Um Johanni (Urfassung)

Johannistag – leuchtende Rosen im blumigen Hag! Hoch steht die Sonne und schafft Tage, die schier nicht enden wollen. Sommersonnenwende. In altgrauer Vorzeit unserer Ahnen, der heidnischen Germanen, lohten um diese Zeit rauchende Götteropferbrände von den Höhen gegen den nächtlichen Himmel.

Heute noch besteht in manchen Gegenden die Volkssitte, an geeigneten Plätzen Johannisfeuer abzubrennen. Eine andere, auch auf dem Eichsfelde viel geübte Volkssitte besteht in dem Winden und Aufhängen von Johanniskränzen. Als Material nimmt man dazu mit Vorliebe den "Mauerpfeffer", ein gelb blühendes, kurzrankiges Gewächs, das auf verwitterten, wild ohne Mörtel gelegten Mauereinfriedigungen und auch auf Steinschotterwällen (Steinritschen) allerorts üppig gedeiht. Aber auch andere Kinder der sommerlichen Heimatflora flicht man in diese Johanniskränze, die dann die Fronten und Giebel der Behausungen zieren, bis die brennende Sonne ihre Schönheit fort küsst. –

Nun sind Tage, die schier nicht enden wollen. So aber ist es dem Landvolke schon recht. Denn sollen auch nach einem alten Bauernwort Hackfrüchte um Johanni Ruhe haben, so stehen nun Klee- und Wiesenmahd im Vordergrunde.

Abends, im trunkenen Zwielicht der dämmernden Nacht, klingen die metallischen Sensendengelklänge vom Amboss über die Hofstätten der Mäher und mischen sich in die fernen, verschwommenen Weisen der Burschen und Mädchen des Dorfes. Schöner noch wäre dieses Klingen, wenn rechte, echte Volksliederweisen vom Klang der Sichel "vom Mühlenrad im Grunde" von allem schönen, was die Dorfheimat um uns webt, sich verbänden mit dem Sensendengellied des schaffenden Bauern. Wie viel hat unsere heranwachsende Jugend in der Hand, der noch so weltverkannten Heimat kernhaftes Gebilde zu geben. –

Kühlend und erfrischend steigt die Nacht zu Tal. Oftmals auch erhellt ein zuckendes Flackern den Horizont. Wetterleuchten. Mahnzeichen im Weltenraum. Funkspruch des Urewigen: Alles steht bei mir. "Gott halt uns in Gnaden diese Nacht", spricht die Mutter und segnet die müden Kinder. Der Hausvater macht noch einen letzten Rundgang, ob alles wohl ist Stall, Hof und Haus und geht zur kurzen erquickenden Rast.

Früh morgens, wenn die Lerchen über taufrischen Feldern schweben, rauscht und surrt die Sense im üppigen Wiesenwuchs. An der Grenze zieht der murmelnde Bach seinen Lauf; dunkles Erlengebüsch beschattet seine Wellen, die unter riesigen Blattschirmen des Wasserschierlings unaufhaltsam reisen durchs grüne Sommerland. Erhaben und in strahlender Schönheit steigt die Sonne über den Osthängen auf. "Morgenstunde hat Gold im Munde", denkt wohl der kernige Mäher, wenn er über die bauchigen, grünen Schwaden schaut. Zum letzten Mahdgange führt der Wetzestein aus dem Köcher und gleitet über die taufeuchte Stahlschneide: "Wetze, wetze, wetze – desto besser gettse ..." hänselt ein Fink am Bachufer. "Srrr, srrr", gibt das Breitschwert zur Antwort und streckt die letzte Wiesenschönheit unbarmherzig zu Tode.

Flinken Landfrauen- und Mädchenhänden baut der sommerliche Tag reiche Arbeit, bis endlich die narkotisch duftenden Heuberge wohlgeborgen in Scheuerpansen verstaut sind. An den Hängen des Eichsfeldischen Landes sieht man jetzt mehr und mehr Dauerweidenanlagen. Braunes und geflecktes Rindvieh grast Tag um Tag darauf. Diese eingehirteten Weideflächen erhöhen reizvoll das landschaftliche Gepräge der Heimat.

Wer eine Tour zum Hülfensberge macht und das Gut Keudelstein eines Besuches wert hält, der glaubt sich ins bayrische Bergland versetzt. Auf waldumhegten, grünen Weideflächen grasen Rinder und Fohlen und machen, aller hemmenden Fesseln ledig, übermütige Sprünge, so dass die Herdenglöcklein melodisch läuten müssen. Wie gebannt bleibt da der Wanderer stehen ob solcher Naturschönheit. Zumal der kundige Landwirt staunt: "So ein Vieh". Das eine oder andere Stück kommt wohl auch neugierig äugend heran, dicht an die Einfriedung, steht und staunt, als ob es fragen wollte: "Wer bist denn du?" ...

Mir kommt Roseggers Kapitel seiner "Waldheimat" in den Sinn "Beim lieben Vieh". Und ich muss zum Neider werden an den lebensfrohen Hütejungen, die sorglos sitzen auf den Bergmatten bei ihrem lieben, lieben Vieh. Im wachen, seligen Kindheitstraum verbringen sie den Tag. Unbewusst trinken sie die Schönheit ihrer Heimat. Oh sie können Großes werden, diese Hütejungen. Fragt die Sterne, die leuchten auf allen Gebieten des Lebens und des Wissens, ob sie nicht auch ehemals eichsfeldische Hütejungen waren. Großes Glück im Leben mag winken. Fremdes Glück in fremder Heimat. Doch oft erst, wenn die Träger solchen Glückes auf der Sonnenwende des Lebens angelangt sind, wird ihnen dieses fremde Glück fremd erscheinen und sie müssen bekennen: Schöner und größer war das Heimatglück, das sie unbewusst in sich hineingetrunken haben – beim lieben Vieh auf der Berghalde.

Johannistag – Leuchtet ihr Rosen im blumigen Hag. Sonnenwende des Lebens, umglühe mit dankbarem Gedenken auch an meine schöne Kindheitsheimat.