Trauerflor am Lengenfelder Viadukt (1993)
Gestern vollbesetzter Sonderzug zwischen Geismar und Dingelstädt
Heute sollen zum letzten Mal Züge auf der Kanonenbahnstrecke zwischen Geismar und Dingelstädt verkehren. Während der allerletzte Zug gegen 17:08 Uhr über den Lengenfelder Viadukt in Richtung Leinefelde rollen wird, fahren am Tag zwei mit Dampfloks bespannte Züge (9:38 bzw. 12:15 Uhr ab Leinefelde, Rückfahrten: 12:07 bzw. 13:30 Uhr ab Geismar).
Gestern Nachmittag nahmen annähernd 1.000 Fahrgäste eines Sonderzuges mit insgesamt 10 Wagen zwischen Geismar und Dingelstädt Abschied von der „Bimmelbahn“ durch das Südeichsfeld. Sie dokumentierten damit, dass die Kanonenbahn noch nicht ganz tot ist. Unter den Fahrgästen befand sich auch Thüringens Wissenschaftsminister Dr. Ulrich Fickel (FDP), jedoch in rein privater Mission. Auf TA-Anfrage erklärte der Minister, dass die Frage der Stilllegung von Nebenstrecken immer aktueller werde, zumal die Minus-Zahlen von Reichsbahn und Bundesbahn erschreckend seien. Landrat Hilfreich Reinhold (CDU) wies auf das Problem des Lengenfelder Viadukts hin, dessen Sanierungskosten sich allein auf 22 Millionen Mark belaufen würden. Die entscheidende Frage sei, wie kulturhistorisch wertvoll das Bauwerk eingeschätzt werde und ob gleich mit einer Sanierung begonnen werden müsse, damit die Brücke nicht zusammenfalle.
Bei strahlendem Sonnenschein über dem Friedatal setzte sich gestern kurz nach 14:30 Uhr der Sonderzug von Lengenfeld/Stein aus in Richtung Dingelstädt in Bewegung. Besonders wehmütig sah ihm der Lengenfelder Hans-Jürgen Russ hinterher, der 29 Jahre lang tagein tagaus mit der Kanonenbahn nach Dingelstädt zur Arbeit fuhr. „Die Bahn war ein Stück meines Lebensinhaltes“, so Herr Russ. Auch der Trauerflor am Lengenfelder Viadukt spricht für sich.
Reiner Schmalzl
(Quelle: „Thüringer Allgemeine“ vom 02.01.1993)