Altes Osterbrauchtum auf dem Eichsfelde

Stark verbreitet auf dem Eichsfeld ist bzw. war der Glaube an die heilkräftige Wirkung des Osterwassers. Es verleiht Schönheit und Jugendfrische. Soll es die erhoffte Wirkung haben, so muss es einem Flusswasser entnommen sein, auch darf beim Holen desselben das Stillschweigen nicht gebrochen werden. Sobald die Mitternachtsstunde des Osterfestes herannaht, eilen junge Mädchen des Dorfes heimlich auf verstohlenen Wegen nach dem Bache, einen kleinen Eimer oder Topf in der Hand. Das Holen und Schöpfen des Wassers wird ihnen aber nicht leicht gemacht. Böse Burschen lauern ihnen auf und suchen sie beim Schöpfen des Wassers und auf dem Rückwege, durch allerhand Schabernack zum Sprechen zu bewegen. Und wenn dem Gehege der Mädchenzähne auch nur ein Laut entflieht, so hat das Wasser seine Heilkraft verloren. Das Osterwasser ist zum Plapperwasser geworden und dem betreffenden Mädchen bleibt nichts übrig, als dasselbe fortzugießen. Wenn aber die jugendliche Maid der ihr gestellten Falle entgangen ist, so wäscht sie sich zu Hause angekommen, dreimal das Gesiebt mit dem Osterwasser. Dann verschwinden die Sommersprossen und sonstigen Fleckchen, welche das Gesicht etwa verunstalten, und dieses strahlt in jugendfrischer Schönheit. Für welches Mädchen aber, mag es auf dem Eichsfelde oder sonstwo zu Hause sein, wird dies nicht immer ein Herzenswunsch sein und bleiben! Auch der Tau am Ostermorgen hat dieselbe Wirkung wie das Osterwasser. Man muss ihn aber beim Sonnenaufgang sammeln und sich sogleich damit waschen.

Mancher Langschläfer, der sonst nicht aus dem Bette kann, erhebt sich am ersten Ostertage früh vom Lager und eilt ins Freie, um die Sonne zu betrachten: denn diese macht, wie der alte Volksglaube meint, sobald sie am Ostermorgen voll aufgegangen ist, drei Freudensprünge. Ein gleiches kann man an diesem Tage beobachten, bevor die Sonne sich anschickt, zur Ruhe zu gehen.

In den meisten Ortschaften des Eichsfeldes ist heute noch das Anzünden der Osterfeuer am Abend des ersten Ostertages auf den Bergen im Gebrauch. Auf dem Untereichsfelde lodern dieselben am genannten Abend wohl auf allen Anhöhen. Auch von den Bergen des nahen Südharzes leuchten die Feuer herüber. Auf dem Obereichsfelde ist dies besonders in seinem westlichen Teile der Fall. Die Zutaten zum Feuer werden ausschließlich von Knaben eingesammelt. In meinem Heimatdorf (Obernfeld) zogen diese während meiner Jugendzeit mit einem Leiterwagen durch die Straßen des Ortes und empfingen wohl aus jedem Hause einigen Brennstoff, als Stroh, kleine Wellen von Weißdorn, alte Besen, Latten, Planken, Pfosten, Teertonnen und Pechwische. War man mit dem Sammeln zu Ende, so wurde ein Pferd vor den Wagen gespannt, und nun ging‘s zum Dorfe hinaus auf eine bestimmte Anhöhe, und zwar dahin, wo in dem betreffenden Jahre das Winterfeld war (damals herrschte noch die Dreifelderwirtschaft). Auch die Erwachsenen erschienen, nicht selten der Pfarrer und der Lehrer. Ein des Vorsingens kundiger Mann stimmte geistliche Osterlieder an, z. B.: „Ist das der Leib Herr Jesu Christ, der tot im Grab gelegen ist“? oder: „Freu dich, du ganze Christenheit. Alleluja! Der Heiland ist erstanden heut. Alle-Alleluja.“ Zuweilen ließ man auch unter dem Jubel des jungen Volkes eine brennende Teertonne den Berg hinabrollen. War das Feuer ausgebrannt, so wurde die Asche nach allen vier Winden geworfen. Sie brachte den Feldern Fruchtbarkeit und vertrieb das Ungeziefer. Da die Erwachsenen regelmäßig am Osterfeuer teilnahmen, so kamen Ausschreitungen nicht vor. In manchen Ortschaften, z. B. in Brehme, Ecklingerode, Fuhrbach u. a. zieht die Jugend paarweise in geordneter Reihe auf die Anhöhe. Die Teilnehmer tragen in den Händen Stangen, die oben mit Stroh umwickelt und mit Teer bestrichen sind. Oben angekommen, wird ein Fackelreigen auf dem Berge gehalten, was, von Ferne gesehen, ein eigenartig schönes Bild bietet.

In anderen Orten, z. B. in den um den Hanstein gelegenen Dörfern, ist es üblich, dass die Knaben und Burschen durch das Feuer springen. Wer hinfällt, muss im nämlichen Jahre noch sterben. In anderen Orten, z. B. in Wingerode, herrschte der Glaube, dass je höher man dabei sprang, desto höher der Flachs wuchs. Eigenartig war es, dass in dem eine Stunde von Duderstadt am Fuße des Ohmgebirges gelegenen Dorfe Wehnde ein Pferdeschädel und in Bodenrode an der Leine eine Strohpuppe, Judas genannt, in das lodernde Feuer geworfen wurde, beides gewiss Bräuche aus altheidnischer Zeit.

In früheren Jahrhunderten wurde das Abbrennen des Osterfeuers wiederholt durch die kurfürstliche Regierung des Eichsfeldes verboten, so 1714 bei einer Strafe von 10 Gulden. Als Grund wird angegeben, „daß bei dem Osterfeuer allerhand Mutwillen und Ärgernis, als Zank und Schlägerei, Beschädigung der Wälder, Verbrennung der Zäune verübt und darüber hohe Gerichte mit Klagen fast jährlich behelligt, mithin der hochheiligste Ostertag durch dergleichen Exzesse nicht wenig verunehrt und entheiligt worden“. Aber das Volk ließ von dem alten Brauche nicht ab. Wiederum sind Verbote zu verzeichnen in den Jahren 1735, 1746 und 1779, jedes Mal mit einer Zuchthausstrafe von vier Wochen. In der Verordnung aus dem zuletzt genannten Jahre hieß es, dass das Verbot „bisher wenig oder gar nicht gehalten, sogar von den Obrigkeiten stillschweigend begünstigt worden sei“. –

Allgemein ist heute auf dem Eichsfelde die Sitte noch in Übung, Ostereier zu verschenken. Diese werden in Fließwasser gesotten und haben eine rote oder gelbe Farbe. Letztere wird dadurch erzielt, dass man die rohen Eier mit Zwiebelschalen oder Walnussblättern umwickelt und dann in das siedende Wasser legt. Junge Burschen zeichnen auf das Ei, das sie ihrem Lieb zugedacht haben, mit einer in Königswasser getunkten Schreibfeder ein Herz, aus dem eine Blume erblüht, und schreiben einen Liebesvers darunter, z. B. „Liebend gedenk ich Dein, Du sollst mein Eigen sein!“

In der Osternacht stattet der Osterhase den Hausgärten seinen Besuch ab, um daselbst in die Hecke, in den Buchsbaum oder dergleichen versteckte Plätze seine Eier zu legen. Bel Tage eilen die Kleinen auf ein ein gegebenes Zeichen hinaus und suchen zum großen Ergötzen der Erwachsenen nach den buntgefärbten Eiern. Dieser Brauch hat aber erst seit einigen Jahrzehnten auf dem Eichsfeld Eingang gefunden; de Alten war er unbekannt.

Hier und da ist unter den Knaben das Eierpicken noch im Gebrauch. Ein Knabe stößt je nach Verabredung mit dem Spitzende oder Rundende seines Eies auf den nämlichen Teil des Eies seines Gegenparts. Derjenige, dessen Eierschale infolge des Pickens eingedrückt wird, muss das Ei seinem Gegner als Gewinn überreichen. Vor dem Aneinanderstoßen machen die Knaben zuerst die Probe auf die Härte ihres Eies, indem sie mit demselben an ihre Vorderzähne stoßen. Zum Eierpicken wurden in Duderstadt, wo dasselbe sehr im Schwunge war, ausschließlich rohe Eier verwandt. Manche Knaben gewannen durch das Picken an einem Tage Dutzende von Eiern, die sie verkauften oder ihren Müttern brachten. Letztere bereiteten davon ihren Kindern Rührei oder Pfannkuchen. – Zum Abendbrot kommen am ersten Ostertage auf den Eichsfelder Familientisch gekochte Eier mit Rapunzel- und Kartoffelsalat.

In früheren Jahrhunderten war zu Ostern auf dem Eichsfelde das Flurreiten, auch Osterreiten genannt, üblich. Dies geschah z. B. in Kirchworbis am zweiten Ostertage. Es wurde an diesem Tage eine Prozession um die Grenze der Dorfflur abgehalten, an welcher sich viele Personen zu Pferde beteiligten. Im Jahre 1657 wird unter diesen auch der Lehrer des Ortes erwähnt. Die Reiter bekamen nach beendetem Flurritt auf Kosten der Gemeinde einen Trunk Bier gereicht. Beim Kloster Teistungen geschah das Flurreiten am Osterdienstage. Daran mussten der Schultheiß, die Vormünder und sämtliche Ackerleute des Klosterdorfes Böseckendorf teilnehmen. Vor dem Beginn des Rittes fand in der Klosterkirche eine Andacht statt. Die erschienenen Klosteruntertanen wurden zum Schluss mit Brot, Käse und Bier bewirtet. Wegen vorgekommener Missbräuche und Unglücksfälle wurde das Flurreiten auf dem Eichsfelde gegen Ende des 17. Jahrhunderts durch das Oberamt zu Heiligenstadt gänzlich untersagt. „Die sogenannten Flurritte hängen“, schreibt Rudolf Reichardt, „mit dem altgermanischen Volksglauben zusammen, nach welchem die den Menschen feindlichen Dämonen auszogen, die Saatfelder zu schädigen. Zu ihrer Vertreibung zog die Bewohnerschaft aus, indem sie in feierlichem Zuge um die Äcker ritt oder ging und Götzenbilder trug. Nach Einführung des Christentums gab die Kirche den heidnischen Umzügen den Charakter von christlichen Prozessionen. Die Priester zogen mit den Landleuten durch die Fluren und segneten die Felder.“ Aus dem 14. Jahrhundert wird berichtet, dass am Freitag nach Christi Himmelfahrt bei Duderstadt ein Kästchen mit Reliquien des hl. Petrus, sonst im Kloster Teistungenburg aufbewahrt, in Prozession auf einem Ochsen herumgetragen wurde. So weit man dasselbe trug, so weit erstreckte sich die Grenze der „Goldenen Mark“ Duderstadt.

Mit der Einführung der Reformation hörten in protestantischen Gegenden die Umzüge kirchlichen Charakters auf. Es blieben jedoch die Flurumgänge oder Grenzbegehungen bestehen, die in gewissen Zeiträumen stattfanden und woran die gesamte männliche Einwohnerschaft eines Ortes teilnahm. Sie hatten einmal den Zweck, festzustellen, ob die Grenzsteine der Gemarkung auch unverrückt an ihrer Seite standen: Sodann sollte die jüngere Generation den Lauf der Grenze kennenlernen. Damit sich die Knabenwelt dieselbe fest einprägte, wurden die jugendlichen Teilnehmer an solchen Stellen, wo der Grenzverlauf nicht ohne weiteres klar war, an den Ohren gezupft oder mit einer kräftigen Ohrfeige bedacht. Auch die Jagdgrenze wurde früher begangen. In Duderstadt geschah dies zum letzten Male im Jahre 1818. Der Umzug nahm vier Tage in Anspruch.

Karl Wüstefeld
(Quelle: „Eichsfelder Heimatborn“ vom 20. April 1957)
(Originaltext: „Osterfreuden“ von Karl Wüstefeld, entnommen dem „Eichsfelder Volksleben“)