Die Walldürn-Wallfahrt und die Eichsfelder

Wallfahrten sind Volksbräuche, die herausgewachsen sind aus der glaubensfrohen Volksseele. Wenn sie im rechten Geiste unternommen werden, dienen sie der körperlichen und seelischen Erfrischung. In unserer eichsfeldischen Heimat haben wir ja selbst Wallfahrtsstätten, zu denen der Eichsfelder gern hinzieht. Der Hülfensberg gilt nicht nur dem Eichsfelder in der Heimat, sondern auch dem in der Fremde lebenden Eichsfelder als heimatliches Nationalheiligtum. Von den anderen Wallfahrtsorten ist „Hagis”, im Volksmunde „Klüschen” geheißen, am beliebtesten.

Früher wurden auch gern Wallfahrtsorte besucht, die weiter abgelegen sind. Als die bekanntesten dieser Orte sind Vierzehnheiligen bei Lichtenfels und Walldürn im Odenwald zu nennen. In früheren Jahren gingen vom Obereichsfelde Fußprozessionen hin und zurück. Bis zum letzten Kriege fuhren alljährlich gutbesetzte Sonderzüge vom Eichsfelde aus nach Lichtenfels zur Verehrung der hl. 14 Nothelfer. – Die Wallfahrt nach Walldürn gilt der Verehrung des heiligen Blutes. Hier wird noch heute ein kleines Leinentüchlein (Korporale) gezeigt, auf dem im Jahre 1330 durch Umschütten des Kelches nach der Wandlung das sogenannte Blutwunder geschehen ist. Der konsekrierte Wein, der sich auf das Korporale ergossen hatte, hatte rote Blutfarbe angenommen und zeichnete das Bild des Gekreuzigten mit elf Christusköpfen. Im Jahre 1950 wurden von Sachverständigen durch Bestrahlen mit besonderen Quarzlampen mehrfache Untersuchungen vorgenommen. Hierbei gelang es, die erwähnten Bilddarstellungen sichtbar zu machen und sogar durch Photographie festzuhalten.

Walldürn und das Eichsfeld unterstanden früher der Herrschaft von Kurmainz. Durch diese weltliche und geistliche Verbundenheit ist damals das wunderbare Geschehen auch auf dem Eichsfelde bekannt geworden. Im Dreißigjährigen Kriege hatte unsere Heimat schwer zu leiden. Als dann noch die furchtbare Pestseuche auftrat, die in den Jahren 1681/82 besonders hohe Opfer forderte, da nahmen unsere Vorfahren ihre Zuflucht zum heiligen Blut und gelobten in der schweren Todesnot die Wallfahrt nach Walldürn.

Wenn wir die Pfarrkirche in Küllstedt besuchen, dann sehen wir über dem Seiteneingang ein buntes Fenster mit der Darstellung Christi und den elf Häuptern. Gehen wir dann auch noch zu den Anlagen bei der Antoniuskapelle. Neben der Vierzehnothelfergrotte und den Grotten der sieben Schmerzen finden wir hier auch eine Grotte mit dem erwähnten hl. Blutbild. Darunter stehen die Jahreszahlen 1683 – 1933. In Küllstedt wurde 1683 zu Pfingsten diese Wallfahrt in feierlichem Gelöbnis versprochen. Seit dieser Zeit sind alljährlich von Küllstedt aus die Eichsfelder nach Walldürn gereist, bis zum Jahre 1892 zu Fuß hin und zurück. Seit dieser Zeit ist die Wallfahrt abgekürzt worden. Vom Eichsfeld aus wurde bis Fulda die Eisenbahn benutzt. Alljährlich, am Sonnabend nach Pfingsten, vereinigten sich hier die Eichsfelder mit den Wallfahrern aus dem Fuldaer Lande zur Fußwallfahrt, Selbst während der beiden letzten Kriege pilgerten noch eine ganze Anzahl Eichsfelder zu diesem beliebten Wallfahrtsorte. So wurde das Gelöbnis der Vorfahren selbst in schwersten Zeiten, unter großen Opfern für die Teilnehmer, ununterbrochen erfüllt.

Durch die unselige Teilung unseres Vaterlandes ist es für die Eichsfelder jetzt nicht mehr möglich, diese Wallfahr zu unternehmen. Von Fulda aus ist sie aber ununterbrochen weitergeführt worden. Im Jahre 1950 waren u. a. auch Weihbischof Adolf Bolte, Domkapitular Dr. Bernhard Mock und mehrere Eichsfelder Theologen mit nach Walldürn gekommen. Das Fronleichnamsfest war in Walldürn der Höhepunkt der Wallfahrt für unsere Landsleute. Bei der feierlichen Prozession durch die reichgeschmückte Stadt wurde auch das Gehäuse mit dem altehrwürdigen Heilig-Blut-Korporale unter einem Traghimmel von zwei Geistlichen mitgeführt. Unsere Landsleute folgten mit ihrer Pilgerfahne und sangen, begleitet von einer eigenen Musikkapelle, ihre heimatlichen Choräle.

Mit stiller Wehmut gedenkt zur Fronleichnamszeit wohl mancher der Wallfahrt zum hl. Blute und an Walldürn. Wie alle aufrechten Deutschen sehnen auch die ehemaligen Wallfahrer die Einheit unseres Vaterlandes und den Wegfall der trennenden Zonengrenzen herbei und erhoffen einen baldigen Frieden; denn der Gegenstand ihrer besonderen Verehrung ist ja das kostbare Blut Christi, das Zeichen der Liebe und Versöhnung für alle Menschen. Sie erhoffen ferner, dass dieser altehrwürdige Volksbrauch, als Vermächtnis unserer Vorfahren, wieder neu belebt werden kann. Wenn wir gelegentlich einmal ein Wallfahrtsandenken von Walldürn oder einen Bildstock (Küllstedt, Heiligenstadt, Birkungen) mit dem hl. Blutbildnis betrachten, dann wollen wir auch unseren Vorfahren ein stilles Gedenken widmen, die durch ihren Opfergeist uns auch heute noch als Vorbild dienen.

Autor: unbekannt
(Quelle: „Eichsfelder Heimatborn, Ausgabe vom 12.06.1954)