St.-Annawallfahrt einst und heute (1934)

Mit Beiträgen aus der Gatzemeyer‘schen Ortschronik von Struth, bearbeitet von Vinzenz Hoppe (Struth)

Droben stand einst die Kapelle,
lugte still ins Friedatal ...

Den Besucher des idyllischen Annaberges (Vorwerk von Kloster Zella) grüßt ein Kranz uralter, stattlicher Linden. Könnten diese Zeugen aus längst vergangener Zeit reden, sie würden uns erzählen von Stunden heiliger Andacht, von all den Bitt- und Lobgesängen frommer Eichsfelder Wallfahrer, die zu Ehren der hl. Mutter Anna, hier in diesem weltabgeschiedenen Stück Paradies, widerhallten. Unter dem Blätterdach des Lindenkranzes erhob sich die Wallfahrtskapelle, der hl. Anna geweiht. Von den Ordensschwestern des Frauenklosters Zella wurde sie anno 1714 errichtet. An dem hochw. Herrn Pater Cölestin Klinckhardt, welcher von 1702 – 1716 die Seelsorge in Effelder und Struth versah, hatten die frommen Benediktiner-Nonnen einen tatkräftigen Berater beim Bau der schmucken Kapelle. Vor dieser war jedoch bereits eine andere vorhanden. Einige alte Turmsteine der alten Kapelle wurden beim Bau der Neuen mit verwendet, wie der Chronist Lehrer Gatzemeyer (Struth) in der Struther Schul- und Ortschronik über das Kapellchen schreibt. Das Innere der Annenkapelle fasste 600 Seelen. Unter dem Gewölbe war eine Nische angebracht für das Annabild, die durch Doppeltüren geschlossen werden konnte. Die Türen waren mit künstlerischen Malereien versehen. Auf der einen Seite, waren auf Goldgrund die Verwandten der hl. Anna abgebildet. An den Annentagen brannten hier eine große Anzahl geweihter Wachskerzen. Hoch oben im Helm des Turmes hingen die 2 Glocken. Der Turm war mit Kupferplatten belegt und war, besonders aus der Ferne gesehen, eine Zierde der Wallfahrtskapelle. Auch der Platz und die Umgebung wirkten anziehend. Die breitästigen Linden gewährten angenehmen Schatten gegen Sonnenbrand und Hitze. Ein besonders schöner Lindenbaum stand auf der Westseite der Kapelle.

Betrachtet man nun den Werdegang der eigentlichen Wallfahrt, die leider ein böser Zeitgeist vernichtet hat, muss einem stille Wehmut ins Herz ziehen. Aus Eichsfelds Gauen, von nah und fern, kamen an den Wallfahrtstagen die Wallfahrer in zahlreichen Prozessionen nach diesem stillen friedlichen Ort. Nächst dem Hülfensberge war der Annaberg der am zahlreichsten besuchte Wallfahrtsort des Eichsfeldes. Die Hauptwallfahrt war am Annatag, 26. Juli. Später wurde sie auf den nächstfolgenden Sonntag verlegt. Zu Klosterzeiten wurden die Wallfahrten von Kloster Zella abgehalten.

Nach der Säkularisation Kloster Zellas war Pater Edmund Teitzel von 1805 – 1824 Pfarrer von Struth und Dechant des Lengenfelder Landkapitels. Er war aus dem Kloster Gerode nach Zella übergesiedelt. Der Gottesdienst auf dem Annaberge wurde von ihm in der üblichen Weise am 1. Maisonntag, in der Bittwoche, dem letzten Sonntag vor Pfingsten, am Annenfeste und den darauffolgenden 9 Dienstagen, abgehalten. Der herrliche Laubdom ringsum und das traute Friedatal hallte wieder von all den Bitt- und Dankgesängen frommer Eichsfelder, gepaart mit dem Jubilieren der Waldvögelein. Nichts schien diesen Gottesfrieden zerstören zu können, bis plötzlich im Jahre 1837 drohende Gewitterwolken über dem Wallfahrtsort und den Gnadentagen aufstiegen.

– Nach der Säkularisation gelangte Kloster Zella und das Vorwerk Annaberg im Jahre 1811 durch Verkauf der westfälischen Regierung an die Herren Wilhelm Lutterodt und Heinrich Wilhelm Röbling aus Mühlhausen. Diesen schienen die Annenwallfahrten ein Dorn im Auge zu sein. 1837 beanspruchte Herr Röbling beim Kommissariat in Heiligenstadt die Annakapelle als sein Eigentum, trat nun gegen die Abhaltung des Gottesdienstes energisch auf und führte Beschwerde bei der Königlichen Regierung in Erfurt. Diese erklärte ihm laut Erlass vom 14. August 1840, dass er die Wallfahrten nicht stören oder verhindern dürfe. Eine Zeitlang wurden daher die Annenwallfahrten ungestört weiter abgehalten. Am 30. April 1841 reichte Röbling erneut Klage bei Gericht ein, aber wiederum ohne Erfolg. Nach seinem Tode nahmen seine Erben den Prozess um die Annenkapelle erneut auf, verloren aber wiederum. Sie appellierten nun an eine höhere Instanz, denn es war ihnen mittlerweile ein Schriftstück in die Hände gekommen, worin es hieß, dass zwar die Glocken der Klosterkirche, die Glocken, Altäre, Orgel und das Gnadenbild der Annenkapelle nicht mit verkauft seien, wohl aber die Kirche des Klosters und die Kapelle des Annaberges, so erhielten die Kläger am 26. August 1844 das Eigentumsrecht zuerkannt.

Im Jahre 1850 verlangten nun die Erben Röblings die Entfernung aller ihnen nicht gehörenden Gegenstände aus der Kapelle. Als Herr Pfarrer Leineweber (Struth) nach zuvor eingeholtem Bescheid beim Kommissariat darauf eingehen wollte, erklärten sich die Erben bereit, das Abhalten des Gottesdienstes auf dem Annaberge unter gewissen Bedingungen auch weiterhin zu gestatten. Als man sich damit einverstanden erklärte, wurden wieder härtere Forderungen gestellt, die leider nicht mehr erfüllt werden konnten. So fanden unter großem Schmerze der Eichsfelder die traditionellen Annenwallfahrten ihr jähes Ende.

– Das Gnadenbild der hl. Anna wurde nun im Jahre 1854 in die Pfarrkirche zu Struth übertragen. Die neuen Besitzer der Annenkapelle fühlten sich nun veranlasst, dies Denkmal der Andacht vernichten zu lassen. Schon früher waren die Stationen des Stationsweges von Kloster Zella nach dem Annaberg (heute Fußpfad nach dem Kloster), an Kaplan Schäfer (Lengenfeld u. St.) als Geschenk gekommen (sie sollen später als Kreuzweg von Hildebrandshausen nach dem HüIfensberge verwendet worden sein).

Bevor nun der Kaufvertrag zwischen Röblings Erben und dem neuen Besitzer von Kloster Zella, Herrn Christian Andreas Rudolf Weiß aus Langensalza abgeschlossen war, kam man mit Letzterem überein, die Kapelle auf dem Annaberge abbrechen zu lassen. Der einstweilige Pächter Zellas, Herr Keuthahn (später Amtsvorsteher), wurde damit beauftragt und bekam von Röblings Erben und Herrn Weiß je 200 Thlr. und das Material für den Abbruch. Die noch in der Kapelle befindlichen Gegenstände, wie die Altäre, die Glocken und Kanzel usw., wurden durch den Herrn Dechant Spies (Lengenfeld) daraus entfernt und nach Lengenfeld gebracht. Eine Glocke kam nach Dieterode und die andere in das Kloster der Barmherzigen Schwestern nach Heiligenstadt.

– Ehe man nun die Spitzhacke an die schmucke Kapelle setzte, um an ihr das Zerstörungswerk zu vollenden, baten die damit beauftragten Arbeiter den Pächter Keuthahn, die Glocken zum Abschied noch einmal zu läuten, welches ihnen auch gestattet wurde. Wie traurig mögen sie wohl geklungen haben bei diesem ihrem letzten Geläute? – Hatten sie doch einige Jahrhunderte lang mit freudigem Schall all die Waller aus dem Eichsfelder Ländchen zu frommer Andacht gerufen. Jetzt aber läuteten die Arbeiter die Glocken in der Weise, wie man einem Verstorbenen hinläutet. So geschehen im Jahre 1869.

– Das Gnadenbild war in der Pfarrkirche zu Struth nunmehr bereits einige Jahre verehrt worden. – Der hochw. Herr Bekennerbischof Konrad Martin war schon als Professor in Bonn ein großer Verehrer des Annaberges mit der Gnadenkapelle. Da er in seinen Ferien immer in seinem Heimatdörfchen Geismar und in Lengenfeld, wo er seine glücklichen Jugendjahre verlebte, zu Besuch weilte, suchte er seinen Studienfreund Pfarrer Leineweber (Struth) recht oft auf. Bei dieser Gelegenheit kam er auch öfters an den 9 Dienstagen auf den Annaberg, las dortselbst eine hl. Messe und hielt hin und wieder auch eine Predigt. Auch ihn hat es sehr schmerzlich berührt, dass man die Annenwallfahrten verboten hatte. Sein Denken und Trachten ging dahin, der Annenverehrung nunmehr in der Pfarrkirche zu Struth ein ewiges Denkmal zu setzen. So bewirkte er bereits im Jahre 1859 als Bischof von Paderborn persönlich beim hl. Stuhle in Rom, allen Verehrern der hl. Mutter Anna in der Struther Kirche, am Annatag oder an einem darauffolgenden 7 Tage, die Gewinnung eines vollkommenen Ablasses und an den darauffolgenden 9 Dienstagen einen Ablass von 7 Jahren und 7 Quatragenen.

Der Grundstein zur Annenverehrung für ewige Zeiten war nun gelegt und besiegelt in der Struther Pfarrkirche. Im Laufe der Zeit erwies sich jedoch eine Ausbesserung des Annabildes (auch häufig St. Anna-Selbdritt genannt), als Notwendigkeit, da eine solche von unkundiger Hand bereits einige Jahre früher vorgenommen worden war. Im Jahre 1879 wurde daher der junge Maler Georg Oberthür aus Effelder mit der Instandsetzung desselben beauftragt. Dieser begabte Maler hat das Annabild so würdig restauriert, dass sich jedermann befriedigt darüber aussprach. Am ersten Adventssonntag, den 30. November 1879, wurde das Annabild wieder in die Struther Kirche aus der Wohnung des Künstlers, in Begleitung des Dechanten Gerhardy (Struth) und des Pfarrers Bergener (Effelder) sowie vieler frommer Verehrer der hl. Anna aus Effelder und Struth, zurückgebracht. Für einen würdigen Platz hatte Dechant Gerhardy Vorsorge getroffen. Vom Struther Tischler Johannes Schade wurde ein passender Altar mit Doppeltüren, welcher vom Maler Oberthür würdig bemalt wurde, hergestellt. Groß war der Opfersinn der Annenverehrer bei der würdigen Ausstattung des Annenaltares. Seinen Standort hatte er zunächst unter der Kanzeltreppe erhalten. Heute trägt ein kunstvoller Barockaltar, als Gegenstück des Marienaltars, das Gnadenbild. – Über die Errichtung der Annenbruderschaft sei noch erwähnt, dass dieselbe 1872 auf Wunsch der Krieger der Gemeinde Struth errichtet worden ist und ihr viele Privilegien verliehen worden sind.

Darum „Eichsfelder“, besuchst du den Annaberg im herrlichen Blütenschmuck oder die Pfarrkirche zu Struth, so denk daran, dass hier seit Jahrhunderten der Lobpreis zur Mutter Anna noch nicht verklungen ist, – erst dann wirst du es besser beherzigen können, was man mit der Aufhebung des Wallfahrtsortes „Annaberg“ und mit den traditionellen Wallfahrten dem katholischen Eichsfeld genommen hat.

Vinzenz Hoppe, Struth
(Quelle: „Mein Eichsfeld“, Jahrgang 1934, Seite 86 – 89)