Wie sie die Grotte am Hang bauten

Der südwärts gelegene Bergzug ist unter allen, die ringsherum mein Heimattal umschließen, der am meisten von Dörflern und Sommerfrischlern beachtete. Das hat seine verschiedenen Gründe. Einmal hat dieser waldige Höhenzug einige schön gelegene, kühn getürmte und jäh abfallende Felsschroffen, von denen man einen wunderbaren Ausblick über das unmittelbar im Tale gelegene Dorf, sowie auch in die weitere Umgebung hat.

Sodann aber hat man vor einigen Jahrzehnten da oben, unmittelbar am waldigen Hange, "Unserer lieben Frau von Lourdes" ein Gröttlein erbaut, das im Laufe der Jahre der Anziehungspunkt Einheimischer und Fremder, besonders an Sonntagsnachmittagen, geworden ist. Was ich noch über die Entstehung des Gröttleins weiß, sei nachfolgend berichtet.

Man braucht es nicht gerade als Chronika über die Begebenheit aufzufassen. Denn ich war damals noch ein dummer Junge, der erst einige Zeit die ersten Hosen trug. Demzufolge konnte ich auch noch nicht weit vorwärts und weit rückwärts denken. Es ist somit möglich, dass das eine oder andere sich ein wenig anders zugetragen hat. In allen Hauptzügen aber wird meine Schilderung wohl richtig sein.

Wie man dazu gekommen, das Berggröttlein zu erbauen, überlasse ich meinen Gedankenfolgerungen, und glaube wohl kaum, dass ich in dieser Logik irre. Allerdings ist es für ein christkatholisches Dorf inmitten des christkatholischen Eichsfeldes keine weltbewegende Begebenheit, wenn man es unternimmt, an anheimelnder Stätte der lieben Gottesmutter eine Anliegen- und Andachtsstätte zu errichten.

Wie viele weltbewegende Begebenheiten hätte denn sonst unser liebes eichsfeldisches Land aufzuweisen, wo zahllose Waldkapellchen in der Waldeinöde stehen, wo zahllose Bildstöcke unter uralten Linden oder Buchen träumen, wo so viele Kreuze an Mühlen, Straßen und alten Gehöften aufwärts mahnen. Für uns sind sie eben da. Unsere Vorfahren haben sie uns errichtet und jedes dieser Symbole christlicher Glaubensgesinnung hat seine Geschichte. Irgendwer - irgendwas gab immer die Veranlassung, dass sie da sind.

Die wunderbaren Ereignisse von Lourdes hatten die Gemüter aller Katholiken zur außerordentlichen Verehrung der unbefleckt Empfangenen entflammt. Auch die religiöse Kunst wurde durch die Ereignisse zu neuem Schaffen angeregt. Sie schuf zahlreiche Bildnisse der unbefleckten Empfängnis nach den Angaben des heiligmäßigen, begnadeten Hirtenmädchens Bernadette.

Gleichzeitig entstanden die ersten Nachahmungen des Erscheinungsortes, eine einsame Felsgrotte in der Nähe des Gaveflusses in Frankreich. Aus allen Weltteilen pilgerten Jahr für Jahr bis auf den heutigen Tag große Pilgerzüge nach dem schnell in Ruf gekommenen Gnadenort. So mögen auch eichsfeldische Geistliche dort hingekommen sein. Heimgekehrt, weckten sie in Vorträgen und Predigten die Herzen des Volkes zur innigen vertrauensvollen Verehrung der wundertätigen lieben Frau von Lourdes.

Als unser damaliger Kaplan den Bau einer solchen Grotte plante, fand er überall reges Interesse für denselben. Gern steuerte mancher in größeren und kleineren Beträgen zur Schaffung eines Baufonds bei. Die Grotte sollte ursprünglich in einem in nordsüdlicher Richtung gelegenen Winkel des eingefriedigten Dorfkirchplatzes erbaut werden.

Ich erinnere mich auch noch gut, dass man dort eines Tages das erste Baumaterial, Fässer mit buntfarbigen Glassteinen, Rieseldornenstücke, salzsteinverkrustete, groteske Figuren und Gebilde darstellendes Salzgradiermaterial und anderes hinschaffte. Auf eine gegebene Anregung hin wurde dann aber der Plan geändert und der jetzige Ort am südlichen Berghange gewählt. Der Platz war früher eine mächtige, mit dichtem Gestrüpp überwucherte Steinritsche und ziemlich wertlos. Um ein geringes Entgelt mag ihn der damalige Besitzer dem Kaplan überlassen haben. Bald wurde denn auch mit dem Bau begonnen und der stille, unbeachtete, ja von uns Kindern vorher ängstlich gemiedene Platz war eine Stätte regen Lebens geworden.

Das Hauptmaterial bestand aus oft wunderlich geformten Lochsteinen, die oben auf dem Fichtenwaldplateau des Geiberichs in großen Mengen herumlagen. Die geologische Entstehung dieser sonderbaren, lose herumliegenden Steine kann ich als Laie nicht erklären. Wer solche Studien treibt, wird interessante Angaben darüber machen können. Mit Genehmigung der Forstverwaltung wurden diese Steine von den Dorfbewohnern mit Tragekörben zur Baustelle geschafft. Das geschah zumeist allabendlich nach Feierabend und Mann und Frau, Bursche und Mädchen, und selbst Schulkinder beteiligten sich willig und freudig an der Arbeit.

Der Kaplan selbst, so weiß ich mich noch zu erinnern, legte Hand an beim Bau, mischte Mörtel und tat Handlangerdienste. Brach die Dämmerung herein, so gebot der Kaplan mit einem freundlichen, anerkennenden Lächeln Feierabend. Er sprach laut ein kurzes Gebet vor der noch unfertigen Grotte. Dann entnahm er der Brusttasche ein Päcklein bunter Heiligenbilder und verteilte sie unter die hilfsbereiten Arbeiter und Arbeiterinnen zu Marias Ehr'. Das war für jeden Lohn genug und scherzend und aufgeräumt ging's heimwärts zum Dorf, wo die ersten Lampen aufleuchteten.

So ging es Abend für Abend, bis endlich der Bau fertig dastand. Nun ließ der Kaplan seine Anlagen anlegen, pflanzte Ziersträucher, Blumen, Tannen und Linden ringsherum. Die Dorfleute gingen die Zeit, wenn sie sonntags ausgingen, nur da hinauf zu ihrer Grotte und freuten sich darüber: "Ei, die wird fein." Vetter Hanjakob aber erzählte den Leuten, der Kaplan ließe eine schier lebensgroße Madonna kommen, die in die obere Nische sollte und eine Bernadette für die rechts danebenliegende kleine Nische. Die Madonna könnte man drunten vom Dorf noch gut erkennen. Da schüttelten die Leute ungläubig die Köpfe über solche Rede des Hanjakob und sagten: "Geh, das ist aufgetrieben." (übertrieben).

Da stieg der Hanjakob die Leiter hinauf, stellte sich in die Nischen mit ausgespannten Armen, als wenn er fliegen wollte und demonstrierte den Ungläubigen die Sachlage: "Da geht runter ins Dorf und schaut, ob ihr mich net erkennt - und zudem, wo die Madonna ein schlohweißes G'wand anhat und blauen Lendengurt! Was wollt ihr nun heh - heh?"
"Ja, dann schon, wenn's so eine wird", gaben sie dann dem Hanjakob zu. Dann stieg der Hanjakob wieder herab und mischte sich wieder unter die unerhört Unwissenden.

Aber ich sage Euch - er hatte Recht damals - so eine große und feine Madonna war's. Es ist eine ganz selbstverständliche Sache, dass ich ebenfalls mit Fleiß allabendlich mich bemühte, ein solches buntes Heiligenbildchen vom Kaplan zu erhalten. Ob ein noch höher zu veranschlagendes Motiv mich damals noch aneiferte, mitzutun, vermag ich nicht mehr anzugeben. Mag sein. Mag aber auch ebenso gut sein, dass die Heiligenbilder allein ausschlaggebend waren.

Hätte man damals aus den Lochsteinen des Geiberichs eine Spielhölle oder eine Erziehungsanstalt für flegelige Dorfjungen da oben statt des Gröttleins hingebaut, so hätte ich, glaube ich, mit der gleichen Bereitwilligkeit die Steine herzugetragen, sofern ich jedes Mal dafür ein Heiligenbildchen erhalten hätte. So viel mir nun auch an den Bildchen lag, eines Abends bin ich dennoch darumgekommen.

Das kam so: Auf einer nicht grad allzu hohen Fichte hatte ich etwas Sonderliches entdeckt. Ganz oben in ihrem schwankenden Wipfel war ein dichter, kugelrunder Moosballen eingebaut. Mich plagte die Neugierde, was denn da Wunderliches drin sei. Daher warf ich meine Grottensteine weg und erklomm, nachdem ich kräftig in die Hände Courage gespuckt hatte, den Baum. Oben angelangt, betappte ich das Moosbündel von allen Seiten, ohne dass ich wesentlich klüger wurde. So zerrte ich es denn aus dem Geäst los und warf es hinab. Dann schurrte ich den schwartigen Stamm wieder hinunter.

Da bemerkte ich, dass der Ballen Leben barg. Ein leises Quieksen und Piepsen kam heraus, wie wenn junge Mäuse darin wären. Es waren aber keine Mäuse, sondern vier junge, nackte und ganz blinde Eichkatzeln. Nun tat es mir allerdings leid um die armen Tierchen, denen ich mit rauer Hand, wenn auch unwissend, das Kindesheim zerstört hatte. So legte ich die krabbelnden Tierchen ins ausgebreitete Sacktüchlein, vergaß auch nicht, ein bissel Moos hinzuzutun und schlich auf Umwegen nach Hause. Ich nahm mir vor, die Tierlein großzuziehen.

Wie ich das anzustellen hatte, darüber war ich noch in argem Zweifel. Aber da fiel mir ein: Unsere scheckige Mieze hatte die Zeit junge gehabt. Die hatte Vater ihr fortgenommen und umgebracht. Sicher, so dachte ich, würde unsere Mieze sich freuen, wenn ich ihr die lieben, kleinen Eichkatzeln ins Nest legte. Sie würde sie schon an Kindesstatt annehmen und den armen Waislein eine gute Mutter werden. So legte ich ihr denn den Wurf Eichkatzeln da hinein, glücklich, das Problem so findig gelöst zu haben.

Aber oh, die Mieze. Mit funkelnden Augen kroch sie in die Heukuhle. Keine Spur pflegemütterlicher Liebe leuchtete aus ihren Augen. Mit Raubgier stürzte sie sich auf die armen, armen Eichkatzenkinder und schnell war's um sie allesamt geschehen. So hatte ich denn keine Eichkatzeln - und bekam nun auch den Abend keine Heiligenbildchen vom Kaplan. Aber könnt ihre solche Untat einem Dorfjungen verdenken?

Dann kam der Tag, wo die neue Madonna in der Kirche im Mittelgange aufgestellt war und die Bernadette auch. Auf eine Trage hatten sie die beiden gestellt und als die Andacht aus war, nahmen Männer die Fahnen. Die Leute sangen schöne Marienlieder. Vier Burschen, die dasselbe Jahr Platzmeister zur Kirmes waren, trugen die Steinbilder auf der Trage hinauf zum Gröttlein. Der Pfarrer und der Kaplan gingen mit und alle Leute vom Dorf.

Die Straße dahinauf hatten die Leute fein ausgeschmückt, schier, wie wenn der Bischof kommt oder 's ist Fronleichnam. Feine Guirlanden spannten sich über den Weg und daran waren feine, mit Waldgrün umkränzte Sprüchlein wie: O Maria Jungfrau rein, kehr' in deine Wohnung ein und andere. Und die Leute haben gesungen und die Glocken haben geläutet den Tag und der Himmel hat gelacht und das Korn gerauscht, wie sie da die Steinbilder hinaufgetragen haben.

Da oben hat der Pfarrherr noch eine feine Predigt gehalten und dem Gröttlein die Weihe gegeben. Dabei hat er noch ein Gebet gesprochen, wovon ich dem Sinne nach dieses behalten habe, dass alle, die vor diesem geweihten Bildnisse ihr Anliegen in Leib- und Seelennöten niederlegten, Erhörung finden möchten um der Fürbitte Marias und um der Erbarmnis Gottes willen. Wie er geendet, da sprachen die Leute: "Amen." Ja, so war es damals, wie sie das Gröttlein da oben hingebaut haben. -

Da hat mich einmal der Bernhofer Peter gefragt, wie er ein Langes und Breites vom Leben in der Großstadt erlebt hat, ob ich denn mir solches noch nie in meinem Leben angeseh'n hätt' - ob ich denn nit über die Heimatberge hinaus'kommen wär und so. - Und wie ich dann "Nein" gesagt habe, hat er gelacht, weidlich gelacht über mich, den Einfaltspinsel von Dorfjungen, dass es mich schier gewürgt hat und gefeixt. Aber dann bin ich drübernaus gekommen. Mag der Bernhofer Peter die Großstadt besehen haben von allen Ecken und Enden, so weiß man dennoch nit, ob er die Heimat auch gesehen hat, wie ich, der einfältige Dorfjunge, trotzdem er mit mir auf derselbigen Schulbank gesessen hat. -

Der Hanjakob aber hat dazumalden richtig Recht gehabt. Die Madonna ist schier lebensgroß gewesen und richtig vom Dorf aus konnte man sie erkennen. Manches Lichtlein haben die Leute abgebrannt da oben in der unteren Nische.

Wenn aber ein Marienfesttag war, so wurde die Grotte mit bunten Papierampeln abends beleuchtet und ein feines Feuerwerk wurde abgebrannt. Der Küsterbartholomäus aber stimmte das Lied an: Sei gegrüßet o Jungfrau rein. Da waren die Dörfler in ihrem Element und mir war's manchmal, als ob die schlohweiße Madonna mit dem blauen Lendengurt dann gütig-milde lächelte. Das wird der Bernhofer Peter in den Weindielen der Großstadt kaum erlebt haben.