Septembergewitter haben es in sich (1954)
Die letzten schweren Gewitter haben Erinnerungen an frühere Unwetter wachgerufen, die in der Heimatgeschichte verzeichnet sind. In Heiligenstadt sind die Gewitter gefürchtet, die aus dem Pferdebachtal kommen. Die Kesseldörfer haben Respekt vor den Gewittern, die durch das Eichsfelder Tor ziehen, und die Leute am Hülfensberge und in der „buckligen Welt“ sehen nicht gerne dunkle Wolken aus dem Friedatal heraufziehen. Die Gewitter hängen oft so tief, dass sie an die Berge stoßen. Sie schlängeln sich durch die Täler, bleiben an den Höhen hängen, bis die Wolken „brechen“. Jeder ältere Landwirt kann ein Liedlein über die Schrecken plötzlich herangebrauster Wasserfluten singen.
Die in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts aufgewachsenen Landleute erzählten mit Schaudern von einem Unwetter, das am 4. Juni 1839 das Eichsfeld heimgesucht hat. Das Wasser stürzte über die Fluren und nahm in den Dörfern alles mit zu Tale, was im Wege stand. Stapel Bauholz wurden hinterher an den Leineufern aufgesammelt, darunter schwere Bäume. Unvergessen ist der 1. Juni 1886. Dieser Schreckenstag hat das größte Entsetzen hervorgerufen und auch die schwersten Schäden im 19. Jahrhundert angerichtet. Nachmittags gegen ½ 6 Uhr prasselte ein furchtbarer Hagelschlag los und vernichtete die Ernte. Gegen 9 Uhr folgte ein zweites schweres Gewitter. Beim Heiligenstädter Schützenhause trat die Leine über die Ufer. In Geisleden musste die „Klinge“ geräumt werden. Die Bodenröder Leinebrücke stürzte ein. Im Bierschenk‘schen Stall kamen neunzig Schafe im Wasser um. Der Schöllbach in Heiligenstadt bedrohte die Anwohner. Die Beberbrücken in Mengelrode wurden fortgerissen. Günterode meldete den Verlust von 150 Schafen. Der Friedhof in Worbis bot nach der Katastrophe ein Bild des Grauens. Aus dem Hahletal wurde gemeldet, dass viel Vieh umgekommen sei. In Teistungen ertranken zwei Kinder, in Gerblingerode zwei Frauen. Der Sachschaden, den die Kreise Heiligenstadt und Worbis erlitten, wurde auf zwei Millionen Mark beziffert. Damals war dies eine ungeheure Summe. Es musste eine große Hilfsaktion eingeleitet werden.
Ein neues schweres Unwetter wütete am 15. Mai 1889. In Bodenrode kamen 50 Schafe um. Am 20. und 21. Mai 1890 war der Wasserstand der Leine noch höher als 1886. Besonders schlimm waren diesmal die Verwüstungen an der Beber. Am 7. August 1890 tobte auf dem Südeichsfeld ein schweres Unwetter. Hagelschlag vernichtete am 21. Juli 1902 bei Heiligenstadt die Ernte. Am 4. September des gleichen Jahres wurde die Eichsfelder Höhe heimgesucht, am 12. September hatte Heuthen einen Wolkenbruch. 1904 verhagelten am 2. August die Felder bei Kefferhausen und Kreuzebra, am 5. Juli die Fluren auf dem Untereichsfelde. Der 11. Juli 1906 brachte dem Südeichsfeld eine Überschwemmung, der 24. Juli Heuthen wieder einen Wolkenbruch. Durch Blitzschlag wurden in all den Jahren zahlreiche Menschen und viel Großvieh getötet.
September-Gewitter sind nach den Erfahrungen unserer Landwirte im Allgemeinen recht heftig. Bei dem Unwetter, das am 4. September 1902 sich über der Eichsfelder Höhe entlud, wurden allein in Dingelstädt mehrere hundert Fensterscheiben und viele Dächer zertrümmert. Dass September-Gewitter recht gefährlich sind, hat auch der Wolkenbruch gerechtfertigt, der in der Nacht vom 11. zum 12. September 1909 Heiligenstadt in eine große Wasserburg verwandelte. Dieses Hochwasserjahr hat übrigens zu umfassenden Meliorationsarbeiten geführt, die größere Überschwemmungen im Stadtgebiet ausgeschaltet, haben.
Gewitterstürme und Hochwasser sind in unserem Hügellande auch im Winter möglich. Am 7. Dezember 1868 schleuderte ein Windstoß drei von den schweren Sandstein-Fialen am neuen Turm der Aegidienkirche in Heiligenstadt zu Boden. Die kaum fertig gewordenen Bahnhofsgebäude an der Halle-Kasseler-Linie wurden abgedeckt, Wärterhäuschen umgeworfen. Das Februarhochwasser von 1909, das durch ein ungewöhnlich früh einsetzendes Tauwetter verschuldet wurde, bildet heute noch an manchem Winterabend den Inhalt der Unterhaltung im Familienkreise. Bilder im Rathaus und in Privatbesitz erinnern an die Wassermassen, die sich damals durch die Straßen wälzten.
Autor: unbekannt
(Quelle: Eichsfelder Heimatborn, Ausgabe vom 18./19.09.1954)
Anmerkung
Die im Text erwähnten Hochwasser-Ereignisse erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit für den Eichsfelder Raum im 19. Jahrhundert uns 20. Jahrhundert.