Kann man Landwirtschaft noch wie vor 70 Jahren betreiben?

Nach der ausgebrochenen BSE-Krise und den sogenannten Ungereimtheiten in der Schweinemast hört und liest man viele gutgemeinte Ratschläge, wie man aus dieser herauskommen könnte. Von mancher Seite wird auf die Großraumställe in der Rinder- und Schweinemast als negativen Ausgangspunkt verwiesen.

Zwar bin ich kein gelernter und erfahrener Landwirt, doch in einem von der Landwirtschaft geprägtem Umfeld groß geworden. Wenn ich unsere örtliche Agrargenossenschaft anschaue, so würde ich diese für einen Großbetrieb als sehr gut bezeichnen. Hier wird zum Großteil Rinderaufzucht betrieben, mit vielen vorhandenen Grün- und Weideflächen. So konnte ich beobachten, dass die Rinder von Ende April bis Anfang November im Weidegang waren und sich somit von den üppigen Weiden ernährten. Das Wachstum der Grünflächen war so gut, dass viele dieser Flächen noch als Winterfutter abgemäht wurden (Heu und Silage). Bei einem Blick in die winterlichen Futterkrippen in den Stallanlagen konnte ich mich von der Fütterung von betrieblich erzeugtem Futter überzeugen. Wie sagt man so schön im Volksmund: „Es waren glückliche Kühe.“ Diesen Eindruck machten sie jedenfalls auf mich. Auch bin ich davon überzeugt, dass es in unserer Region noch mehr solcher positiven Betriebe gibt.

Neulich las ich nun in einer Tageszeitung, dass jemand für die Haltung von 5 bis 10 Kühen in einem bäuerlichen Betrieb plädierte. So schön und idyllisch sich dies anhört, solche Betriebe die rentabel wirtschaften wollen, wird es in einer überwiegenden Zahl in Zukunft nicht wieder geben.

Gewiss, in meiner Kindheit vor dem 2. Weltkrieg gab es auf unseren eichsfeldischen Dörfern viele Kleinst- und Kleinbetriebe. Auch ich bin in einer solch kleinen Landwirtschaft mit sechs Geschwistern aufgewachsen. Unser Vater ging seinem Handwerk als Maurer nach und unsere Mutter bewirtschaftete mit uns Kindern die kleine Landwirtschaft. Wir hatten in etwa folgenden Viehbestand: 3 Kühe, 6 Schweine, 20 Hühner, 12 Gänse, 2 Schafe und 2 Ziegenlämmer.

Wir hatten 4 ha Acker und 1 ha Weideland. Das Vieh wurde nur mit eigenem Futter ernährt. Jeder von uns Geschwistern hatte nach der Schule eine Aufgabe zu erfüllen und war sie noch so klein. Mir. als Jüngstem, fiel das Gänse- und Kühehüten zu. Meine größeren Geschwister ackerten, säten und ernteten mit der Mutter. Klee und Getreideflächen wurden noch mit der Sense geerntet. Gedroschen wurde anfangs noch mit Spitzdrescher, Schwungrad mit Handbetrieb. Es war schon recht mühsam und nur aufgrund der vielen Familienmitglieder zu bewältigen. Den größten Teil der Erzeugnisse verbrauchten wir in der neunköpfigen Familie.

Regelmäßig wurde in einer Mühle mit Wasserkraft Korn und Weizen für Brot und Kuchen gemahlen. Jede Woche wurden bis zu zehn große Bauernbrote im Backhaus gebacken und jeden Samstag drei bis vier Bleche Kuchen. Das frische knusprige Brot mit Gänsefett bestrichen und der duftende warme Kuchen schmecken mir heute noch in Gedanken im Nachhinein. In der Winterzeit wurden drei bis vier Schweine geschlachtet. Vieles wurde davon eingekocht und eingepökelt für den Jahresvorrat.

Und Eichsfelder Wurst hing das ganze Jahr über in der Wurstkammer. Größere Bauern schlachteten in Zeitabständen eine Kuh und verkauften das Rindfleisch direkt ab Hof. Zum Sonntag wurden dann 2 kg Rindfleisch in der Suppe gekocht und dies wurde dann zu Kartoffeln und Gemüse gegessen. Gemüse gab es nur aus dein Eigenanbau. Im Spätherbst wurde ein großes Tonfass mit gehobeltem Weißkraut gefüllt und eingestampft, dies gärte und wurde Sauerkraut. Dies wurde dann meistens mit dem eingepökelten Fleisch (Eisbein) gekocht. Ab November wurden bis zur Weihnachtszeit die selbst gemästeten Gänse geschlachtet, oder auch ein Ziegenböckchen, welches sich freilaufend in Scheune und Garten ernährt hatte.

Die anfallenden Gänsefedern wurden für die vielen Betten der Familie geschlissen und aufbereitet. Wir Kinder waren eigentlich mit unserem Lebensstandard sehr zufrieden. Wir kannten ja nichts anderes und im ganzen Dorf herrschten die gleichen Verhältnisse.

Der einzige Reichtum war – Gott Dank – der Kinderreichtum. In meiner Schulklasse Jahrgang 1929 waren wir dreißig Schüler/innen in einem 1400-Seelen-Dorf. Und dieser Kinderreichtum war wiederum das Grundkapital für die landwirtschaftlich geprägten Familien. In unserem heutigen Zeitalter würde man diesbezüglich von Kinderarbeit und Ausbeutung sprechen. Doch unsere Großmutter, 93 Jahre alt geworden, hatte hierfür einige Lebensweisheiten: „Früh übt sich, wer ein Meister werden will“, oder auch: „Wer ein Häkchen werden will, krümmt sich beizeiten.“ Vielleicht ein Geheimnis, dass sich mein Heimatdorf Struth/Eichsfeld zu einem schönen, schmucken und wohlhabenden Dorf entwickelt hat.

Doch nun, um auf das Ausgangsthema zurückzukommen:

Solche bäuerlichen Strukturen aus der Vorkriegszeit wird es in unserem 21.Jahrhundert schon aus Personal- und Kostengründen nicht wieder geben.

Aus der BSE Krise lernend, müssten staatliche Kontrollsysteme geschaffen werden, um gewinnsüchtigen Futtermittelproduzenten, Viehhändlern und Fleischimporteuren auf die Schliche zu kommen.

Wir Verbraucher sollten allerdings auch mit offenen Augen und Verstand unsere Einkäufe tätigen. Qualität hat auch ihren Preis.

Den Bauern nur die Schuld an der Krise in die Schuhe zu schieben, halte ich für unangebracht. Wie überall wird es auch unter ihnen einige schwarze Schafe geben.

Willi Tasch
(Quelle: „Lengenfelder Echo“, Mai-Ausgabe 2001, Seite 4)