Auch der Herbst hat seine schönen Tage (1992)

Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, so hatte die jetzige Herbstzeit für uns Kinder ihre besonderen Reize, nachdem die Felder abgeerntet waren. Da begannen wir (wir, das waren vier ältere Brüder und ich) und knobelten, konstruierten und bastelten einen riesengroßen Drachen.

Doch zunächst musste das Material wie Leisten, kleine Nägel, Papier, Schnur usw. besorgt werden. Die Leisten und Nägel holten wir uns beim Tischler „Onkel Thedor“ (auf dem Dorf wurde früher jeder ältere Erwachsene mit Onkel und Tante angesprochen). Wir hatten zwar keinen Sechser in der „Hosenkiepen“, aber anstandshalber fragten wir, was es kostet. „Onkel Thedor“ zog an seiner kalten oder warmen Tabakspfeife, lachte verschmitzt, zwinkerte mit den Augen und sagte zu uns: „Macht das de fortkummt, de hut dach kenn Pfennig in dar Kiepen“. Mit einem verlegen gestotterten „besten Dank, Unkel Thedor“ trabten wir glücklich strahlend nach Hause.

Zum Bespannen wurde das Packpapier vom Versandhaus Josef Witt, Weiden/Oberpfalz genutzt, ebenfalls die alte Paketschnur.

Noch heute kenne und sehe ich diese alte Paketadresse vor meinen Augen. Unsere Mutter kaufte nämlich für unsere neunköpfige Familie bei dieser Firma die Bettwäsche en gros und zu einem annehmbaren Preis. Die Älteren wissen, das Geld war damals sehr knapp, knapper als heute und „Schmalhans“ war in vielen Familien ein ausgezeichneter „Küchenmeister“ und trotzdem haben wir keinen Hunger gelitten.

Ein Kreuz aus den Leisten wurde zugeschnitten, zusammengenagelt und mit Schnur und Papier umspannt. Als Klebstoff rührten wir Mehl mit Wasser an und dieser Mehlkleister brauchte natürlich einige Zeit zum Trocknen und Abbinden. Ein Schwanz von Schnur und Zeitungspapier (Mühlhäuser Anzeiger, Thüringer Gauzeitung) wurde schnell noch gefertigt an den „Corpus“ angebunden. Dann wurde dieser von unten noch mit Wasserfarbe in den herrlichsten Regenbogenfarben bemalt und nun konnte eigentlich die Post abgehen, doch es fehlte noch die Drachenschnur. Aber woher nehmen und nicht stehlen?

Die Lösung war in „Tante Kathrins“ Laden zu finden – nämlich dort bekamen wir für 2 Reichspfennige „Siemen“ (Schnur) unseren Drachen. Nun hatten wir glücklich alles beisammen, es konnte losgehen. Der erforderliche Wind fehlte ja zu dieser Jahreszeit in meinem Heimatdorf Struth (500 m) fast selten. So wurde das Drachensteigen durch uns fünf Brüder abwechselnd vorgenommen, bis uns die Zunge vom vielen Laufen aus dem Hals hing. Öfters klappte es auch einwandfrei, aber manchmal stürzte der mit viel Liebe gebaute Drachen im Sturzflug ab und zerschmetterte am Boden. Da waren wir schon etwas traurig, aber nach kurzer Zeit hieß es: „Auf ein Neues!“

Gern denke ich zur Herbstzeit – im doppelten sprichwörtlichen Sinne – an diese schönen Kinderjahre zurück und wie heißt es so schön: „Auch der Herbst hat noch seine schönen Tage!“

Heute wird bei „Obi, Aldi, Stinnes, Treff“ und wie sie noch alle heißen mögen, so ein „Superding“ gekauft, ob aber gleiche Freude und Spaß wie in unserer Kindheit aufkommt, kann ich aus meiner „Großvater-Sicht“ nicht mehr so recht beurteilen.

Und die Moral von der Geschieht: Geld allein macht‘s wirklich nicht!

In der Hoffnung, dass mir einige „graue Panther“ zustimmen, grüßt Sie Ihr


Willi Tasch
(Quelle: „Obereichsfeldbote“ Nr. 39/1992)