange des vorigen Jahrhunderts blühende Weinbau des kaum zwei Stunden von der eichsfeldischen Landesgrenze entfernten Städtchens Witzenhausen a. d. Werra recht ergiebig war, dürfen wir daraus schließen, dass die Stadt schon anfangs des 13. Jahrhunderts dem Erzbischof von Mainz den Zehnten von der Weinernte zollen musste.

Aus dieser Zeit stammt auch die erste geschichtlich verbürgte Nachricht über eichsfeldische Weinberge. Im Jahre 1244 schenkte Erzbischof Siegfried III. dem Stifte zu Heiligenstadt einen Weinberg innerhalb der Stadtgemarkung. Im Laufe eines Jahrhunderts dehnte sich hier der Weinbau neben dem Feldbau derartig aus, dass die Weinberge durch eine gesetzliche Bestimmung geschützt wurden. Die Heiligenstädter Willkür von 1335 droht im 19. Artikel: „Wer deme anderen Schaden thut dem Felde an Korn, an Winberne, […] die sol der Stat zehn Schillinge geben.“ Noch heute zeigt der südwestliche Abhang des Düns Spuren von Weingärten.

Doch nicht allein in diesen von Mutter Natur so reichlich ausgestatteten Geländen, auch auf weniger gesegneten Gebieten des Eichsfeldes sonnten sich einst schwellende Trauben. Selbst auf den rauen Höhenfeldern des Eichsfeldes trug ein dem Kloster Anrode gehörender Hügel bei dem Dorfe Bickenriede Weinbeeren. Die in dem ehemaligen Klosterbezirk Gerode gelegenen Ortschaften Holungen und Jützenbach haben einst Wein gebaut. Duderstadt hatte den Sulberg und das eine Stunde entfernte Kloster Teistungenburg einen Teil des Lindenbergs mit Reben bepflanzt. In den Gemarkungen einzelner Orte, z. B. Geismar, Treffurt, Falken, Niederorschel usw., haben sich vom einstigen Weinbau abgeleitete Flurbezeichnungen, z. B. Weinberg, bis auf den heutigen Tag erhalten. Zwar wird in den meisten der erwähnten Orte noch heute Wein gebaut, jedoch ausschließlich aus Liebhaberei, meistens nur, um den Häusern mit ihrem weißen, oft eintönig wirkenden Anstrich einen sinnigen Schmuck zu verleihen. Der Ertrag der Nebe entschädigt nimmer für die Sorgfalt und Pflege, die man ihr angedeihen lassen muss. Dass aber in früherer Zeit auf dem Eichsfelde nicht aus bloßer Liebhaberei oder nur für den eigenen Bedarf Wein gebaut wurde, das beweist zur Genüge die Ausbreitung des Weinbaues über das gesamte Fürstentum, das dürfen wir bestimmt aus der Tatsache schließen, dass die Reben in besonderen Gärten gepflanzt und rationell gepflegt werden.

Dass der Ertrag der Eichsfelder Weinberge nicht unbedeutend war, lehrt uns eine Urkunde aus dem Jahre 1443, in der die Bewohner der Ortschaften Treffurt, Falken und Burschla versprechen, jährlich auf S. Martinusabend zwei Fuder des besten Weines, so in der Treffurter Flur wächst, auf den Rusteberg zu liefern …

Auch die Heiligenstädter ließen die Früchte ihrer Weingärten nicht umkommen. Sie kelterten die Beeren und ließen sich ihren selbstgezogenen Wein vorzüglich munden. Einzelne Bürger betrieben den Weinbau in so großem Umfange, dass sie das Produkt ihres Fleißes nicht allein bewältigen konnten und dazu die Hilfe ihrer Mitbürger in Anspruch nehmen mussten. Von Michaelis bis Martini durfte männiglich in Heiligenstadt seinen Wein verkaufen, so hatte ein hochwohlweiser Rat bestimmt. Dass der Heiligenstädter Wein nicht gar zu schlecht war, beweist der Umstand, dass der Wein für die Ratsherren, die sich alljährlich bei einem leckeren Male und gutem Trunke auf Kosten der Stadt erholten und für die kommende Arbeit stärkten, regelmäßig in Heiligenstadt selbst gekauft werden musste. Wenn der Wein dem hochedlen Rate mundete, wird er von den weniger edlen Sterblichen erst recht nicht verschmäht worden sein.

Schon im Anfange des 14. Jahrhunderts besaß Heiligenstadt mehrere öffentliche Weinschenken, in denen wohl vorwiegend Eichsfelder Wein verzapft wurde. Mit welcher für unsere Zeit vorbildlichen Sorgfalt die Väter der Stadt gerade den Weinschenken auf die Finger sahen, melden einige Artikel der Heiligenstädter Willkür: „Wer do Win schenket, der sal zu den Heilgen sweren, daz he rechte und volle Maße wolle geben […], wer en thürer gebe, denn je (vom Rate) gesetzt ist, der sal der stat eine Marg geben.“

Unsere Voreltern durften sich schon zuweilen den Luxus, ein Glas Wein zu trinken, gestatten; denn der Wein war damals nach unseren Verhältnissen spottbillig. Ich bedaure, den Lesern keine Weinkarte, auf der Jahrgang und Preis einer jeden Flasche oder eines jeden Humpen fein säuberlich verzeichnet sind, präsentieren zu können. Derartige Preislisten scheinen unsere ältesten Weinstuben nicht gekannt zu haben, wenigstens findet sich nicht eine einzige unter all den Dokumenten aus unserer Väter Tagen. Oder sollten unsere beneidenswerten Vorfahren nicht flaschenweise, sondern stets en gros gekauft und gezecht haben? … Ein En-Gros-Preis ist uns noch erhalten: Die beiden Fuder Wein, die alljährlich auf den Rusteberg geliefert werden mussten, wurden von den Lieferanten mit 28 Gulden abgelöst.

Dass die Eichsfelder Winzer trotz der geringen Weinpreise doch ein gutes Geschäft machten, lässt uns die Tatsache, dass noch im 16. Jahrhundert bei uns Wein gebaut wurde, vermuten. Erst das folgende Säkulum machte dem Weinbau auf dem Eichsfelde dauernd ein Ende. Im 30-Jährigen Kriege haben unsere Voreltern das Weintrinken verlernt! Die Weinberge, die nicht schon vorher eingegangen waren, zerstörte die alles verheerende Wut deutscher und fremder Soldateska.

Als endlich der furchtbare Krieg erloschen war, da hatten Landmann und Bürger schwer zu arbeiten, die im Laufe der Schreckensjahre versiegten und verschütteten Erwerbsquellen aus Schutt und Trümmern wieder aus Tageslicht zu fördern und in neue Bahnen zu lenken. Wir dürfen uns nicht wundern, dass der Eichsfelder erst den Acker, den dankbarsten Spender des notwendigsten Lebensunterhaltes, zu neuen Erträgen pflegte und nährte und über dieser Arbeit die Weinberge völlig vergaß und dadurch den Ruin des Weinbaues auf dem Eichsfelde völlig besiegelte.

Wilhelm Kolbe, Arenshausen
(„Heimatland“, 1. Jahrgang, Nr. 1 vom 15.11.1904, S. 6 – 7 und 1. Jahrgang, Nr. 2/3 vom 15.12.1904, S. 18 – 19)