Die alte „Kanonenbahn“ und der Lengenfelder Viadukt

„Wer die zwischen den Stationen Geismar (bis Großbartloff links sitzen!) und Küllstedt gelegene Strecke der genannten Bahn durchfährt, lernt nicht bloß ein herrliches Stück der schönen Gotteswelt kennen, sondern auch ein Werk deutscher Bautechnik, so großartig und so kühn, wie nur selten eine Gegend es aufzuweisen hat.“ (aus: „Das Buch vom Eichsfelde“ von H. Leineweber, 1900)

Der Streckenabschnitt Leinefelde – Geismar, der aus strategischen Gründen errichteten und am 10. Mai 1880 in Betrieb genommenen Linie war Teil der so genannten „Kanonenbahn“. Vor dem Krieg 1866 verfügte Preußen über fünf voneinander getrennte Staatsbereiche. Der Ausgang des Krieges 1866 brachte mit den für Preußen erworbenen Territorien eine erhebliche Vergrößerung des Streckennetzes, jedoch fehlte eine durchgehende staatseigene Verbindung zwischen den Eisenbahngebieten, dem in Norddeutschland bereits ein leistungsfähiges, dominierendes Privatbahnnetz gegenüberstand.

Der Nachteil der Lücken im Eisenbahnnetz wurde im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 in der hierdurch verursachten Verzögerung des Aufmarsches der Armeen deutlich. Auf Forderung des preußischen Generalstabs wurde die Aufgabe gestellt, die Staatsbahnlücke zwischen Berlin und Bebra zu schließen, um über eine strategische Bahn von der damaligen russischen Grenze über Berlin – Bebra – Wetzlar – Koblenz nach Metz an die französische Grenze als moderne Heerstraße zu verfügen, die gleichzeitig Bindeglied der großen Teile der Monarchie bedeutete.

Unkenntnis unsachgemäß verwendete bindige Böden, häufig Schwierigkeiten.

Die geographischen Bedingungen der zu durchfahrenden Mittelgebirgslandschaft des Eichsfeldes zwangen zu langen Einschnitten und Dammstrecken.

Aufgrund der geologischen Gegebenheiten in der Mittelgebirgslandschaft des Eichsfeldes entstand eine Vielzahl von Tunneln und Brücken entlang dieser Strecke. Die Kunstbauten sind heute noch vorhanden und prägen die Landschaft. In der Nähe des Ortes Kefferhausen findet man die Unstrutbrücke. An dieser Stelle der Strecke wird die Unstrut durch drei Öffnungen überquert.

Ein weiteres Tal wird bei Küllstedt mit der Gießebrücke überwunden. Durch den Bau des Viaduktes in dem Dorf Lengenfeld unterm Stein war es möglich, das Friedatal auf einer Länge von 237 m zu übergehen. Dieser gewaltige Viadukt ist neben dem Schloss Bischofstein ein Wahrzeichen des Dorfes. Noch wenige Reste sind von der Friedabrücke, die sich auch über das Friedatal in der Nähe von Schwebda erstreckt, vorhanden. Das Frieda-Viadukt wurde von deutschen Wehrmachtstruppen am 3. April 1945 gesprengt.

Neben den Brücken bzw. Viadukten existieren fünf Tunnel auf der Strecke von Dingelstädt nach Geismar.

Küllstedter Tunnel: 1 530 m Länge
Mühlenbergtunnel 1 (kleiner): 155 m Länge
Mühlenbergtunnel 2 (großer): 343 m Länge
Heiligenbergtunnel: 198 m Länge
Entenbergtunnel: 288 m Länge

Mit Staatsgesetz vom 11. Juni 1873 wurden die veranschlagten 50 Mill. Taler Geldmittel bewilligt.

Teilweise benutzte die Linie bereits vorhandene Streckenabschnitte. Durchweg zweigleisig, mit Steigungen, Mindestradien von 250 m und Überschneidungsbauwerken. Bei einmündenden Strecken und an Knotenbahnhöfen waren die Streckenabschnitte großzügig trassiert. Die Linie führte teilweise durch damals wirtschaftlich unbedeutende Landesteile. Dementsprechend waren die Anlagen der Bahnhöfe für den Reise- und Güterverkehr recht sparsam ausgestattet. Den Zweck, vorwiegend Militärtransporten zu dienen, hat die Linie, zumindest über den Abschnitt Leinefelde-Eschwege, aufgrund der ungünstigen Geländeverhältnisse nicht erfüllt. Die Militärtransporte wurden über andere Strecken geleitet.

Nach dem 1. Weltkrieg mussten aufgrund des Versailler Vertrages einige strategische Strecken abgebaut, andere auf eingleisigen Betrieb zurückgebaut werden. Auch der Abschnitt (Leinefelde) – SiIberhausen – Geismar – Treysa wurde davon betroffen. In den ersten Jahrzehnten bereitete die Strecke mit häufigen Rutschungen, verursacht durch aus

Alle Tunnelportale waren ursprünglich reich verziert. As formen reichstes sei hier das Ostportal des Küllstedter Tunnels zu nennen. Interessantestes Bauwerk ist der mit weitem Bogen, mit einem Radius von 400 m den im Tal gelegenen Ort Lengenfeld unterm Stein überspannende, 237 m lange Viadukt. Das 1880 aus Schweißeisen errichtete, zweigleisig, seit dem Rückbau des zweiten Gleises 1918 eingleisig, befahrene Bauwerk besteht aus sechs Kastenträgern mit je 17 m Stützweite. Die Fachwerk-Fischbauchträger weisen einen Hauptträgerabstand von 5,50 m auf. Die nur noch für ein Gleis vorhandenen Kastenträger in Parallelfachwerk haben eine Konstruktionshöhe von 2,50 m.

Die alte Höhe über Gelände bis Unterkante Träger beträgt 18,50 m. Die Schienenoberkante liegt 23,00 m über der Straßenoberkante. Die gesamte Fahrbahnbreite, einschließlich der Konsolen der Gehwege, außer über den Kastenträgern, beträgt 8,60 m.

Die Schienen ruhen auf Brückenbalken, die auf den Längsträgern gelagert sind. Querträger und Querverbände verbinden die Hauptträger. Die Kastenträger wurden 1907 und 1913 erneuert.

Widerlager und Pfeiler bestehen aus Bruchsteinmauerwerk, verblendet mit Sandsteinquadern in Kalkmörtel. Verwitterungen und Rissbildungen an den Auflagersteinen und im Bruchsteinmauerwerk erforderten 1957/1958 Instandsetzungsarbeiten.

Es wurde eine Langsamfahrstrecke von 10 km/h eingerichtet. Der Viadukt ist ein bemerkenswertes Bauwerk in der Geschichte der stählernen Eisenbahnbrücken vor 125 Jahren.

Am 21. Dezember 1992 lief die technische Befahrbarkeit des Lengenfelder Viaduktes ab und eine Sperrung für den Bahnverkehr war die Folge. Seit dem Frühjahr 2002 gibt es einen Kanonenbahnverein, der sich das Ziel gesetzt hat, einen Teil der ehemaligen Kanonenbahnstrecke einschließlich des Lengenfelder Viaduktes wieder zu aktivieren. Sicher ist jedoch, dass sie als Bahnstrecke nicht mehr zu nutzen sein wird.

Günter Fromm
Quelle: „Thüringer Staatsanzeiger“, Ausgabe 05/2003 vom 03.02.2003)