Wie die Krügeltheres heimkam

Das ist wieder eine Geschichte vom Heimweh. Meint ihr? So möget ihr Recht haben. Was die Theres’ in der großen Stadt am Rhein am Heimweh gelitten, ich vermag’s nicht anzugeben. Ich kann davon nichts wissen, denn ich war nicht dorten. Nur weiß ich, wie sie fortgegangen ist in meinen Schuljahren und wie sie heimgekommen ist in meinen Burschenjahren. Dazwischen lag eine Zeit von an die fünf bis sechs Jahre.

Die Theres’ war der Krügelkathe Tochter. Die Krügelkathe war Witwe. Weiß auch gar nicht recht, wieso sich denn die Kathe bewogen fühlte, das Mädchen, an dem sie doch so sehr hing, fortzugeben in die große Stadt. War doch ihr einziger Sonnenschein, die Theres’ und den gab sie fort in die Stadt am Rhein. Es waren feine Leute im Dorfe gewesen, die eine feine Gaststätte in der großen Rheinstadt hätten, die haben die Theres’ damals mitgenommen. Da tät’s die Theres’ gut haben und vieles lernen könnt’ sie da, sagte die Kathel bei uns, als sie um Spinnwolle mal vorsprach.

Wie ich die Spinnwolle der Kathel brachte, war die Theres’ nun grad am Abschiednehmen. Die Kathe hieß mich ein weniges auf einen Stuhl setzen, weil ich gleich ein fertiges Garn wieder von der vorherigen Wolle mitnehmen könnt. So weiß ich um den Abschied der Theres’ von der Kathe; denn ich war dabei. Die Kathe gab der Theres’ ein Rosenkränzlein und die Theres’ barg es in der Kleidertasche, indem die Mutter sagte: „Den nimm, leicht, dass sie in der großen Stadt keine haben.“ Dann ging sie an das Weihbrunnbehälterlein rechter Hand der Tür und tauchte die spinndünnen Finger hinein. Da geschah etwas. Der Nagel, an dem das Behälterlein hing, an der tapezierten Lehmwand, muss sehr locker gewesen sein. Das Behälterlein fiel herab auf die Dielen und zerbrach. Es war aus weißem Porzellan. Oberhalb des Beckens war eine weiße Schutzengelplastik; die war in der Mitte durchgeborsten beim Aufschlag. Da war die Kathe sehr erschrocken und sie meinte aufschluchzend, das sei ein böses Omen. Somit ging die Theres’ ohne Weihbrunnen in die große Stadt am Rhein.

Aber dennoch nicht ohne ein Kreuzlein auf der Stirn, gezeichnet von der Kathe Mutterhand. Nachdem sagte die Kathe: „Geh’ in Gottes Namen. - Wenn’s dir gut geht, bleib’ in der Stadt. Aber wenn’s dir schlecht geht nachher, komm heim!“ Und ich sah, wie ihre Augen sich feuchteten. Die Theres’ hatte sich abgewandt. Ich konnte nicht sehen, was ihr im Gesicht geschrieben stand nach der Mutter Wort. Sie nestelte ein weniges an dem Reisezeug herum. Aber mir war weich und wehe geworden, trotzdem mich die Sache doch herzlich wenig anging. Wie mag’s da der Theres’ gewesen sein, die doch das alles anging? Und die Theres’ sagte:„Wie mag’s einem schlecht gehen in so einer großen, schönen Stadt. Das musst nit denken, Mutter“. Und so ging sie fort, damals.

Der Briefe kamen viele von der Theres’ und immer war viel darin von den Herrlichkeiten der großen Stadt. Und die Kathe erzählte es bei uns, denn sie spann uns Wolle. Und der Briefe gingen viele zurück. Manchen davon habe ich selbst geschrieben, weil die Kathe nit so gelenk schreiben konnte als Wolle spinnen. Aber sie standen ihr immer schon fertig geschrieben in Kopf und Herz und der Schluss war immer derselbige: Solang dir’s gut geht, bleib. Aber wenn’s dir schlecht geht, nachher komme heim ...

Und der Briefe kamen wenige. Darum schrieb ich für die Kathe noch mehr Briefe an die Theres’. Ich musste schreiben, was sie mir aufgab – von der Katz’, dem Zeisig, den blauen Glockenblumen um Garten, gute Mahnungen und: Wenn’s dir schlecht geht nachher, komme heim. Und der Briefe kamen keine mehr. Der Kathe letzter kam zurück mit dem Vermerk: Adressantin unbekannt. Aber die Theres’ kam nicht zurück. Daraus konnte man entnehmen, dass es ihr noch recht gut ging in der großen Stadt. Die Zeit weinte die Kathe manches Mal.

Endlich kam ein Brief von der großen Stadt. Die Theres’ war Mutter geworden und war gestorben in einer Anstalt der großen herrlichen Rheinstadt. Da holte die Kathe aus einer Truhen ein Knöpftüchlein mit blankem Geld und fuhr hin in die Stadt. Und einige Tage später kam die Theres’ heim – im Sarg, schwer, plump und schmucklos. Die Kathe war auch wieder gekommen und hatte ein winziges Menschenkindlein mit heimgebracht. „Es soll mir nit verkommen in der großen Stadt, das arme Würmlein, sagte die Kathe. Also war die Theres’ aus der großen Stadt zurück – und heimgekommen – als es ihr schlecht ging.

Wahrscheinlich ist ihre Geschichte schon oftmals erzählt worden. Verbleibt mir nur: Gehet nicht leichtfertig in die große Stadt, leicht dass, wenn ihr merkt, dass es euch schlecht gehen will, es ein reichliches spät ist zum Heimkommen.