8. Mai 1945 – 60. Jahrestag – Wider das Vergessen

Am 8. Mai jährt sich zum 60. Male das Ende des schrecklichen zweiten Weltkrieges. Das unbarmherzige Ende des von den Nazis vom Zaune gebrochenen Krieges, der fast 60 Millionen Menschen das Leben kostete und somit viel furchtbares Leid in Familien von ganz Europa brachte. Der 60. Jahrestag ist daher Anlass genug, über diesen leidbringenden Krieg zu sprechen und zu schreiben.

Noch lebt ein kleiner Teil der Menschen, die dieses Zeitalter miterlebten und somit Zeitzeugen sind. Auch unsere Enkel und Urenkel sollten davon erfahren, da es wirklich keine Kavaliersdelikte waren, die ein Nazideutschland über die Welt brachten. Gerade auch deshalb, weil zurzeit braune Glatzköpfe und angebliche Biedermänner dieses braune System verherrlichen und aus Kriegsverbrechern Helden machen wollen. In Anbetracht derer, die das Ende mit Schrecken der letzten Kriegstage im Heimatdorf Struth miterlebt hatten, habe ich Anfang März in der regionalen Presse darüber berichtet.

So habe ich auch den Wiederaufbau meines Heimatdorfes in der Nachkriegs- und Mangelwarenzeit miterlebt. Miterlebt, dass Kriegerwitwen und Frauen, deren Männer noch in Kriegsgefangenschaft waren, heroische Wiederaufbauarbeit geleistet haben.

Miterlebt, wo wirkliche Nächstenliebe und Solidarität gelebt und praktiziert wurde. Ja, wo Menschen das Wenige was sie hatten, mit dem Nachbarn, der noch weniger hatte, teilten.

Nach heutigen Maßstäben hätten diese Menschen ein Verdienstkreuz verdient.

Gefreut habe ich mich darüber, dass ich von der Regelschule Struth eingeladen wurde, um vor den Schülern über die Ereignisse der letzten Kriegstage in Struth zu berichten. Immerhin waren es ihre Ur- und Großeltern, die diese schrecklichen Ereignisse miterlebt haben. Ein großes Lob muss ich daher diesen Schülerinnen und Schülern der Klasse 6 aussprechen. Sie stellten Frage auf Frage, was sicherlich ihr großes Interesse bekundete.

Der 8. Mai 1945 – Tag des Kriegsendes und auch als Tag der Befreiung bekannt – sorgte Gott Dank erst einmal dafür, dass nicht mehr geschossen und gebombt wurde und somit täglich noch Tausende von Menschen ihr Leben sinnlos lassen mussten.

Doch auch die nun kommende Nachkriegszeit brachte noch sehr viel Not und Entbehrung. Durch sechs Jahre Krieg waren unsere Menschen bereits an eine Mangelwarenzeit gewöhnt. Doch dieser Zustand verschlechterte sich nach Beendigung des Krieges noch drastisch.

Die deutsche Industrie in Grund und Boden gebombt und geschossen, lag total danieder. Und die sogenannte Deutsch-Sowjetische Freundschaft der Ostzone – später DDR – verlangte das bisschen was noch übrig war als Reparationsleistungen.

Ich sehe noch heute vor Augen, was in Mühlhausen aus den Betrieben herausgerissen wurde und später bei unseren Freunden in der SU vergammelte. Millionen Flüchtlinge strömten in deutsche Lande und mussten unter den unwürdigsten Wohnbedingungen untergebracht werden. Mangel war in allen Bereichen des täglichen Lebens angesagt, besonders aber in unseren Städten. Wie manche Familie ohne größere gesundheitliche Schäden über die Runden gekommen ist, fragt sich die Generation meines Alters heute noch. Was unsere Kinder, Enkel und Urenkel heute kaum noch wissen ist, dass zu dieser Zeit alles zwangsbewirtschaftet war.

Da gab es z. B. Lebensmittelkarten für Fleisch, Milch, Butter, Margarine, Käse, Marmelade, Hülsenfrüchte usw.

Kohlenkarten, Kleiderkarten, Benzinmarken

Baustoffe, Futter- und Düngemittel waren kontigentiert.

Auf den Ämtern hatte ein Großteil der Beschäftigten nur mit der Zwangsverwaltung von Gütern und Wohnungen zu tun. Mancher wartete jahrelang auf die Zuweisung einer Wohnung. Manche Ehe wurde vorzeitig geschlossen, um in die Warteliste der Wohnungssuchenden aufgenommen zu werden. (Liebe Enkel, lest dies bitte zwei Mal!)

Wollte ich beispielsweise im Stadtcafe in Mühlhausen eine Bockwurst essen, so schnitt der Ober bei der Bestellung erst 100 Gramm-Marken von der Fleischkarte ab.

Ging ich zum Bekleidungshaus Hollenkamp in Mühlhausen, um mir einen neuen Anzug zur Kirmes zu kaufen, wurden mir die entsprechenden Punkte von der Kleiderkarte abgeschnitten. Und bei einem neuen Anzug war somit das ganze Jahreskontingent verbraucht.

Verkaufte die BHG am Lengenfelder Bahnhof die Kohlen ab Waggon, so musste das Mütterchen mit dem Handwagen vor der Bezahlung erst einen Kohlenabschnitt von der Kohlenkarte abliefern. Wenn nicht, musste sie mit dem Wägelchen wieder leer nach Hause ziehen.

Ging man in die GEDE, um ein Pfund Zucker zu kaufen, kassierte der „GEDE-Jupp“ erst 500 Gramm Zuckermarken (GEDE – war ein Lebensmittelgeschäft).

An ein heute lustig erscheinendes Erlebnis erinnern meine damals Verlobte – und heutige Frau – uns noch sehr genau an diese Mangelwarenzeit:

Ende der vierziger Jahre zur Kirmes in Hildebrandshausen. Der Kirmesumzug mit Kirmesburschen – und Mädchen zog mit Musik durchs Dorf. Sage und schreibe acht Kirmesmädchen hatten das gleich blaue Kirmeskleid an und kein Mensch regte sich darüber auf.

Ja da war ein Ballen blauer Kleiderstoff nach Hildebrandshausen geliefert – und nach dem Sprichwort „wer zuerst kommt, malt zuerst“, hatte man zugefasst. (Ihr Kirmesmädchen von heute, könnt ihr euch das vorstellen?)

Man hatte nicht wie heute die „Qual der Wahl“!

Und in einer größeren Familie war es gar nicht einfach, zur jährlichen Schuleinführung einen neuen Schulranzen für den neuen ABC-Schützen zu ergattern. Da war es durchaus üblich, dass der getragene Ranzen größerer Geschwister frisch aufpoliert wurde. Im Übrigen waren die Ranzen damals aus Leder und sie hielten durchaus zwei bis drei Schulgenerationen aus.

So ging es auch mit vielen Kleidungsstücken. Der kleinere Bruder hatte die ehrenvolle Aufgabe, den Anzug des größeren Bruders aufzutragen. Das war eine Selbstverständlichkeit.

Und „klein aber fein“ waren die Weihnachtsgeschenke. Trotzdem waren die Erwartungsfreude, der Überraschungseffekt und die Zufriedenheit sehr groß. Es war das Schöne an dieser Zeit – auch die Nachbarskinder und Freunde hatten nicht mehr auf dem Geschenketisch.

Eine Erkenntnis für unsere heutige Zeit der Wegwerfgesellschaft:

„Die Zufriedenheit wächst nicht mit der Üppigkeit und dem Überfluss.“

Mit meinem Erinnerungsvermögen aus der Nachkriegszeit habe ich versucht – für die Enkelgeneration – in unserer Erinnerung festzuhalten, welche Zeiten die heutige Seniorengeneration – Groß- und Urgroßeltern – in ihrer Kindheit und Jugend erlebt hat.

Wider das Vergessen ist daher angesagt!

Willi Tasch

(Quelle: „Lengenfelder Echo“, Mai-Ausgabe 2005)