Wie die heidnischen Gebräuche unserer Vorfahren durch entsprechende christliche verdrängt wurden, und so das Volk in den Geist der Kirche eingeführt wurde (1930)

„Sehr amüsant!“, entgegnete ich Frau Martha, der ich das Wegegeleit von W. nach G. geben durfte. „Warum finden Sie das so höchst komisch?“, erwiderte die scheinbar in ihrer Ehre verletzte Frau. Haben Sie noch nie in Erfahrung gebracht, dass Schafe zur Rechten Unglück bedeuten?“ Kaum gesagt, war sie in eiligen Schritten um die Herde herumstolziert und freudetrunken rang es sich von Ihren Lippen: „So, nun bin ich gewiss, dass Schafe zur Linken – tun Freude winken!“ –

Noch mutzte ich herzhaft auflachen; doch der Gedanke, woher solch kindlicher Aberglaube käme, verfolgte mich noch dann, nachdem ich bereits nach mehrstündigem Spaziergange in meinem Arbeitszimmer angelangt. Hatte ich nicht neulich ein ähnliches, kurioses Stücklein mit der Frau Gevatterin erlebt, als ein unschuldiger, halbwüchsiger Hase uns den Weg gekreuzt und in der Brust meiner Begleiterin böse, marternde Ahnungen hervorgerufen hatte! Diese Beispiele regten zum Nachdenken an und ich fand, dass dieser Aberglaube, der in allen Volksschichten Bürgerrecht erworben, im altgermanischen Heidentum wurzelt. Eine zufällig mir zugesandte Biographie des hI. Bonifatius lehrte mich, dass dieser große Missionar eifrig bestrebt war, die abergläubischen Sitten und Gebräuche auszurotten. Hart war bei Kampf und die Arbeit schwierig. Christliche Klugheit verstand es, die heidnischen Gebräuche zu symbolisieren; und so finden wir, dass noch heute die Kirche in Ausübung verschiedener Gebräuche und Zeremonien uns Reste altgermanischer Volkssitten überliefert hat. Dem neuzeitlichen Geschlechte mögen sie gar nicht als solche erscheinen. Nicht uninteressant ist es deshalb, einen kurzen Blick zu werfen auf die abergläubischen Sitten unserer germanischen Vorfahren, die das Christentum mit lebendigem, segenspendendem Geiste erfüllte.

Die alten Deutschen unternahmen von Zeit zu Zeit durch die Fluren feierliche Umzüge und trugen dabei die Bilder der Götter, um von ihnen Legen und Fruchtbarkeit der Felder zu erflehen. Besonders war der Umzug zu Ehren der Mutter Hertha berühmt, die als Erdgöttin verehrt wurde. Ihr Wagen, mit einem Tuche bedeckt, stand in einem hl. Haine. Von Zeit zu Zeit wurde er unter Begleitung von Priestern im Lande umhergefahren und Freude herrschte allerorten. Die Waffen ruhten, bis der Wagen wieder in den hl. Hain zurückgeführt. Solche feierlichen Umzüge mussten selbstverständlich vom Christentume verboten werden. Doch damit war keineswegs der Volksgebrauch aus der Welt geschafft. Die Kirche begnügte sich nicht allein mit dem Verbot, sondern setzte etwas Christliches an die Stelle dieser Sitte. Es wurden Flurumgänge unter Gebet und Gesang mit den Bildnissen der Heiligen veranstaltet und Gott angefleht, den Fluch der Sünde von der Erde hinwegzunehmen, Missernten und Seuchen fernzuhalten und die Felder zu segnen. So sind die in vielen katholischen Gegenden heute noch üblichen Feldprozessionen an Stelle der heidnischen Flurumgänge getreten. 

Nach der abergläubischen Meinung der alten Germanen verfertigte man aus der Alraunwurzel puppenartige Gebilde. Weil man sich in der Wurzel ein verborgenes, geheimnisvolles Wesen dachte, so verehrte man die Puppe als göttliches Wesen und bewahrte sie sorgfältig in einem Schreine auf. Sonnabends wurde dieser kleine Gott in Wasser oder Wein gebadet und bei jeder Mahlzeit erhielt er einen Teil der Speisen vorgesetzt. Diese Puppe sollte gegen Hexerei und Krankheit schützen, Zukünftiges oder Geheimnisvolles offenbaren, überhaupt wurden von den verschiedenen Göttern solche Bilder zu abergläubischen Zwecken verfertigt. Den Tod stellte man unter einer Puppe aus Stroh und Zeuglappen dar, welche man verbrannte und ins Wasser warf; alsdann eilte man schnell von dannen, um nicht von ihm verfolgt zu werden. In dem Hause, aus dem die Puppe fortgetragen wurde, starb in dem Jahre niemand. In ähnlicher Weise wurde beim Herannahen des Sommers der Winter unter dem Bilde des Todes fortgejagt, ein Gebrauch, der sich in manchen deutschen Gegenden bis in unser Jahrhundert fortgeerbt hat. – – –

Dieser heidnische Gebrauch, die Götter abzubilden, entsprang aus dem natürlichen Bedürfnis des menschlichen Herzens, die von ihm verehrten Wesen auch sichtbar um sich zu haben, um sie lebendiger und inniger zu verehren. Die Kirche kommt diesem natürlichen Triebe des Herzens durch die Bilderverehrung entgegen. Von Gott, welchem allein die Anbetung gebührt, und von den Heiligen, welche als seine treuen Diener und Freunde zu vereinen sind, werden Bilder gemacht und verehrt; aber diese Verehrung bezieht! sich nicht aus den Stoff des Bildes, sondern auf die durch die Bilder dargestellten Personen; auch nur diese können helfen, nicht die toten Bilder, wie die Heiden meinten. – – –

An vielen Wallfahrtsorten, so in Vierzehnheiligen und ehemals auf dem Hülfensberge, befinden sich sogenannte Mirakelkammern. In ihnen befinden sich Opfergaben wunderbar Geheilter, die in Dankbarkeit Glieder in Holz oder Wachs oder Metall niederlegten. Auch die alten Deutschen opferten bei Heilungen solche Opfergaben den Göttern und legten sie in den heiligen Hainen oder Götterhütten nieder. Krücken, deren man sich zum Gehen bedient hatte, wurden ebenfalls nach erlangter Heilung geopfert. Die christlichen Glaubensboten rotteten natürlich diesen Gebrauch aus und verbrannten die heidnischen Opfergaben. Doch das Bedürfnis, Gott dem Helfer und Retter den Dank auf sichtbare Weise auszusprechen wurzelt im menschlichen Herzen. Deshalb lebte dieser Brauch im Christentume in unveränderter Gestalt fort. Doch ein gewaltiger Unterschied besteht zwischen der heidnischen Handlungsweise und dem kindlich-frommen Sinn des Christen. Während diese Litte, Schenkung der obengenannten Opfergaben im Heidentume zur Verehrung eitler Götzen diente und daher unerlaubt ist, dient sie im Christentume zur Verehrung des wahren Gottes und ist erlaubt. Es kommt eben auf den Zweck an, den man dabei hat. – – –

Welche Bewandtnis hat es nun mit gewissem Festtagsgebäck, mit Martinsgänsen und Martinshörnern, Christwecken, Osterhasen und -eiern? Unsere Vorfahren, die heidnischen Germanen, stellten ihre Götter für die ihnen gewidmeten Festtage in Backwerk aus Mehl dar. Auch buken sie solche Tiere, die ihnen heilig waren. Mit solchen gebackenen Figuren beschenkten sie sich gegenseitig, schrieben ihnen eine gewisse Zauberkraft zu und atzen sie mit einer gewissen religiösen Verehrung. Den Christen wurde das Backen solcher Bilder verboten, aber Erinnerungen an jene heidnische Gewohnheit haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Im Spätherbste feierten die Germanen unter festlichem Gelage zu Ehren Wotans das Erntedankfest; wobei sie Backwerk in Form von Hörnen verzehrten (das Horn-Sinnbild von Macht- und Fruchtbarkeit!). Etwa um dieselbe Zeit feierten die Christen den Tag des hochverehrten hl. Martinus und aßen an diesem Tage die Martinshörner bzw. die Martinsgänse. Nikolaus- und Weihnachtsgebäck erhielt den Namen „Christstollen“ zum Unterschiede von den „Heidenwecken“, die in Westfalen noch üblich. Zum Osterfeste beschenkt man die Kleinen mit sogenannten Osterhasen; weil der Hase mit offenen Augen schläft, so ist er dem Christen das Sinnbild der Auferstehung, bei den Heiden war er das Bild der Fruchtbarkeit. Auch das Ei ist das Bild der Auferstehung; es ist also leicht zu deuten, warum die Christen das Osterei als Ostergeschenk verabfolgten. Auch die mancherorts noch üblichen Brezeln sollen ihren Ursprung von einem heidnischen Gebrauche haben. – – –

Hoch oben vom Kirchturm grüßt der Wetterhahn. Du hast ihn vielleicht schon hier und da gesehen, ohne recht zu wissen, warum gerade der Hahn die Spitze des Turmes ziert. Seine Bedeutung wurzelt im alten Götterglauben der Germanen. Unsere Väter schrieben, wie alle heidnischen Völker, den Hexen die Kraft zu, das Wetter zu machen, nämlich Gewitter, Stürme und Hagelschlag hervorzurufen und dadurch den Menschen großen Schaden zuzufügen. Zu dem Zwecke stellten die Hexen einen Kessel voll Wasser auf den brennenden Herd und rührten es unter Zauberformeln mit einem Löffel um oder sie peitschten das Wasser des Sees mit Ruten, bis sich Wolken aus dem See bildeten, in denen sie emporstiegen, um Sturm und Hagel dorthin zu lenken, wo sie schaden wollten oder sie füllten einen Sack mit Wind, den sie zur bestimmten Zeit mit den Worten losließen: „In des Teufels Namen!“, alsdann brach das verheerendste Unwetter los. Andern schrieben sie die Kraft zu, solche schädlichen Wetter abzuhalten und gaben ihnen deshalb reichliche Geschenke. Gutes Wetter vermeinten sie zu erkalten, wenn sie einen roten Hahn schlachteten und auf einen Baumwipfel hingen; das war der Alten Wetterhahn. Die roten Hähne waren nämlich dem Donar geweiht, der über Blitz und Donner, Wind und Wetter gebot. Dem Hahne schrieben die alten Deutschen auch die Kraft zu, durch sein Krähen am frühen Morgen die bösen Geister zu verscheuchen. – – Um diesen Aberglauben wirksam zu bekämpfen, setzte man in christlichen Zeiten einen Hahn auf den Turm und machte ihn zum Sinnbilde der Wachsamkeit. Er soll die Christen ermahnen, wachsam alle Gelegenheit zur Sünde zu meiden und sich früh am Morgen zum Gebete zu erheben. – –

Auch verschiedenen Heiligen ist der Hahn als Symbol beigegeben: Petrus und Vitus.

Wie erklärt der christliche Gebrauch den Johanneswein zu segnen und den Gläubigen zu reichen? An hohen Festtagen trank man zu Ehren der Götter aus den Schädeln der erschlagenen Feinde, was ganz besonders ehrenvoll und heilkräftig galt. Zauberer bereiteten auf geheimnisvolle Weise Zaubertränke und reichten sie in Löffeln, um dadurch wunderbare Wirkungen hervorzurufen, z. B. Liebe, Hass, Schutz gegen Krankheiten und Gefahren. Um diesen vielfachen Aberglauben zu verdrängen, kam in manchen Gegenden die Sitte auf, am 27. Dezember, dem Tage des hl. Johannes, des Jüngers der Liebe, Wein zu segnen und den Christen zu reichen, damit auf die Fürbitte des Heiligen Gott ihnen den wahren Geist der Liebe einflößen und sie vor aller Ungemach der Seele und des Leibes bewahren möge. –    

Nicht unschwer ist es, die am Feste Mariä Himmelfahrt stattfindende Kräuterweihe zu erklären. Nach Ansicht unserer heidnischen Vorfahren war eine sehr große Anzahl von Pflanzen den Göttern geweiht und besaß eine geheimnisvolle Kraft, wenn sie unter bestimmten Zeremonien, z. B. an frühen Morgen, ungewaschen, stillschweigend, mit glühendem Eisen zu gewissen Zeiten gepflückt wurden. In der Götterlehre werden genannt: der strauchartige Beifuß, die bittere Wermut, die Schafgarbe, das Tausendguldenkraut u. n. v. a. Alle heutigen Heilkräuter (Arzneipflanzen) waren den Germanen heilig, weil die ihnen innewohnende Heilkraft durch die Götter bewirkt wurde. Hartheu galt als Schutzmittel gegen Hexen und böse Geister. Von dem Teufelsabbiss glaubte man, ein böses Wesen habe von der Wurzel ein Stück abgebissen, weil es dem Menschen die Heilkraft missgönnte. Natürlich eiferten die Glaubensboten gegen den abergläubischen Gebrauch der Pflanzen. Dieser Aberglaube, der nebenbei gesagt von dem tiefen Naturgefühl unserer Vorfahren zeugt, konnte nur dann mit Erfolg bekämpft werden, wenn dem Volke etwas anderes geboten und zum christlichen Glauben in Beziehung gesetzt wurde. Weil um die Zeit, da die meisten Kräuter gepflückt werden, das Fest Mariä Himmelfahrt fällt, so wurden diese Kräuter in ein Bündel gebunden und von den Priestern unter Anrufung der Gottesmutter geweiht. So ist es erklärlich, dass die Kräuterweihe sich nur in Deutschland findet und das Fest auch den Namen „Kräuterweihe“ erhalten hat. Durch das Gebet der Kirche werden daher diese Kräuter ein Heilmittel für Tiere und Menschen und daher erklärt sich auch der vielfache Gebrauch der Kräuter. Der heidnische Aberglaube war ein unvernünftiger, weil die Pflanzen die ihnen zugeschriebene Kraft weder aus sich selbst noch durch die nichtigen Götter haben konnten. Reicher Legendenschmuck rankte sich bald um die verschiedensten Pflanzen. Das schneeweiße Bellis wurde zu Ehren Mariens Marienblümchen genannt. Hartheu erhielt auch den Namen Johanneskraut, weil es um Johanni blüht, u. s. f.

Noch einige Bemerkungen über unser Oster- bzw. Johannisfeuer. Die Verehrung der Götter durch Feuer war und ist noch heute bei vielen Völkern Brauch. Die Griechen und Römer unterhielten das hl. Feuer. Zu Ehren ihrer Lichtgötter wurden in Germanien regelmäßig im Frühlinge, wo die Sonne von Neuem ihre wärmenden Strahlen auf den Erdboden sendet, und im Hochsommer, wo sie am heißesten scheint, Feuer entfacht. Die sonderbarsten Zeremonien wurden dabei verrichtet. Tiere und Menschen, die über diese Feuer sprangen, blieben von Krankheit bewahrt. Die Asche des Feuers streute man auf Wiesen und Äcker, damit sie vor Ungeziefer bewahrt blieben. In Deutschland suchten die Glaubensboten auch viele abergläubische Verehrung der Feuer auszurotten. Um diesen tiefeingewurzelten Aberglauben wirksam zu vertilgen, setzte man an deren Stelle ähnliche und verband sie mit einer christlichen Idee. So zündete man Ostern Feuer zu Ehren Christi an, welcher ist das Licht der Welt; ebenso am 25. Juni zu Ehren des von jeher hochverehrten Johannes Baptist die die sogenannten Johannesfeuer. In alter Zeit wurden diese Feuer oft mit großer Feierlichkeit begangen, wobei Umzüge stattfanden und religiöse Lieder gesungen wurden. Zur Verdrängung des heidnischen Aberglaubens wurde es mancherorts Sitte, dass man von dem von der Kirche geweihten Feuer Holzstücke mit nach Hause nahm und sie zum Schutze gegen Feuersgefahr aufbewahrte. – – –

Manches wäre noch zu sagen über das Tragen von Kreuzen oder Heiligenbildchen als Amuletts, über die Errichtung von kleinen Kapellchen in stillen Waldesschluchten. Doch genug. Wir haben gesehen, dass sich viele heute nicht recht verstandenen Gebräuche, die die Kirche versinnbildlichte und als Reste heidnischer Kultur in unsere Zeit hinüberrettete, aus den Sitten und Gebräuchen unserer Vorfahren erklären lassen. Es ist ein großes Verdienst der Glaubensboten, den vielfachen, tiefeingewurzelten Aberglauben mit aller Entschiedenheit bekämpft zu haben. Allerdings haben sich bei der Anhänglichkeit des Volkes am Althergebrachten und Geheimnisvollen Reste vom heidnischen Aberglauben bis in die Gegenwart erhalten und trotz des christlichen Glaubens sich bis heute erhalten. Es zeugt von großer Unwissenheit, die Kirche dafür verantwortlich zu machen, die stets den Aberglauben bekämpft hat. –

Der fromme, eifrige Christ wird die versinnbildlichten Gebräuche im Sinne der katholischen Zeremonien gebrauchen und deren segensvolle Wirkungen herabflehen. Nur der Ungläubige aller Zeiten wird ein verständnisloses Lächeln an den Tag legen; doch bei ihm gilt das Wort: Wo der christliche Glaube schwindet, da fängt der alte Aberglaube wieder an! In unsern moralisch so tiefgesunkenen Großstädten leben Hunderte von Wahrsagerinnen im Typ der greisen Drude. Manche Gebildete werden bei bestimmter Begebenheit von abergläubischer Furcht ergriffen und im Leben mancher aufgeklärten Freigeister, die unter dem Scheine von Aufklärung das Christentum bekämpfen, tritt nicht selten der lächerlichste Aberglaube zu Tage. Deshalb hat ein geistreicher französischer Schriftsteller recht, wenn er sagt: „Gerade bei den Ungläubigen herrscht der größte Aberglauben!“ –

Dank den großen Missionaren, die uns aus dem Dunkel des Heidentums zum Lichte der Wahrheit geführt! – – –

H. Scharnsberg
(Quelle: „Mein Eichsfeld“, Jahrgang 1930, S. 38 – 43)