Unterwegs zum Jüngsten Gericht
Man schrieb das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, als an einem schönen Maientag der Zimmermannsgeselle Johannes, Ältester des Jörg Niklas, sein Heimatdorf am Hülfensberg verließ, um auf Arbeit ins nördliche Eichsfeld zu ziehen. Erste wärmende Sonnenstrahlen teilten die Nebel im Frieda- und Luttergrund, während er unter der längst abgetragenen Burg Stein, dem alten Bischofstein und dem dort 1748 erbauten gleichnamigen Schloss vorüberkam. Die Burg, im 30-jährigen Krieg ziemlich beschädigt, hatte danach an Bedeutung verloren und wurde demzufolge nicht wieder aufgebaut. Immerhin hatte der Mainzer Bistums- und Grundherr noch im 17. Jahrhundert eine St.-Georgskapelle im Burgareal einweihen lassen, die auch am längsten erhalten blieb.
In Johannes Heimatdorf erzählte man sich – und so stünde es auch im Lengenfelder Kirchenbuch geschrieben – dass anno 1693 eine Malefizperson, der Hexerei verdächtig, im Burgverlies eingekerkert war und „allhier ein unächtig Kind gebar, wozu der Henker als Vatter benannt worden sei.“ Bereits zwei Jahre später saß ebendort eine weitere junge Frau, die aus Faulungen gebürtige Margareta Kobold, „gefänglich ein“ und kam währenddessen nieder. Auch ihr Kind taufte man in der Burgkapelle zu St. Georgio.
Dieser und noch anderer Begebenheiten und Schauergeschichten über die Herren und Vögte der alten Burg Stein erinnerte sich der Wanderbursch’, als er den Bischofstein passierte. Sein Vater hatte noch mit Hand anlegen müssen, die Burgsteine herauszubrechen, damit sie zum Schlossneubau zu Tal gebracht werden konnten. Was übrig blieb, kam dem Bau der Lengenfelder Mittelmühle und der Errichtung des „Gewölbes“ zugute.
Nachdem Johannes im Luttertal angekommen war, lag auch schon die Entenmühle vor ihm. „Was für ein trefflicher Name für eine Mühle, wo sich zuhauf das weiße Federvieh tummelt, „fiel ihm ein. „Doch warum heißt der Berg über der Mühle dann Entenberg?“, fragte er sich. Woher sollte der Junge Bursch auch wissen, dass vor langer Zeit ein Magister Henricus Enzibertus Marktmeister der Burg und Stadt Stein war und ein Holzgut im Blankentail bei Lengenfeld geschenkt hatte, was man ihm mit Übertragung seines Namens auf den der Burg nahegelegenem Berg dankte.
Quelle: Trappe, Wolfgang: Erzähltes Alt-Eichsfeld. Duderstadt: Mecke Druck und Verlag, 1991.