Wie ich haben wollte, was sie nicht hatten und bekam, was sie hatten
Ein dummes Kapitel das eigentlich. Dabei geht mir der Heiligenschein eines Dorfmusterknaben wieder gründlich verloren. Als Junge von drei, vier und auch mehr Jahren hatte ich von manchen Dingen eine sonderbare Auffassung.
Die erste war, dass man mir auch einige Beachtung entgegenzubringen hätte. Ich wusste doch schon, dass ich einen eigenen Kopf für mich ganz allein hatte. Mit dem bisschen Hirn, was ich in diesem eigenen Kopfe hatte, zog ich allerlei logische und unlogische Schlüsse auf manche Sachen.
Das mag auch heute noch manchen Leuten so vorkommen, ich meine mit den unlogischen Schlüssen, wenn sie mein Geschreibsel lesen. Ei, so mögen sie es nicht lesen! Ich verwahre mich dagegen, dass mir eingefallen wäre, Wissenschaften zu treiben. Aber das sei den Leuten gesagt, sofern sie Studien alter Eichsfelder Volksbräuche treiben: "Deumbhanker nachmol" ist so viel wie: "Teufelshenker - noch einmal." Den anderen gewöhnlichen Sterblichen aber dies als Folgerung: Gebraucht das Wort nicht: "Deumbhanker". Es heißt Teufelshenker - und das ist ein gelinder Fluch.
Dorfjungen stellen sich unter solchen und anderen leichtsinnigerweise hingeworfenen Ausdrücken noch allerlei vor. Ich weiß es von mir selbst. Als ich noch ein Junge war, war unsere Dorfkirche so schadhaft geworden, dass sich die Leute nicht mehr getrauten hineinzugehen. In der Zeit saß ich viel an dem Wässerchen des Rohrbornes, das nahe der Kirche vorbeirieselte. Da sah ich manchmal den Pfarrherrn auf dem Kirchplatz herumgehen. Ab und zu blieb er stehen und hielt etwas vor das eine Auge, während es das andere mit dem Finger zerdrückte. Ich dachte immer, er hätte eine Mücke ins Auge gekriegt. Wie sich das aber öfters wiederholte, kamen mir Zweifel über die vielen Mücken im Auge des Pfarrherrn.
Eine Tages machte der Pfarrherr wieder dieselbe Gebärde auf dem Kirchplatze.
Dabei sah er unverwandt nach oben, nach der Kirchenwand. Wie ich nun den Krügelmichel, der eben bei mir am Wasser saß und einen "Tümpel" baute, damit er das "Gänsegras" bequem waschen könnte, darauf aufmerksam machte, sagte er: "Von wegen Mücken! Der hat ein 'Specktievchen' Mit dem kann er die Sprünge oben in der Kirchenwand bequem ansehen - so bequem und nah, wie ich hier vor dir steh - du 'Tümpel'. Die Kirchen fällt bald um, das musst doch wissen. -Specktiebchen!" Da war ich so klug wie ehedem.
Specktiebchen kochte uns Mutter alleweil auch oft und gab auch noch aufgequellte Hotzeln hinzu. Aber die Kirchenwandsprünge konnt' ich nach ihrem Genuss darum nit besser sehen als nach Pellkartoffeln und Hering.
Später gab mir der Pfeifermartin, als er einmal in Ferien von der Lateinschule zu Hause war, die Erklärung: "Specktiepchen" wäre eine Herleitung von Spektrum. Das wäre Lateinisches, was ich nicht verstände. Aber wo war denn das lateinische "Speck-drum". Was hatte denn Vetter Hanjakob, den sie auch bei's Vieh holten, verordnet, wie ich einen dicken Hals hatte und die Kartoffelbrocken nicht mehr hinunterrutschen wollten? "Speck drum" hatte er verordnet und es hatte geholfen. Die Lateinschule hatte aber der Hanjakob lebtages nicht besucht. -
Ähnliches ist mir noch mehr vorgekommen. Da sagte unsere Male eine Tages: "Heute kommt der Schulrat bei uns in die Schule." Anderen Tags, als der Zug ein Weilchen am alten Bahnhof eingerollt war, saß ich am Wässerchen und spähte nach dem "Schulrad". Da kam der Schmiedehannes daher und rollte ein großes Hinterwagenrad, was er neu beschlagen hatte, vor sich her. Das war nun für mich ohne Zweifel, dass dieses Rad das Schulrad war. Dumme Male - das heißt nicht: der "Schulrad" - sondern das "Schulrad".
Kurz darauf war dem Schirmflickerjack der große Ziehhund, der Karo, abhanden gekommen. Einige Tage später entdeckte man den Köter erschlagen unter einem auf freiem Felde lagernden, großen Dunghaufen. Niemand wusste etwas von dem frevelhaften Täter. Der Pfeifermartin wurde um seine Meinung über die Sache befragt, zuckte die Achsel und äußerte sich: "Eine mystische Geschichte."
O ja, es ist eine "mistische" Geschichte gewesen, wie der Karo da leblos unter dem Misthaufen gelegen. Aus dem Vorstehenden kann man sich einigermaßen ein Bild machen von den verheerenden Folgen des babylonischen Sprachengewirres auf das Hirn eines Dorfjungen. Es geht nicht mehr an, dass im Lauchbach der Saiger (Uhr) wambst, während in Zwiebelrode der Regulator schlägt, dass man im Kringelbach mit der "Aeu" misst und in Griesbach mit der Elle metert, dass man in Hauberg "knitte" geht und in Stiefelbach "späu" (spelle) oder "stricken" kommt.
Das alles muss in dem einheitlichen Esperanto geordnet und geregelt werden. Esperanto ist, so bestätigte auch der Pfeifermartin, eine Abart von Esparsette - und das wiederum ist eine Kleeart, die jegliches Rind-, Ziegen- und Karnickelvieh mit Vorliebe frisst. Was denn das nun aber alles mit der Angelegenheit: Wie ich haben wollte, was sie nicht hatten, zu tun hat, könnt Ihr nun fragen. Viel, Alles! -
Denselbigen Abend, wie nachmittags der Pfarrherr durchs "Specktievchen" geschaut hatte, hatte ich mit in den Kopf gesetzt, Tiebchen mit Speck und aufgequellten Hotzeln vorgesetzt zu bekommen. Ich hatte mich noch tüchtig abgerackert, um einen tüchtigen Osterfeuerhaufen zusammenzuschaffen. Da wird einer kaputt und marode und kann, so denk ich, eine ordentliche Abendmahlzeit verlangen. Aber nichts als Kartoffeln und Tuschelwerk boten sie mir an.
Da stieg ein gelinder Ärger in mir auf. Dazu kam noch eine Portion Trotz. -
"Mag nix", sagte ich unwirsch und bockig. Das verschlug den anderen nichts und sie langten zu, bis alles aufgezehrt war. Nun wurde meine Wut noch größer, einmal weil alles aufgegessen war, andernmal, weil niemand Notiz von mir nahm und mir Besseres oder Geringeres als Kartoffeln und Tuschelwerk anbot. Und das mussten sie doch wissen, dass ich tüchtigen Hunger hatte. Ich kauerte mich deshalb verärgert unter den Tisch und muckte, schnuckte und schnäuzte, bis endlich die Eigensinnstränen kamen.
Endlich nahm sich Mutter meiner Verlassenheit an, zerrte mich etwas unsanft hervor und sagte: "Auf der Stell' sagste, was du willst." Da war guter Rat teuer, denn so sehr ich mich auch besann, ich wusste nicht, warum ich maulte und greinte. "Dem helf ich nach", sagte Mutter und holte draußen von der Hofstatt vom frisch angefahrenen Reisig eine zugige "Schwicken". Daran waren, ob mit Absicht oder zufällig weiß ich nicht, noch einige Nebenzweige, sodass ein Schlag jedes Mal eigentlich drei ergaben.
Für Leute, die sich mit Erfindungen nützlicher Gebrauchsapparate abgeben, ist dies übrigens eine feine Idee zur Erfindung einer Prügelmaschine. Wer sich näher dafür interessiert, dem gebe ich gern nähere Erläuterungen und "schlagende Beweise" von der Verwendungsfähigkeit des Apparates.
Also sollte ich nun angeben, warum ich muckte. Wie ich mein Hirn auch anstrengte, es fiel mir nichts Stichhaltiges ein. Da trat die Schwicken in Tätigkeit und gleichzeitig auch mein Grölorganismus. Erst als Mutter außer Atem war, hielt sie ein, aber nur, um erneut die Frage zu tun: "Auf der Stell sagst, was d' willst." Eine neue Attacke befürchtend, gab ich die nichtssagende Antwort: "Ich wall was ha, waa de net hut." "Nun, so soll es beschafft werden", sagte Mutter entschlossen - "heraus mit der Sprache." "Das hut de daach nit", erwiderte ich kleinlaut. "Du sollst bekennen, was d' willst", herrschte mich Mutter an.
Die Sache wurde nun auch meinen älteren kartoffeltuschelgesättigten Geschwistern gespaßig. "So soll er bekennen, was er will", sagte unser Jepp - "und haben wir es nicht, so wird's eh beschafft." Mit wurde angst. Ein Frage- und Antwortspiel hub an: "Hat's der Krämer?" - "Nein." "Hat's der Bäcker?" - "Nein." "Hat's der Metzger?" - "Nein." "Hat's der Schuster?"Nein." - Und so ging's in einem fort. - "Nun hört's auf", sagte Mutter und eine zweite vermehrte und verbesserte Auflage erfolgte.
Nachdem die durch war, hub das Fragespiel wiederum an. Die Sache wurde fühlbarer und kritischer für mich. Aber ich hatte mich hineingeredet und wusste gar nicht, wie ich wieder heraus sollte. Zudem erbot sich unser Jepp schon bereitwillig, Mutter ein wenig abzulösen. Schon schnallte er in nicht zu verkennender Absicht den ledernen Hüftenriemen ab.
In meiner Verzweiflung fiel mir nichts Besseres ein, was ich begehren sollte als - Zuckersteine. Da lachten sie mich alle weidlich aus und ich kroch beschämt unter den Tisch. Das kam davon, dass der Pfarrherr so durchs "Specktievchen" geschaut hatte. Ich bekam keine Zuckersteine mehr den Abend, aber einen hübschen Kumpt voll "Brocken mit Milchaufguss" -
Ei, die schmeckten!