Wie der Wurzelsepp seinen Feind geliebt

Und nun soll auch er dran, der Wurzelsepp. Es war einer meiner Heimatmenschen, die nun längst der grüne Kirchhofrasen deckt. So viel sollt ihr wissen. Aber erkennen soll ihn keiner in der Gestalt, wie ich ihn jetzo auftauchen lasse. Das ist ja auch durchaus nicht vonnöten. Das eine weiß ich im Voraus: Wenn die Leute die Geschichte gelesen, mit Wohl- oder Missgefallen, je nachdem, so werden sie wiederum anheben, sich selbsten oder mich zu fragen, wen ich denn mit dem Kuriosum gemeint habe. Denen zur Auskunft: Ich meine – den Wurzelsepp.

Ich habe mir die poetische Freiheit herausgenommen, ihn also zu taufen. Übrigens verwahre ich mich noch einmal ausdrücklich gegen die oftmalige Auffassung der Leute, dass ich irgendwo in meinen Schriften irgendwen gemeint habe. Ich versuche, die Gestalten also zu schildern, wie sie vor mir zu stehen belieben. Das gelingt mir allerdings oft genug herzlich schlecht. Wer jedoch durchaus meint, es müsse „jemand“ gemeint sein, dem diene: Ich meine entweder stets mich - oder den „Anderen.“ Der „Andere“ ist ich - und ich ist der „Andere“. Das ist pervers geäußert. Äußert sich einer pervers - bitte, per Vers, dann hat er das Gepräge eines Poeten und hat somit Berechtigung, konfuse Sachen zu schreiben.

Solche perversen Verse machen zu können und konfuse Sachen zu treiben, einen ganzen Eisenbahnwaggon voll, konnte sich auch der Wurzelsepp rühmen. Oder sagen wir, er hätte sich dessen rühmen können; aber er tat es nicht. Denn er trieb diese Sachen in einer Art Unterbewusstsein oder auch einfältiger Einfalt und erkannte somit selbsten nicht, dass er ein kurioses Unikum war. Darum ist er von Stolz und Ehrgeiz sein ganzes Leben hindurch vollständig frei geblieben. So mag er zuletzt bescheiden an die Himmelstür gekommen sein und ich denke mir, sie haben ihn genommen. Und wenn sie ihn etwan gefragt haben mögen, was er denn gelernt dahier auf Erden. – „Nichts!“, wird er bescheiden geantwortet haben, „nichts als Wurzeln roden im Kirchhölzchen und am Ochsenberge und die in ein Tränklein tun.“ Sonst nichts und gar nichts - und doch noch eines - in Einfalt selig sterben, wenn man das noch dabei rechnen wolle. Und selig sterben. -

Vermeinen wir, das gelänge nur denen, die sich in Sorge darum gemüht ein lebelang, - so könnten wir in einem gelindlichen Irrtum sein, so ähnlich dem Mann, der sich zu oft rühmte, das meiste in den Klingelbeutel zu opfern - weil er das meiste hatte im Kirchspiel. Und fürsorglich aufgeschrieben hatte er die Beträge in ein Notizbüchlein. Mit den Jahren war es auch wirklich ein anständiges Sümmchen geworden. Der Mann aber war mit den Jahren gestorben und vermeinte nun mit Schuhen und Strümpfen in den Himmel hineinzuspazorkeln. Aber wie er hinkam an die Pforten, und zeigte St. Petrus das Notizbüchlein, gab ihm der den Bescheid, dass Prahlhänse nicht vernommen würden. Und selig sterben. - „Ei Wurzelsepp, dann hast du die größte und schwerste Kunst gelernt, die einer auf Erden sich zu eigen machen kann – und daraufhin verdienst du einen Platz im Himmel“, so St. Petrus.

Doch da bin ich wieder gehörig oder vielmehr ungehörig abschweifig geworden. Ja, ich kann’s nicht so, wie der selige Alban Stolz, der in seiner Schrift „Witterungen der Seele“ meint, es sei ein leichtes, über ein altes Ziegelstück eine lange Betrachtung von allen möglichen Gesichtspunkten aus niederzuschreiben. Der Wurzelsepp war mehr wie ein altes Ziegelstück. Mag er auch bei Lebzeiten nicht mehr als ein solches geachtet worden sein.

Nun die Geschichte. Die ist kurz. Also der Wurzelsepp rodete den Enzian. Den brachte er dahin, wo er Bauchkneipen verhüten oder beseitigen wollte. Nicht in sein Inwendiges, sondern zu den Bauern im Dorf oder in die Apotheken. Dafür erhielt er ein Gröschlein Geld. Das Geld vertat er dann in Branntwein. Er nahm ihn ohne Enzian, denn den Enzian machte er zu Geld. Wie sonsten hätte er denn auch leben sollen? Das Geld also vertat er in Branntwein und erzielte dabei ein Räuschchen oder einen Rausch, je nachdem das Geld langte. Das alles nur, wenn er überhaupt Geld hatte. Weil das wenig vorkam, hatte er wenig Räusche. In der Zeit hatten sie einen neuen Kooperator ins Dorf gekriegt. Der ging allem Übel an die Wurzel. Somit kam er auch an den Sepp, der gleich nach der Wurzel kam. Er machte dem Sepp Vorhaltungen wegen dem Branntewein und verwarnte ihn also: „Es ist dieser elende Fusel des Menschen grimmster Feind. Wie vermag ihn also einer zu lieben?“ Da zwickerten des Sepp Äugelein listig und schalksch den Kooperator an und erwidern tat er also: „Eh, wenn mein Feind ist - ich mag ihn lieben. Denn also steht’s geschrieben: Du sollst die Feinde lieben. „

So hat’s der Wurzelsepp gehalten mit seinem grimmen Todfeinde. Manche tranken und liebten ihn mit Enzian - er mit Einfalt und idealer Gesinnung und Meinung. Und hatte er geirrt. - Wir irren alle… Und zuletzt ist er in Einfalt und selig gestorben, der Wurzelsepp. Somit hätten wir das gute Ende und ich kann aufhören.