Heinrich Hardegen

Aus dem Leben eines leidenschaftlichen Fotografen

Heinrich HardegenFotograf Heinrich Hardegen (1896-1979)

Josef Heinrich Hardegen wurde am 29. Oktober 1896 in Lengenfeld unterm Stein geboren und verstarb am 17. Februar 1979 in Gelsenkirchen.

Als zweites Kind der Eheleute Christoph und Josepha Hardegen (geb. Riese) wohnt Heinrich zunächst mit seiner Familie im Haus – Hauptstraße Nr. 64 (heute im Besitz der Familie Rudolf Hardegen). Sein älterer Bruder Joseph wurde am 9. November 1894 in Lengenfeld unterm Stein geboren.

Der Vater Christoph war Buchbinder; gleichzeitig bewirtschaftete die Familie noch einige Acker Land. Im Wohnhaus befand sich zusätzlich eine Gastwirtschaft, zu der ein Saal auf dem Hof gehörte, in dem eine Kegelbahn untergebracht war. Dieser Saal wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts abgebrochen. Die Gastwirtschaft lief unter dem Namen der Großmutter Juliane Hardegen, bekannt unter dem Namen „Schenk Jule“.

Am 13. September des Jahres 1899 vergrößert sich die Familie nochmals durch die Geburt von Heinrichs Schwester Anna.

Bereits ein Jahr später, am 26. Oktober 1900 trifft die Familie ein schwerer Schlag, da Heinrichs Vater, erst 37-jährig, stirbt. Er hinterlässt eine Witwe von 31 Jahren, Heinrich ist 4 Jahre, sein Bruder Joseph 6 Jahre und die kleine Anna erst 13 Monate alt.

Nach dem Tod des Vaters zieht die Familie in ein einstöckiges Haus auf dem Hof des Bauern Wehenkel in der Hauptstraße Nr. 50, direkt an der Frieda gelegen.

Heinrichs Einschulung erfolgt im Jahre 1903. 1911 verlässt Heinrich die Grundschule und tritt eine Lehre als Kellner bei seinem Onkel in Essen an, der eine eigene Speisegaststätte besitzt.

Infolge des 1. Weltkrieges wird Heinrich 1915 zur Kavallerie eingezogen. Sein Bruder Joseph, der an der Ostfront kämpft, wird im Jahr 1915 als vermisst gemeldet. Nie wieder wird er zu seiner Familie zurückkehren.

Bei einer Kriegsübung erleidet Heinrich eine Beinverletzung (verursacht durch einen Pferdetritt), worauf er in ein Lazarett eingewiesen wird. Nach monatelanger Behandlung wird er schließlich als kriegsuntauglich entlassen. In den folgenden Kriegsjahren arbeitet Heinrich in einer Lengenfelder Zigarrenfabrik.

Nach dem Ende des Krieges versucht Heinrich, seinen Lebensunterhalt durch Handeln zu verdienen und fährt mit dem Fahrrad von Ort zu Ort. Dabei versucht er vor allem, Bettwäsche zu verkaufen, doch in den schlechten Nachkriegsjahren ist damit kein großes Geschäft zu machen.

Ebenfalls arbeitet Heinrich in einer Zuckerfabrik, wie es viele Lengenfelder im Herbst und Winter tun. Allerdings kann er diesem Beruf keinen Geschmack abgewinnen.

Schon früh hatte sich Heinrich Hardegen mit der Fotografie beschäftigt. Dieses anfängliche Hobby sollte später zu seinem Beruf werden, den er nie erlernt hat.

Zunächst fängt er mit einer Holzkamera an, auf dem Hof der Familie Wehenkel Aufnahmen zu machen. Bald schon fotografiert er die Einwohner von Lengenfeld, hauptsächlich an Sonntagnachmittagen, wenn diese ihre Sonntagskleider tragen.

So spricht sich bald herum, dass man sich in Lengenfeld „abnehmen“ lassen könne, so ein damaliger Ausdruck für eine Porträtaufnahme. Von nun an müssen die Menschen nicht mehr in die Stadt nach Eschwege oder Mühlhausen fahren, um sich fotografieren zu lassen. Als Fotograf hat Heinrich Hardegen bald ein gutes Einkommen und kann davon leben.

Heinrichs Leben ändert sich durch die Bekanntschaft von Barbara Hunold, einem Mädchen aus der Nachbarschaft. Seit vielen Jahren befreundet, heiraten sie am 27. Oktober 1926. Beide wohnen nun im Haus – Hauptstraße 39, in dem Heinrich eine Dunkelkammer eingerichtet hat und sein Handwerk betreibt. Trotz der Weltwirtschaftskrise kann er von seinem Geschäft leben.

Wohn- und Arbeitshaus des Fotografen Heinrich Hardegen In den Jahren 1929 bis 1930 ist Heinrich Hardegen in der Lage, ein eigenes Wohnhaus zu bauen. Er lässt es auf dem Grundstück seines Schwiegervaters vor der Pfarrei errichten. Der Einzug erfolgt 1930. Die Aufteilung der Räume hat er selber genau bestimmt: Für sein Handwerk hat er einen Laden, ein großes Atelier und eine Dunkelkammer vorgesehen. Trotz der schlechten Wirtschaftslage kann Heinrich sein Geschäft aufrechterhalten, da die meisten Familien ihre Kinder fotografieren lassen. Die wenigsten Familien haben zu dieser Zeit einen eigenen Fotoapparat.

Am 23. Juli 1931 herrscht große Freude im Hause Hardegen. Die Tochter Margaretha wird geboren. 11 Jahre später, am 28. Februar 1942, tritt erneut ein freudiges Ereignis in die Familie Heinrich Hardegen. Der Sohn Karl-Heinz erblickt das Licht der Welt.

1943 wird Heinrich, damals bereits 47 Jahre alt, nochmals in den Kriegsdienst einberufen – zur Küstenbatterie der Marine. Im Winter 1944/1945 erfolgt ein Wechsel zur Feldgendarmerie, durch die er u.a. in Holland eingesetzt wird. Bei einem Fliegerangriff wird er am Unterschenkel verletzt.
Dieses Beinleiden wird ihm noch einige Jahre zu schaffen machen, weshalb er auch noch lange Zeit einen Stock benutzen muss.

In einem Lazarett in Norddeutschland erlebt Heinrich Hardegen das Kriegsende. Nach seiner Entlassung kommt er in ein Kriegsgefangenenlager in der Nähe von Bremen, aus dem er im Hochsommer 1945 entlassen wird. Da Deutschland nach Kriegsende in vier Zonen unterteilt wird und das Eichsfeld dem sowjetischen Kommando unterliegt, kann Heinrich nicht sofort heimkehren. Über Süddeutschland erreicht er später Göttingen, von wo aus er über die Grenze ins Eichsfeld gelangt.

Heinrich Hardegen & Pater Florentin In die Heimat zurückgekehrt, führt er sein Fotografengeschäft, so gut es die Umstände nach dem Krieg erlauben, weiter. Heinrich hat bald schon viel Arbeit mit den russischen Soldaten, die sich im Ort einquartiert haben. Für diese ist es ein großes Ereignis, sich fotografieren zu lassen. Bezahlt wird von ihnen sehr oft mit Zigarren – damals eine hoch geschätzte Ware.

Im März 1956 verlässt Heinrichs Tochter, die ihn zuvor im Geschäft unterstützt hatte, Lengenfeld und siedelt ins Ruhrgebiet über, wo sie eine Anstellung als Foto-Laborantin gefunden hat.

Der Sohn Karl-Heinz verlässt im Juli desselben Jahres die Schule in Lengenfeld und beginnt am 1. September eine Fotografenlehre bei seinem Vater. Später soll er das Geschäft des Vaters übernehmen. Im Juli 1959 beendet der Sohn Karl-Heinz seine Fotografenlehre.

Nach einem langen Leiden stirbt Heinrichs Frau Barbara am 22. Oktober 1960. Für Heinrich und seinen Sohn ist es nun nicht leicht, das Geschäft und den Haushalt weiterzuführen.

Eine Stütze findet die Familie in Fräulein Ida Hagedorn aus Effelder. Dieselbe hilft schon seit einigen Jahren im Haushalt der Familie Hardegen. Ida bleibt nach Barbaras Tod ganz im Haus und verrichtet die Hausarbeit.

Der Sohn Karl-Heinz verlässt am 16. Januar 1961 völlig überraschend das Elternhaus, um sein Glück in Westdeutschland zu suchen. Von nun an muss Heinrich Hardegen, der das Rentenalter noch nicht erreicht hat, sein Geschäft alleine weiterführen. Der Sohn Karl-Heinz findet im August 1961 eine Anstellung als Industriefotograf in Essen.

Am 11. Dezember 1961 verstirbt Lambert Rummel, der Schwiegervater von Heinrichs Schwester Anna. Heinrich und Lambert verband die Liebe zur Eichsfelder Heimat. Oft unternahmen sie an Sonntagen ausgedehnte Spaziergänge. Dabei fotografierte Heinrich viel Material, welches Lambert Rummel zu seinen heimatlichen Forschungen und Veröffentlichungen benötigte.

Das Fotografengeschäft führt Heinrich Hardegen alleine weiter bis zum Jahr 1968. Im selben Jahr wird er 72 Jahre alt. Hiernach verpachtet er sein Geschäft an den Fotografen Karl Althaus aus Ershausen.

Im Jahr 1976 feiert Heinrich Hardegen seinen 80. Geburtstag in Lengenfeld unterm Stein. Die Haushälterin Ida Hagedorn verstirbt am Abend des 31. Dezember 1977 und wird zu Beginn des neuen Jahres in ihrem Heimatort in Effelder beigesetzt. Auch sie stellt einen großen Verlust in Heinrichs Leben dar.

Im Frühjahr des Jahres 1978 erkrankt Heinrich Hardegen und verbringt einige Tage im Lengenfelder Krankenhaus, wo ihn seine Kinder Margaretha und Karl-Heinz durch eine Sondergenehmigung besuchen dürfen. Beide hatten die Heimat Lengenfeld seit ihrer Ausreise nicht wiedergesehen.

Von nun an ist es Heinrichs sehnlichster Wunsch, zu seinen Kindern nach Westdeutschland überzusiedeln. Ein gestellter Antrag wird genehmigt und er erhält am 20. August 1978 die Ausreisegenehmigung. Für Heinrich ist es ein schweres Abschiednehmen von Lengenfeld. Er weiß, dass er seinen Heimatort nie wieder betreten darf.

Seinen Lebensabend verbringt Heinrich Hardegen im Haus seiner Tochter in Gelsenkirchen.

Zu Beginn des Jahres 1979 wird er in ein Krankenhaus eingeliefert, wo er am 17. Februar 1979 infolge einer Lungenentzündung verstirbt.

Auf einem Friedhof in Gelsenkirchen findet Heinrich Hardegen seine letzte Ruhestätte.

Aus der Familienchronik
der Familie Hardegen

Zur Bedeutung seines Werkes

Als Autodidakt erwarb Heinrich Hardegen seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Fotografie durch intensives Selbststudium, was ihm eine Sonderstellung unter den gewerblichen Fotografen seiner Zeit zukommen lässt.

Die eigentliche Bedeutung seiner Arbeit lässt sich jedoch aus der Bandbreite der fotografischen Betätigungen ableiten. Neben der Porträtfotografie, die ihn in wirtschaftlich schweren Zeiten zum Überleben verhalf, dokumentierte Heinrich Hardegen das Dorfleben in Lengenfeld unterm Stein und seine Mitmenschen in annähernd 50 Jahren. Dabei gelang es ihm auf eindrucksvolle Weise, die Stimmungen und Strömungen seiner Zeit mit der durch das Medium der Fotografie festzuhalten.

Es sind vor allem die ländlichen Szenen und Naturaufnahmen, die von der tiefen Hingabe zeugen, mit der Heinrich Hardegen seiner Arbeit nachging.

Während seiner langjährigen Tätigkeit als Fotograf suchte Heinrich Hardegen nach vielseitigen Motiven und dokumentierte u.a. das Brauchtum und die Traditionen in seiner Heimat (vor allem Prozessionen, das Vereinsleben, Kirmesfeiern etc.).

Daneben entstanden Ansichten bedeutender (kultur-)historischer Bauwerke des Südeichsfeldes (als Beispiel seien hier genannt: die Hagemühle, Schloss Bischofstein, die Kanonenbahn, das Rittergut Keudelstein sowie zahlreiche religiöse Stätten u.v.a.m.).

Aus den Überlieferungen vieler Zeitgenossen wird übermittelt, dass der Lengenfelder Fotograf Hardegen seine Arbeit mit höchster Akribie verrichtete. Noch heute bestechen die Fotografien Heinrich Hardegens durch Genauigkeit und Qualität, was sich in den vielen Ansichtspostkarten äußert, die im Zuge seiner langjährigen Arbeit entstanden.

Die Entwicklung Lengenfelds zum Luftkurort (mit dem beliebten zeitgenössischen Attribut „Sommerfrische“) sowie der Internatsstandort Schloss Bischofstein (später Ferienheim) kamen seiner gewerblichen Arbeit zugute.

Heinrich Hardegen vermittelte der Nachwelt mit seinen Fotografien ein einzigartiges Zeitzeugnis von unschätzbarem ideellem Wert.

Oliver Krebs

Lengenfeld - Blick vom Dünberg (1930er Jahre)

Danksagung
Aufrichtiger Dank gilt dem Sohn des Fotografen, Herrn Karl-Heinz Hardegen, der Lengenfeld unterm Stein im Spätsommer 2006 besuchte und dem HeimatStudio umfangreiches Bild- und Textmaterial (u.a. Auszüge aus der Familienchronik) zur Verfügung stellte.