Der Schrannfelsen bei Kloster Zella - Ein geologisch-botanischer Ausflug

Wenn wir auf der Straße Geismar – Eigenrieden – Mühlhausen den Ort Lengenfeld u. Stein hinter uns gelassen haben, erblicken wir links in der Richtung Kloster Zella eine Felsmasse in Form eines stumpfen Dreiecks, die sich als helles, gelbes Gestein von dem umrahmenden dunklen Hochwald auffällig abhebt. Das ist der Schrannfelfen bei Kloster Zella, kurz auch die „Schranne“ genannt. Nähern wir uns ihr auf der Straße nach Kloster Zella, so sehen wir auch deutlich eine Schlucht, die etwa in der Mitte fast senkrecht den Fels von oben bis unten zerteilt und herabläuft. In dieser „Nonnenschlere“ soll der Sage nach eine Nonne aus dem nahen Kloster auf der Flucht vor einem sie verfolgenden Ritter hinabgeklettert sein und ist so ihrem Verfolger entgangen, während Ross und Reiter auf dem Fels elend zerschellten.

Auf einem guten, fahrbaren Waldwege durch prächtigen Buchenhochwald nähern wir uns der Felspartie bis unmittelbar an ihren Fuß und sehen nun an den Geröllhalden und einzelnen noch stehenden senkrechten Felspartien, dass es sich um einen Bergsturz handelt, wie wir ihn im Gebiet des „Unteren Muschelkalkes“ im ganzen Bereiche dieses Gesteins im Werragebiet wie in ganz Thüringen immer wieder antreffen: die Plesse bei Wanfried, Heldrastein bei Treffurt, die Klippenwand bei Probstzella unweit Falken, wo die drohenden Abstürze der Felsmassen über dem Weg am Werraufer ängstlichen Gemütern wohl Furcht einflößen können, aber auch die berühmten Bergstürze in Thüringen, der Dohlenstein bei Kahla an der Saale unter der Leuchtenburg, die Bergstürze bei Jena, die Kammerlöcher bei Elgersburg sind immer die gleichen Erscheinungen im gleichen Gestein und auf gleiche geologische Vorgänge zurückzuführen. Überall liegt unter den Schichten des Muschelkalks eine tonig-mergelige Schicht von roter Farbe, daher „Röt“ genannt, die bereits dem Buntsandstein angehört, und die wir am Weg zur Schranne an einer Stelle aufgeschlossen sehen.

Diese roten Schichten find im Gegensatz zu dem wasserdurchlässigen Muschelkalk undurchlässig für Wasser, an der Röt-Muschelkalkgrenze staut sich daher das Wasser, macht die Schichten weich und schlüpferig, und da die mergeligen Schichten des Röt außerdem leichter verwittern als die hangenden Schichten des Muschelkalkes, so entstehen oftmals Hohlkehlen unter dem Kalk, die Felspartien brechen ab, zerbersten in senkrechte Wände, und diese gleiten nun von Zeit zu Zeit auf den durchfeuchteten, schlüpfrigen Rötunterlagen ab, besonders dann, wenn die Schichten wie hier etwas geneigt sind. Hohe Felsabbrüche, teilweise noch ruinenartig aufragend, und offene senkrechte Klüfte zeigen noch deutlich die Losreihung in einzelne kulissenartige Wände; die oberste ragt bereits drohend vornüber, andere sind bereits in Trümmer gegangen und fächerartig breitet sich vor dem Felsen eine Geröllhalde aus, noch so frisch, als wäre der Absturz erst vor Wochen erfolgt. Welche Riesenkräfte müssen bei der Bergzerreißung erfolgt sein? Wir wissen es nicht, aber der an der Plesse soll 1640 erfolgt sein. Es sei zur Erklärung der zahlreichen Quellen, die in unserm Gebiet vorkommen, daran erinnert, dass die Röt- und Muschelkalkgrenze auch ein Quellhorizont aus den oben genannten Gründen ist, der vielen kleinen Wässerchen den Ursprung gibt.

Besehen wir uns nun aber die Gesteinsmassen etwas genauer. Was da zu Boden gekommen ist, ist nicht von gleicher Beschaffenheit, sondern es sind die verschiedenartigsten Gesteinsarten feststellbar, alle aber bestehen aus Kalk. Die größten Blöcke sind infolge ihrer Schwere am weitesten nach unten gerollt und liegen gleich über dem Weg. Hier finden wir eine Musterkarte aller der Gesteinsarten, die weiter oben anstehen. Die Hauptmaste des Gesteins ist ein etwas 40 m mächtiger Schichtstoß, der wegen seiner welligen Oberfläche als „Wellenkalk“ bezeichnet wird. Er verwittert leicht und zerfällt dabei in lauter eckige Kalkknauern, die die Hauptmasse der Gesteinstrümmer ausmachen. Einige Blöcke erscheinen auf einer Seite auffallend glatt wie abgeschliffen, das sind Rutschflächen, Harnische genannt, an denen die Felswände aneinander abgerutscht sind und dabei glatt geschliffen wurden. Auf vielen Blöcken sehen wir oberflächlich eigenartig gewundene Wülste von Hufeisenform, bleistiftdick und vielfach gewunden.

Man hielt diese Gebilde früher für Wurzelkorallen und nannte sie daher und weger ihrer großen Verbreitung im ganzen Unteren Muschelkalk Rhizocorallium vulgare. Heute erblickt man in diesen Gebilden die Bauten von Würmern, die am Meeresboden im Schlamme ihre röhrenartigen Gänge gruben. Andere, nur stricknadeldicke Bohrgänge sind grade und unverzweigt sog. Trypanitesgänge (von trypanon – Bohrer); und schließlich finden wir noch daumenstarke und noch stärkere verzweigte kreuz und quer verlaufende Bohrgänge, die man nach einem noch heute im Mittelmeer lebenden Wurm, dem Eichelwurm (Balanoglossus), der ähnliche Gänge baut, als „Balanoglossitisgänge“ bezeichnet.

Alle diese Wurmspuren beweisen uns bereits, dass die Kalke vor uns einmal Meeresboden waren, die Ablagerungen eines weichen Kalkschlickes, der von zahlreichen Würmern durchwühlt war. Das beweisen aber auch die zahlreichen Schalenabdrücke von Muscheln, Schnecken und sogenannten Armfüßern, die man zahlreich in den verschiedensten Schichten findet. Auf den gelblich verwitterten Steinen sehen wir weiter von den Spalten und Wurmröhren ausgehend feine schwarze bäumchenförmige oder moosähnliche Verzweigungen, die man für zarte Pflanzenversteinerungen halten könnte, in Wirklichkeit sind es aber Scheinversteinerungen, nämlich die Ausscheidungen von Metall-Lösungen, die auf diesen feinen Spalten im Innern des Felsens zirkulierten und sich wie Eisblumen am Fenster im Winter ausgeschieden haben. Man nennt sie „Dendriten“, sie bestehen aus Mangan und Eisen. Dann finden wir anstehend gleich unten eine Felsbank, die über und über mit einer Muschel bedeckt ist (Gervilleia socialis). Der Meeresboden muss damals geradezu übersät gewesen sein mit dieser Schiefmuschel.

Wir klettern nun über den lockeren Geröllschutt zur ersten Wellenkalkbank und erblicken über ihr eine etwas härtere Bank, die der Verwitterung besser widerstanden hat und daher wie ein Gesims horizontal aus dem Wellenkalk hervorragt. Wir schlagen den Stein an und sehen unter der Lupe, dass er sich aus lauter kleinen Kügelchen aufbaut, die konzentrisch-schalig und radial-strahlig gebildet sind nach Art des berühmten Karlsbader Strudel- oder Erbsensteins. Die senfkorngroßen Kügelchen werden Oide genannt (von Oon= das Ei), und die ganze Bank heißt darum die „Oolithbank“. Auch die Entstehung dieser „Eiersteinchen“ war lange rätselhaft. Wir kennen aber jetzt in südlichen Meeren, im Mittelmeer und in der Adria, kleine kugelige Algen,  die die Fähigkeit haben, Kalk um sich in konzentrischen Schalen abzuscheiden, wahrscheinlich sind die Ooiden unserer Bank auf gleich Weise entstanden. In dem sehr festen Gestein finden wir auch die Stielglieder von Seelilien, ich fand dicht beieinander die kreisrunden von Encrinus und die fünfeckigen von Pentacrinus dubius.

Etwa 4 m höher steht eine zweite gleiche Oolithbank und bildet wieder ein vorspringendes Gesims. Noch weiter oben treffen wir wieder eine Bank, die aber beim Anschlagen mit dem Hammer braune rostfarbene Farbtöne zeigt und auch braun verwittert. Sie ist erfüllt von den Schalen eines Armfüßlers (Brachiopoden). Die Rückenschale dieses muschelähnlichen Tieres trug ein Loch, durch dieses Loch steckte das Tier einen Muskelstiel hervor, mit dem es sich an Gegenständen anheftete. Lochmuschel nennt man dieses Tier (Terebratula von terebrare= durchboren), und die Bank heißt darum die Terebratulabank. Sie ist bekannt durch ihren Reichtum an Versteinerungen, und infolge ihrer Festigkeit wird sie seit Jahrhunderten als guter Baustein verwendet. Auch die erwähnten großen Bohrgänge treten hier wieder auf. In einigen Steinbrüchen in der Nähe z. B. unter dem Ausgang des Entenbergtunnels bei Großbartloff wird dieser Stein gebrochen und viele Häuser der umliegenden Dörfer sind aus ihm und aus dem nun folgenden „Schaumkalk“ erbaut.

Die Schaumkalkbank liegt noch höher unter dem First der Schranne. Es ist eine dicke helle Bank, die beim Anschlagen mit dem Hammer mehlig weiß stäubt und daher von den Arbeitern als „Mehlstein“ oder „Mehlbatzen“ bezeichnet wird. Auch dieses Gestein ist ursprünglich wohl oolithisch gewesen, durch Verwitterung der Ooide sind die winzigen kugeligen Hohlräume entstanden, sodass das Gestein setzt schaumig erscheint und beim Schlagen stäubt. Es wird in einigen Brüchen hinter der Schranne gewonnen. Alle diese Schichten liegen an der Schranne nahezu horizontal, sodass sie oben ein Plateau bildet.

Bieten so die Gesteine und die Lagerungsverhältnisse derselben an der Schranne dem aufmerksamen Beobachter schon manches Interessante, so gilt das in noch höherem Maße von der Pflanzenwelt der Schranne; denn die Gesteine der Schranne sind die gleichen wie anderwärts im Unteren Muschelkalk, auch auf dem ganzen Eichsfeld und in Thüringen; das Muschelkalkmeer, dem diese Gesteine und Schichten ihre Entstehung verdanken, reichte ja bis weit nach Süddeutschland, und seine Küste lag in der Gegend,wo sich heute die schwäbisch-bayrische Hochebene befindet, erst jenseits dieses alten „vindelizischen Gebirges“ folgt eine neue Ausbildung der Gesteine der Muschelkalkzeit, die sog. „alpine Trias“, die von der unserigen ganz verschieden ist.

Wir befinden uns hier am Schrannfelsen im Eibengebiet, hier ist also dieser urdeutsche, aussterbende Baum, der ganz ohne Verwandte dasteht, zuhause und tritt hier wildwachsend auf. Von den 15000 wildwachsenden Eiben, die wir noch in Deutschland haben, stehen hier und am benachbarten Stein bei Faulungen allein etwa 1000 Eiben nach den Angaben des Försters Bode, der diese Eibenschätze in seinem Faulunger Bezirk betreut. Hier hat auch vor Jahren der Begründer und Leiter der Reichsstelle für Naturschutz, Prof. Dr. Schoenichen in Berlin seine schönen Eibenaufnahmen gemacht, die er in vielen seiner Bücher und in der Festschrift „Naturschutz“ wiedergegeben hat.

Gleich am Fuß der Schranne begrüßt uns eine Gruppe von 4 prächtigen alten Eiben. Auch weiter oben ist der Hang mit zahlreichen Eiben bedeckt, teils sind es starke Bäume, teils zwergenhafte und buschige Formen, denen man es ansieht, wie schwer ihnen der Kampf mit dem Fels wird, wie sie Halt und Nahrung in den Felsspalten suchen müssen, und manche entwurzelte ist diesem Kampf erlegen. Aber gerade der untere Muschelkalk mit seinen Klüften und Spalten ist ihr ureigenster Lebensraum.

So finden wir denn auch eine große Zahl stattlicher und besonders starker Stämme, wir messen einige und stellen in m-Höhe einen Umfang von 1,28 m, bei anderen 1,565 m fest, haben aber wohl noch nicht die stärksten Bäume des Gebietes. Wenn wir ihnen den geringsten Jahreszuwachs von ½ bis 1/3 mm zurechnen, dann haben wir hier wirklich die 1000-jährigen Eiben vor uns, von denen man anderwärts oft zu Unrecht spricht, denn vielfach hat man nicht Einzelstämme vor sich, sondern zusammengewachsene Stämme, weil die Eibe gern zu Verwachsungen neigt. Wie die Eibe in diesem Felsschotter ihre Wurzeln schlägt und große Felsplatten mit ihren Wurzeln zu ihrem Halt umklammert, zeigt sehr schön unser Bild.

Über die Eibe und Eibenschutz ist in diesen Heften wohl des Öfteren geschrieben worden. Ihr ist bekanntlich früher übel zugesetzt und ihr schönes Laub als Schmuckreisig viel geraubt worden. Das verbietet seit 1936 die Naturschutzverordnung. Trotz dieses Verbotes musste ich immer wieder auf den Friedhöfen der Umgebung Kränze und Grabkreuze von Taxus beobachten. Das sollte aber nun endlich unterbleiben, nachdem die genannte Verordnung Geldstrafen bis zu 150 RM vorsieht. Dagegen sieht man, wie die Forstverwaltung sich liebevoll der Bäume annimmt und den jungen Nachwuchs, der fast immer vom Wild vernichtet wird, durch geeignete Maßnahmen hochzubringen sucht.

Wir betrachten nun die Bodenflora näher und sehen, welche Pflanzen den Kampf mit dem Geröll und dem gleitenden Schutt aufnehmen. Unten über dem Weg, wo das Geröll bereits zur Ruhe gekommen ist, wird er bald überdeckt von den Geröllpflanzen. Da ist es vor allem ein schöner Farn, der sonst nicht gerade häufig ist, der Storchschnabelfarn (Nephrodium Robertianum), er unterscheidet sich von dem sehr ähnlichen, zarten und vergänglichen Eichenfarn durch das derbere Laub und eine zarte Behaarung. Der stinkende Storchschnabel (Geranium Robertianum), der wegen der ähnlichen Blattzerteilung den gleichen Namen trägt, steht auch mitten in der Farngruppe.

Vor allem aber überzieht die Liane unsere Wälder, die Waldrebe (Clematis vitalba), den ruhenden Schutt, als wollte sie ihm das Grab schmücken. Hier finden wir auch schon eine Strauchschicht, Buchenbüsche, Faulbaum, Haselnuss, Hartriegel, Bergahorn, Wildbirne und junge Elsebeeren (Pirus torminalis) haben bereits den Schutt erobert. Blicken wir den Abhang hinauf, so sehen wir den ganzen Hang hinauf ein Gras auf den Gesimsen, im Geröll kleine Stufen bildend, es ist das Blaugras (Sesleria coerulea). Aur dieses Gras vermag auf diesem Geröll und Schuttstrom Fuß zu fassen, weil es in besonderer Weise angepasst ist. Der Stengelgrund ist mit einem Schopf abgestorbener, zerschlissener Blätter umgeben, einer Tunika, wie der Biologe sagt, die das Gras vor groben Verletzungen schützt und auch die Feuchtigkeit in diesem Trockenhang zu halten vermag.

So bildet denn das Gras, dessen stahlblaue Ähren in der Blütezeit im Frühjahr sich besonders schön ausnehmen, einen „Schuttstauer“, hinter jedem Grasbüschel sehen wir eine Menge gestauten Feinschuttes, sodass unser Gras richtige Stufen bildet, die wir beim Aufstieg benutzen können. Das ist auch dem alpinen Kletterer bekannt und erwünscht. Die Alpen sind auch die eigentliche Heimat dieses Grases, man spricht dort von einer „Blaugrashalde“ und der Blumenfreund weiß, dass auf ihr die herrlichsten und farbenfreudigsten Blumen, vor allem auch das Edelweiß wachsen. Aber auch bei uns treffen wir eine Menge schöner und seltener Blumen auf dieser Blaugrashalde. Es find alles Licht, Wärme und Trockenheit liebende Pflanzen, die in der Gemeinschaft mit dem Blaugras vorkommen, um sog. „Seslerietum“. Auf dem Eichsfelde, im Gebiet der mittleren Werra und im Thüringer Muschelkalkgebiet ist unser Gras als ausgesprochene Kalkpflanze weit verbreitet. Alle Pflanzen dieser Halde sind in ihrer Weise an diese Trockenstandorte angepasst, sei es Wachsüberzüge, wodurch sie einen blaugrünen Schein bekommen, sei es durch Rollung oder feine Zerteilung der Blätter, durch dicke wasserspeichernde Blätter durch Polster- und Rosettenbildung, druch lange Pfahlwurzeln, durch starke Behaarung usw.

Zwei Pflanzen des Schrannfelsens sind aber dessen besonderer Schmuck und Seltenheiten, die auf weite Strecken ähnlichen Landschaften und Kalkgebieten fehlen. Auf den oben besprochenen Felsgesimsen, auf denen sich eine Menge Feinschutt angehäuft hat, sehen wir einen über meterhohen Strauch, dessen Zweige und Äste nach vorn über neigen, er ist arm beblättert, die ovalen Blätter jung unterwärts filzig behaart und lang gestielt. Jetzt trägt er blau bereifte beerenähnliche Früchte von süßem Geschmack. Es ist die Felsenbirne (Amelanchier vulgaris). Die weißen Blüten zur Zeit der Obstblüte verraten die Verwandtschaft mit Apfel und Birne, dann bildet der Felsen, z. B. auch über dem Bahnhof Großbartloff, einen einigen weißen Blütenhang. Der Strauch ist auch alpiner Herkunft, er steigt in den warmen Alpentälern bis 2000m auf. Die Jungen nennen die wohlschmeckenden Früchte „Grünäugelchen“.

Und unter diesem Strauch erblicken wir gleich seinen nächsten Verwandten, die Steinmispel (Cotoneaster) mit dunklen, unterseits weißfilzigen Blättern, aber roten Früchten. Weiter fallen die großen halbkugeligen Dolden des breitblättrigen Laserkrautes (Laserpitium) auf, dessen stielrunder Stengel bis 1,60 m hoch wird und große, im Umriss dreieckige, blaugrüne Blätter trägt. Er wird auch Weißer Enzian, Enzig oder Einzig genannt, weil man aus seiner starken Wurzel wie aus dem echten Enzian einen Enzianschnaps brennen kann. Auch die verwandte Kleine Bibernelle mit ihrem würzigen Kraut (Pimpinella saxifraga) treffen wir auf Schritt und Tritt. Seltener ist die Bittere Kreuzblume (Polygara amara) mit ihren fleischigen Rosettenblättern. Häufiger wieder zwei Orchideen, die Braunrote Sumpfwurz (Epipactis rubiginosa) und die Händelwurz (Gymnadenia conopoea), die beide nach Vanille duften. Überall durchbrechen das lose Geröll die schönen aufrechten Candelaber der Schwalbenwurz oder des Hundswürgers (Vincetoxicum), dessen Name bereits auf seine Giftigkeit hinweist (Giftwurzel).

Ausgesprochen wärmeliebende Pflanzen und Vertreter der sog. Steppenheide sind dann noch der Blutrote Storchschnabel (Geranium sanguineum) und die Ebensträuchige Margerite (Chrysanthemum corymbosum) und von Bäumen die Elsebeere, von der einige ansehnliche Stämme vorhanden sind, und der Wacholder. Es ließe sich noch ein Dutzend anderer Pflanzen anführen, wollten wir die Liste vollständig bringen. Aber einer Pflanze müssen wir zum Schutz noch gedenken, weil sie wie die Eiben und die Felsenbirne ein besonderer Schmuck unserer Schranne ist: die Scheidenkronenwicke (Coronilla vaginalis), ein niedriger, gelbblühender Schmetterlingsblütler mit zierlichen, dicklichen, blaubereiften Fiederblättern, der auf dem warmen Fels hier am Stein ziemlich häufig vorkommt, aber von den älteren Floristen ganz übersehen worden ist, wenigstens wird er in älteren Floren des Eichsfeldes nicht erwähnt.

Vielleicht ist er auch mit einem verwandten ähnlichen Schmetterlingsblütler verwechselt worden, dem Hufeisenklee (Hippocrepis), mit dem man ihn leicht verwechseln kann. Die Scheidenkronenwicke ist eine südliche Pflanze, aus dem Mittelmeergebiet bei uns eingewandert, wie in die warmen Täler der Alpen. Immer neue Standorte werden jetzt von ihr bekannt, nachdem der Botaniker Frölich in Wanfried sie an der Plesse entdeckt hat. In der Umgegend von Faulungen ist sie weit verbreitet, kommt fast bis ins Dorf vom Stein herunter und scheint sich erfreulicherweise immer mehr auszubreiten.

Wir sind nach beschwerlicher Kletterei auf dem First der Schranne angelangt. Eine Bank ladet zur Ruhe und zur Ausschau ein, unter uns, einen Wiesengrund entlang schlängelt sich ein silbernes Band, die Frieda, die der Werra zuströmt, in der Ferne grüßt der Hülfensberg mit seinem Wallfahrtskirchlein, daneben die Keudelskuppe und ganz in der Ferne die Berge jenseits der Werra. Wir lassen unsere Gedanken nochmals rückwärts gleiten in jene fernen Urzeiten, da der Fels unter uns noch weicher Meeresboden war, dann in die Zeit, da er zum Fels geworden, gehoben und vom Wasser in Berg und Tal zersägt wurde, bis er später wieder zerriss und zusammenstürzte. Wie dann Menschen kamen, die Feld und Weide schufen, Burgen und Klöster bauten, die auch wieder zerfallen und vergehen, bis zu den weltgeschichtlichen Ereignissen unserer Tage; ein ewiges Werden und wieder Vergehen. Auf dem Schutt am Fuße des Felsens erblüht wieder neues Leben, ein ewiger Wechsel. „Kein Wesen kann zu nichts zerfallen, das Ewige regt sich fort in allen.“

Ernst Bradler, Erfurt
(Quelle: Unser Eichsfeld, 36. Jahrgang, Heft 10, 11 und 12, Verlag Aloys Mecke, 1941)