Wir fahren mit der Eisenbahn (ein unvollendetes Projekt auf der Eichsfelder Höhe)

Er ist längst begraben, der schöne Plan – aber das ernstliche Bemühen des Obereisfeldes, seine wirtschaftliche Lage zu verbessern, darf nicht der Vergessenheit anheimfallen. Es war also eine industrielle Kleinbahn zwischen Mühlhausen und Heiligenstadt über Küllstedt – Wachstedt geplant. Ein großes Verdienst gebührt hier Pfarrer Carl Teichmann aus Wachstedt, und so war es auch ganz in der Ordnung, dass die erste Versammlung aller Beteiligten am 8. Oktober 1899 in Wachstedt zustande kam. Erschienen waren alle Ortschaften mit Ausnahme der einen oder andern aus der Mühlhäuser Gegend. Besonders Ammern zeigte sich von vornherein so gut wie ablehnend. Von den Städten Mühlhausen und Heiligenstadt waren mehrere Vertreter anwesend, so aus Mühlhausen der Oberbürgermeister Trenckmann und mehrere Stadtverordnete. Die Landräte Dr. Klemm und Geheimrat v. Hanstein hatten Entschuldigungsschreiben gesandt. Diese erste Versammlung verlief außerordentlich glänzend und rief große Begeisterung für den Plan hervor.

Man gründete einen Eisenbahn-Ausschuss und fand auch sofort in Pfr. Teichmann den Vorsitzenden. Auf sein Betreiben fanden dann im Oktober und November weitere Versammlungen statt in Küllstedt, Geisleden, Lengefeld (Mühlhausen) und Heiligenstadt. Sie waren alle gut besucht und bekundeten immer die gleiche Einmütigkeit wie am Anfang. Alle waren sich darüber einig, dass diese Bahn für die Hebung der Landwirtschaft und die Ermöglichung industrieller Anlagen von höchstem Werte sei.

Im November 1899 wurde vom Vorsitzenden die staatliche Genehmigung zum geplanten Bau der Bahn beantragt. Sie wurde ohne Schwierigkeiten gewährt und zwar am 2. April 1900 vom Eisenbahnministerium und vom Reg.-Präsidenten am 9. April desselben Jahres. So konnten nun alle Vorarbeiten ungehindert und polizeirechtlich im Felde vorgenommen werben. Das wichtigste Ziel war freilich, nach dieser staatlichen Konzessionierung die Bereitstellung der Geld- und Baumittel zu erlangen. Pfr. Teichmann sorgte dafür, dass die Begeisterung nicht verflog; auch im Jahre 1900 fanden dann unter seinem Vorsitz Versammlungen in verschiedenen Orten statt. Das war nötig, denn inzwischen nahm der Truppenübungsplatz die Aufmerksamkeit aller in Anspruch.

Die Vorarbeiten zogen sich bis 1903 hin. Endlich am 3. und 4. Juni 1903 kam es zu einer Ministerial- und Provinzialbeamten-Konferenz in Heiligenstad t (3. Juni) und in Mühlhausen (4. Juni), wo über das Eisenbahnvorhaben beraten und beschlossen werden sollte. Den Vorsitz in dieser Versammlung, zu der auch die Schulzen der interessierten Gemeinden und Pfr. Teichmann geladen waren, führte der Oberpräsident Staatsminister Dr. von Bötticher. Anwesend waren Vertreter von drei Ministerien: aus dem Eisenbahnministerium die Herren Geh. Oberreg.-Rat. Just, Reg.-Rat Kapierske und Geheimrat von Rohr; aus dem Landwirtschaftsministerium Geh. Reg.-Rat Dr. Kapp, und aus dem Finanzministerium Reg.-Rat Vieregge, sämtliche Herren aus Berlin; dazu kamen die höheren Beamten aus Magdeburg, Erfurt und Kassel.

Die Verhandlungen waren sehr interessant. Leiber nahm fast niemand das Wort außer dem Landrat Dr. Klemm und dem Vorsitzenden des Eisenbahnausschusses Pfr. Teichmann. Er hatte seinen Plan wiederholt gegen den Landeshauptmann und auch gegen das Landwirtschafts-Ministerium zu verteidigen. Der Oberpräsident suchte einen objektiven Standpunkt einzunehmen, Präsident v. Dewitz sprach zwar sehr reserviert, ober sachlich vorteilhaft zugunsten des Plans.

Am 4. Juni erfolgte die Bereisung der Strecke. Die Dörfer, besonders Küllstedt, Wachstedt, Büttstedt und Bickenriede, hatten großartig geschmückt. Am Eingang eines jeden Dorfes wurde der Herr Oberpräsident von der Gemeinde begrüßt, und es wurden die Wünsche vorgetragen, die sich auf diese „Notstandseisenbahn“ (das war der im Parlament ständig gebrauchte Ausdruck) und ihre Notwendigkeit bezogen. Die Antworten des Oberpräsidenten waren diplomatisch, ohne jede feste Zusage. Man konnte immerhin alles Gute erhoffen, die Gegner des Plans lasen allerdings das Gegenteil aus seinen Worten heraus. Und das Wohl mit gutem Grunde. Denn bei der Schlussversammlung in Mühlhausen am 4. Juni herrschte nur noch die Phrase, man wolle dem Obereichsfelde auf andere Meise helfen, wenn der Plan ins Wasser fallen sollte. Aber da kamen die Herren schön an. Sehr energisch protestierte Pfr. Teichmann gegen ein solches unideales Wohlwollen, und nachdrücklich schloss sich ihm Oberbürgermeister Trenckmann an.

Aber der Plan war nicht zu retten. Die finanzielle Seite war nicht umsonst vom Landeshauptmann in die Waagschale geworfen worden. Darauf berief sich auch das Ministerium, als es Ende August die Verhandlungen schloss mit dem Bemerken, dass an die weitere Verfolgung des Kleinbahnprojektes nicht herangegangen werden könne.

Gewiss wird man sagen können, dass hier Sie Rentabilität zweifelhaft ist, aber selbst wenn die erhoffte Industrialisierung des Obereichsfeldes nicht in dem Maße eingetreten wäre, ohne die Bahn war überhaupt an keine Besserung der Lage zu denken.

Der Vorsitzende hat sich allerdings nicht bei dieser Absage beruhigt. Immer wieder trat er an die amtlichen Stellen und die Abgeordneten heran, um wenigstens die Frage lebendig zu erhalten für den Fall, dass sie doch wieder einmal in Fluss kommen sollte.

Wirklich tauchte der Plan noch einmal im Jahre 1905 im Abgeordnetenhause auf, aber inzwischen war man in einer anderen Ecke des Eichsfeldes mobil geworden, und tatsächlich drangen die Ershäuser und ihre Nachbarn mit ihren Wünschen durch. Die Überprüfung des Planes Mühlhausen – Küllstedt – Heiligenstadt fiel zu Gunsten der Strecke Heiligenstadt – Treffurt über Ershausen aus.

Autor: unbekannt
(Quelle: „Aus unserer Heimat – Beilage zur Eichsfelder Volkszeitung“, Dingelstädt, 7. Oktober 1937)