Vom Singegeld und Nickemännchen
Es war einmal ein Kind, das zog mit all den übrigen Kindern am Silvestertag durch alle Straßen des Ortes. In kleinen Grüppchen gingen sie von Haus zu Haus, von Tür zu Tür, und die Kleineren sangen dann immer:
„Ich bin ein kleiner König,
gib mir nicht zu wenig,
lass mich nicht zu lange stehen,
denn ich muss noch weitergehen ...“
Größere Kinder hatten
„ Gelobt sei Jesus Christus,
in alle Ewigkeit,
der Mensch für uns geworden,
aus lauter Gütigkeit ...“
auswendig gelernt, und sie ließen dieses alte Kirchenlied laut erschallen. Im Volksmund hieß es: „Die Kinder singen Glück für das kommende Jahr.“ Es galt als besonders glücksbringend, wenn recht viele Kinder vor den Türen ihren Vers sangen. Kaum eine Haustür blieb ihnen verschlossen.
Selbstverständlich erhielten die Kinder auch etwas für ihren Singevers. War die Zeit auch nicht besonders gut, gab es dennoch Äpfel, Nüsse, Plätzchen auch schon mal Bonbons, die von den Kindern Zuckersteine genannt wurden. Einige Leute gaben auch eine kleine Münze. Ein Fünfer war es immer, manches Mal auch ein Groschen, und wenn es ganz hoch kam, dann waren es zwei Groschen, Letzteres nur ausnahmsweise.
So hatte denn auch ein jedes der Kinder ein Täschchen um, in das es die guten Gaben tat. In dem Täschchen war meist noch ein viel kleineres oder auch ein Beutelchen, in welches wohl behütet die Geldstücke wanderten. Nun war das Kind den ganzen Tag über mitmarschiert durch alle Straßen und Gassen. Unter seinen Füßen, die auch schon ein wenig wehtaten, knirschte der Schnee.
Wer keine warmen Handschuhe besaß, der steckte immerfort zwischendurch seine Hände in die Taschen des Mantels.
Und wenn sie dann vor einer Tür stehen blieben und sangen, dann stieg ihr warmer Hauch wie ein weißes Wölkchen nach oben. Als der Abend anfing zu dämmern, verabschiedeten sich die kleinen Sänger voneinander, und sie trabten müde nach Hause. Zu der nahen Kirche lenkte das Kind seine Schritte und öffnete leise die schwere Eichentür.
Dann huschte es stillschweigend nach vorn ins linke Seitenschiff, wo alljährlich die Krippe stand, und voller Inbrunst betrachtete es im Halbdunkel die Figuren, die alljährlich vom Heiligen Abend an in der Weihnachtszeit dort aufgebaut wurden.
Maria, die Mutter Gottes kniete darnieder, ihr blauer Mantel lag um ihre Schultern, und sie zeigte mit der rechten Hand auf das in der
Krippe liegende Jesulein. Ihr gegenüber Josef mit der Laterne in der Hand. Das Flämmchen in der Laterne zuckte auf und nieder, gerade so, als wolle es ein wenig Wärme in die kalte Welt da draußen spenden. Und Josef hütete schützend das Licht. Im Hintergrund der Krippe reckten sich Ochs und Esel. Von Schafen umgeben, standen oder knieten die frommen Hirten vor dem Kind in der Krippe. Einer von ihnen, hoch betagt mit kahlem Haupt und langem weißen Bart, hatte sein Enkelkind mitgebracht. Ob er ihm wohl das Wunder der Weihnacht da draußen im Stall zeigen wollte?
Über ihnen allen schwebte im hellblauen, flatternden Gewand der Verkündigungsengel, jener, welcher da einstens von Gottes Ehre und vom Frieden auf Erden gesungen ...
Doch am süßesten, lieblichsten und zugleich am ärmsten war das kleine Jesuskind, es lag auf Stroh gebettet, besaß weder Hemdlein noch Strümpflein, nur eine Windel war über sein Bäuchlein gelegt. Und das göttliche Kind in all seiner Armut, es lächelte sogar. Das Kind lächelte zurück, und es strich behutsam mit einem Finger über das nackte Füßchen des Jesulein.
Neben der Krippe stand das Nickemännchen, eines mit schwarzer Hautfarbe und einem weißen Röcklein, wie ein kleiner Messdiener. Es kniete auf einem hölzernen Kistlein und hob wie flehend die Hände bittend empor. An seinem Kistlein, da war ein kleines Schildchen, auf welchem geschrieben stand:
„Willst Du den Heiden Hilfe schicken,
so lass mich Ärmsten einmal nicken!“
Bedächtig fasste das Kind in sein Beutelchen und holte das noch kleinere Geldtäschchen hervor, nahm einen Groschen heraus und steckte ihn in den Schlitz des Kästchens, worauf das schwarze Negerkind mit dem Kopfe nickte, gerade so, als wolle es sich bedanken.
Erneut griff das Kind in sein Beutelchen und steckte eine Münze nach der anderen in das Kästchen, und immer schneller ging es: „Klick, klick, klick ...“
Unaufhörlich nickte das Negerkind, und es schien fast, als gerate es dabei außer Puste. Doch dann war auch das letzte Münzlein im Opferkästchen verschwunden. Das Kind drehte sich stillschweigend um und ging hinaus. All sein ersungenes Geld vom Silvestersingen hatte es bis zum letzten Stücklein dem schwarzen Nickemännchen vorm Krippchen geschenkt.
Anneliese Blacha