Vögel besingen den Frühling

Anfang Februar glaubten viele, der Frühling sei schon ins Land gekommen. „Soll das gut gehen?“, fragten besorgt die Acker- und besonders die Obstbauern im Gegensatz zu den sich freuenden, wintermüden Menschen.

Die Fruchtknospen und Laubtriebe der Sträucher und Baume schwollen schon bedenklich an. Schneeglöckchen, Veilchen und Seidelbast blühten. Die Imker im Friedatal sahen ihre fleißigen Arbeitsbienen mit gelbbraunen Höschen zu den Stöcken zurückkommen, Also blühten auch die Haselnussstauden schon.

Übermütig sangen die Blaumeisen ihr „Tit di ti - tit di ti“ = „ha es verbi, ha es verbi“ und meinten den Winter. Die Kohlmeise aber antwortete aus Nachbarsgarten „Sick dich ver, sick dich ver!“ Familie Starmatz war auch von ihrer Südlandreise zurückgekehrt. Herr Star hatte sogar schon seinen grünblau schillernden und mit weißen Perlen besetzten Hochzeitsfrack angetan. So saß er stolz auf Nachbarsdach und radebrechte mit gespreizten und wippenden Flügeln seiner Gattin,, die in der vorjährigen Nisthöhle saß, seinen „pfeifenden, knarrenden“ Balzgesang vor.

Ende Februar wurde es jedoch wieder kälter, und eine neue Schneedecke folgte der andern. Die alte Eichsfelder Bauernregel bekam recht: „Wie's Petrus un Mathias macht, so bliebet’s verzig Tag un Nacht.“ Jeglicher Frühlingszauber war verschwunden. Die Meisen schwiegen und suchten ihre Futterhäuschen oder die an den Haus- und Stallwänden aufgehängten Schweine-Nabel wieder auf. Familie Star mischte sich unter die futtersuchenden Vogelschwärme oder zog es vor, noch einmal gen Süden zu reisen. Ging man in den Wald, so sah man die vorwitzigen Blüten des Seidelbastes über der etwas niedrigen Schneedecke rosarot leuchten. Die Kohlmeise (auf dem Eichsfeld auch schaele Meise genannt) hatte mit ihrem Warnruf recht behalten, Blaumeislein aber antwortete: „Ihr habt mich falsch verstanden, ich habe doch gerufen: ,,’ses nach zu frieh, ’ses nach ze frieh!“

Doch wir wollen nicht verzagen. Bald wird Starmatz wiederkommen und viele andere Vögel mitbringen. Nach und nach kommen sie alle. Erst Mitte Mai ist der ganze Sängerchor beisammen. Bald erschallen über unsern Tälern die melodischen Rufe der Amsel und Singdrossel „Davütt - Davütt zip zip Kuk- dieb Kuhdieb“ wieder. In den Gärten sitzt dann wieder auf hohen Birnbäumen das stolze Buchfinkenmännchen in seinem roten Vorhemd, seinem Weibchen unermüdlich zurufend „Bin lein, bin ich nicht ein schöner Bräutigam?“ Doch sein graues Weiblein, das emsig in einer Astgabel am kunstvollen Nest baut, antwortet immerzu „fink – flink – flink!“ Es hat es gar eilig; denn für seine zwei Brutgelege wird der Sommer kurz – eingedenk der eichsfeldischen Bauernregel „Bartholomai, do leet d’r Voeül sin letztes Ei“. Auch der kleine mausgraue Zaunkönig wirft sich in die Brust, stellt sein Schwänzchen aufrecht in die Höhe und schmettert sein Liebeslied „Flick de Büx – flick de Büx – hab kein Zwirrn – Zwirrn is nur en Endeken, kann net lang zirrn – zirrn – zirrn“. Wer hätte dieser kleinen Vogelgestalt eine solch kräftige Stimme zugetraut! Dazwischen erschallen aus den Weißdornzäunen die schwer wiederzugebenden Stimmen der Grasmücken, der Spötter in unserer Vogelwelt, die allen Vögeln nachtun und alles durcheinander singen.

Von den Hausdächern herab werfen die immer trippelnden, knicksenden und wippenden Rotschwänzchen ihr „Hie dek dek – hie dek – dek“ dazwischen. Im Felde singen die steigenden Lerchen ihr nimmermüdes „Tirtiritirili“. Auf einem Dornbusch sitzt ein rotbrüstiges Hänflinghähnchen und singt mit feinmelodischer Stimme sein „Zin zin zin hup li zin zin hui“. Aus dem Walde kommt der Ruf „Kuckuck – Kuckuck“.

Ende April kommen zuerst die Rauch- oder Stallschwalben und etwas später die Hausschwalben zurück. Aus der Luft und von den Leitungsdrähten erfüllen sie die Dorfstraßen mit ihrem Gezwitscher. Von Mitte Mai ab vermischen sich damit die seltsamen Rufe der Mauersegler „Schrii – Schrii – Schrii – Schrii!“ Sie haben es immer eilig und umkreisen Türme und Schlote. Wenn um Pfingsten auf unserm Waldboden der goldene Frauenschuh blüht, dann streicht auch wieder über unsern Häuptern durch die maigrünen Buchenwipfel der Pirol, die gelbe schwarzflügelige Goldamsel mit ihrem orgelnden Ruf „Bü lo, Bü lo, Bü lo hü“.

Allen abgehetzten und nervösen Menschen rufe ich zu: „Geht of zu Fuß zum Vogelkonzert in Feld und Wald; denn schnell, allzu schnell sind Frühling und Sommer vergangen!“ Unsere Singvögel stellen zumeist um die Sommersonnenwende ihren Gesang wieder ein. Nur ein bodenständiges Vöglein, die die wintertreue Goldammer, sing als Mahner zur Ernte allein den ganzen Herbst hindurch ihre melancholisches „Ritt ritt ritt rieht – ritt ritt ritt rieht“, das der Volksmund gedeutet hat in: „Sichelchen, Sichelchen schnied – Sichelchen, Sichelchen schnied!“

Lambert Rummel
(Quelle: unbekannt)