Zutrinken – ein alter Eichsfelder Hochzeitsbrauch

Hochzeitsfeiern werden heute nicht mehr auf mehrere Tage ausgedehnt. Noch um die Jahrhundertwende zog sich in manchen Dörfern des Eichsfeldes das Familienfest vom Dienstag bis Sonntag hin. Dann kamen die Gäste am Sonntag noch einmal zum Schenken zusammen. Besonders im Winter nahm man sich Zeit. Die Regierung des „Fürstentums Eichsfeld” hat mehr als einmal Verordnungen erlassen, um das Feiern einzudämmen. Wenn man die Naturalien (Mehl zum Kuchenbacken, Wurst und Frischfleisch) auch der eigenen Wirtschaft entnehmen konnte, so entstanden doch erhebliche Kosten. Aus Heyerode z. B. wird uns geschrieben, der Volksmund habe gesagt, das Drumherum werde oft wichtiger genommen, als die Heirat selbst.

Die Hochzeitsfeier wickelte sich nach einem festen Plan ab. Ein großer Verwandten- und Bekanntenkreis wurde eingeladen. Große Mengen Blechkuchen mussten gebacken werden. Reichlich wurden nicht eingeladene Nachbarn und Arme bedacht. War in einem bessergestellten Bauernhause Hochzeit, so bekamen sogar die Schulkinder Kuchen. In Heyerode bekam der Küster für das Kirchenschließen 10 Groschen.

Die kirchliche Trauung war früher immer vormittags im Brautamt. Der Hochzeitszug ging dann in das mit Girlanden geschmückte Haus (meistens der Brauteltern). Gegessen und getrunken wurde am ersten Tage bis gegen Mitternacht. Am folgenden Morgen fanden sich die Gäste schon gegen 10 Uhr wieder ein. Nach dem Frühstück begannn das „Zutränken”. Es handelte sich nicht etwa um das übliche „Zuprosten” im Wirtshaus, vielmehr um einen alten, jetzt noch geübten Brauch. Die Gäste bewaffneten sich mit einem „Kännchen”, dem sogenannten Stengelpeter (d. i. ein Branntweinglas mit langem Hals), füllten es mit Nordhäuser und gingen von Haus zu Haus. Alles trank einen Schluck aus dem gleichen Fläschchen. Frauen und Mädchen nehmen einen süßen Kirschlikör und tun mit ihm den besuchten Angehörigen ihres Geschlechts „die Ehre” an. Braut und Bräutigam haben besondere Regeln zu beachten. Sie nehmen ein mit Kuchen gefülltes Körbchen mit, gehen zum Pfarrer und Bürgermeister, zu den Nachbarn und beiderseitigen Verwandten. Kranke und alte Leute sowie die Dorfarmen werden eigens bedacht. Schon beim Kuchenbacken darf nicht unterlassen werden, den im „Backse” anwesenden Frauen eine Kostprobe vom Hochzeitskuchen anzubieten. Dazu gehört auch ein „Süßer”. Wehe, wenn beim Zutrinken jemand übersehen wird, der einen Anspruch auf diesen Ehrenerweis zu haben glaubt! Es wird als schwere Kränkung empfunden und ist nicht leicht wieder gutzumachen. So kann es vorkommen, dass man Hilfe braucht, einmal ein Gerät borgen muss und die Antwort verneinend ausfällt, ihr vielleicht die Bemerkung angehängt wird: „De kennt uns süßt je a nit!” Oder noch deutlicher: „Dü bist mich dn Hochstenbrandwien hidde nach schuldig!” Anderseits lassen sich bei der feierlichen Angelegenheit des Zutrinkens alte Missstimmungen beseitigen. Das Zutrinken gilt in diesem Falle so viel wie: „Es soll alles vergessen sein, wir wollen uns wieder vertragen.” So hat auch der Brauch des Zutrinkens seinen Sinn. Alle sollen sich mitfreuen. Bewusst wird die Dorfgemeinschaft betont. Mit Alkoholmissbrauch hat das Zutrinken also nichts zu schaffen. Übrigens wird es in manchen Orten bei Kindtaufen ähnlich gehalten.

Autor: unbekannt
(Quelle: „Eichsfelder Heimatborn“, Ausgabe vom 28.08.1954)