Unser Nachbardorf Hildebrandshausen
Viele Dörfer des Südeichsfeldes sind schön; doch haben manche ihre eigenen, besonderen idyllischen Reize. – Ein solches Dorf ist auch unser Nachbarort Hildebrandshausen. Es kuschelt sich wie ein Kücken an ihre Gluckhenne, den Gayberg. So liegt es ganz versteckt im Tale des Rösebachs (der Name des Baches mag von Flachsrösen= reusen ausgegangen sein). Der Rösebach mündete früher in das breite Wasser der Frieda, wo nachweislich in früheren Zeiten der Flachs gewässert, weich gemacht, also geröst wurde. Auch wurden früher an dieser breiten Stelle der Mündung im Sommer die Schafe gewaschen.
Betritt man von Norden, von Lengenfeld kommend, Hildebrandshausen, so begrüßen uns zur linken Seite zuerst stattliche Lindenbäume und bei deren Ende links eine Mühle mit dem Mühlteich. Oberhalb des Teiches, am Klingenberg, lehnen die Häuser am Fuß des Gayberges, gleich angeklebten Schwalbennestern. Beim Weiterschreiten auf der Dorfstraße sehen wir links und rechts schöne alte Fachwerkbauten und stoßen zu Anfang der Dorfmitte auf den noch gut erhaltenen Anger mit einer schönen Angerlinde. Ob dieser Linde erhielt wohl auch das auf der linken Seite stehende frühere Gasthaus den Namen „Zur grünen Linde“. Wenige Schritte weiter rechts sehen wir den langgestreckten schönen Fachwerkbau mit Mittelaufgang, die heutige Pfarrei, früher das Keudelsche Junkerhaus.
Hier möchte ich einiges aus der politischen Geschichte Hildebrandshausens einflechten:
Nach dem Einkünfteverzeichnis von 1380 (Mainzer Regesten 1,1 Nr. 1955) besaß Kurmainz schon in Hildebrandshausen einen Hof. Das Gut mit dem Untergericht hatten die von Keudel, deren Stammgut der Keudelstein war. 1580 erhielt Barlt von Keudel auch die peinliche Gerichtsbarkeit zur Hälfte. Das Keudelsche Gericht hat scheinbar auch seinen Sitz in Hildebrandshausen gehabt. Nach dem Jurisdiktionalbuch des Amtes Bischofstein war Hildebrandshausen ein neu erbautes Dorf und vorher bis ins 16. Jahrhundert eine Wüstung gewesen. Im Dreißigjährigen Kriege hatte es so zu leiden, dass die Zahl der Herdstätten von 52 auf etwa 28 zurückging („Unser Eichsfeld“ 6, 211). Als der letzte Herr von Keudel, Walrab, starb, wurden 1792 Gut und Gericht als erledigte Lehen von Mainz zurückgenommen. Seit der Franzosenzeit ging das Gut durch mehrere Hände. 1839 wurde ein großer Teil der Ländereien und Waldungen (das Junkerholz) an die Gemeinde Hildebrandshausen verkauft. Das „Junkerhaus“ wurde 1869 zur Pfarrei eingerichtet.
1384 wird ein Hans von Keudel genannt, welcher den Beinamen Füllekopf führte. So besteht die Möglichkeit, dass mit der Zeit daraus „Hilberschhisser Füllenbäine“ entstanden ist.
Hinter der Pfarrei ragt die alte ehrwürdige Kirche empor. – Gehen wir weiter, kommen wir zu der Stelle, wo der Rösebach seinen Lauf wechselt zur linken Seite des Unterdorfes. Hier wird der Rösebach überbrückt durch die „Brüüsbrikken“ (verballhornt durch den Volksmund – hier hat vor Zeiten das Brauhaus gestanden). Einige Schritte weiter stoßen wir links auf die Schule. Die Schulstelle Hildebrandshausen wurde 1693 durch die Stiftung des Kurfürsten von Mainz, Anselm Franz, aufgebessert (Hillmann in „Aus der Heimat“, Nr. 29 und Thiele S. 60 f.). Etwas weiter führt ein östlicher Ausgang des Dorfes hoch zum Gaiberich. Man nennt die von nur 2 Häusern flankierte kurze Gasse „die Klausgassen“. Rechts lädt das frühere Gasthaus „Zur Quelle“ zur Rast ein. Wir erinnern uns noch gern der Zeit, in welcher der alte humorvolle Quellen-Tums (Thomas) aus dem ehrbaren Geschlecht der Hildebrandshäuser „Oberthürs“ in diesem Gasthof waltete. Oberhalb der Klausgasse beginnt das eigentliche Oberdorf, beiderseits mit schönen Fachwerkbauten bestanden. Rechts oben lädt noch einmal eine alte Gaststätte „Zur Erholung“ ein. Diese ist auch heute noch im Besitz der Nachfahren des Geschlechts der schon im frühen Mittelalter genannten Eichsfelder „Dietens“.
Links – am Ende des Dorfes – liegt der für alte Leute zwar etwas beschwerlich zu ersteigende, aber schön dem Getriebe des Verkehrs entzogene Friedhof in erhabener Ruhe am Fuße des Gaiberges.
Am Südende des Dorfes liegt rechts noch eine alte, nicht mehr im Betrieb befindliche Mühle. Also hat das kurze Rösebächlein jahrhundertelang seine Triebkraft dem Dorf Hildebrandshausen zur Verfügung gestellt. So harmlos ruhig der Rösebach gewöhnlich rinnt und fließt, so wild kann er sich gebärden bei Gewittern und nach schneereichen Wintern. Ich habe selbst erlebt, als im Frühjahr 1905 oder 1906 über Nacht plötzlich Tauwind aufkam und die hohen Schneedecken vom Gayberg und dem Höhenzug der Plesse das Unterdorf vom „Rinnchen“ an bis zum unteren Klingenberg in einen See verwandelten, ja auch die Lengenfelder Chaussee bis zur Heide unter Wasser stand.
Zu Anfang des Jahrhunderts war auch noch der obere Rösebach ein Laichplatz der aus der tieferen Frieda heraufziehenden Forellen.
Wer unseren Nachbarort Hildebrandshausen vom Westeingang des Rasens erreichen möchte, dem schlage ich folgenden Spaziergang vor: Man biege von der Hildebrandshäuser Straße ab zum Fackental, biege im Fackental links ab zur Trift. Von der Trift aus kann man das untere Rösebachtal mit dem gegenüberliegenden Höhenzug des Gayberges mit Blick auf die Heide und den Kessel von Hildebrandshausen überschauen. – Hierbei kommt nicht nur der Naturfreund auf seine Kosten, sondern auch dem heimatlichen Geologen hat dieses Tal viel zu sagen. Wir wandern nämlich im Zuge der Saalfeld-Eichenberger-Grabenversenkung, in welcher Hildebrandshausen und seine Flur liegt. Das Rösebachtal ist ein eingestürztes Tal, hervorgegangen durch tektonische Urkräfte der Tertiärzeit. Hier findet man Flächen weißer Felder aus verwitterndem Keupergestein, angrenzend wieder Flächen mit verstürztem mittlerem und auch oberem Muschelkalk. Fundstellen von Encreniten (Bonifatiuspfennige) und auch Amoniten (Amonshörner).
Weiter durchwandern wir das Weidental und dahinter die umwaldete Drosselkütte. Die Drosselkütte hat ihren Namen aus der Wirklichkeit. Vom zeitigen Frühjahr bis zum Sommer hinein hört man hier die melodischen Töne der Singdrosseln mit ihrem langgezogenen Daviit – daviit – zip – zip – im vielfachen Widerhall. Wer Glück hat, kann auch die Gabelweihe, oder gar das Pärchen, bei dem Flugspiel und plötzlichem Niederstoßen auf Beute beobachten. Ein Gabelweihepärchen horstet fast jedes Jahr im Junkerholz.
Wer botanisch interessiert ist, kann auf diesem Spaziergang den goldenen Frauenschuh, viele Knabenkräuter sowie die beiden seltenen Arten des blauen und gelben Sturm- oder Eisenhutes bewundern. Wir biegen dann ab auf den sogenannten „Botterwag", bewundern dort an der Ecke links, wo der Weg zum „Rasen“ führt, die gewaltigen, aus einem Schuttkegel zutage getretenen Muschelkalkblöcke. Vor uns sehen wir den breiten, schönen Rasen, mit schmucken Häusern eingefasst, und schauen noch einmal auf die Kirche von der anderen Seite. Wir betrachten die Stationen oder die 7 Fälle unter dem Kreuz. Diese Stationen stammen noch vom Annaberg. Wir biegen kurz links ab und stehen im Mitteldorf bei der Brauhausbrücke.
Wer Hildebrandshausen einmal von Osten erwandern möchte, dem schlage ich vor, den Gaiberich im Winter bei Schnee zu ersteigen. Bezaubernd schöne, bizarre Bilder hat dann der Raureif aus den Bäumen, Sträuchern und Tannen des Hochwaldes geformt; man glaubt sich in einen Märchenwald versetzt. Dazu die zarten Stimmen der Goldhähnchen und Tannenmeisen aus dem Dickicht und das Klopfen der hämmernden Spechte in der klaren Winterluft.
Weiter wandern wir unter immerfort wechselnden, winterlichen Bildern und Eindrücken, bis sich der Winterwald lichtet. Wir schauen ins Tal, und vor unserem Auge erscheint ein Bild von solch winterlicher Schönheit, das man niemals vergessen wird. Zu unseren Füßen breitet sich das dicht verschneite und dadurch fast unsichtbare Hildebrandshausen aus. Dünn steigt weißgrauer Rauch kerzengerade aus den Schornsteinen auf in die klare Winterluft und zeigt, dass hier ein Dorf liegt. Gegenüber als Kulisse die rotglühende, dunstumschleierte Sonnenkugel über dem verschneiten Cohnstein und Plesserücken. Vom Tal herauf schallen jauchzende Rufe rodelnder Kinder. O selig, o fröhlich, ein Kind noch zu sein!
In jugenderinnernder Stimmung steigen wir abwärts – vorbei an der fröhlichen Kinderschar – und stehen wieder in der Mitte des Dorfes Hildebrandshausen vor der guten Quelle. War Hildebrandshausen infolge seiner nach Norden abfallenden und schnell abfließenden Tallage schon immer ein reinliches Dorf, so kann man es wohl nach Fertigstellung der Kanalisierung und Pflasterung im kommenden Jahr als das schönste Dorf des Südeichsfeldes bezeichnen.
Lambert Rummel
(Quelle: Lengenfelder Echo)