Professor Franz Neureuter (1874 – 1936)

In den Reihen der eichsfeldischen Toten des vergangenen Jahres befindet sich auch ein Mann, den viele, die ihm im Leben begegneten, ein unvergessliches Andenken bewahren werden. Am 16. Juni, morgens 8 Uhr, verstarb Prof. Franz Neureuter an den Folgen einer schweren Erkrankung im 62. Lebensjahre. Wie er es im Leben gewohnt war, nie viel Aufsehens von sich zu machen, so ging er auch von uns. Den zahlreichen Freunden, Verehrern und Schülern kam die Nachricht von seinem Ableben ganz unerwartet. War es doch kaum 10 Wochen her, dass dieser um die eichsfeldische Gelehrtenschule verdiente Mann aus dem Amte geschieden war. Es war ihm nicht mehr vergönnt, seine weitreichenden Pläne und Arbeiten, die er sich für das Ruhealter gesetzt, zu vollenden. Der unerbittliche Tod nahm ihm allzu früh die Feder aus der Hand.

Franz Neureuter wurde am 3. Dezember 1874 zu Halberstadt geboren. Nach Ablegung der Reifeprüfung am Halberstädter Gymnasium studierte er Theologie und Naturwissenschaften. Nach seiner Priesterweihe im Jahre 1899 war er zweieinhalb Jahre als Seelsorger in der sächsischen Diaspora tätig.

Im Jahre 1901 bestand er die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen und wurde 1904 zum Oberlehrer an dem Gymnasium in Heiligenstadt ernannt. Aus seiner bergigen Heimat des Nordharzes hatte der Verewigte ein starkes Interesse an Gottes weiter Natur empfangen und dieses wiederum gab ihm Ziel und Richtung für seinen ganzen Lebensweg. Er wurde Naturwissenschaftler und all sein Tun, all sein Können setzte er für diese Sache ein. Im Erlauschen und Erleben spürte er den tiefsten Geheimnissen und Gesetzen der Natur nach und erkannte darin allverbunden die Gegenwart Gottes. So kann man von ihm sagen, sein ganzes Leben verzehrte sich im Dienste der Natur; aber nie war es die unstete Hast, nie war es unerlaubter Ehrgeiz, die seinen Arbeiten das Gepräge gaben. Die Sache an sich war ihm Inhalt und Befriedigung genug.

Als Theologe wusste Neureuter die Geheimnisse des Lebens, um Himmel und Hölle, Gnade, Sünde und Schuld, um Liebe und Hass. Von der Natur aus ging er dem eigenen sittlichen Gesetz, der inneren Gesetzlichkeit in Gesellschaft, Staat und Wissenschaft nach, ruhig und harmonisch formte sich bei ihm alles zum vollendeten, festen christlichen Weltbild. Wer mit dem Verstorbenen in die eichsfeldische Landschaft wandern durfte, dem vergingen die Stunden zu schnell, wenn er die verworrensten Zusammenhange alles natürlichen und menschlichen Geschehens entrollte. Wer erlebte, wie er oft stundenlang bei Tag und Nacht die Tiere des Waldes beobachtete, wie er die seltensten Pflanzen entdeckte und photographierte, wie er alle Naturwunder mit gleicher Liebe und Hingabe von Jahr zu Jahr überwachte, dem wurde es klar, dass hier ein Mensch in der Natur mit der Natur lebte und ihr doch nicht untertan wurde.

Das Eichsfeld war ihm zur zweiten Heimat geworden. Auf wochenlangen Wanderungen hatte er die eichsfeldische Landschaft bis in die kleinsten Winkel durchforscht. Nur derjenige, der einmal seine reichgefüllten Mappen und Herbarien gesehen, kann sich eine Vorstellung von dem weiten Umfang seiner Forschertätigkeit machen. Dem Lehrer und Erzieher Neureuter widmete ein langjähriger Freund im Eichsfelder Volksblatt folgenden Nachruf:

„Mit Neureuter verliert die eichsfeldische Gelehrtenschule wieder einen von den nur noch wenigen Lehrern, die in langer, ernster Lebensarbeit mit der Schule, mit Land und Leuten unserer Heimat tief verwurzelt und verwachsen sind. Seit April 1903 hat er 33 Jahre lang seine ganze Kraft und sein reiches Wissen der studierenden Jugend unseres Eichsfeldes gewidmet.

Neben der Theologie waren für ihn die Naturwissenschaften das besondere Lieblingsgebiet seines Forschens und Wirkens. Ein unbestechlicher Wahrheitssucher, wusste er in seinem Unterrichte beide Wissenszweige als einander ergänzend und befruchtend zu verwenden und so Natur- und Geisteswissenschaft als die harmonierenden Grundlagen einer unerschütterlichen festen christlichen Weltanschauung zu gestalten. Das hat ihm die Liebe und Zuneigung vieler Schüler auch über die Gymnasialzeit gewonnen. Die fruchtbare Wirksamkeit Neureuters als Lehrer gründet sich vor allem auf das ausgedehnte, tiefe Wissen, das sich dieser Mann in lebenslanger strenger Forschungsarbeit gewann.“

Als Niederschlag seiner wissenschaftlichen Forschungs- und Lehrtätigkeit entstand die naturwissenschaftliche Sammlung des Gymnasiums, die in diesem Umfange wohl kaum an einer anderen Schule zu finden ist. Der Verstorbene war als Forscher wie als Lehrer eine Zierde des Heiligenstädter Gymnasiums. Auf dem Gebiete der Naturwissenschaft hat der Entschlafene eine ansehnliche Reihe von Werken und wertvollen Aufsätzen geschrieben, die seinen Namen weit über die Grenzen des Eichsfeldes bekannt gemacht haben, z. B. „Flora des Eichsfeldes“ (1), „Eichsfeldische Heimatkunde" „Führer durchs Eichsfeld“, „Die Wanderungen der Pflanzen und der Tiere“. Seit Gründung der Zeitschrift „Unser Eichsfeld“ 1906 war er ein eifriger Mitarbeiter. Der Raum ist zu beschränkt, um das literarische Schaffen Neureuters in seiner Ganzheit zu würdigen. Nicht vergessen soll auch sein, was der Verstorbene als langjähriger Obmann des Naturdenkmal-Schutzes geleistet hat.

Tragisch ist es, dass er zu früh – bevor er den 2. Band der „Eichsfeldischen Heimatkunde“ vollenden konnte – von hinnen gehen musste. Gott hat es anders gefügt; er hinterlässt die Ausführung einer anderen Hand, während er im Glauben an die künftige Auferstehung in Gottes Frieden ruht.

Wir sind voll der Hoffnung, dass auf ihn das paulinische Wort Anwendung findet:

„Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt, nun ist mir die Krone hinterlegt.“

Ave, pia anima

(1) Verlag F. W. C o r d i e r, Heiligenstadt. Das Buch enthalt über 700 Abbildungen. Preis RM 4. –

Von Studienrat A. Schäfer
(Quelle: „Eichsfelder Marienkalender, Jahrgang 1937, S. 61)